[1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

[Januar '18]
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Sousanna
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Sousanna »

Ein anmutiges Nicken war die Antwort darauf, doch es wirkte etwas brüchig.
Je mehr die Stimme dieses Wesens erklang, desto mehr krochen die kalten Schauen ihren Rücken empor. Strichen mit eisigen, dünnen Fingern über ihren Nacken und ließ die sonst so kaltschnäuzige Ravnos sich fragen, ob sie nicht doch langsam zu ihrer Kinderschar oder besser zu den schützenden Armen ihres Kettenhundes zurückkehren sollte.
Unruhig begannen von Diebstahl geübte Finger an dem dunkelgrünen Rock herumzunesteln und weiße Zähne nagten an ihrer vollen Unterlippe herum, während ihr Blick hin und wieder nach hinten flackerte.

"Ich beanspruche nur die Kinder und deren Eltern.", erklärte sie schließlich bemüht sachlich. "Das Dorf interessiert mich nicht."
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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Federico Augusto
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Federico Augusto »

"Ich...verstehe."

Es verstrich eine kleine Zeitspanne, während der der Schatten schwieg. Sein Blick ruhte auf ihrem Kettenhund. Längere Zeit, als vielleicht angebracht war. Unweigerlich war dabei wohl auch eine Frage mit im Spiel, die man in angesehener Gesellschaft nicht stellte. Eine respektlose, gewalttätige Frage.
Er stellte sie nicht.

"Ich will euch nicht über Gebühr abhalten, meine Dame, und die Störung eurer Geschäfte tut mir Leid. Fortan werde ich...eure Kinder mit dem euch zustehenden Respekt behandeln, und sie nicht länger belästigen.
Die Umstände versagen mir, euch in sehr viel angenehmerer Umgebung vorstellig zu werden. Gibt es daher etwas...mit dem ich euch behilflich sein kann? Es ist recht dreist von mir, ich weiß und bitte um Verzeihung. Doch seht es als eine winzige Gefälligkeit eines Neuangekommenen an die Alteingesessenen."


Ein Maul klaffte unter der Kapuze auf, breit und voller gelblicher Zähne, die nur undeutlich zu erkennen waren. Ein Lächeln - oder ein gefräßiges Grinsen.
Noch bin ich frisch in der Gegend, doch ich versichere euch: Ich kann vieles finden, was andere für unmöglich halten. Begehrt es euch nach einem alten Relikt? Einer Lösung für ein hartnäckiges...Problem? Kunde aus der fernen Heimat? Es gibt kaum ein Geheimnis, das ich nicht für euch ergattern kann.
Nicht einmal die des Grabes."
Es besteht kein Grund, dass Ihr eure Hände beschmutzt, mein Herr. An meinen klebt genug Dreck für uns beide.
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Sousanna
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Sousanna »

Ihr Blick folgte dem Seinen. Man konnte keine Verurteilung jener doch sehr respektlosen Frage erkennen, doch in ihren Augen lag die dezente Verneinung dieser Anfrage auf Gewalt. So leicht, dass man meinen konnte, man hätte es sich nur eingebildet, schüttelte sich das Haupt der Dame. Den Kindern mochte besonderer Schutz zu Teil werden. Ihr Eigentum aber bewachte sie noch eifersüchtiger. Das war wohl die Art der schönen Frauen aus dem Orient.

"Ihr habt nicht gestört.", erwiderte sie allerdings mit jenem leichten, höflichen Lächeln auf den vollen Lippen. "Nur seid ihr aufgefallen. Wenn es euch erfreut, stört es mich auch nicht, wenn ihr sie weiterhin besucht. Nur tut ihnen kein Leid."
Dann aber trat Nachdenklichkeit in Sousannas Blick. Es war leichtsinnig hinter diesem so ... zuvorkommenden Angebot keine List zu erwarten, doch es wäre eine gute Gelegenheit. Eine Möglichkeit etwas zu erledigen, dass sie schon lange quälte. Die vollen, so zum Kuss einladenden Lippen wurden zu einem schmalen, nachdenklichen Strich, während ihre Gedanken offenkundig rasten. "Es ist sehr freundlich von euch, mir so etwas anzubieten. Tatsächlich suche ich etwas", begann sie dann langsam, die Gestalt genau fixierend. "Ich suche einen Ort. Einen für meine Geheimnisse. Ich sollte Dinge ungesehen lagern können. So ihr so etwas findet, wäre ich euch zu Dank verpflichtet und würde euch mit meinen Künsten zur Verfügung stehen."
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Federico Augusto
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Federico Augusto »

