[1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

[Mai '18]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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La Vedova
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[1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von La Vedova »

Es war eine düstere, wolkenverhangene Nacht. Kühle Herbstwinde bliesen über die abgeernteten Felder, die Gipfel der Bäume des Waldes von Luccoli wiegten sich hin und her.
Das Kloster Sant Agnese fuori le mura lag dunkel neben dem Weg nach Genua. In den herbstlich bunt dekorierten Wegaltären flackerten kleine Talgkerzen, sie führten die Wanderin bis vor das hälzerne Tor des Gemäuers.

"Bitte bring eine Lyra mit", hatte Seinfreda zu Livia gesagt, als sie sie im vorigen Monat zu sich ins Kloster eingeladen hatte. Sie hatte dabei ernst gewirkt aber auch etwas mysteriös. Sie hatte gesagt, dass sie eine Überrschung für Livia hatte und dass sie hoffte, dass sie sich freuen würde...und dass es ihr sehr viel bedeuten würde.
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Livia
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Re: [1008]Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von Livia »

Es hatte lange gedauert, doch schließlich war sie da.
Die gehorsame Schlange mit der Lyra.

Livia war noch etwas moderater gekleidet als sonst, immerhin ging es in ein Kloster.
Sie kam inmitten der kalten Nacht an und klopfte an das Tor.
"Heda, jemand hier?
Ich werde erwartet.
Öffnet bitte, es ist kalt und düster."
Hörte die Wache über den Mauern gerade so.
Livia war etwas aufgeregt, was die Kappadozianerin wohl wieder mit ihr vor hatte?
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La Vedova
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Re: [1008]Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von La Vedova »

Zwei stumme Nonnen mittleren Alters öffneten Livia das Tor für einen kleinen Spalt und ließen sie herein. Mit Handgesten bedeuteten sie ihr, ihnen zu folgen.
Livia gelangte durch die kühlen Kerzenbeschienenen Gänge des Klosters, durch den Kreuzgang und den Kräutergarten hinüber in die Klosterkapelle. Dort im Vorraum gab eine der Nonnen ihr ein Zeichen zu warten.

Aus der Kapelle drang der Klang mehrerer Stimmen, die lateinische Verse sangen, oft einzelne Worte wiederholten. Offenbar wurde hier Gesang geübt.
Livia, die Latein beherrschte, konnte einzelne Verse übersetzen und verstehen:

"Das Grab Deines Leichnams, glorreicher Vater, spendet Heilung...", sang eine hohe Sopranstimme langsam und getragen. Dann stimmten andere Frauenstimmen mit ein "Deine heilige Seele, bei den Engeln weilend, freut sich zu Recht..."
EIne andere, tiefere Stimme sang den nächsten Vers "Durch Deine- Du Selinger - Vertrautheit mit Gott..."
Dann verstummte die Stimme kurz und begann die letzten Worte noch einmal zu singen
"Durch Deine- Du Seliger - Vertrautheit mit Gott, mit dem Körperlosen im himmlischen Reigen, flehe ihn an, unsere Seelen zu retten..."
Der Chor begann wieder die ersten Zeilen anzustimmen, doch diesmal auf Griechisch.

Es dauerte ein wenig, ein Wachstropfen an der Kerze neben der Tür bahnte sich einen Weg über die Halterung und tropfte schließlich zu Boden, wo schon eine kleine Stele, einem Tropfstein gleich, entstanden war.
Schließlich öffnete sich die Kapellentür wieder einen Spalt und eine junge Nonne mit großen braunen Aungen und einer ebenfalls sehr großen Nase lugte hervor. Sie hielt Livia einen Stapel Stoffe in der Farbe ihrer Ordenstracht entgegen. Schüchtern sah sie Livia an und flüsterte ihr zu: "Die Mutter Oberin erwartet Euch, kommt doch bitte mit, Schwester."

Sie wartete offenbar noch darauf, dass Livia das faltenreiche, bodenlange Gewand überstreifte, dann führte sie die Merkurianerin hinein in die Kapelle.
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Livia
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von Livia »

Livia hatte sich im vielstimmigen Gesang der Nonnen gesonnt, die Idee Frauen in ein eigenes Haus zu stecken, wo sie wenig mehr taten als zu arbeiten und zu beten... brachte zumindest große Kunst hervor.
Irgendwie machte ihr jene Idee auch Appetit... Die Kappadozianerin speiste hier sicherlich vorzüglich. Kein Wunder, dass Klöster überall entstanden, sie waren ideale Orte für Herden...

