Jacques Benoît [Nosferatu, Neugeborener, SC]

Die endgültig Verschiedenen, Abgereisten und Verschwundenen. Rastlosigkeit, Feindschaft, Starre, Hunger oder Tod hat sie La Superbas entfremdet. Schwach ist die Hoffnung auf Wiederkehr.

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Jacques Benoît
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Jacques Benoît [Nosferatu, Neugeborener, SC]

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Jacques Benoît

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Der schäbige Jacques trägt dicke grobe Stoffe, eine Robe - wenn man denn überhaupt von einem Schnitt reden möchte und nicht einem bloßen Überwurf. Seine Bewegungen unter dem Gewand jedenfalls wirken nur auf den ersten Blick natürlich und normal, jeder der genauer hinschaut wird merken, daß dort eine Spur zu viel Schwung, ein Quäntchen zu viel Dynamik oder sogar ein Gelenk oder eine Sehne zu viel darunter liegen muss. Für den geneigten Beobachter wird es immer bizarrer, je länger er hinschaut und nach einer Weile wirkt der Sack aus Leinen und Wolle nahezu amorph gefüllt, könnte man fast meinen. Fast.

Doch die Meisten sind schnell von solcherlei Betrachtung abgelenkt: Die spindeldürren und überlangen Finger zieren die Hände auf eine abstoßende Weise. Auch mehr Gelenke als bei Geburt? Man weiß es nicht, denn häufig bleiben die Hände unter den Handschuhen verborgen. Blickt man in der kargen Nachtbeleuchtung dieser dunklen Gestalt ins Gesicht, welches oft tief hinter einer Kapuze versteckt ist, merkt man beim flüchtigen Vorbeigehen nicht, daß es unnatürlich glatt und leblos wirkt, bleich und teilnahmslos schlaff. Passanten fällt das nicht auf, halten sie sich ohnehin gern fern von Gesindel wie ihm! Doch wehe es starrt einer zu lange in die Dunkelheit, lange genug bis sie zurückstarrt, dann wird etwas völlig anderes offenbar: das Gesicht hat keine Lider über den Augen und unter der Haut scheint ein weiteres zu liegen, ein zweites, ein wahres Gesicht.

Denn zieht man die Haut beiseite, die der junge Entstellte trägt, kommt darunter etwas zum Vorschein, was Sterblichen Alpträume bescheren könnte. Eine graue Haut, durchzogen von tiefen Furchen in denen sich Dreck zu sammeln scheint, weiße Stoppeln die in verschiedener Länge in all die verkehrten Richtungen abstehen und fahle, verblasste Augen, die an gekochte Eier erinnern. Braune, krustende Verfärbungen und Geschwülste verleihen dem Gesicht noch einen Hauch von Pestilenz, die nur noch geadelt werden kann von dem klaren und sämigen Mukus, der sich über die Haut zu legen scheint wie ein Film.

(Erscheindungsbild: 0)
(Vorzüge: Schleimig, Lange Finger)
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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Jacques Benoît
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Die Geschichte des Jacques Benoît

Beitrag von Jacques Benoît »

"Du kannst einen Hund nicht dafür hassen, daß er ein Hund und kein Mensch ist. Deswegen kannst Du einen Taugenichts auch nicht dafür hassen, daß er nichts taugt. Und Du taugst nicht zur Arbeit mit den Toten, geh und kümmer Dich lieber um die Lebenden, bevor Du mir hier die ganze Zeit in die Quere kommst!" Diese Worte von Jacques Vater hallten immer noch in seinem Kopf nach, als er seine Bader-Lehre anfing. Der Abdecker und Totengräber hatte ihn damals fortgejagt nachdem er einige Leichen vom Karren verloren hat und zu beschäftigt war, es zu bemerken. Der Dorfschulze kam um sich zu beschweren und danach setzte es eine Tracht Prügel für den Helfer, der er damals auf eigenes Drängen geworden war.

Seine Kindheit war geprägt von dem trinkenden Vater und der überarbeiteten Mutter, die sowohl ihn und seine vier Geschwister großzog, als auch als Näherin versuchte eine Münze oder zwei zusammenzubekommen um die hungrigen Mäuler zu stopfen. Seine Jugend hingegen, war beherrscht von einem Meister, der ihn und die anderen zwei Burschen die in der Lehre waren regelmäßig mit dem Bürstenrücken verdrosch wenn auch bloß einer von ihnen einen Fehler gemacht hatte. Das sei gut für das wache Auge, sagte er immer. So treibt man den Jungen schon gleich zu Beginn die Sorglosigkeit aus, die in dem Beruf nicht gern gesehen ward. Denn Kunden die tot sind oder unzufrieden kommen nicht wieder um noch mehr Geld dazulassen und es sei nicht selten, daß man einen Bader aus Rache erschlagen vorfand, wenn nach dem Aderlass der Wundbrand kam.

