[Archiv] Schauplätze

Die Stolze ist voll von Geschichte, selbst jetzt, voller Orte und Plätze mit ihrem ganz eigenen Charme.
Hier sind einige davon.

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

Benutzeravatar
Il Canzoniere
Erzähler
Beiträge: 8379
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 20:22

Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Contrada Predis/Flussmund (um ca.940 n.Chr.)
Wo der Buccebovis in die Bucht einfließt flachen die ihn umgebenden Hügel des Petraminuta und Embregaria ab und bilden einen flachen Sandstrand, an dessen hinteren Ende die Via Ponente sich weiter nach Westen, in die Provence und Südfrankreich schiebt.
Es ist hier, wo sich jenes beschauliche Fischerdörfchen beiderseits des Flusses aus dem Sand erhebt, das früher "Contrada Predis" hieß, heute aber meist nur Flussmund genannt wird. Der Name rührt daher, dass der Buccebovis zwar nicht mit der Größe Bisagno oder Polcevera mithalten kann, aber ganzjährig Wasser führt und mit erstaunlichem Fischreichtum gesegnet ist. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich hier schnell Fischer ansiedelten mit ihren Netzen und Booten, die weite Teile des flachen Strandes bedecken.
Nahe an der Flussmündung befindet sich auch die "kleine Grabeskirche" – Il piccolo sepolcro – die das einzig nennenswerte Gebäude der Gegend ist. Holzhütten, Katen und jede Menge Fisch ist das einzige, was sich hier finden lässt.
Benutzeravatar
Seresa
Brujah
Beiträge: 2254
Registriert: Sa 29. Jul 2017, 23:49

Broglio

Beitrag von Seresa »

Broglio (um ca.980 n.Chr.)

Früher einmal war Broglio ein Dörfchen, ein malerisches kleines Ding vor den Toren der römischen Stadtmauern. Auf seinen grünen Hügeln standen Reih um Reih Hühnerställe, durch die kleinen Täler zogen sich die sorgsam gepflasterte Ableger der Via Aurelia bis in die Stadt hinein und in seinen Stuben herrschte eine heimelige Ordnung.
Das Geschnatter von Hühnen und Gänsen lag in der Luft, Schweine drehten sich lachend über Feuern und der Geruch von Schinken, Brathähnchen und gebratenen Eiern lag beständig in der Luft. Es war ein Fest für die Sinne.

Mit der Errichtung der neuen Mauer durch den ach so großen Karl änderte sich das.
Broglio war nun Teil der Stadt. Jedenfalls innerhalb der Mauern der Stadt, mit dem Haupttor für Handel, der Porta Soprana im Osten und der alten Römerstraße (strata romana) im Norden. Und die Stadt schluckte das einst beschauliche Dörfchen mit gierigen reißen und zerren, wie ein Raubtier seine Beute.
Seit den sarazenischen Überfällen vor fast einem halben Jahrhundert lagern die Heimatlosen in den Straßen von Broglio. Jahrzehnte des Aufbaus, die andere Sestieri wieder aufrichteten und in neuem Glanz erstrahlen ließen, gingen unbemerkt an Broglio vorbei. Hässliche Behelfsbauten ragen dort in den Himmel wo früher Kühe weideten und Hühnerställe beherbergen heute Männer und Frauen mit hoffnungslosen Gesichtern.
Von seinen Schwesterbezirken im Stich gelassen und ausgenutzt wuchern die Elendsviertel Claviculas jedes Jahr weiter die einst grünen Hänge Broglios hinauf, werden die Banden aus Halsabschneidern, Straßendieben und Erpressern stetig dreister. Bettler denen in Domus und Mascarana der Strick droht, versuchen hier ihr Glück, nur um festzustellen das das Mitleid in den Herzen der Broglioer längst erloschen ist.

Broglio ist ein Ertrinkender. Die Straßen versinken seit Jahrzehnten unter einer dicken Schicht aus Dreck, Schlamm und Unrat. Der Sirenengesang der Menge ist von überall zu hören, auch wenn er sich über die Jahre verändert hat: Das Ächzen der stöhnenden Menschen, das Gequieke der werfenden Säue, das säuselnde Betteln der Hoffnungslosen, der Hochmut der krähenden Hähne, das Rumpeln der fahrenden Handelswagen.



Broglio (um die Jahrtausendwende)

Broglio hatte sich verändert, so viel war jedem ersichtlich, der schon einige Jahrzehnte in Genua verbracht hatte.
Es war nicht unbedingt sauberer geworden oder weniger chaotisch oder auch nur sicherer im großen Ganzen. Aber es war dichter zusammengewachsen seit den ersten Aufständen in den 950er Jahren, als ein Endzeitkult das erste Mal zu Prominenz gelangt war. DIe Häuser waren ein paar Meter höher geworden. Die Gassen enger zusammen gerückt
Einige der reichen Bürger, wahlweise die Korrupten oder die Edelmütigen, hatten sich zusammen gerauft und zwischen den Lücken des Elends neue, sonderbare Blumen wachsen lassen. Neue öffentliche Gebäude waren entstanden, neue Zusammenschlüsse von Bürgern, Händlern und Bewaffneten an die Macht gelangt. Und wer sich gut genug umhört in...gewissen Kreisen, der konnte auch feststellen, dass hinter so mancher Fassade eines Gasthauses oder Bordells, das für das einfache Volk unerschwinglich war, sich etwas gänzlich anderes verbarg.
Zum besseren oder zum schlechteren - Broglio hatte sich verändert.
~*~ Die Glut des Herzens ist am besten in den Nächten voller Dunkelheit zu erkennen. ~*~
Antworten

Zurück zu „Schauplätze“