[1004] Steinige Wege [Seresa, Titus]

[Seresa]

Vier lange Monate waren ins Land gezogen seit dem letzten Treffen zwischen dem Kappadozianer und der Brujah. Es war etwas mehr als zweieinhalb Monate her, seitdem Titus Besuch an der Martinsfeste von einem ihm bis dahin fremden Mann bekommen hatte. Es war Frühling in Genua geworden. Die ersten zarten grünen Knospen hatten bereits ihren mühsamen Weg hinter sich gebracht und zur wärmenden Sonne gefunden.

Auf der Kreuzung zwischen Genua, Burgus und Martinsfeste stand Seresa. Seid einigen Minuten war ihr Blick stumm und starr geradeaus gerichtet. Dann straffte sich der von einfacher Kleidung bedeckte Körper und die Brujah schritt aufrecht in Richtung Feste. Als sie sich näherte, schlug sie ihren Umhang hinter die Schultern zurück und zeigte ihre offenen Hände. Langsam trat sie zu den Wachen und blieb in angemessenem Abstand vor dem Tor stehen.

„Guten Abend, die werten Herren.“

Seresa nickte den Wachen höflich zu.

„Mein Name ist Seresa. Mit allem gebotenen Respekt ersuche ich um ein Treffen mit dem wohlwerten Titus. Ich bitte höflich darum, dass man sich bei ihm erkundigen möge, ob und wann er mir diesbezüglich die Ehre erweisen und mich empfangen würde. So Ihr erlaubt, würde ich gerne warten, bis man mir eine entsprechende Auskunft erteilt hat.“

Die Brujah verneigte sich leicht.

[Titus]

Das Tor war verschlossen, so wie immer des Nachts. Vor dem Tor am Wegesrand auf beiden Seiten standen Feuerschalen, die brannten und das Feuer erhellten den Bereich vor dem Tor und tauchten die Gestalt der Brujah in flackerndes Licht. Die Wache auf dem Tor wunderten sich über den nächtlichen Besuch, doch willigten sie ein nachzusehen, ob Titus auf der Martinsfeste war. Es dauerte auch eine ganze Weile, bis sich schließlich das Tor öffnete und ein Mann, der großgewachsen und kräftig schien auf Sousanna zu trat. Er trug eine Fackel in der Hand. Das rötliche Haar wirkte in dem orangen Schein der Fackel wie Feuer. Er steckte in einer Lederrüstung und trug ein Schwert an der Seite.

"Folgt mir...der Herr Titus erwartet Euch."

Damit drehte er sich wortlos um und schritt auf das Haupthaus der Feste zu. Die große schwere Tür öffnete der Mann ohne viel Mühe und bedeutete Seresa dort einzutreten. Hinter ihr trat auch der Mann in den Saal und schloss die Tür, befestigte die Fackel an einer Halterung und stellte sich vor die Tür. Ein großer runder Tisch dominierte den Saal. Am anderen Ende des Saales prasselte ein Kaminfeuer und erhellte zusammen mit einem Kerzenleuchter auf dem Tisch ein wenig den ansonsten dunklen Saal. Titus selbst saß auf dem Stuhl an der Tafel, der genau zu dem Eingang zeigte. Mit der üblichen versteinerten, totengleichen Miene betrachtete er Seresa, sobald sie eintrat. Er trug wollene dunkle Kleidung und einen braunen Lederwams. Sein Großschwert lag auf dem dunklen Holztisch, der Griff zeigte zu ihm. Schweigend und schwer ruhte der Blick auf Seresa.

[Seresa]

Seresa hatte dem Mann zugenickt. Dann war sie ihm ohne zu zögern gefolgt. Auch in den Saal war sie ohne zu zögern eingetreten. Seresa hatte sich leicht zu ihrem Führer umgewandt gehabt. Sie hatte gewartet, bis er die Fackel in die Halterung gesteckt hatte. Als er den Raum nicht verlassen hatte, sondern sich vor die geschlossene Tür gestellt hatte, war auf Seresas Gesicht ein kurzer, fragender Ausdruck erschienen. Ihre Stirn war in sanften Falten gelegen gewesen und ihre Augen waren kleiner geworden. Dann war ein minimales Zucken ihrer Schultern zu sehen gewesen, in Verbindung mit einem kurzen Kippen des Kopfes. Die Brujah hatte sich in den Raum umgewandt.

Ihr Blick wanderte kurz und scheinbar willkürlich durch den Raum, bevor ihre Augen bei Titus verweilten. Sie verneigte ihr Haupt tief vor dem Kappadozianer.

„Seid gegrüßt, wohlwerter Titus. Es ist mir eine Ehre euch wiederzusehen.“

Mit aufeinandergelegten Händen stand Seresa da und blickte weiterhin in Richtung des Liktors.

