[1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

[Februar '19]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Signora Achilla
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[1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

“So eine elende Scheiße!” Lodovic, ein großer und breitschultriger Mann mit prachtvollem Bart und fränkischem Akzent, schimpfte lauthals an der Feuerstelle zwischen den drei bunt geschmückten und trotzdem recht herunter gekommenen Planwagen.
In dem Lager der Fahrenden, das vor Genuas Toren aufgeschlagen worden war, war das Feuer schon heruntergebrannt und ebenso die Feuer anderer Reisender, die aus dem einen oder anderen Grunde vor den Toren der Stadt lagerten. Von irgendwoher pöbelte jemand zurück. “Halt’s Maul und lass gottesfürchtige Leut’ halt schlafen!”

Lodovic war auf dem besten Wege, seinen Ärger gleich in eine gepfefferte Antwort zu stecken, da war die alternde Schönheit unter den Schaustellern, Cosa Ginevra, an seiner Seite und legte ihm die Hand auf die Schulter.
“Sshh”, machte sie. “Wir haben schon genug Ärger am Hals. Was ist denn los?”

Lodovic nickte nur stumm und mit finster zusammengezogenen Augenbrauen nach vorn, zu einem kleinen Zeltverschlag, der an der Seite eines der Planwagen angebracht war. Das Innere war weich mit Teppichen und Kissen ausgekleidet und roch nach getrockneten Blumen und sogar etwas Räucherwerk. Jetzt gerade roch es auch nach Erbrochenem und zu viel billigem Wein und Adelfo, ein junger und hübscher Bursche, kauerte darin. Sein Blick war etwas glasig, so wie er da hockte und auf seinen letzten Kunden herab sah. Der Mann war ein Fremder, was in der Natur von Adelfos Geschäft lag. Was nicht in dieser Natur lag, war, dass der Fremde offenbar mausetot war. Sein Gesicht sah ganz aufgebläht aus wie bei einem, der erstickt oder erwürgt worden war und selbst im Tode sah er noch ganz verkrampft und angestrengt aus.
“Scheiße”, grollte Lodovic noch einmal und mit Nachdruck. Cosa sah sich die Sache nur einmal an und eilte dann los, um die aufgehängten Zeltplanen und Tuche umzuspannen, so dass der Blick auf die Leiche versperrt wurde. “Ich war das nicht”, flüsterte Adelfo und begann auf einmal das Schluchzen. Seine kohleummalten Augen verschmierten mit Tränen und Schweiß zu unansehnlichen Striemen. “Ich war das nicht… .”

“Wir müssen den wegschaffen”, meinte Cosa. “Wer ist das?” Die Frage ging an Adelfo, der aber nur mit den Schultern zuckte. Viele Leute, die für ein paar schöne Stunden zu ihm kamen, sagten ihm keine Namen oder erfanden einfach welche.
“Scheiße…”, fluchte Lodovic leise weiter. “Verscharren vielleicht?”
“Sollte einer nicht begraben werden wie ein Christenmensch?” wandte Cosa ein. Adelfo begann, lauter zu schluchzen bis sie zum ihm ging, um ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten.
“Auf der Straße sind wir alle Reisende und fahren zu Gott auch ohne sowas”, behauptete Lodovic grollend und schlug noch mit der Hand ein Kreuz vor der Brust. Cosa warf ihm einen zweifelnden Blick zu. “Das war nicht einer von uns”, wandte sie ein. “Schau nur, der hat gute Kleider an und keine Reisesachen. Vielleicht kam er direkt aus der Stadt oder von den Höfen?”
“Scheiße”, grollte Lodovic erneut. “Der wird doch bestimmt wieder erkannt, wenn ihn wer bei uns findet. Der wird bestimmt morgen vermisst und dann suchen sie… .”

