[1005] Mönch und Freudenmädchen [Vittorio]

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Sousanna
Ravnos
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[1005] Mönch und Freudenmädchen [Vittorio]

Beitrag von Sousanna »

Weit in der Ferne über Genua zuckte bereits das Wetterleuchten und hin und wieder dröhnte ein Donnergrollen über die Ebenen, sich in den Gassen Raveccas zu fangen und ein Mahnmal der Machtlosigkeit des Menschens zu bieten. Wer bei Verstand war, würde versuchen, dem beginnenden Unwetter früh genug zu entkommen. Schon jetzt lag ein Brausen in der Luft. Der Sturm würde kommen und er würde unerbittlich sein.

So sehr die Ravnos die kalten Umschwünge im viel zu kühlen Sommer anfangs verabscheut hatte, so sehr lag nun ein breites Grinsen voller Übermut auf ihren Lippen. Die Wildheit eines solchen Wetters schien beinahe schon Sünde. Grandiose, traumhaft ungestüme Sünde.
Während sie durch die Straßen eilte, schien ihr die Kapuze ihres dünnen Mäntelchens ganz zufällig vom Kopf geglitten zu sein und der aufgekommene Wind löste langsam dunkle Strähnen aus ihrem einstmals sittlich geflochtenen und bedeckten Zopf. Wer sie erblickte, hätte meinen können, sie wäre ein Mädchen aus gutem Hause, - eine Händlerstochter vielleicht, aus der Fremde aber in jedem Fall - die versuchte dem Unwetter noch zu entkommen.
Die Qualität ihrer Kleidung, die Art, wie sie zurecht gemacht war, und vor allem jene sanfte Unschuld, die sie umgab, sprachen dafür, doch da war noch etwas anderes. Etwas Tieferes. Vielleicht war es das Funkeln in den braunen Rehaugen, das auf den zweiten Blick kaum mehr unschuldig genannt werden konnte, oder aber die Tatsache, dass ihr Grinsen immer breiter wurde, je mehr der langsam wilder werdende Wind an ihr riss. Doch viel wahrscheinlicher lag es daran, dass sie sich selbst in dieser unheimlichen Stimmung völlig allein durch die dunkelsten Gassen schlängelte - ohne, dass ihr jemand auch nur ein Haar krümmte. Es musste Gott seine schützende Hand über sie halten - oder der Teufel.

Für gewöhnlich achtete Sousanna sehr darauf, wohin sie ging und wer ihr begegnete, doch heute ließ ihre unendlich gute Laune sie unaufmerksam werden. Vielleicht hatte auch der Wind ihr alle Gedanken aus dem Kopf geblasen, doch in dieser Stunde, war sie so euphorisch, dass sie kaum etwas von ihrer Umgebung registrierte.
Blind und übermütig wie die junge Frau, die sie einmal gewesen sein musste, suchte sie ihren Weg durch die Hastenden, die im Augenblick doch nur Kulisse für ihre überschäumenden Gedanken waren.
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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