[1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

[März '18]
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Sousanna
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Sousanna »

Die schmalen Schultern der Byzantinerin zuckten leicht. Sie räkelte sich scheinbar gelangweilt in ihren Kissen. Spürte sie das pochende Blut nicht oder war sie nicht nur Opfer ihrer Gier?
"Gute Geschichten, spannende Geschichten, lustige oder aufregende" Hier grinste sie etwas in sich hinein. "Das ist dem Erzähler überlassen. Je besser die Geschichte, desto netter bin ich als Lehrerin."
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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Angelique
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Angelique »

Cristiana überlegte nur kurz und begann eine Geschichte, die Angelique ihr einmal erzählt hatte, nachzuerzählen, während sie leise lächelnd die neugierigen Fingerchen ihres Engels über ihr Körper wie samtsachte Spinnenbeine huschen fühlte.

"Nach einem langdauernden Frieden hatte sich die Bevölkerung vermehrt. Hungersnot drohte, und der Rat beschloss, dass alle Alten, Kranken, Bresthaften und Schwachen erschlagen werden sollten. Als einer der Ratsherren nach Hause auf seinen Hof kam und seiner Tochter diesen Beschluss mitteilte, sagte sie, sie hätte besseren Rat geben können. Der König war darüber erbost und rief das Mädchen zu sich. Sie sollte kommen, ,nicht zu Fuss, nicht zu Pferd und nicht fahrend oder segelnd, nicht bekleidet, aber auch nicht unbekleidet, nicht innerhalb eines Jahres oder Monats, nicht bei Tag und bei Nacht, nicht bei zunehmendem Mond und auch nicht bei abnehmendem'. So kam sie dann mit ,zwei jungen Männern vor einen Schlitten gespannt und liess an der einen Seite einen Bock leiten, hatte ein Bein im Schlitten und das andere über dem Bock und war selbst in ein Netz gekleidet', und das geschah ,am dritten Tag vor dem Weihnachtstag, einem der Tage des Sonnenstandes, der nicht zum Jahr mitgerechnet wird - gerade zu Vollmond in der Dämmerung'. Sie kam mit dem Rat, Ansiedler und Rodende auszusenden, anstatt die Alten zu töten. Der König fand solches Wohlgefallen an ihrer Rede, dass er sie zur Königin machte, und sie lebte lange, geehrt und geliebt vom König und vom Volk, und viele schwere Fragen wurden ihr vorgelegt."

Die letzten Worte brachte sie nur mühselig hervor, überschüttete Angelique sie doch bereits mit zahllosen Küssen.
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Sousanna
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Sousanna »

Sousannas volle Lippen verzogen sich zu einem leisen Schmollen und ein schweres Seufzen hob und senkte ihre Brust. Während sie zuhörte, hatte einer ihrer zarten Finger, eine dunkle Locke immer wieder eingedreht, entspringen lassen und wieder eingedreht. Kaum ein Zeichen für großes Interesse. "Ach", machte sie und blickte zur Decke. "Wieder so ein Lob der Gelehrsamkeit von Frauen. Ich persönlich halte das für eine Lüge... Als ob irgend ein Kerl, ob Bettler oder König auf eine Frau hören würde, nur weil sie vielleicht klug ist..."

Wieder seufzte sie, ehe ein träger Rat über ihre Lippen kam. "Lektion Nummer 1 lautet also: Achte auf dein Publikum. Nur, wer sich anpasst, wird nicht gefressen."
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Angelique
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Angelique »

Sie wurde sowieso gerade von Angelique gefressen. Es gab schlimmere Schicksale.

Da sie sich sowieso schwer konzentrieren konnte, gab sie eine Fabel aus der Heimat ihrer Herrin zum besten.
Die aus der Heimat ihrer Herrin über den schlauen Fuchs und wie er die arrogante Wölfin überlistet und schändet.
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Sousanna
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Sousanna »

Wieder seufzte die Ravnos. Offensichtlich gefiel ihr die Moral dieser Geschichte auch nicht - oder mochte sie insgesamt keine Moral in Geschichten?
"Meine Lehre wird eine Fortführung der Geschichte sein", kündigte sie also wie von Langeweile erschöpft seufzend an und wandte den Blick zur Decke. "Die Wölfin aber, hatte bereits zuvor von der angeblichen List des Fuchses gehört. Sie wusste, was die seinen wünschen und ließ ihn glauben, er wäre im Recht. Sie ließ ihn gierig alles an sich reißen, was er zu besitzen glaubte und wartete, eh er erschöpft von der Mühe sie zu demütigen hinnieder sank, fest im Glauben, er hätte ihren Willen gebrochen. Dann aber schlossen sich die Kiefer der Wölfin, um sein Genick und sie drohte es zu zerbrechen, würde er ihr nicht fortan zu Diensten sein. Da der Fuchs zwar klug, wohl aber zerbrechlich war und um seinen Ruf und seine Ehre fürchtete, - vor allem aber um sein Leben, diente er fortan der Wölfin und würde auf ewig ihr Loblied singen, da sie ihn trotz seiner Schandtat am Leben gelassen hatte."
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Angelique
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Ja, natürlich", meinte die kleine Füchsin devot und kein Sarkasmus stahl sich in ihre Betonung. "So wird es wahrscheinlich gewesen sein."