“Geh und hol die Signora”, schnitt Cosa ihm das Wort ab. “Wah? Wieso ich? Die dreht mir den Hals um, gleich wenn sie mit Ado fertig ist.” Adelfo, der gerade dabei gewesen war, sich in Cosas Armen ein wenig zu beruhigen, begann erneut zu schluchzen.



Etwa eine halbe Stunde später war die Signora gefunden und die Leiche aus Adelfos Zeltverschlag gezerrt worden. Jemand hatte dem Toten bereits die Stiefel aus- und den feinen Gürtel abgezogen und dessen Jacke hatte auch schon keine Knöpfe und das Hemd keinen Saum mehr. Abseits davon hatte man aber nicht viel damit anzufangen gewusst. Bisher war noch keiner einfach so zwischen den Schaustellern der kleinen Truppe tot umgefallen.
Jemand hatte Luccas, den Laienbruder und Wanderprediger aus dessen weindurchtränkten Schlaf getreten. Luccas hatte seinen Lebtag noch keine Totenriten gegeben und bekam nur so gerade eben lateinisch klingende Gebete hin, wenn er einen guten Tag hatte. Gerade nun war allerdings kein guter Tag sondern eine ziemlich schlechte Nacht.
“Wir werfen’s einfach ins Meer”, schlug Illessandra vor. Sie war eine dralle, junge Frau mit beneidenswert goldblonden Locken, die sie jetzt gerade unter einer Haube zusammengebunden trug. “Treibts dann nicht direkt den Fischern ins Netz?” fragte Adelfo, dem gelungen war, sich zu beruhigen.

Das Hin und Her nahm ein jähes Ende, als die Signora in den Lichtschein des sterbenden kleinen Feuers trat, um sich die Sache selbst einmal anzusehen. Das glutrote Licht schimmerte über die schlichte Holzmaske, die sie trug. “Packt ihn auf den Handkarren”, sagte sie nach einer Weile der Betrachtung. “Hier darf er nicht gefunden werden.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Von hinter dem Zeltverschlag gab es ein rascheln, das Knacken von dünnen Ästen und ein Seufzen. Dann ein Schlurfen, daß noch im Schatten selbst endete. Eine Silhouette war zu sehn, abgesetzt gegen den Hintergrund, mehr zunächst nicht. "Tote steigen auf im Wasser, wenn man ihnen die Zeit lässt. Und wenn man sie so liegen lässt wie ihr jetzt gerade, dauert es keine Stunde bis die Krähen sich holen, was ihnen gebührt." Ein schweres, röhrenhaftes Einatmen folgte. "Ihr solltet ihn zudecken, wenn ihr nicht wollt, daß vom wilden Getier bis zum abgerichteten Köter jeder die Fährte aufnimmt im Umkreis eines Stundenritts!" Die Stimme war - wenn man das von einer Stimme überhaupt sagen konnte - runzelig. Die fränkischen Worte wirkten gekaut und irgendwie komprimiert an einer Stelle, gedehnt an anderer, es wirkte so verzerrt und bizarr wie der Schemen, der sich vom Umriss jetzt etwas besser ausmachen ließ.

Die Gestalt, die halb im Schatten stand, trug eine Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Man sah selbiges nur ab der Nase abwärts. Es schien jung, glatt, makellos. Aber auch kalt, bewegungslos und nicht emotional zu sein. Vielleicht vor Schreck. Vielleicht vor Gleichmut. Halb gebückt, halb an den Zeltverschlag gelehnt stand der Fremde da und beobachtete. Er wirkte keinesfalls besorgt, beunruhigt oder aufgeschreckt, eher wie jemand, der aus einer Mischung von professionellem Interesse und Neugier zusah.
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Schausteller drehten sich um. Ein oder zwei scharf gewetzte Messer blitzten da in den Händen auf. Lodovic hatte seine Hand an einem der aufgestapelten, dicken Äste an der Seite. Er runzelte die Stirn - kein neuer Anblick in dieser Nacht.

