[Archiv] Schauplätze

Die Stolze ist voll von Geschichte, selbst jetzt, voller Orte und Plätze mit ihrem ganz eigenen Charme.
Hier sind einige davon.

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Il Canzoniere
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Mascharana (Maccagnana) (um ca.940 n.Chr.)
Im Süden Genuas, über den sanften Klippen direkt zum Golf, befindet sich Mascharana. Das Reichenviertel der Stadt. Das Villenviertel.
Und so wie die Klippen über das bewegte Meer hinaus ragen, so steht auch Maccagnana über dem Rest der Stadt: Erhaben, edel, unbeugsam. Mag der Sturm auch kommen, mögen die Wellen sich blutig auftürmen, mag das Chaos auch regieren in der Stadt und auf dem Meer – in den Villen der Patrizier sitzt man sicher, dort sitzt man warm.

Es sind hübsche kleine Stadtpaläste, allesamt, die sich dort wie an einer Perlenschnur aufgereiht vom Kastell des Bischofs im Osten bis zur Kirche San Nazareth im Westen finden. Aus solidem Stein errichtet, mit kleinen Säulen vor dem Eingang und oft genug mit zwei oder drei Schergen, die den hohen Herrschaften unliebsamen Besuch fern halten.
Denn den gibt es immer. Die Bettler aus der Stadt dort unten, die Neider und Habenichtse, die den reichen Händlern und arbeitenden Handwerkern hier im Viertel das bisschen Reichtum gönnen, das sie vor den einfallenden Muselmannen haben retten können.
Auch heute noch, wo ein dünner Film aus fischöliger Asche über der Stadt zu liegen scheint, haben die Patriarchen der Genueser Familien ihre großen Häuser über der Stadt, ihre weitreichenden Beziehungen bis nach Barcelona, nach Rom, Neapel, Byzanz und Kairo. Auch heute noch senkt ihr Blick sich selten auf die Stadt zu ihren Füßen.
Ihr Blick richtet sich auf größere Dinge.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Domus (um ca.940 n.Chr.)

Die Gegend, in der einst das beschauliche Domus stand, ist heute nicht sehr einladend.
Einst waren hier hunderte kleiner Hütten untergebracht, hübsch, beschaulich und wenig aufregend. Die typischen Häuschen der Bürger: Aus Planken gezimmert, schief und liebevoll bunt bemalt, mit Hier schlug einst, was als Herz der Bürgerschaft beschrieben werden konnte. Wo es in Raveccha nur Bauern gab und in Clavica nur Gauner, in Broglio nur Dörfler und in Platealonga nur fremde Schurken, wo es in Mascharana nur hochnäsige Händler gab, ja, da gab es in Domus Bürger. Bürger in beschaulichen Hütten mit ehrlichen Berufen, mit freien Herzen und liebenden Ehefrauen.

Vor wenigen Jahren aber riss man es heraus, noch schlagend, und warf es ins Feuer als Opfer an grausame Götter. Als die Sarazenen kamen, fielen sie über das nördliche Tor ein, über die Porta Serravalle. Sie plünderten und brandschatzten.

Als sie gingen, hinterließen sie ein Aschefeld. Kein Haus, das nicht in Flammen gestanden, keine Familie, der nicht Gewalt angetan wurde. Viele der einstigen Bürger hausen jetzt auf dem Land oder wie Bettler in östlichen Gegenden, eingepfercht wie Vieh bei den Hirten in Broglio.
Wer blieb, der lebt ein elendes Dasein. Die Wunden jener grausamen Nacht sind noch brandig und gut sichtbar. Der Boden ist schwarz von der Asche, auch heute noch scheint ihr Geschmack auf der Zunge zu kleben. Inmitten der Behausungen aus zusammen gestohlenen Brettern und einigen Planen, unter denen die Menschen schlafen, wie Vieh, stechen die verkohlten Reste der Häuser aus dem Matsch.
Arbeit gibt es hier nicht. Kein Gesang ertönt, keine Späße erschallen aus Gasthäusern, die es nicht gibt.
Nur die zwei Kirchen bieten dem Auge Halt, die San Genesio am westlichen und die San Ambrosio am östlichen Ende. Ruß geschwärzt und stolz ragen ihre Kirchtürme in den Himmel, das einzige Zeichen weit und breit, das stolz verkündet: Domus ist am Ende, aber nicht gebrochen.
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Melissa
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Broglio [um die Jahrtausendwende]