Die Kreatur zögerte einen Augenblick, als Sousanna ihre Einladung aussprach, dann sagte sie:
"Ich mache keine Besuche zum Amüsement."
Daraufhin ließ sie das Thema fallen. Sie würde die Kinder in Ruhe lassen, in jeglicher Hinsicht, so viel hatte sie vorerst versichert. Alles weitere würde sich zeigen.

Die Bitte um einen geheimnisleeren Ort hielt sie dagegen nicht lange auf. Die Kreatur nickte eifrig.
"Ein vernünftiges Begehren, eine gute Wahl. Habt ihr euch bereits auf den Friedhöfen umgetan, in den Kirchen? Solche verfügen gewöhnlicherweise über stumme Ecken, die selten gestört werden. Insbesondere die Grüfte..."
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Sousanna
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Sousanna »

Noch besser. Die Ravnos hatte absolut kein Problem damit, wenn sich diese Kreatur von ihren Schützlingen fernhalten würde. Je ferner fremde Blutsauger ihr und den ihren blieben umso besser.
So nickte sie und ihr zuvor ausschließlich höfliches Lächeln gewann etwas an Wärme und Anerkennung. Wenn diese Gestalt schon aussah wie ein Monster aus den schlimmsten Albträumen eines Kindes, vernünftig war sie offensichtlich.

Das eifrige Nicken ließ sie noch etwas wärmer dreinblicken und seufzend ließ sie ihren Blick schweifen, als suche sie hier auf diesem dunklen Acker eine Krypta, die es zu erobern galt. Die schlanken Arme hatten sich hinter ihrem Rücken verkreuzt so dass die schöne, zierliche Gestalt mit dem wachen Blick für einen kurzen Augenblick den Anschein eines Scholaren machte, der ein wichtiges Thema durchdachte.
"Ich habe darüber nachgedacht, doch in der Stadt erschien es mir zu auffällig, Kisten auf Friedhöfen zu lagern und hier in diesen Gegenden kenne ich mich noch nicht gut genug aus.", erklärte sie dann nachdenklich.
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Federico Augusto
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Federico Augusto »

"Dort sind Geheimnisse am sichersten, dort kann sie niemand stehlen: Im Grab."
Federico gluckste. Ein dunkles Geräusch, das aus seiner Kehle blubberte.
"Meistens jedenfalls."

Vielleicht war die Kreatur nicht so sehr vernünftig als viel mehr vernunftbegabt. Aber letzten Endes machte das wenig Unterschied: Die von ihm präsentierte Maske blieb die gleiche.
"Ich werde für euch nach einem geeigneten Versteck suchen. Wie überall wird es auch hier Ecken und Nischen geben, in denen wir zu vergessendes verstecken können. Ich werde in der Gegend eine Nachricht an euch hinterlassen, Sousanna, wenn euch dies genehm ist?
Auch wenn es mir, wenn ihr erlaubt, etwas seltsam vorkommt. Ihr seid länger hier als ich, wie ich annehme, da ihr so gut mit der örtlichen Jugend auskommt. Es wundert mich, dass ihr Kunde über eure eigene Heimat verlangt."
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Sousanna
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Sousanna »

Sousanna zeigte ein leichtes Schmunzeln. Ob es nun reine Höflichkeit oder tatsächlich mildes Amüsement war, war kaum zu erkennen. Der Umgang mit anderen Kindern Kains schien ihr ins tote Fleisch übergegangen zu sein. Einer Maske gleich, die so fest mit der rosigen Haut verwachsen war, dass man sie nicht mehr abnehmen konnte, ohne eine schwere Verletzung zu verursachen.