Für einen Moment schient die Situation genau auf der Kippe. Da fehlte nicht viel und die nervösen Schausteller würden dem ungebetenen Zeugen ans Leder wollen. Ein Zeuge war das letzte, was sich gerade einer wünschte. Doch keiner machte die erste Bewegung dazu.

Die Signora hatte sich noch nicht gerührt. Sie nahm sich die Zeit, Jaques anzusehen. Dann machte sie eine kleine, beschwichtigende Geste zu Lodovic hin. “Was sagt er?”
Der große Mann entspannte sich ein wenig und nahm die Hand weg vom improvisierten Knüppel. Brummig begann er, die Worte des Fremden zu übersetzen.

Die Signora hörte sich das an und mit ihr auch die übrigen Mitglieder der kleinen Truppe. Mauricio, der zumindest bei Tage den Haufen anführte, schnalzte leis mit der Zunge als Lodovic geendet hatte. Er zwirbelte seinen geölten Schnurrbart und sah zur Signora, die damit recht deutlich in Wahrheit das Sagen in der Mitte der kleinen Gruppe hatte.

“Wer an unser Feuer kommt mit gutem Rat und als Freund, der muss sich nicht fürchten”, bestimmte sie und die Worte ließen die Messer verschwinden. Die Leute entspannten sich. Die unbewegte Maske der Signora verriet keine echte Regung, während sie still stand und Lodovic die Zeit gab, ihre Worte zu übersetzen.
“Jetzt stehst du schon in unserem Kreis. Sei kein Fremder und sag deinen Namen.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Jacques nickte und trat einige Schritte näher. Sein Akzent war deutlich, er war noch nicht sonderlich geübt in der Landessprache, aber immerhin schien er sich ausdrücken zu können. "Man heißt mich Jacques, den Täufer." Er machte eine leichte Verbeugung, noch mehr Schatten unter seine Kapuze einladend. Vielleicht um davon abzulenken, daß die Lippen sich nicht bewegten als er sprach. Wie ein fleischiger, hautfarbener Spiegel schien er die Maske zu reflektieren, die die Signora trug. Auch wenn die meisten Umstehenden es vielleicht nicht gemerkt haben - oder dem keine Beachtung schenkten, dafür war seine Haltung zu gebeugt, seine Kapuze zu weit vorstehend, das Licht zu schlecht und seine Bewegungen zu unstet. Man müsste sich wirklich Mühe geben. Oder es wiedererkennen, wie es Gezeichnete von Krankheit, Brandmark oder überlebende von Feuern tun würden, die ihr Antlitz selbst verstecken mussten.
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

“Für die hier und unsere Gäste bin ich die Signora Achilla”, erwiderte die Frau geziert. Sie sprach etwas langsamer als man es wohl sonst täte, wohl um Jaques Gelegenheit zu geben, sie auch zu verstehen. Das war nun keine wahllose Höflichkeit, die an irgendeinen Fremden verschwendet wurde. Es war der Beginn der Förmlichkeiten, die ein Gastrecht im Kreis um das Feuer der Fahrenden begründeten oder eben nicht. Auch wenn die Lage jetzt ruhiger schien, war sie eben doch nicht einfach. Da lag ein Toter in der Mitte von allem.

Die Signora nickte Adelfo und Luccas zu. “Mir scheint, dass Jaques hier guten Rat gibt. Wickelt den Kerl ein.” Auf ihre Worte gab es auch keinen Widerspruch, nur etwas Hin und Her, weil keiner so recht etwas überhatte, um die Leiche damit einzuwickeln. Am Ende wurde der Tote in seinen eigenen Mantel geknotet, der irgendwie wie durch Zauberhand wieder aufgetaucht war.

