[1008] Der Raubvogel [Sousanna]

[Ravunthu Velchai]

"Ich tanze gern", kommentierte Ravunthu und nahm den dargebotenen Arm für ihren Mantel mit einem dankbaren Lächeln an. Die Ventrue tat einen tiefen Atemzug, als Sousanna so nah bei ihr weilte, und ihre Augen glühten in erwachendem Interesse auf. Ihr Blick wanderte den Leib ihrer Gastgeberin einmal hinunter und wieder hinauf. Dabei geriet auch ihr eigenes Kleid in ihren Blick - ein nicht billiges, aber auch nicht wirklich schönes Unterkleid aus feinem Leinen, das jedoch schon so einige Dutzend Waschvorgänge gesehen haben musste, und darüber ein Obergewand aus grün gefärbter Schafwolle. Beides war offensichtlich nicht maßgeschneidert und ihr ein wenig zu groß. Die beinernen Knöpfe waren wenige und die Ärmel eng anliegend, um nicht den Eindruck eines Adeligen zu erwecken. Die Ventrue hatte sich für diesen Ausflug offensichtlich als gewöhnliche Bürgerliche verkleidet.

Ravunthu seufzte. "Für einen guten Schneider würde ich inzwischen beinahe töten."

[Sousanna]

"Ach", seufzte die Harpyie und würde den Mantel vorsichtig annehmen, um ihn sorgsam auf einem der Stühle zu deponieren. Die Art, wie sie mit dem Stück umging, bewies, dass sie es gewohnt war, teure Kleidung zu hantieren. Ihr fehlten weder die Vorsicht noch die Leichtigkeit in ihren Handlungen. "Wären sie alle gute Tänzer, würde ich diese Art des Tanzes auch eher genießen..."
Dann lächelte sie die Ventrue an und in ihrem Blick lag nicht weniger Interesse. Sousanna selbst trug nun Kleidung, wie sie in ihrer Heimat üblich war, bunte, zauberhafte Farben, intensives rot und pures gelb, die ihren märchenhaften Leib seidig umspielten und doch soweit bedeckten, dass es sogar hier in Genua als prüde gelten konnte. Nur ihr Haar, wogte in Wellen zarten Mahagonis über die schmalen Schultern, bildete gemeinsam mit dieser betonten Sittlichkeit den leisen Anflug und der Vereinigung puren Reichtums in einer so armseeligen Umgebung einer Anspielung auf irgendetwas. Vielleicht einer jener seltsamen Witze der Wanderer.

"Oh glaubt mir, das hätte ich die ersten paar Jahre auch getan.", gab sie zu und lächelte dann charmant. "Und einige haben es in Genua sogar getan - nur leider den Schneider... Sagt, wie lang seid ihr schon hier?"

[Ravunthu Velchai]

Die Ventrue lachte glockenhell über den Schneiderscherz. "Ihr seid mir direkt in meiner ersten Nacht an Genuas Gestaden begegnet, wohlwerte Schwester."

Ravunthu drehte sich zu Sousanna um, als diese ihren Mantel entgegennahm, und strich in zärtlicher Distanzlosigkeit mit drei Fingerknöcheln über eine der Stoffbahnen, die Sousanna einhüllten. Ihr Blick folgte dabei ihrer Hand.
"Wunderschön", hauchte sie. Ihre sehr hellbraunen Augen suchten wieder Sousannas Blick, direkt nachdem sie das gesagt hatte. Völlig offen. Bewunderung schimmerte der Ravnos entgegen. Ob sie die Kleidung gemeint hatte, war nicht ganz klar.

[Sousanna]

Ein Lächeln huschte über die vollen Lippen. "Ach, die erste Nacht in einer neuen Stadt ist immer die Aufregenste, findet ihr nicht?", schwärmte sie ruhig.

Jene Distanzlosigkeit, ließ Sousanna dann gern geschehen. Nein, viel mehr, es wirkte, als schmiegten sich Stoff und für eine Tote seltsam warme Haut geradezu an die Fingerknöchel. Als wäre die einzige Bestimmung dieses Leibs, berührt und genossen zu werden.
Auch ihr Blick war zu Raventhus Augen gewandert. In dem dunklen, tiefen Braun loderten Feuer. Leidenschaften, Geschichten und Sehnsüchte schienen darin erzählt zu werden. Die Fremde und Wildheit des Ostens lagen in ihrer warmen, sanften Stimme, die so sehr an Honig erinnerte. "Nicht schöner als ihr, liebe Schwester."