Beitrag von Melissa »

Broglio hatte sich verändert, so viel war jedem ersichtlich, der schon einige Jahrzehnte in Genua verbracht hatte.
Es war nicht unbedingt sauberer geworden oder weniger chaotisch oder auch nur sicherer im großen Ganzen. Aber es war dichter zusammengewachsen seit den ersten Aufständen in den 950er Jahren, als ein Endzeitkult das erste Mal zu Prominenz gelangt war. DIe Häuser waren ein paar Meter höher geworden. Die Gassen enger zusammen gerückt
Einige der reichen Bürger, wahlweise die Korrupten oder die Edelmütigen, hatten sich zusammen gerauft und zwischen den Lücken des Elends neue, sonderbare Blumen wachsen lassen. Neue öffentliche Gebäude waren entstanden, neue Zusammenschlüsse von Bürgern, Händlern und Bewaffneten an die Macht gelangt. Und wer sich gut genug umhört in...gewissen Kreisen, der konnte auch feststellen, dass hinter so mancher Fassade eines Gasthauses oder Bordells, das für das einfache Volk unerschwinglich war, sich etwas gänzlich anderes verbarg.
Zum besseren oder zum schlechteren - Broglio hatte sich verändert.
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La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Borgo di Bisagno (um ca. 940 n.Chr.)
Nahe des Flusses Bisagno, der sich aus dem Appennin dreißig Kilometer bis zum Golf von Genua schiebt, lag das Dörfchen von Bisagno.
Wer die Porta Soprana durchschritt und der Platealonga nach Osten folgte, der verließ nicht nur den Schutz der karolingischen Stadtmauer, sondern er entkam auch dem Gedränge der Gassen. Freier war die Luft und der Geist hier draußen, denn so weit das Auge sehen konnte erstreckten sich Gärten. Der Duft von Pfirsichblüten, von Zitronenbäumen und frischen Aprikosen wird im Sommer vom Wind getragen, im Winter ist es bezaubernd still in der klaren, frischen Landluft.
Einige Dorfhäuser drängten sich an den Rand der gepflasterten Straße, die sich durch die Hügel ausserhalb der Stadt zum Fluss zogt und ab und an ein kleiner Schrein für einen Heiligen oder die Gottesmutter Maria.
In der Ferne ertönte zuweilen das Rauschen des Flusses.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Borgo Incrociati (um ca. 940 n.Chr.)
Kreuzdorf lag direkt hinter dem Borgo di Bisagno, nur etwas weiter die Straße hinunter. Man musste nur noch etwas weiter durch die malerische Landschaft der dörflichen Bauern entlang und dann die Ponte Sant'Agata überschreiten.
Dort befand sich, eng um ein Straßenkreuz gedrängt das unscheinbare Dörfchen. An dieser Stelle traf die Platealonga auf die antiken Via Aemilia Scauri, die Fernstraße durch die ligurischen Appenninberge nach Piacenza, und die Via Aurelia, die Fernstraße nach Pisa.
Die wenigen Einwohner des Dorfes erwarben ihr karges Hab und Gut hauptsächlich mit der Zucht von Hühnern und Rindern im Bisagnotal, aber auch der Schmied und der Stallbursche haben an der äußerst wichtigen Landverbindung nach Pisa immer viel zu tun und das Wirtshaus ist immer gut gefüllt mit Reisenden und Händlern, die kurz vor der Stadt noch einmal Halt machten.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Luccoli (um ca. 940 n.Chr.)
Das Wäldchen Luccoli lag wie so viele Dörfer und Weiler Liguriens ausserhalb der karolingischen Stadtmauern. Auf dem Weg von der Porta Serravalle nach Nordosten folgte man dem Bächlein Rialto sicher fünfhundert Meter, ehe die ersten Auswüchse des alten Waldes sich dem Pfad nähern.
Einst – so sagen die Genovesi – war hier ein Hain der Römer, ein Naturtempel an den Sonnen- und die Mondgöttin. Tief zwischen den knorrigen, alten Olivenbäumen verborgen sollen Reste ihrer Druidenaltäre verborgen sein.