[Titus]

Titus betrachtete Seresa eine quälend lange Zeit, stumm und still. Würde sie ihn nicht kennen, so käme sie vielleicht auf die Idee, dass dort eine Statue saß. Als sich Titus regte lehnte er sich leicht zu seite und blickte an Seresa vorbei auf die Wache, der er knapp zu nickte. Dieser verneigte sich und verließ den Raum durch die Tür, durch die er Seresa hereingebracht hatte und schloss diese hinter sich.

"Gott mit Dir, Seresa. Was willst Du?"

Die Stimme war ruhig, tief und wirkte ein wenig desinteressiert an dem, was Seresa vielleicht zu sagen hatte. Doch sein Blick verriet ihr, dass dem nicht so war. Immernoch bewegte sich Titus keinen Milimeter...atmete nicht....blinzelte nicht...lebte nicht

[Seresa]

Seresa hatte den Blick auf Titus gehalten. Auch sie hatte in diesem Moment wie eine Statue gewirkt, während sie geduldig zu warten schien. Erst als Titus an ihr vorbeigesehen hatte, hatte sie leicht den Kopf hin zur Wache gedreht. Als diese den Raum verlassen hatte, hatte sich Seresa wieder Titus zugewandt, war jedoch an gleichem Ort und gleicher Stelle verweilt. Als er zu ihr sprach, antwortete sie ihm wie zuvor mit ruhiger und deutlicher Stimme.

„Meiner Pflicht nachkommen, wohlwerter Titus.“

Die Brujah neigte ihr Haupt vor dem Liktor.

„Wie Ihr vermutlich wisst, hatte der wohlwerte Liktor Gaius, in Anwesenheit des verehrten Liktors Brimir, mich aus der Gefangenschaft der Liktoren innerhalb der Martinsfeste entlassen, unter der Auflage in der Domäne zu verweilen und aktuelle und kommende Zufluchten, an denen die Liktoren mich erreichen können, zu nennen. Ich bin hier um dieser Pflicht nachzukommen.“

Sie schwieg für einen kurzen Moment.

„Ich habe meine Zuflucht in der Herberge in Domus aufgegeben. Meine neue, feste Zuflucht ist der Wachturm meines werten Bruders im Blute Ajax.“

[Titus]

Weder antwortete Titus auf das, was Seresa sagte, noch schien er im ersten Moment überhaupt darauf zu reagieren. Für einige weitere Augenblicke blickte er Seresa mit diesem prüfenden und erwartungsvollen Blick an, so als erwartete er noch weitere Worte, Informationen oder Erklärungen. Doch diese blieben offenbar aus. Ein langsames Nicken verriet Seresa schließlich, dass diese wenigen Informationen zur Kenntnis genommen wurden.

"Also hast Du die letzten vier Monate in dem Wachturm auf dem Monte Bisagno verbracht?"

Die nüchterne Frage stellte Titus ohne Ironie oder andere verfängliche Untertöne in seiner Stimme. Vielmehr war es eine Frage, um den Informationsgehalt Ihrer Worte nochmal zu präzisieren. Im Hintergrund prasselte das Kaminfeuer leise und die Kerzen auf dem Tisch flackerten ein wenig, als ein kleiner Lufthauch durch den Kamin in den Rittersaal zog.

[Seresa]

„Nein, wohlwerter Titus.“

Seresa schüttelte kurz aber bestimmt den Kopf, während sie sprach.

„Aber ich gebe mit der heutigen Nacht die Herberge als mein auserkorenes und selbstgewähltes Refugium auf und nenne Euch - wie verlangt - den Wachturm als meine neue, feste Zuflucht.“

[Titus]

Titus zog eine Augenbrau hoch. Er atmete einmal hörbar ein und wieder aus...vielleicht eine Art Seufzen?

"So? Also wo hast Du Dich in den letzten vier Monaten aufgehalten?"

Titus lehnte sich ein wenig vor und faltete die Hände und legte diese vor sich auf die Tischplatte zusammen mit einen Ellbogen und Unterarmen. Dabei Blickte er Seresa immernoch fest in die Augen.

[Seresa]

„Bitte erlaubt mir, wohlwerter Titus, mich danach zu erkundigen, als was Ihr mir diese Frage stellt. Als Liktor ihrer höchst verehrten Majestät Aurore, als Mentor auf der Via Caeli oder als ihr selbst?"

Seresa verneigte respektvoll ihr Haupt vor ihrem Gegenüber und schwieg für einen kurzen Moment.

„Denn wahrlich, ich gestehe, ich bin mir im Unklaren darüber, aus welcher Position heraus Ihr mir diese Frage stellt.“

[Titus]

"Erspar uns diese Spielchen..."

Titus unterbrach sie bevor sie ihren Satz zuende reden konnte. Die Stimme war bestimmter und fordernder geworden. Offenbar schien der Liktor die Geduld zu verlieren.