[1015] Der Springquell [offen]

[Januar '19]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Sousanna
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[1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von Sousanna »

Die Dunkelheit Genuas goss sich wie in jeder Nacht über die Gassen, doch wie sich Tinte stets in die kleinsten Winkel eines Stempels goss, so schien auch sie sich vor allem in den dunkelsten Gossen zu sammeln. In jenen Gossen, in denen düstere Gestalten Geschäfte tätigten, die sogar den Herrgott dazu gebracht hätten, sich zu schämen. Gewisper und Geschrei erfüllte sie zu gleichen Teilen. Der Gestank war hier mannigfaltig und schien die unterschiedlichsten Facetten der Geruchsvergewaltigung zu bedienen.
Froh war, wer hier nicht zu atmen brauchte. Gesegnet, wer sich zu wehren wusste. Und dreifach glücklich, wer diese Teile der Stadt nicht zu betreten brauchte.

Doch was änderte es für jene, die nicht anders konnten? Welche Wahl hatten die armen Seelen, die genau an jenen Orten ihr Gold verdienen mussten?
Sie waren hierhin verdammt und würden auf ewig hier stecken bleiben. Denn wer einmal den Schmutz der Gossen an den Händen trug. Und wer ihn an den Händen trug, der hatte ihn geatmet. Und wer ihn geatmet hatte, der war vergiftet.

So vergiftet, wie es jene kleine Gruppe in einer Gosse in Ravecca war, die sich dort zusammen gerottet hatte. Man schien um irgendetwas zu verhandeln. Oder besser zu streiten. Denn Gerangel und wilde Beschimpfungen nahmen überhand und immer wieder wurden die kleinen Beutel aus schmutzigen Händen gerissen. Raue Stimmen waberten umher. Immer wieder fanden Fäuste beinahe Gesichter und schließlich wurden Klingen gezogen.

Nur eine Gestalt schien ruhiger zu bleiben. Ein Wesen verharrte unter einem grünen Kapuzenmantel und schien die Situation zu beobachten. Man hätte meinen können, es wäre ein Geist, der über die Geschäfte wachte.

Erst da eine der Gestalten im Gerangel sie streifte, schienen einige vier der sieben in einen Blutrausch zu gelangen - und der metallisch süße Duft des Lebens stieg in der Gasse auf, erfüllte sie mit jener unverwechselbaren Aura der Lust der Untoten. Gutes, reines Blut sickerte in den Schmodder Raveccas.
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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La Strega
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von La Strega »

Dem Tumult näherte sich alt und wackelig eine gebeugte Gestalt. Über und über in Lumpen gehüllt und nur ihr überaus hässliches Gesicht war zu sehen. Schwer stützte sie sich auf einen knorrigen Stock. Sie hielt sich in den Schatten, neugierig auf die brutale Bluttat schielend. Als das Blut floss, begann sie unweigerlich zu schnüffeln und den Kopf in diese und jene Richtung zu drehen. Eine schwarze räudige Katze striff zwischen ihren Beinen her und maunzte leise. Ab und zu betrachtete die Katze das Geschehen aus neugierigen Augen.

La Strega kicherte, wagte aber noch nicht, sich zu nähern...so ein gebrechliches Mütterchen hatte in einem solchen Tumult nichts zu suchen.
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Sousanna
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von Sousanna »

Die verhüllte Gestalt begann mit einem der Männer zu sprechen. Mit der Stimme einer jungen Frau. Vermutlich einer schönen noch dazu. Ihre Zunge schien zu wogen wie das Meer gegen die goldenen Ufer ferner, reicher Städte. Das Mütterchen kannte Ton und Farbe der Sprachen. Wenn auch von vor langer Zeit, wie aus einem Märchen.
Der, mit dem sie sprach, schien weniger geübt darin. Es klang mehr als stolperte er über die feinen Geschmiede ihrer Laute. Selbst wenn er sich der Sprache des Orients bediente, drang sein Italisch hindurch wie Gestank über Parfüm. Auch ihn kannte man hier unweigerlich. Selbst wenn ihm niemand diese Sprache zugetraut hätte.
Es klang als mache die Grüne spitze Bemerkungen. Entweder belustigten sie die armen Kerle, die nun im Dreck lagen oder aber über die, die jenen immer noch die Eingeweide aus den Leibern prügelten.

