[1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

[Februar '19]
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora richtete sich auf ihrem Sitz auf, als er die Maske abnahm. Mit beiden Händen und behutsam nahm sie sie und hob sie an, um sie zu betrachten, zu riechen.
Sie sah dann auch zu ihm und neigte sich vor - vielleicht hätte sie ihm einen Kuss gegeben, trüge sie nicht selbst eine Maske.

“So soll es sein. Doch es darf nicht warten. Haut wie diese braucht noch Feuchtigkeit und gleichzeitig nicht, weil sie schon zu verfallen droht…”
Sie hielt einen Augenblick inne. “Du bringst mich auf einen Gedanken, der unerhört ist. Aber wieso nicht? Es kann gelingen, gerade mit dem hier. Komm.”

Damit stand sie auf, um den Wagen zu umrunden. Mit dem Ellenbogen und wohl einiger Übung und Gewohnheit öffnete sie den Verschlag hinten. Im Wageninneren lag allerlei herum, das die Truppe wohl für die Aufführungen gebrauchte, aber auch Werkzeug und Farben. Die Signora gab das Gesicht des toten Bruders in eine ovale Form, in der wohl sonst Maskenholz geprägt wurde.
“Es war dein Bruder, im Leben, seinem und deinem. Und nun ist er tot und du auch, aber sieh dich an, mit deinem Blut, das ihr einmal geteilt habt. Und was es für Kräfte haben kann! Was es aus den Lebenden macht!”
Sie blickte auf die Maske herunter und begann ein paar erste Handgriffe, um sie einzurahmen und die Form eines echten Gesichtes zu erhalten, mit Polstern aus Holz, Speckstein, Harz und Leder, auf die die Haut gelegt wurde.
“Mein Gedanke geht so: Ich beginne das Handwerk wie es sich gehört und Meister Mauricio wird auch einen Blick darauf haben, denn so eine Sache verdient den zweiten Blick. Aber es ist das, woraus die Maske ist, das sie so besonders macht. Sie soll nicht ihre Schönheit und Geschmeidigkeit verlieren…”

Und da sah sie Jacques direkt an. “Ich denke, du müsstest ihr von deinem Blut geben, damit sie mehr ist als eine tote Haut, die alt wird und verfällt.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

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Jacques nickte mit einem ernsten Gesichtsausdruck. In der Bewegung glitt ein wenig Schleim, der sein Gesicht zu bedecken schien weiter in Richtung Kinn und die Linien aus Dreck und Staub verschoben sich ein wenig. "Dann soll es so sein.", setzte er heiser hinzu und hustete etwas, als er einen seiner Ärmel hochkrempelte über einer Schüssel, die ihm die Signora hinhielt. Er biss sich ins Handgelenk und mit einem Mal füllte der Gestank von Jauche, Erbrochenem, Flieder, Fenchel und ranzigem Bratfett den kleinen Raum. Mit jedem Tropfen kamen mehr widerwärtige und unvereinbare Facetten dazu. Rost. Kampfer. Eiter. Ammoniak. Die austretende Flüssigkeit war zäh und begann sich am Boden des Gefäßes langsam zu sammeln. Mandeln. Moos. Faulender Fisch. Seife. Glück denen, die nicht angewiesen waren zu atmen!

Er leckte die Wunde zu, nachdem er fertig war, aber offenbar bereitete ihm der Geschmack ähnlich wenig Vergnügen wie der Geruch es zu erahnen schien. Mit angewiderter Mine zog er die Nase hoch, schluckte laut und atmete tief aus, was ein wenig forciert wirkte. "Blut für meinen Bruder. Blut, daß wir im Tode teilen, so wie wir Blut im Leben teilten."
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

Der Anblick und der Geruch ließen die Signora erstarren. Die Maske schützte sie womöglich vor dem Übelsten - oder eben die Tatsache, dass sie nicht atmen musste, solange sie auch nicht sprach. So schwieg sie und sah zu bis er fertig war.
Dann hob sie langsam die Hand und legte zwei Finger unter sein Kinn um sein eigenes Gesicht betrachten zu können.

“Ich werde damit arbeiten. Du kannst in einer Woche vorbei kommen und die ersten Fortschritte sehen. Die Haut wird Zeit brauchen und ein guter, solider Rahmen für die Maske, so dass du sie tragen kannst ohne dass sie dich behindert, ebenso.”
Sie sparte sich Worte über sein Gesicht oder die Versehrung, über den Gestank des Blutes oder den Tod des Bruders. Bei anderen hätte sie vielleicht Worte gefunden, halb leer, halb gespielt, halbseiden. Hier war das nicht nötig und würde keinem von ihnen beiden genügen, so fand sie.

