[1026] Auf der Mauer... (Sousanna, Seinfreda)

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La Vedova
Kappadozianer
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[1026] Auf der Mauer... (Sousanna, Seinfreda)

Beitrag von La Vedova »

Misstrauisch betrachtete Seinfreda das Haus der Sünde, das sich vor ihr erhob. Sie war lange nicht mehr hier gewesen und wusste nicht recht, was sie mit der Situation anfangen sollte.

Andere Kainiten als Boten für private Nachrichten zu nutzen erschien ihr seltsam. Die Botschaft handelte von längst vergangenen Dingen...Dinge, die nun schon zwei Jahrzehnte zurücklagen und für sie, Seinfreda längst vergessen gewesen waren. Man hatte sich doch versöhnt? Hatte sich geeinigt, das Vergangene zu vergessen und sich nicht gegenseitig zu schaden?
Sicher, ihre Handlungen vor fünf Jahren waren überstürzt gewesen, aber niemals gegen Sousanna gerichtet. Als Angelique vor zehn Jahren verschwunden war, hatten sie aufkommende Wortgefechte angesichts der belastenden Situation beiseite gekehrt. War die Harpye wirklich derartig nachtragend und stolz, dass sie nicht sah, wie viel nützlicher sie sich sein konnten, wenn sie zusammenarbeiteten?
Die Ravnos forderte eine Entschuldigung, doch Seinfreda verstand beim besten Willen nicht, wofür.
Weshalb jetzt? Weshalb der Aufwand? Gab es nicht so viel Wichtigeres zu klären?
Nun, Sousanna würde sicherlich verstehen, dass eigentlich keine Probleme zwischen ihnen standen, wenn Seinfreda ihr noch einmal ihre Beweggründe erklärte. Das sollte schnell erledigt sein!

Unenschlossen stand die Kappadozianerin noch immer am selben Ort. Keiner dieser Gedanken war beruhigend. Keiner war in irgendeiner Weise hilfreich. Sousanna war nicht berechenbar, sie war nicht logisch. Wenn sie etwas falsch verstehen wollte, dann tat sie es. Wenn sie ein Problem konstruieren wollte, dann tat sie es. Es gab keine vernünftige Weise, diesem unberechenbaren Greifvogel entgegen zu treten.

Seinfreda sprach ein leises Gebet zu sich. Demut war jetzt ihre stärkte Waffe.
Es wäre ihr beinahe lieber gewesen, auf diesem schweren Gang alleine zu sein, doch so einfach war es nicht.
Die Kappadozianerin hob ihren Kopf. Der Blick ruhte wieder auf dem Sündenpfuhl. Alla Mura...an den Wänden. Stand sie mit dem Rücken zur Wand? Nein, Wände waren dazu da, sie zu erklimmen und zu überwinden. Sie würde auch diese Wand überwinden...und wenn sie es auf allen Vieren tat.


Mit langsamen Schritten näherte sie sich dem Eingang. Eine Frau in einem schlichten dunklen Kleid, mit einem langen, geflochtenen und am Hinterkopf zusammengerollten Zopf, deren bleiche Haut im Mondlicht strahlte.
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Sousanna
Ravnos
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Re: [1026] Auf der Mauer... (Sousanna, Seinfreda)

Beitrag von Sousanna »

Das Alla Murra schäumte über von jedem Leben, das der Kappadozianerin fehlte. Es stank nach Menschlichkeit, nach Verzweiflung und nach all jenen Lüsten, die nur die verdorbensten, verlorensten Wesen empfinden konnten, die der Herrgott schon lange verlassen hatte.
Huren, Säufer, Diebe, Schläger, alles vermengte sich unter dem Schmiermittel des übermäßigen Alkoholgenusses und anderer Freuden. Alles war eins und vieles zugleich. Wie ein Tausendfüßler. Widerwärtig und dann doch faszinierend.

So die fremde Frau den Schankraum betrat, geschah fürs Erste ... nichts. Niemand schenkte ihr Beachtung. Niemand schien sich berufen zu fühlen, den Gast zu empfangen oder überhaupt zu wissen, dass es einen Gast gab. Das Leben in den Gossen brodelte. Doch wie durch ein Wunder wurde die Fremde nicht darin eingesogen. Sie würde sich frei und ohne jede Belästigung bewegen können. Das Tollhaus der Sünden wie in einem Schauspiel präsentiert bekommen. Doch jener jähzornige Greifvogel, der darüber wachte, war nicht zu sehen.
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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La Vedova
Kappadozianer
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Re: [1026] Auf der Mauer... (Sousanna, Seinfreda)

Beitrag von La Vedova »

Kurz hinter der Tür blieb Seinfreda stehen, ließ den Blick über die Menschen wandern. Vor allem die Huren beobachtete sie etwas länger, die Hand behielt sie auf ihrer Geldbörse, damit diese bloß nicht abhanden kam.
Mit bedächtigen Schritten suchte sie sich einen freien Platz, auf dem sie sich niederließ und wartete. Weiterhin beobachtete sie das Treiben, die durstigen Münder, die tastenden Hände, die gierigen Blicke.
Beinahe kam ihr Mitleid auf mit diesen Menschen, die sich hemmungslos gebärdeten wie Tiere.
Sie sah sich um, ob es wohl jemanden gab, der ebenfalls nicht Teil dieses Schauspieles war oder der zumindest vernünftig und ansprechbar aussah.
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