Die Signora hatte den Fremden während dieser Sache nie so ganz aus den Augen gelassen. Sie musste sich ja auch nicht mit Hand anlegen. “Sag, was kümmerts dich, was hier mit ihm oder uns geschieht, Jaques? Für eine Taufe ist es hier wohl zu spät.” Das klang ein bisschen nach einem Lächeln auch hinter der Maske - freundlich, jedenfalls. Vielleicht auch nur katzenfreundlich, so wie sie etwas näher zu Jaques herantrat und ihn mit einer Geste zum Sitzen im Kreis der Wagen einlud.
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Jacques wiederholte den Namen, den sie führte. Als würde er ihn mit den eigenen Lippen aussprechen müssen, um ihn zu erfassen, um sie zu verstehen. "Darf ich mich dazusetzen?", fragte er sie nach einigen verstrichenen Momenten und deutete auf einen Platz unweit des Toten. Eine wichtige Frage: Dieser Tote war nicht von den ihren, dennoch war er der ihre. Was von ihm übrig, das gehörte denen um ihn herum. Er blickte kurz auf, als die Signora die Frage stellte. "Für eine Taufe gibt es Zeit an beiden Enden des Lebens. Er geht ja schließlich nirgendwo mehr hin! Was dahingeschieden hinterlässt Gram bei denen die ihn kannten und Freude bei den Würmern im Erdreich, so hat jeder seinen Platz. Und meiner ist es, die verlorenen einzusammeln. Die, die nicht der Strohtod zuhause ereilt, aber auch nicht die, deren Körper im Kriege ihr Ende finden. Ich kümmere mich darum. Ein Abdecker für Menschen, könnte man sagen, ganz nach altrömischer Sitte, würden die Pfaffen witzeln." Er zuckte mit den Schultern.

"Der da...", zeigte er auf den Körper, der gerade in seinem eigenen Mantel verschwand, "...ist nur ein Besucher der Zelte, nicht wahr? Sein Zuhause ist aus Stein oder Holz und hinter den Mauern und Toren der Stadt. Wenn ihr ihn mir überlasst, bring ich ihn fort an einen Ort wo seinesgleichen willkommen und unseresgleichen nicht viele Fragen gestellt werden." Sein Vorschlag klang ernst, aber seine Hilfe wirkte aufrichtig. "Wenn er es nicht schon ist, wird er starr werden wie ein Brett noch bevor die Sonne aufgeht und erst in zwei Tagen werdet ihr ihn wieder gut bewegen können." Sein Kopf und Körper lehnte sich leicht nach vorn. "Man sagt, als der erste Mensch starb, erschrak er sich so sehr vor dem Tod, daß er erstarrte - und diese Angewohnheit haben sich alle abgeguckt und bis zum heutigen Tag behalten." Eine leise, aber leicht sinistere Lache folgte. Als er merkte, daß sie nicht weitergetragen wurde, verstummte er wieder und sah in die Runde, wobei sein Blick bei der Signora begann und endete.
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

Wer trotzdem über den Scherz kicherte, war Illessandra Isabetta, die in Wahrheit einen ganz anderen und wesentlich weniger klangvollen Namen hatte. Das klang recht angenehm und sie Übung darin, über wirklich jeden Scherz zu lachen, den der eine oder andere Herr, der ihr Münzen zusteckte, eben machte. Mit so einer Übung kam wohl eine gewisse Leichtigkeit, was das Lachen anging - oder ein sehr geringer Anspruch.

Das Lachen aber - oder schon zumindest der Versuch von einem Scherz und einer Geschichte - halfen irgendwie in diesem Kreis. “Ich habe die eine Geschichte auch schon einmal gehört…”, begann Mauricio, der mit seinem einen Auge schon mehr gesehen hatte als andere mit zwei. “Das geht bis die Seele wieder aus dem Körper fährt und zum Himmel fährt oder in die Hölle. Dann ist’s nur noch eine leere Hülle, so ein Körper.”
Das war schon ein düsteres Thema und die meisten machten Handzeichen wie um das Böse oder den Tod abzuwehren.