Auf dem undurchsichtigen Gewirr aus Pfaden, die sich durch die Hügeltäler des Waldes schlängelten und sich in Richtung des Appenninausläufers Castelletto fraßen, begegnetem einem tagsüber einige Menschen. Der Verkehr von der Baustelle der Festung und dem nordöstlichen Hinterland in den Schutz der Mauern war emsig. Entlang des Weges befinden sich einige Dörfchen und einsame Hütten, immer mal wieder eines. Kleine, schlichte Häuschen reihen sich da aneinander, unterbrochen dann und wann vom kleinen Hof eines Ziegenhirten oder Eseltreiber, die Material vom Hafen bis zur Festung brachten oder Händler durch das Dickicht ihres Waldes begleiteten.
Das war auch dringend nötig. Denn manchmal, behaupteten die Bewohner von Luccoli, in den einsamsten Nächten des Jahres wenn Tag und Nacht gleich lang sind, wenn die Wölfe des Gebirges ihr Lied heulten: In solchen Stunden schwörten die Dorfbewohner bei der heiligen Mutter Maria, die letzten Gottlosen würden nachts durch die Wälder schleichen und hielten ihre grauenhaften Rituale ab.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Das Dorf Castelletto (um ca. 940 n.Chr.)
Auf den fruchtbaren Hängen des Monte Albano, von dessen Spitze aus man weit ins Umland Genuas und auf die Bucht hinausblicken kann, befand sich einst ein kleines Dörfchen, das später den Namen Castelletto tragen sollte. Es lag eine ganze Weile Fußmarsches ausserhalb der schützenden Stadtmauern, noch eine Weile hinter dem Luccoli.
Bevor es zu seinem Namen kam, bestand es aus einigen alten Langhäusern und ein paar Bauerhütten.
Erst 935 kam mit dem Grafensohn Oberto auch die Bedeutung in die Gegend. Sein Gefolge besetzte einige der größeren Gebäude und begann zügig damit, sie winterfest zu machen und für einige dutzend Menschen herzurichten.
Im Neujahr begann der Festungsbau und das Wachstum des Dörfchens.
Neue Hütten entstanden, nicht nur für die Männern des Grafen – die Schreiber, Wachen, Leibdiener, Ritter und Knappen, Hofpriester und Ministranten, Stallburschen, Handwerker und Schmiede – sondern auch das Bauernvolk. Wer irgendeines Handwerks mächtig war, das zum Bau einer Mauer und einer Burg gut war, wer von seinem alten Leben genug hatte, wer sich schnelles Geld und warmes Essen erhoffte, der zog mit Sack und Pack nach Castelletto.
Leute mit Eseln und Karren transportierten des Grafen Steine und Balken zur Baustelle, Händler schafften das Material heran, Steinmetze und Tagelöhner errichteten für ihn die Mauern und das Ziegelwerk, Hirten und Bauern erhielten von ihm Land der Umgebung, wenn sie nur die Männer versorgten.
Sie alle und ihre Familien mussten irgendwo schlafen. Ein Großteil davon direkt vor der Baustelle im Dorf Castelletto, das tagsüber einer der geschäftigsten Flecken Liguriens ist und selbst in der Nacht war es vom Fackelschein der Feuerstellen erleuchtet, vom letzten Geschwätz im einzigen Wirtshaus und der eisernen Ablehnung der Bewaffneten.
Kleine Hütten und Häuser entstanden zu dieser Zeit dutzendweise an den reichen Weidehängen.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Maddalena (um ca.940 n.Chr.)
Knapp ausserhalb der Porta Serravale lag ein Dörfchen, das seinen Namen von der Kirche der heiligen Mutter Gottes nahm - der Basilica della Santa Maria delle Vigne. Auf der östlichen Seite der Hänge jenes Hügels gelegen, auf dem die Basilica stand, schmiegten sich einige Gehöfte an die Kreuzung der Hauptstraße nach Castelletto und der Abzweigung zur Kathedrale San Siro.
Wie der Name der Kirche andeutete, war die Gegend hier reich an Weinbergen und die meisten Häuser hier mehr Höfe für die Winzer, ihre Knechte, Mägde und ihre Winzereien. Vielleicht vier oder fünf Gutshöfe stehen hier, teils nur einen Steinwurf voneinander entfernt, und bieten vielleicht zweihundert Menschen Obdach.
Die meisten dieser Höfe bestehen zumindest im Kern noch aus den antiken Villae Rusticae, die mit einer wilden Mischung aus Liebe und Unfähigkeit über die Jahrhunderte geflickt, repariert und gekittet worden waren.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