Dann aber schien sie tatsächlich lachen zu müssen. Glockenhell ließ ihr Lachen die Nacht zu erleuchten. Wäre unter ihrer zerbrechlichen Verkleidung kein Monster gesteckt, das seine Lippen regelmäßig mit Blut benetzte, hätte man ihr die Unschuld in jenem Augenblick ohne zu zögern abnehmen können.
"Ich hoffe, dass ich nicht aussehe, als würde ich hierher gehören", erwiderte sie mit schelmisch blitzenden Augen. "Meine Heimat ist Ravecca, jenes Viertel, das ich im Senat vertrete. Hier bin ich nur um ... mich von meinen Geschäften zu erholen." Das Grinsen der Ravnos erinnerte an das einer Raubkatze, die von der Maus sprach, die sie bereits in ihren Tatzen gefangen hielt.
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Federico Augusto »

Von ihrem Gegenüber kam kein Lachen zurück. Der Umhang blickte sie durch die Dunkelheit an, als verstünde er nicht recht, woher diese Fröhlichkeit kam. Oder was sie in der Tat war.
Er wartete, bis es abgestorben war, dann erst sprach er weiter.
"Ich meinte Genua, Herrin, die Domäne Genua wird wohl eure Heimat sein? Von Politik und Ränken verstehe ich nichts", behauptete die Kreatur, ohne rot zu werden, "und noch weniger von diesem Senat von dem ihr sprecht. Aber man hat mich informiert, dass die Domäne Anspruch nicht nur auf die Stadt selbst, sondern auch einige abgelegenere Dörfer erhebt."
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Sousanna
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Sousanna »

Die meisten Toten waren so schrecklich humorlos, sinnierte die Schöne, die das Leben so perfekt imitierte als stünde sie in voller Blüte. Aber gut, wenn er über kühle, sachliche Politik sprechen wollte, konnte sie auch das bedienen.
Sie blickte in die Dunkelheit, als hätte sie die Möglichkeit dort ihre Erklärungen noch einmal vor Augen zu sehen. Dann schenkte sie ihm ein sanftes Lächeln, als sei eine solche Frage nicht schlimmer als die Aussage man möge kein Regenwetter.

"Nun ich denke, es gibt sehr viel mehr spannende Dinge, als nur Ränke und Politik", ließ sie mit einem nachsichtigen Blick verlauten. "Ja, Genua ist meine Wahlheimat. Ursprünglich stamme ich natürlich aus der Stadt der Städte, der goldenen Perle, dem glorreichen Konstantinopel. - Aber der Senat soll die kainitische Gesellschaft verwalten. Er schlägt der höchstverehrten Aurore Gesetze vor. Ist ihr Unterstützung. Jedes Senatsmitglied vertritt eines der Viertel, hütet es und ist für sein Wohl verantwortlich."

Schließlich neigte sich Sousannas Haupt leicht zur Seite und Neugierde trat in ihren Blick. Tatsächlich schien sie das erste Mal wirklich interessiert zu sein an der hässlichen Gestalt vor ihr. "Aber wenn ich euch das fragen darf, seid ihr nicht von hier? Oder besser woher kommt ihr denn?", wollte sie schließlich wissen.
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Federico Augusto
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Re: [1004] Ein unerwarteter Besuch [Federico Augusto]

Beitrag von Federico Augusto »

"Di Brianza", sagte Federico, als würde das alles sagen.
Nach einigem Überlegen fügte er hinzu:
"Dort wurde ich geboren. Es liegt nördlich von hier, zwischen den Flüssen Adda und Severiso. Eine hübsche, ländliche Gegend ohne große Städte und mit vielen Dörfern, Weingütern und Bauernhöfen. Die meiste Zeit meiner Existenz verbrachte ich in der Pianura Padana, wo meine Herrin und Schöpferin, die Madama Fogna, ihr Nest hat."

Die Gestalt verharrte in ihrem Schatten. Stumm, starr, ohne sich die Mühe zu machen, menschlichen, überflüssigen Bewegungen wie dem Kratzen des Kinns oder des Schopfes, der unruhigen Verlagerung des Gewichts und so weiter nachzugehen.
"Die Senatoren müssen einflußreiche Personen sein", stellte sie nach einer Weile fest. "Es ist das erste Mal, dass ich von solch einer Einrichtung höre."
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