Die Signora nickte langsam. “Du kannst ihn haben, Jaques, wenn du mir dein Wort gibst, dass keiner je erfährt, dass er hier bei uns war und hier gestorben ist. Und wenn du ihn wegbringst und es gibt keine Schererei, dann sollte es dein Schaden nicht sein. Was willst du dafür haben?”

Die Frage müsste eigentlich eine ernste sein, aber sie klang ein wenig kokett. Die Signora lehnte sich ein wenig vor wie um Jaques nun doch etwas besser ansehen zu können. So nah konnte er etwas von den getrockneten Blüten riechen, die in einem kleinen Beutel in einer Falte ihres Kleides hingen. Von so nahem konnte man auch die Motten sehen, die unter dem Saum ihres Oberkleides saßen. Ein paar waren auch schon losgeflogen und tanzten im schwachen Feuerschein.
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Er lächelte, auch wenn es kaum zu sehen war. Aber zu hören war es, als er antwortete. "Es gibt am Georgsplatz in der Stadt einen Karren um den ein Bader und seine Gesellen Egel und Zähneziehen anbieten, sowie Tinkturen und Absude, Frisur und Rasur. Sie sind rauhe Burschen, aber haben das Herz am rechten Fleck. Sie haben mich gesundgepflegt auf einer langen Reise, ich bin mit ihnen zusammen hier eingetroffen - und ich hatte noch nicht Gelegenheit es ihnen zu vergelten. Also, so richtig." Er kramte ein wenig in seinem Ärmel und warf ein kleines Säckchen Klimpergeld in ihre Mitte. "Ihr seid frivoles Feiervolk, wenn mich mein alter trüber Blick nicht täuscht und versteht etwas von guter Laune, Gesang und Tanz. Macht ihnen ein Fest! Ein Fest an das sie noch Jahre mit Freude zurückdenken, lasst Gekeltertes, Gebranntes und Gebrautes fließen und nehmt ihnen für eine oder zwei Nächte die Sorgen weg, so wie ich euch den da." Er zeigte auf den Toten. "Dann sind wir gleichauf."
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

Da lachte die Signora. Sie warf ihren Kopf ein wenig zurück dabei und auch wenn die Maske nie mehr erlaubte als ihr ewiges, unveränderliches Lächeln, klang der Ton doch ganz anders und beinahe lebendig.
Das Geklimper der Münzen begleitete das, denn Cosa hatte das Säckchen bereits gefangen und den Blick hinein geworfen. Sie nickte knapp, wohl abschätzend, was mit den Münzen alles möglich war. Die Geste reichte der Signora wohl, denn sie machte eine einladende Geste zur Leiche hin.
“Einverstanden, Täufer, tauschen wir eins fürs andere.” Sie reichte ihm die Hand in einer so feinen und gezierten Geste wie ein zerlumpter Totengräber sie wohl gewöhnlich nie bekäme. Doch weder er noch sie waren sonderlich gewöhnlich und die Signora schien sich nicht um Gewöhnlichkeiten zu scheren.

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Einen Tag darauf, auf dem Georgsplatz, zum Nachmittag hin

Der Georgsplatz, der mal den Wochenmarkt und auch die großen Predigten für das Volk aushielt, war natürlich nie ganz still und verlassen. Tagsüber waren die Menschen doch immer geschäftig, mal mehr, mal weniger.
Mitten in dem allgemeinen und gewöhnlichen Treiben fielen die Schausteller schon ein wenig auf. Die Kleidung war bunter und gewagter als bei den gesetzten Bürgern oder hart arbeitenden Tagelöhnern üblich. Aber genau dafür war sie auch da: damit die Leute hinsahen und wussten, dass es sich lohnte. Damit eben einmal eher die Narretei Vorrang hatte oder damit man wusste, dass etwas Besonderes kam.