In die Kukulle schlüpfte die Merkurianerin widerspruchslos - irgendwie stand ihr das schlichte Gewand ja auch ganz gut. Und so schritt sie, denn sofort hatte sie die Art des Gehens der hiesigen Nonnen adaptiert, langsam und elegant in die Kapelle hinein. Schon hochgradig angespannt und gespannt, ob große Kunst auf sie warten würde, wie überall, wo sie der Kappadozianerin bisher begegnet war!
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La Vedova
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von La Vedova »

Als eine Nonne von vielen betrat Livia nun also die Kepelle.
Der Bau war von innen überraschenderweise beinahe so schlicht wie von außen. Keine Bänke, keine Wandbehänge, bloß Kerzen, die in zwei geraden Reihen von der Decke hingen und Licht spendeten. Vorne ein großer Steinklotz als Altar, der mit reichen, bestickten Stoffen bedeckt war, die wohl aus unterschiedlichsten Regionen stammten. Darauf stand die Statue der kindlichen Heiligen, die dem Kloster ihren Namen gab und auch die Ahnenlinie der Kappadozianerin, die Livia eingeladen hatte, anführte.
Die heilige Agnes trug ein Lämmchen in den Armen, ihr Ausdruck war Mild, der Blick nach oben in die Ferne gewandt.

Die Nonnen hatten sich seitlich des Altares aufgestellt, alle trugen sie dieselbe Kukulle wie Livia, die Hände andächtig gefaltet.
Etwas abseits mit dem Lesepult, auf dem normalerweise das Stundenbuch lag, wartete Seinfreda. Sie hatte verschiedene Pergemantrollen in Vasen neben sich auf dem Boden stehen und hatte einige der Unterlagen auf das Pult gelegt.
Als sie Livia erblickte, breitete sich ein freudiges Lächeln auf ihrem Gesicht auf. Sie winkte die Merkurianerin näher zu sich heran.
Mit gedämpfter Stimme begrüßte sie sie und stellte sie den Nonnen als eine angreiste Schwester aus der Ferne vor.

"Livia, wie gefällt es dir hier?", fragte sie dann freundlich aber auch etwas beiläufig , während sie nach einer der Tonvasen griff. "Hier"
Sie gab ihr eine der Pergamentrollen in die Hand "Dies hier ist, weshalb ich dich eingeladen habe..."
Sie sah beinahe andächtigt aus un berührte das Pergament liebevoll mit ihren Spinnenfingern.
"Dies hier sind Lieder, die meine Sire verfasste. Es ist so lange her, seit ich sie zuletzt gesungen und gespielt hörte...Ich hatte gehofft, dass wir die staubigen Seiten wieder erwecken können."
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Livia
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von Livia »

"Es ist ein schöner Ort." Stimme Livia zu, ihre Augen wanderten über all die EIndrücke, den Altar, die Wände, die Stickereien... sie war gleichermaßen beeindruckt vom Einfluss der unauffälligen Kappadozianerin, als auch von der Kunst in all ihren Aktivitäten - ob es die rauhe Umgebung einer Burg, der geschützte Ort eines Klosters oder die luxeriöse Pracht der Thermen war...

Als Seinfreda ihr das Pergament reichte, musterte die Merkurianerin es zuerst, dann blickte sie zu der Kappadozianerin auf.
"Deine Sire, aus Konstantinopel?
Welch eine schöne Idee... war für Lieder sind es? Lieder der Klöster?"