“Mit dir zusammen können wir die Maske so formen, dass sie wieder ein Gesicht wird.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Sein Gesicht war von Furchen gezeichnet und von Dreck geziert, die Kruste des Schmutzes in den Zwischenräumen gefangen, zwischen Verfärbungen und Läsionen eingequetscht und überlappend mit schlaffer oder viel zu straffer Haut. Die kalten und völlig weißen Augen schienen sie nicht aus dem Blick zu lassen, als sie genau hinsah, genauer als er es schon lange bei jemandem zugelassen hatte. Als sie zu ihm sprach, wirkte er merkwürdig verwundbar und nahezu scheu und nickte bloß.

"Ich werde wiederkommen.", krächzte er halb heiser. Irgendwie wirkte er ohne diese Maske nicht mehr ganz. So wie eine Familie mit einem fehlenden Bruder nicht mehr ganz wäre. Er wäre sein eigener Bruder über kurz oder lang, wenn das mit der Maske so laufen würde wie es bei einem Meister der Baukunst versprochen klang. Die Kapuze tiefer denn je ins Gesicht gezogen, verließ er nach der angemessenen Verabschiedung den Wagen und die Signora.

Eine Woche später, kaum wird die Sonne untergegangen sein, würde er von außen an den Wagen klopfen.
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

So früh, so musste Jaques dann feststellen, empfing die Signora noch nniemanden. Er wurde durchaus willkommen geheißen, in diesem Fall von Cosa Ginevra, welche Jacques’ Gestalt wohl auch noch in guter Erinnerung hatte.
“Die Signora macht sich noch bereit”, erklärte sie mit einem Lächeln, das früher jugendlich zauberhaft gewesen sein musste und mittlerweile eine klaffende Zahnlücke hatte. Schön war es trotzdem noch, auch wenn Cosa die Anzeichen ihres Alters und eines ganzen Lebens als Fahrende nicht mehr verbergen konnte.

Es dauerte eine Weile. Als die Signora dann erschien, erwähnte sie die Wartezeit auch nicht mit einem Wort. Die Maske, die sie heute Nacht trug, war blank: relativ helles Holz, ein schlichter, heller Überstrich, der das zusammengesetzte Machwerk der Maske nicht recht verbergen konnte. Die Maske war offenkundig unfertig. Nur ihr Lächeln war es nicht: das war in Farbe aufgemalt, die so frisch war, dass sie noch glänzte. An einem Mundwinkel war es ein wenig verschmiert.

So lächelte die Signora und machte einen Knicks. “Guten Abend und sei willkommen. Komm. Heute Nacht machen wir ein Angesicht.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Jacques begrüßte Cosa Ginevra mit einem stummen Nicken, als sie ihm andeutete zu warten und harrte in leicht frostiger Ruhe bis die Dame bereit war. Als sie mit ihrer schlichten Maske erschien, stand er auf und lächelte zurückhaltend, immer noch in den Schatten seiner weiten Kapuze verborgen.

"Guten Abend.", deutete er eine Verbeugung an, die nahezu gespielt übertrieben daherkam. Wirkte sich die Schaustellerumgebung auf ihn aus? Oder empfand er es als angemessen der Signora gegenüber? Wer weiß. Er machte jedenfalls einige Schritte in ihre Richtung als sie bedeutete ihm zu folgen und der Vorfreude Glanz funkelte in seinen Augen. Heute würde er seinen Bruder wiedersehen.
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

In der Zeit, in der die Fahrenden schon hier draußen vor den Toren lagerten, hatten sie sich mit den Wagen und Zelten schon etwas eingerichtet. Über den Winter wäre es wohl alles andere als angenehm, aber solange das Wetter einigermaßen hielt, ließ es sich hier auch aushalten.

Die Signora führte Jacques an einen Wagen, der mit allerlei Werkzeug und Sachen für die Vorführungen beladen war. Die Plane des Wagens war aufgeschlagen und mit einer Zeltplane verknüpft, so dass darunter eine Art kleiner Werkstatt Platz hatte. Das war weit entfernt von dem, was ordentliche Handwerker und Gilden in der Stadt zustande brachten, aber hier konnten sich Kostüme nähen und flicken lassen, die Masken hingen an Bändern am Rande und in einem etwas abgeschirmten Teil konnte Jacques dann auch den Rahmen sehen, auf dem das Gesicht seines Bruders lag.

Leblos und grau sah es aus, so ganz ohne den Körper, der es trug. Doch die Haut war gesäubert und gerichtet und der Rahmen gab dem Gesicht schon die richtige Form.
Daneben standen eine Reihe von Schalen mit Ton und Wachs, weißem Pulver und öligem Fett.
“Um die Maske zu vollenden, so dass sie zu dir passt und doch ausschaut, wie das Gesicht es will und muss, muss es auch zu deinem Gesicht passen”, erklärte die Signora. “Wir machen einen Abdruck von deinem Gesicht, besonder von der Stirn und den Wangen, wo die Maske aufliegen wird. Und dann legen wir die Maske drüber und machen die Feinarbeit, zu der du uns sagen kannst, wie es auszusehen hat.”