Lodovic war wohl der einzige, der nicht sonderlich bunt war und sogar aussah als würde er hart arbeiten. Gerade jetzt trug er kleines Fässlein auf der Schulter und eine Kiepe auf dem Rücken. Isabette und Cosa lenkten von dem Anblick des großen, kräftigen Mannes gehörig ab. Sie hatten sich beide hübsch gemacht, mit Lippenrot und Kohleaugen, Blumen im Haar und bunten Schleifen in den Kleidern.
Und genau so gingen sie auch hin zu den Badern, mit wiegenden Hüften und einem Augenzwinkern.

“Die Baderei, die Baderei,
hält gesund uns alle Tage
doch Nachts gibt es die Feierei
So wie ichs euch jetzt sage:

Kommt, tanzt mit uns ins Abendrot
lasst mal die Arbeit liegen
vergessen ist mal alle Not
Wenn wir im Tanz uns wiegen…”


Das war ein kleiner Auftakt, halb gesungen, halb den beiden Badern zugesagt. Adelfo, der noch hinter Lodovic die Laute stimmte, grinste recht breit, auch wenn es erst einmal nur schiefe Töne gab. Vielleicht lag das auch an seiner Aussicht an dem Weinfässlein vorbei.

“Es gibt ein Fest zu feiern!”, erklärte er. “Ankunft im stolzen Genua, eh? Und ihr zwei beiden, ihr seid geladen. Wie nennen wir’s, das Fest?”
Ado dreht sich einmal um sich selbst, weil ein Auftritt wie dieser so oder so doch immer ein paar Blicke anzog und er das Publikum durchaus genoss. “Ich hab’s! Ich weiß! “Sorgenfrei” heißt es! Packt zusammen und auf! Wir haben solang schonmal Stärkung mitgebracht.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Jacques erwiderte ihre geste und setzte ein frohes, nahezu geträllertes "Dann sei es so besiegelt!" hinzu. Er hatte sich schon Wochen über den Kopf zerbrochen, was er seinen Dienern denn mal gutes tun könnte und auch wenn er sie meistens als die kleinen Menschlein die sie waren da wahrnahm wo sie standen, wenn sein Wohl und Weh davon abhing, wie loyal und wohlgesonnen sie ihm gegenüber waren, ging er doch gern auf Nummer sicher. So lange sie noch atmeten, waren sie nützlich. Wenn sie damit irgendwann aufhören sollten, würde er für sie noch früh genug eine andere Verwendung finden - bis dahin sollten sie gut in Schuss sein - und wenn das hieß, sie vergnügen zu lassen, dann sei's drum!

Sie tauschten noch ein paar freundliche Worte, dann räumte er den Leichnam vorsichtig zusammen und hob ihn sich auf die Schulter ohne sichtbare Mühe oder Missmut. Er bedankte sich nochmal bei allen für das Plätzchen am Feuer, den Blick in die Runde noch immer beginnend und endend bei der Signora, und verschwand mit seinem neuen besten Freund in der Dunkelheit.

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Jacques hatte den Badergesellen natürlich gesagt, daß eine Überraschung auf sie wartet und sie heute den Stand irgendwann den Lehrlingen zum abbau überlassen sollten, da sie anderes zu tun bekämen. Was genau, sagte er ihnen allerdings nicht, so war die Freude um so größer bei Baptiste und Sébastien als die Hübschen und der Große sie zum Fest luden. Sie drückten das blutige Besteck zum Zähneziehen den Lehrlingen in die Hand, wuschen sich die Hände in einem nach Salbei riechenden Sud und trockneten sie an gekochten Lappen, bevor sie sich strahlend dem bunten Treiben anschlossen. "Sorgenfrei klingt gerade gut, dann lasst uns sorgenfrei werden!", johlte Baptiste, der etwas breitere von beiden, der auch als einziger vom Badertross mit einer gewachsten Schürze bekleidet war. Und so begannen sie zu trinken und taumelten alsbald schon in einen unvergesslichen Abend.
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