Langsam, sehr langsam und ebenso bedächtig öffnete die junge Merkurianerin die Pergamentrolle mit geschickten Finger, fast andächtig... alte Kunst schien sie mehr als nur zu faszinieren, rasch würde sie Zeile um Zeile, Note um Note, Akzent um Akzent verschlingen...
Auch für Livia war es eine Heimaterinnerung... nur soo viel älter.
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La Vedova
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von La Vedova »

"Ja, genau. Schwester Kassia aus Byzanz. Sie war nicht nur eine der schönsten Frauen der Zeit, sondern auch eine der klügsten..zu klug, so heißt es.", Seinfreda deutete auf das Pergament "Sie errichtete auf dem Hügen Xelopheros in Konstantinopel ein Kloster der heiligen Jungfrauen. Sie verbrachte viel zeit mit ihrer Dichtung und ihrer Musik...Nur einige von vielen Kompositionen sind hier. Sie dichtete so wunderschön, fand so bezaubernde, wahre Worte voller Verehrung...", seelig lächelte Seinfreda zu Livia hinüber "Dies hier beispielsweise....EIn Glaubensbekenntnis, es ist wunderschön, ich singe es oft...Oder jene Hymne, wohl etwas bekannter, die Hymne der gefallenen Frauen."
Sie lächelte Sanft zu den Schwestern im Chor hinüber und begann langsam nd getragen eine Zeile zu singen:

"Die Frau, die vielen Sünden verfallen war..."

Da stimmten die anderen Nonnen mit ein:
"Nachdem sie deine Göttlichkeit erkannt hatte, nahm sie den Rang einer Salbenträgerin an
und opferte dir Gewürze vor deinem Begräbnis und weinte und schrie:
O wehe mir, denn die Liebe der Ehebruch und die Sünde haben mich in dunkle und lichtlose Nacht getrieben,
nimm die Quellen meiner Tränen an, Du, der das Wasser des Meeres durch die Wolken entzieht,
neige dich zum Seufzen meines Herzens..."

Eine der Nonnen mit einer besonders schönen hohen Stimme tat sich hervor. Tiefe Traurigkeit durchdrang die Klänge und den Raum.
"O, du hast den Himmel durch deine unbegreifliche Herablassung gebeugt,
ich werde deine reinen Füße küssen
und ich werde wie mit meinen Locken abwischen
und ich werde deine Füße küssen,
deren Schritte, wenn sie an die Ohren der Eva im Paradies drängen, sie verschreckten, sodass sie sich vor Angst versteckte..."

Dann begannen wieder alle gemeinsam zu singen:
"Wer wird die Ausmaße meiner Sünde und die Tiefe prüfen wird vor deinem Gericht?
Oh, mein Heiland und Befreier meiner Seele, wende dich nicht ab von deiner Magd, o du grenzenlose Barmherzigkeit..."

Beinahe zeitlos schien der Gesang der Frauen in der Kapelle. Die Gesichter von unterschiedlichsten Gefühlsregungen bewegt taten sie sich zusammen, um so etwas schönes zu erschaffen. Ab und zu blickte Seinfreda hinüber zu Livia, schloss sich jedoch den singenden Schwestern von ihrem Platz aus an.
Als sie wieder verstummt waren, lächelte Seinfreda leise.
"Siehst du, wie viel den Frauen die Musik bedeutet, wie viel Stärke sie ihnen gibt, wie sie den Glauben stärkt?"

Kurz brauchte Seinfreda, um sich wieder zu sotieren, dann fuhr sie jedoch erklärend fort:
"Leider habe ich nicht zu all ihren Dichtungen auch die Melodien...besser gesagt kenne ich mich nicht so gut aus mit der Weise, wie die Melodie niedergeschrieben wurde..Hier, siehst du, das sind Buchstaben mit lauter Symbolen darüber, aber es ergibt für mich alles keinen Sinn..Ich singe die Stücke nur aus meiner Erinnerung...Aber du kennst dich doch sicherlich damit aus? Ist das eine Geheimschrift?"

Sie öffnete einige Pergamentrollen und befestigte sie mit Briefbeschwerern auf dem Boden, damit sie sich nicht wieder zusammenrollten. Tatsächlich waren sie über und über mit unübersichtlichen Zeilen übersehen, lauter griechische Buchstaben mit Strichen und Punkten, Kreisen und Schlangenlinien.
Etwas hilflos zuckte Seinfreda mit den Schultern. "Ich kann damit nichts anfangen. Weißt du, was das ist?"