Noch während sie so erklärte, trat ein untersetzter, nicht allzu großer Mann mit breitem, prachtvollen Schnurrbart hinzu. Er schwieg respektvoll, solange die Signora sprach. Sie machte letztlich eine Geste zu ihm und sagte: “Das ist Mauricio. Er ist ein Meister aus Venedig und weiß, wie eine Maske so gut gemacht wird wie diese es verdient. Er und ich, wir werden dies zusammen tun.”
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Jacques nickte dem Meister aus Venedig langsam zu und schaute zwischen den beiden einen Moment hin und her, bevor er das Wort an sie richtete. "Mein Gesicht wird bei Druck nachgeben und ohne Druck wird es rutschen, wenn es nicht verankert ist. Das gute Zeug...", er fuhr ein mal mit dem Zeigefinger über seine Haut, vor welchem sich augenblicklich ein transparenter Glibber zu sammeln begann, "...ist überall und wird nicht weniger!"

Er schaute zu Mauricio und grinste ihn mit seinen angefaulten und teils ausgefallenen Zähnen an. "Ihr werdet es an mir verankern müssen wie mit einem Steigeisen, fürchte ich fast. Oder gibt es da etwas, was man machen kann, was nicht unter die... hehe... Haut geht?"
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Signora Achilla
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Signora Achilla »

Man konnte es Meister Mauricio wohl zugute halten, dass er zwar eine gute Spur blasser wurde, aber ansonsten kein Aufhebens um eine Frage wie diese machte. Er sah zur Signora hin wie um eine Erlaubnis zu erfragen. Diese nickte nur einmal.

“Ja, siehst du…”, fing Mauricio an. “‘s ist ein ganz ähnliches Problem mit der Signora. Andere Gründe, schätze ich, aber eine Naht hält eben nur so lang wie das hält, woran man näht.”
Er drehte sich um und nahm eine der schwereren Theatermasken von einem Haken und drehte sie um, so dass Jaques das Innere betrachten konnte. Dort waren Lederriemen und sogar Stoff so gefügt, dass die Maske eigentlich nur an wenigen Teilen eines Gesichtes wirklich direkt auflag. Das meiste wurde von dem Leder getragen und das wiederum ließ sich um den ganzen Kopf schnallen, so dass diese recht schwere Maske nicht verrutschen konnte.

“‘s ist dasselbe Prinzip hier, Herr. Deine Maske wird leichter und soll geschmeidig bleiben wie ein feiner Handschuh, eh? Das Anpassen, was wir jetzt machen wollen, das ist für das Gesicht selbst, damit es recht ausschaut wie’s soll. Wie’s dann hält, das ist die zweite Sache, aber ein anderer Schritt. Wenn du willst, können wir auch damit anfangen, aber’s schien dir am Gesicht zu liegen und da ist auch die echte Feinarbeit drin.”

Es war schon bizarr, den etwas dicklichen, eher gemütlichen kleinen Mann so sachlich über sein Handwerk sprechen zu hören. Er strich mit beweglichen, geschickten Fingern über das Innenwerk der Maske, die er als Beispiel gezeigt hatte und man konnte fast meinen, es gehe einfach nur um ein ganz gewöhnliches Werkstück.
Als wäre da kein Unterschied. Als ginge es nicht darum, einem lebenden Toten das Gesicht seines Bruders auf das eigene zu passen.
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Jacques Benoît
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Re: [1023] Den Tod auf der Schippe [Achilla, Jaques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Jacques schien die Art von Meister Mauricio zu gefallen. Geringeres als das hätte er wohl von einem Experten seines Fachs nicht erwartet. "Ich vertrau Dir da voll und ganz, Meister der Masken.", brummte er. "Dann beginnen wir mit dem Schritt, der Dir am sinnvollsten erscheint und kümmern uns um das Anbringen später. Um den Kopf geschnallt! So soll es dann sein." Er wischte sich mit einem hervorgezogenen Tuch den Schleim von der Gesichtshaut, damit Mauricio anfangen konnte auf einer möglichst freien Oberfläche zu arbeiten. "Ich habe es schon einmal mit Puder versucht, aber das flockt und krümelt fast sofort. Kalkpulver gleichsam. Nutzen wir die Zeit." Er wischte sich noch einmal.

Und so schritt der Maskenbildner zur Tat, während Jacques ihm mit stummer und unbeweglicher Begeisterung dabei zusah. Das Präparieren der Maske war eins, ihr eine Form zu geben, die ihrer würdig war, etwas vollkommen anderes. Er war hier offenbar in guten Händen.
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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