[Ravunthu Velchai]

Ravunthu hob das Kinn wie in Vorbereitung eines Kusses, doch was folgte, war nur ein deutlich tieferes Einatmen, als es für das Sprechen nötig gewesen wäre. Und die Ventrue wich nicht zurück, als wäre das eine für sie sehr angenehme Distanz für ein Gespräch.

"Ich frage mich, ob ich die Unannehmlichkeit, die ich Euch in jener Nacht bereitet habe ...", sie schlug scheinbar betreten die Augen nieder, "für Euch mit einer Kostprobe meines Handwerks ausgleichen darf. Ich war Blutwinzerin an den etruskischen Höfen, im Dienste mehrerer erlauchter Personen, die Ihr in meiner Ahnenreihe wiedererkannt habt", sagte sie und schwieg. Blickte Sousanna wieder in die Augen. Wenn sie die Berühmtheiten ihrer Via erkannt hatte, würde sie vielleicht auch wissen, worum es sich bei diesem Handwerk handelte.

[Sousanna]

Ein sanftes Lächeln war über die vollen Lippen geglitten, wie Perlen über feinste Seide. Auch sie wich nicht. Beinahe schien es, als hätten die beiden Damen eine Form des Zusammenseins gefunden, in der sie vortrefflich plaudern konnten.

"Es wäre mir mehr als nur eine Freude.", gab sie zurück und für einen Moment berührte ihre Zunge die Unterlippe. Eine dezente Geste und doch tiefer Ausdruck der Lust, die sie bereits beim Gedanken daran empfand. "Ich bin selbst nie in das Vergnügen gekommen - bedauerlicherweise, aber ich schenke euch gerne gewissermaßen den ersten Tanz." Wieder brannte ihr Blick, doch dieses Mal stahlen sich erneut die Funken von Schalk hinein. Kein böser Schalk, viel eher die Freude auf all den Spaß, den man gemeinsam würde haben können.

[Ravunthu Velchai]

Ravunthu entblößte in einem zufriedenen Lächeln die Zähne, senkte dann jedoch ergeben den Blick.

"Dann möchte ich gern jemanden holen lassen. Einen meiner Rebstöcke, der entweder unten im Gastraum oder in einem der Häuser nebenan warter. Er ist besonders, aber nicht das Besonderste, das ich zu bieten habe. Aber er ist transportfähig, und er inszeniert sich selbst."

Sie weist in einer ausladenden Bewegung in den Raum. "Ich träume von der Nacht, in der ich ein annähernd so herrliches, eigenes Haus besitze, in dem ich jedes meiner Werke zu seiner vollen Wirkung ausstellen kann."

[Sousanna]

Neugierig neigte Sousanna das Haupt zur einen Seite. Ihre Wangen röteten sich vor Aufregung.
"Ich bin gespannt, egal was ihr mir zeigen wollt. In dieser Hinsicht verlasse ich mich auf euer Urteil", lächelte sie ruhig.

Dann wurde ihr Lächeln noch geheimnisvoller. Ein Stückchen wilder, aber zu gleich verspielter. "Dann lasst uns die Verkostung in einem meiner Wunder vornehmen.", schlug sie geheimnistuerisch und zugleich offen vor.

[Ravunthu Velchai]

Die Ventrue zog in angenehmer Überraschung die Brauen hoch und nickte. "Mein Diener muss nur erfahren, wohin er Lunus bringen soll, wenn nicht hierher."

[Sousanna]

Sousanna begann zu grinsen. "Lasst ihn an diesen Ort bringen.", erklärte sie milde. "Allerdings in einen anderen der Räume hier."
Theatralisch seufzend sah sie sich um. "Dieser hier ist nur für das Geschäftliche gedacht.", erklärte sie und verzog beim Anblick des kargen Raums ein wenig das Gesicht, ehe sie grinsend raunte: "Die Genüsse lassen sich anderswo besser auskosten."