Angelique hob den Kopf von Cristiana und unterbrach ihre Liebkosungen.

"Bei dem Thema fällt mir ein: Was ist jetzt eigentlich aus dem Bader geworden? Wurdest du dir mit der Herrin Seinfreda einig?"

Cistiana war verwirrt. Und die aufrichtige, ja unschuldige Neugier leuchtete aus Angeliques Augen. Wie eine Sklavin folgte ihr kleiner Geist der Assoziationskette, die an die geschändete Wölfin geschmiedet war.
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Sousanna
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Sousanna »

Kurz legte sich der Kopf zur Seite und wieder war da das Fältchen zwischen ihren so elegant geschwundenen Augenbrauen. Sie hatte wohl etwas sagen wollen, doch das zweite Mädchen unterbrach sie.
Da hob sich ein Mundwinkel und ein ungewöhnlich bösartiger Zug ließ Sousannas Gesicht schön und schrecklich zugleich wirken. "Der Bader wird sich bei jeder weiteren Mal, da er Hand an eine Frau legen wird, daran erinnern, dass er seine schmutzigen Finger an der schönsten Tochter der Goldenen verbrannt hat.", kündigte sie an und etwas in ihrem Tonfall ließ erahnen, dass die Schöne in diesem Fall von einer tiefen, niederen Mordlust getrieben wurde. In diesem Moment war erkennbar, dass der Engel ohne zu Zögern, ja sogar mit einem Lächeln auf den Lippen eine Klinge in Herzen treiben würde, wenn sie nur einen Grund dafür hatte - ja, wenn sie überhaupt einen dafür brauchte.
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Du hast dich verändert", stellte Angelique überrascht fest. "Soviel Härte. Soviel Zynismus. Es steht dir nicht. Es engt dich ein und macht das Feiern schal für dich."

Sie wirkte traurig, als sie ihre Freundin dabei ansah.
Cristiana gefiel das nicht. Eigentlich sollte sie doch die beste Freundin ihrer Herrin kennenlernen. Und diese war so anders, als Angelique sie beschrieben hatte.

"Ist es der neue Titel?", fragte Angelique noch. "Übst du Harpyensprüche? Bitte nicht an mir und den meinen."
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Sousanna »

Mit einem Mal wirkte die Ravnos schrecklich müde. War es möglich? Zeichneten sich da gerade Augenringe unter den großen braunen Augen ab? War ihr Gesicht wirklich mit einem Mal blass, ja beinahe gräulich? Es konnte nicht wirklich sein, doch etwas an ihr wirkte abgekämpft. So als empfände sie unendliche Erschöpfung.
"Wisst ihr, was ich gern tun würde?", fragte sie leise und es klang seltsam matt. Ein sehnsüchtiger Ausdruck trat in ihr Gesicht. "Ich würde gerne unter der Hand Diebesgut verscherbeln. Würde solange in den Gossen tanzen, bis mein Rock aufgerieben wäre. Mich von einem hübschen Nordmann durchnehmen lassen, bis mir Hören und Sehen vergeht." Sousanna seufzte schwer und blickte sich verloren in dem Raum um, als hoffe sie, dass dort dort jemand auftauchte.
Dann verzogen sich ihre Lippen zu einem bitteren Ausdruck. "Stattdessen höre ich die ganze Nacht von Krieg, Kälte und Klugheit. Ich höre, wie sich das hohe Blut selbst beweihräuchert und es wird von mir erwartet, dass ich tausend Knickse und hundert falsche Lächeln zeige. Wisst ihr was ich davon halte?" Abscheu spielte in ihren Blicken. "Es langweilt mich. Wäre ich nicht schon tot würde ich erwarten, dass ich sterben werde."

Dann legte sich ihr Blick auf Cristiana und in einer anmutigen Geste, neigte sie tatsächlich ihr Haupt. "Ich war zu hart zu dir und das tut mir leid. Verzeih mir bitte.", bat sie, ehe sie recht gequält, beinahe schon flehentlich dreinblickte. "Nur bitte, bitte erzähl mir was von Kätzchen oder Steinen - erzähl mir was für Figuren du in den Wolken siehst. Ich ertrag nicht noch mehr Gelehrsamkeit und Ehre. Nicht auch noch von einem Wesen, dem ich mich näher fühle, als den meisten Blutsaugern."
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Re: [1006] Sündige Tugend oder tugendhafte Sünden [Angelique]

Beitrag von Angelique »

Da erzählte Cristiana von dem Blau des Taghimmels und der Helligkeit, die die beiden Vampire schon fast vergessen hatten. Und von dem Zwitschern der Tagvögel, dessen Klang sie nicht mehr kannten.

Grinsend beschrieb sie auch den Genuß, Darm und Blase zu entleeren oder zu essen.

Seufzend lehnte sich Angelique an Sousanna und lauschte.

"Warum tanzt du nicht durch die Gassen, wenn dir danach ist? Ich mache das immer so."
Sie grinste jetzt auch. "Was den Nordmann angeht, kann ich aber helfen. Cris, geh und hol die beiden. Und mach sie unterwegs ordentlich heiß."
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