Nach den Wanderjahren kehrte er zurück in sein Dorf, arbeitete dort am Zuber seines alten Meisters bis jener verstarb und übernahm ihn. Sein Vater hatte sich mittlerweile totgetrunken und da sich niemand anders fand, der tun wollte was nötig war, nahm er in stiller Absprache die Arbeit an für die Toten gleichermaßen Sorge zu tragen wie für die Lebenden. Man schaute weg. Er war eben der Bader, tagsüber. Und abends der Sohn vom Freiknecht.

So ging das viele Jahre, bis ein Geistlicher von außerhalb den dahingeschiedenen Dorfprediger ersetzte und die Beisetzungen übernahm. Jacques schäumte vor Wut, war dies ein einträgliches, wenngleich nicht sonderlich angesehenes Geschäft. Und als der Pfaff’ dann auf seinem Barbierstuhl saß und ihm ganz ausgeliefert war, schnitt er ihm ohne lange zu überlegen den Hals durch und ließ ihn ausbluten wie eine Gans. Nachts verscharrte er ihn unter einem anderen Toten, nur seinen Finger, seinen fetten Finger mit dem Siegelring, den behielt er und legte ihn ein, salbte und trocknete ihn. An einem Lederband trägt er ihn noch heute um den Hals, ein Glücksbringer des heiligen Jakobus, würde er sagen. Dem Schutzpatron der Apotheker.

Lange Zeit führte er ein ruhiges Leben, bis seine Familie innerhalb kurzer Zeit dahingerafft wurde von einer Seuche, einem Unglück, einem Fluch, wie manch einer dachte. Man munkelte, daß der Geist des verschwundenen Kirchenmannes zurückgekehrt war und sich gerächt habe - aber das waren alles bloß Gerüchte. Im Gegensatz zu seinem Vater, waren die anderen ihm nah am Herzen, so beschloss er, sie zu verwahren. Das Haus war nun seins und gleichsam alles darin. Auch sie.

So wusch er sie, legte ihnen ein letztes Mal neue Kleidung an und wachste sie, höhlte sie aus und füllte sie mit Ton, Stroh und Kies. Friedlich lagen sie da, aufgebahrt. Sie würden sein Zuhause ewig hüten.

Doch ewig ist wohl doch nicht lang genug. Eines Nachts putzte er seinen Zuber; Die Lehrlinge waren bereits schlafen gegangen, doch nicht er - er genoss diese Stunden der Ruhe, wenn er nicht jemanden unter die Erde bringen mussten. Oder zu sich nach Hause zu Gast, weil er noch nicht bereit war, ihm Lebewohl zu sagen. Da hörte er vom Bürstenschrank aus ein Knarzen und ein Kratzen. Hatte sich wieder eine Katz eingenistet? Er ging nachschauen, doch traute er seinen Augen nicht als er das Ungetüm erblickte, was ihn dort erwartete. Ein Widerling, mit Haut durch die sich Maden zogen, fahl und grau wie die eines Toten aus dem Moor, Kleidung so zerschlissen als hätte man ihn einen Abhang lang wieder und wieder über das Geröll geschleift. Und diese widerlichen Zähne, gelb und entstellt, lang und in alle falschen Richtungen verbogen, wie sie aus dem Kiefer ragten.

Und plötzlich war da nur noch Schmerz und Entsetzen. Und dann wurde es dunkel. Und kalt.

Als er wieder zu sich kam, schmeckte er Seife und Blut. Er schwebte. Nein! Er war unter Wasser! Panisch ruderte er um sich mit den Armen, bekam den Rand des Zubers zu fassen, wuchtete sich hoch und hob sich raus. Ein messerscharfes Kichern aus der dunklen Ecke hinter ihm zog sich in die Länge. “Dreh Dich um, Kind.” Unfreiwillig tat er es, auch wenn eher aus Wut, Angst und Neugier als aus Gehorsam. “Wahrlich hübsch. Deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Mit der Axt.” Seine Hände hoben sich und gingen über seinen Kiefer, seine Nase und seine Augenpartie. Träumte er? Was waren das für Geschwülste unter seiner Haut? Und was stimmte mit seinen Händen nicht? Alles fühlte sich schmierig an und glatt, als wäre es von feinem Mukus überzogen. “Was hast Du mir angetan, Du Verbrecher!?”, fragte er mit zittriger Stimme, seine sonst übliche Entschlossenheit meilenweit entfernt. - “Ich habe Dich befreit, kleines Menschlein. Du bist jetzt der Nacht ihr Kind. Tödlich wie die Nacht und hübsch wie sie.” Was auch immer das bedeutete, die Kreatur schien zu lächeln, das hörte man, auch wenn man sie nicht sah. “Versteck Dich gut, trink Dein Blut und überlebe. Wenn Du es wert bist, sehn wir uns in ein paar Jahren wieder. Wenn nicht… ist es ohnehin einerlei.” Und dann wurde es dunkel. Und kalt.