Macelli (um ca. 940 n.Chr.)
Folgt man den schlechten Trampelpfaden durch das Tal des Luccoli und entgeht den Wölfen und dem ein oder anderen Taugenichts oder bezahlt einen der Dörfler, so gelangt man nach einer Weile aus dem Wald heraus und auf einen zwischen den Hügeln eingefassten Trichter. An dieser Stelle treffen sich die Täler Luccoli und Bachernia und bilden eine große Lichtung zwischen den bewaldeten Hügeln des Hinterlandes und einigen Bächen der Umgebung.
Es gibt noch einen weiteren, weniger gefährlicheren Weg nach Macelli, doch führt dieser um den Hügel des Castelettos herum und dauert einige Stunden länger.
Das Dorf Macelli, das sich auf dieser Lichtung befindet, ist klein aber malerisch. Der Bach Riale verbindet sich hier mit einigen Abflüssen aus den Bergen und vereinigt sich mit ihnen zum Soziglia, dem Fluss der sich durch den ganzen Luccoliwald, dann weiter durch das Dorf Maddalena auf dem Weg zur Bucht von Genua. Mehrere dieser kleinen Bäche fließen durch das Dorf und sind meist einfach zu überspringen. Nur der Soziglia selbst wurde mit einer Brücke ausgestattet, neben der ein hölzerner Wachposten aufgerichtet steht.
Der Geruch des Wälder liegt überall dick in der Luft und schon von weitem hört man das Gequieke der Schweine, denn Macelli ist bekannt für seine Viehzucht. Schweine sind nicht sehr wählerisch und im reichen Waldboden der Gegend finden sie ganzjährig ihre Nahrung. So gut ist der Schinken dieser Maiali Macellini, dass sie an Markttagen in der Stadt hohe Preise erzielen und die, denen diese Preise zu teuer sind, selbst die beschwerliche Reise auf sich nehmen, um es direkt dort zu erstehen.
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Re: Archiv - Schauplätze

Beitrag von Il Canzoniere »

"Burgus" (um ca.940 n.Chr.)
In den alten Zeiten, vor den Franken und den Langobarden, noch vor den Germanen, war Genua eine stolze Garnisonsstadt der römischen Legionen. Die Einteilung der Verwaltung in Burgus, Civitas und Castrum stammt noch daher und auch
Das Gebiet, das von den einfachen Bürgern der Stadt heute Burgus genannt wird, hat mit jenem der Römer nicht mehr viel gemein. Es ist ein Dorf, das um die Kathedrale San Siro herum auf den Überresten der ehemaligen Vorstadt gewachsen ist, eingeklemmt zwischen dem Bach Pankras, der Bucht und der Basilika.
Der Stolz des Dorfes, neben der unmittelbaren Nähe zum Stolz aller Genueser, der Kathedrale, ist ein alter Wachturm der Römer. Hoch in den Himmel ragend und aus festgefügtem Stein gesetzt überwacht er die hölzerne Brücke über den Pankras und erlaubt einen weiten Blick in die Bucht hinein.
Heute wird den Bewohnern von Burgus gerne Unfähigkeit oder Faulheit vorgeworfen. Die Städter haben nicht vergessen, dass niemand die Sarazenen kommen gesehen hatte – und wofür ist ein Wachturm gut auf dem niemand wacht?
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