Irgendwann winkte der Grobschlächtige auf das Nicken der Gestalt hin ab und reglos blieben die Körper am Boden liegen. Ein rauer Befehl, dieses Mal im schnoddrigen Ton italienischer Gassen. "Alles einpacken!"
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La Strega
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von La Strega »

Ein leises, gehässiges Kichern erscholl aus der dunklen Ecke in die sich die alte Strega zurückgezogen hatte. Mit langsamen humpelnden Schritten näherte sie sich der Gruppe, immer wieder gierig auf das But stierend, dass sich in der Gosse in kleinen Pfützen sammelte. Die Katze wagte sich weiter vor und schnüffelte an dem Blut. Die Alte jedoch konzentrierte sich auf die Burschen und das hübsche Wesen in dem grünen Mantel.
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Sousanna
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von Sousanna »

Man suchte erst das Mütterchen zu ignorieren, doch da sie sich so penetrant näherte, stellte einer der Männer sich ihr in den Weg.
"Verschwinde Mütterchen, sonst gehts dir schlecht!", bellte er, während das schöne Wesen im grünen Mantel sie unter der Kapuze wohl abschätzig beäugte und etwas leises murmelte.
Es klang wie das Rauschen des Meeres, untermalt von einer sachten Bewegung der honigfarbenen Hand. Und ihr Wächter verstand zum Teil, denn er winkte ab. "Lass sie", knurrte er den Übermütigen an. "Die's ne Hexe. Hilft den Mädels."
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La Strega
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von La Strega »

Als sich der deutlich größere und kräftigere Kerl ihr in den Weg stellte, blieb sie stehen und sah zu ihm auf. In Ihrem Gesicht war keien Angst zu sehen. Nur eine merkwürdige Gier, die weit über die Neugier hinaus zu gehen schien. Sie gluckste und wackelte mit dem Kopf.

"Oh, da bin ich mir sicher...wobei es einem armen, alten und hässlichen Weib wie mir kaum schlechter gehen könnte, oder? Aber wenn Du nicht willst, dass Dir Dein Striegel fault und abfällt, lässt Du mich vielleicht mit Deiner Herrin sprechen."
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Sousanna
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von Sousanna »

Einen Augenblick schien der Tunichtgut zu zögern. Beinahe schien sein Zorn in implodieren zu lassen. Doch da packte ihn der größere Vernarbte am Kragen und gab ihm dabei einen nicht ganz dezenten Schlag in den Nacken. "Aber...", protestierte der wütend und wollte sich wehren. "'S 'is nich' an dir zu denken, Stronzo." Tiziano beförderte den Übermütigen in den Dreck hinter sich.
Dann sah der Wachhund seiner Herrin das Hutzelweib an. "Verzeihen se, Luigi. Der ist neu." Damit nickte er zum anderen Ende der Gasse, um sich mit seinen Leuten zu trollen. Ein letzter Blick wurde mit dem jungen Wesen getauscht, das noch einmal nickte. Dann verschwanden die Männer.

Die schöne Frau unterdessen näherte sich der Alten ohne Angst. Und in einer fließenden Bewegung schob sie sich die Kapuze vom Kopf. Ein Gesicht, schön wie ein Engel und unschuldig wie eine Heilige offenbarte sich.
Ein Gesicht, dass die Hexe vor Jahren gesehen hatte. Damals in Verbindung mit einem Stein und einem Liebhaber.
Leicht legte sich das Haupt der Jungen auf die Seite. Im Mondlicht schimmerte das verführerische Rot ihrer Wangen. "Ich kenne dich, Mutter." Sie sprach wie damals. Schien sich zu erinnern. "Ist es dir gut ergangen in den Jahren?"
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La Strega
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von La Strega »

Die Hexe betrachtete Luigi und Tiziano und wartete bis diese sich entfernteen. Dabei kicherte sie gehässig und wandte dann schließlich ihre Aufmerksamkeit auf Sousanna. Neugierig besgaffte sie die augenscheinlich viel jüngere Frau.

"Ich bin immernoch alt, gebeugt und hässlich. Und Du hast Dich garnicht verändert, mein Kind. Du musst mir unbedingt Dein Geheimnis verraten."
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Sousanna
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von Sousanna »

Ein sanftes Lächeln umstrich die vollen Lippen der jungen Schönheit. Scheinbar entspannt verkreuzte sie die Arme und betrachtete ihr steinaltes Gegenüber. Damals schon waren Kühnheit und Samftmut bis zu einem Grad der Dummheit miteinander verquickt gewesen, doch wenn sie es schaffte Menschen wie Tiziano allein durch Worte zu beeindrucken, konnte sie nicht ganz das Unschuldslamm sein, das hier vor der verhutzelten Alten stand.

"Vater handelt mit den Wundern des Orients, müsst ihr wissen.", erklärte sie dann und wurde eindrucksvoll rot. Ihr Augenaufschlag besaß eine gewisse Theatralik. Er ließ sie zur Alten empor blicken, als überrage sie sie nicht. "Wo ihr so gut zu mir wart, würde er euch gewiss etwas schenken."
Ein Satz wie aus einem Lehrbuch für törichte Gutmütigkeit.
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La Strega
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Re: [1015] Der Springquell [offen]

Beitrag von La Strega »

Die Alte kicherte.

"Oh wir sind in der Vergangenheit doch so gut miteinander ausgekommen, mein Kind. Es wäre doch ein Jammer, wenn sich das ändern würde, oder nicht?"

Skeptisch blickte sie der schönen Ravnos ins Gesicht.

"Wo ist eigentlich Deine hübsche Freundin....wie hieß sie noch gleich..."

Die Hexe strich sich nachdenklich über die spröden Lippen.

"Caterina...?"
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