Tage später - oder besser Abende - war Jacques zuhause, wimmelte Besuch an seiner Türe ab und ließ seine Lehrlinge den Laden am Leben halten. Er selbst war voller Scham, Ekel und Ratlosigkeit zuhause eingemauert. Essen bekam ihm nicht, Feuer machte ihm Angst und die Sonne war ihm zuwider. Was war er nur geworden? Ein wandelnder Toter! Er hat sein Herz gehorcht, sein Blut im Körper bleiben sehn, seinen Atem angehalten für eine ganze Stunde und nichts! Er war offenbar kalt, er war entstellt und in die Dunkelheit verstoßen. Würde er mit einer Klapper von nun an als Aussässiger umherziehen müssen? Niemals so reich, daß auch nur eine Hure bereit wäre anzufassen was er geworden war? Es grauste ihn, als er sein Spiegelbild im Wasser sah. Das musste seine Strafe sein! Oder war er im Leben als Toter zurückgelassen um richtigzustellen, was er für Sünden begangen hat?

Nächtelang sprach er mit seinem Bruder. Er saß an seinem Bette und hielt seine vertrocknete Hand. “Jetzt bin ich auch so tot wie Du.”, sprach er. “Und schon wieder bist Du der hübschere Bengel von uns beiden!”, witzelte er. “Ich konnt wohl doch nicht ganz zuende Sterben, scheints!” Ein Räuspern hinter ihm ließ ihn aufschrecken. “Oh doch, Jacobus. Du bist über das Ziel hinaus geschossen. Du bist toter als die meisten es je sein werden.” Eine feine, elegante Stimme flüsterte ihm entgegen. Sie gehörte einem dunkel gekleideten Herren, der bleich und bescheiden hinter ihm in der Tür stand. “Und über den Tod und über das Leben hast Du noch viel zu lernen. Komm. Lass uns unten sprechen über das was Dich erwartet.”

Und so traf er seinen Mentor, Rogér de Camden. Den Mann, der seine Familie ausgelöscht hatte, wie es sich später herausstellte, als er von ihnen trank. Den Mann, der ihn hat verstehen lassen, daß der Tod viel mehr das Leben bestimmt als umgekehrt. Eine Wahrheit, die ihm immer bewusster wurde mit jedem Moment den er erlebte. Und den Mann, der ihn schon seit einigen Jahren beobachtete, ihn in seinen zwei Berufen, den Lebenden und den Toten gleichermaßen dienend; Den Körper, diese Zelle der Seele und des Geistes hegend wie ein Gärtner seine Pflanzen. “Und wenn ich Dir schon nicht das Erbe der Nacht und den Kuss des Todes hinterlassen konnte, weil mir einer der Unreinen zuvorgekommen war, so will ich Dich wenigstens lehren, was Du im Tod verstehen musst und im Leben nie ahnen konntest.”

Monate und Jahre vergingen. de Camden zog ins Haus der Familie, schien sich an ihrer Anwesenheit aber nicht im Geringsten zu stören, und brachte Jacques bei was von Wichtigkeit war. Die von seinem Blute und die von seinem Verständnis um den Tod waren die einzigen, denen er Loyalität schuldete für das was er war und für das was sie waren. Darauf gründeten sich alle seine Rechte als Mitglied der toten Gesellschaft und ohne dies würde er verwelken und vergehen. Er habe sich selbst zu bewahren und zu schützen, gleichwohl aber dem Tod anderer mit Achtung und Neugier zu begegnen. Die wahre Natur des Übergangs würde sich ihm anders nie offenbaren. Diese und andere Lehren prägten von nun an Jacques Unleben und so widerspenstig er Autoritäten, Vaterfiguren und Meistern bisher gegenüber gewesen ist - dieser hier war anders. Dieser hier war seiner. Und dieser war eine Kreatur jenseits von gut und böse, jenseits von lebendig oder tot. Dieser hier war eine Inkarnation all dessen, was am Tod befreiend, mächtig, geheimnisvoll und mystisch war. Meister Rogér wusste Wahrheiten, die alles überstiegen, was der junge Nosferatu sich jemals hätte vorstellen können. Und doch richtete er nicht. War das die Weisheit, die die Ewigkeit braucht?

Als die Zeit kam, eigener Wege zu ziehen, schickte der alte Mentor den Nosferatu nach Mâcon. Vier Jahrzehnte waren mittlerweile vergangen und der Erzeuger des Baders hatte sich nicht blicken lassen. Vielleicht hat er ihn vergessen oder wurde vernichtet bevor er zurückkehren konnte. Sicher war nur eines: Er war de Camden aus Mâcon gefolgt, ein Teil der hiesigen Brut. Und wenn dem so war, handelte es sich möglicherweise um das Kind seines alten Widersachers Parvus. In diesem Fall müsste Jacques seinen Erzeuger finden und seinen rechtmäßigen Platz in der Brut einfordern, denn alleine und ohne Schutz würde er über kurz oder lang verloren sein. Es lauerten Dinge da draußen im Dunkeln, die ihm nach dem Blute trachteten, aber darüber sollte er seinen Erzeuger ausfragen, die Verborgenen wissen um ihre eigene Geschichte mehr als Außenstehende. Und so zog er los ihn zu finden, mit Sack und Pack, seinem Lehrling und einem Karren voller Werkzeug.
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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