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* Die Hymne der gefallenen Frau
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Livia
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von Livia »

Livia hatte den Tönen wie gebannt gelauscht, wenige der Frauen waren große Sängerinnen, doch gemeinsam entfalteten sie eine große Pracht.

Als sie ihr die Pergamentrollen vorlegte, fuhren Livias Finger langsam und wie verzückt darüber, genossen jenes Gefühl des Verlorenen.

"Es ist Griechisch, ja... keine Geheimschrift.
Noten!
Noten, Notizen, Vermerke, Erinnerungen, alles vermischt.
Nein hier, diese Spur, sie ist rein die musikalische Ebene.
Es ist wunderschön!"

"Zumindest glaube ich es lesen zu können, doch es zu singen.
Oh Seinfreda, das ist... ungewöhnlich alt, aber ebenso ungewöhnlich schön."

Man merkte, wie die Merkurianerin zum Singen ansetzen wollte, dann stockte sie jedoch.

"Wieso hat dich deine Erzeugerin denn in die Nacht geholt?" Fragte sie irgendwie abwesend, als wäre es wichtig, um zu... singen.
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von La Vedova »

Seinfreda nickte . "Alles was sie schuf, war wunderschön und der Gesang...kaum von dieser Welt. Glaubst du, du könntest diese Schriften in Klang übersetzen?"

Als Livia zum Singen ansetzte, hielt sie gespannt inne. Dann sah sie jedoch irritiert zu ihr, als sie nach dem Grund des Kusses fragte.
"Wieso...?" Seinfreda stockte. "Nun, es war eben so vorgesehen. Bei dir ja auch, nicht wahr? Auch ich wurde schon als Mensch darauf vorbereitet...meine Ahnfrau ist die Prinzessin der Domäne, des Klosters- Sie sucht nach geeigneten Schwestern. Ich war schon lange eine der Kandidatinnen und wohl auch nicht die einzige...Doch ich war es, die wieder aus der Erde...auferstand.", Seinfreda räusperte sich verlegen, als würde sie über etwas sehr intimes sprechen. "Nicht alle kommen zurück, nicht wahr? Kassia ist eine Reisende. Sie sah mich und suchte mich aus. Die kurze Zeit mit ihr war wunderschön, sehr prägend, sie offenbarte mir so vieles Neues, zeigte mir die Nacht ganz neu... doch sie zog bald weiter. Ich hingegen blieb bei meinen Schwestern." , bei den Worten wirkte die Kappadozianerin etwas traurig. "Doch sie ließ einige ihrer Lieder bei mir...kannst du sie wach singen?"
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Livia
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Re: [1008] Byzantinische Hymnen [Livia]

Beitrag von Livia »

Kurz nickte sie lächelnd, als Seinfreda ihr ihre schönge Geschichte erzählte. "Fast." ergänzte sie, bezugnehmend auf sich selbst. Doch dann traf die Bitte der Kappadozianerin die junge Merkurianerin mitten ins Herz.

Völlig unvorbereitet und völlig unpassend reagierte sie paralysiert, wie ein verschrecktes Reh erstarrte sie kurz. Livias Blick senkte sich gen Boden.

"Ich bin ihrer nicht würdig..." Hauchte Livia langsam und mit brechender, leiser Stimme.
"Das Blut, die Kunst und der Glaube der hohen Clane fließt in jeder einzelnen Note dieses Blattes..." Schmerzerfüllt sah sie zur Witwe auf.
"Wie sollte ich es wagen, sie mit einem Leben zu erfüllen, dass nicht ihres ist?
Oh hohe Mutter, geliebte hohe Mutter... wie gerne würde ich dir deinen Wunsch erfüllen. Aber...
Ich zweifle, dass ich es kann." Wahre Trauer zuckte durch Livias Mimik, ihr Blick war erneut auf die Noten gebannt, sie konnte sich kaum davon lösen - wäre sie noch einen Hauch menschlicher gewesen, oder würde sie das Drama lieben wie Sousanna, blutrote Tränen flössen über ihr Gesicht.
Doch jeder Blick fixierte sie erneut, fesselte sie in jedem blutigen Moment dieser uralten Kunst und erschreckte sie doch zugleich tiefst...

Und Seinfreda würde jede Einzelne dieser Gefühlsregungen erkennen können.
Gesperrt

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