[1026] Genußvoll (Alain, Achilla)

[Signora Achilla]

Da griff sie nach seinem Handgelenk, um ihn aufzuhalten. “Ihr wolltet hellsehen”, erinnerte sie ihn, mit einem feinen Tadel für das lange Warten in der Stimme. “Ihr sagtet, dass ich die Maske aufbehalten kann und dass Ihr dieses Gesicht berühren wollt.”
Ihr Griff war nicht grob, doch er war fest. Und er war stark - zu stark, um ihn einfach und mit Leichtigkeit abzuschütteln.
“Und so haben wir eine Wette gemacht…”, sagte sie leise. Sie trat nah genug an ihn heran, dass sie beinahe Körper an Körper standen, nur mit seinem Arm und ihrem Griff darum dazwischen.
Langsam hob sie die andere Hand und schob zwei Finger unter das Kinn der Maske, um sie zu lockern und vielleicht zu lösen.
“Ich spiele so gern”, gestand sie leise, halb geflüstert. “Aber mir gefällt es nicht, wenn der andere nicht mitspielt.”

[Alain le Beau]

Alain lässt die Hand sinken, während er nachdenklich auf die zierlichen Hände starrt, die ihn dort so fest umschließen. "Verzeiht", flüstert er ihr mit einem Zwinkern zu. "Aber ich finde euch außergewöhnlich faszinierend."

Er tritt einen Schritt zurück, schließt die Augen und macht eine grandiose, wirbelnde Geste mit den Armen. "Ich seeehe..." intoniert er "...Nachtschwärmer und Motten, welche ein Festmahl in eurer Kleidung finden." Unter den Lidern, die dramatisch flattern, beobachtet er genau die Reaktion der Signora. "Ich füüüühle..." Sein Akzent unterstreicht den Auftritt ganz hervorragend, dass kann die Bühnenexpertin beurteilen "...ich fühle den Drang zu leben, zu genießen, die Suche nach Freude..." Die Stimme wird leiser, schneidender "...lebensfroh, aber da ist etwas, etwas abstoßendes, etwas ekelhaftes..." er verzieht das Gesicht "...wie vergorene Milch, wie verrottete Früchte, Lust und Abscheu, ah, der Ekel, der Ekel!"

Demonstrativ atmet der Jüngling aus. Dann schlägt er die Augen auf und grinst breit. Schaut der Maske tief in die Augen. "Wie war ich?"

[Signora Achilla]

So gut vorgetragen es auch war, so theatralisch und ausladend mit Gesten und Akzent - es war nicht die Schaustellerkunst, die die Signora so innehalten ließ. Für einen Moment, mit dieser Vorstellung, blieb sie ganz still und starr stehen und blinzelte nicht einmal.

Dann, wie aus einem ersten Impuls heraus, wollte sie nach Alain greifen. Die Geste führte sie jedoch nicht zuende sondern legte die Hand schlicht und wie beschwichtigend auf ihre Brust - dort, wo ihr Herz hätte schlagen sollen.

“Voll Wunder”, sagte sie. Es war leise gegen das Gelärme auf dem Platz. “Der Ort hier. Gerade beginnt man, sich einzufinden und ist schon der ersten Gesichter wieder überdrüssig, die wieder und wieder und wieder um einen kreisen. Die größte Lust kann schal und fade werden, wenn sie zur Gewohnheit wird.”

Sie lachte auf einmal auf. “Ihr habt gewonnen”, erklärte sie mit einer etwas zerknitterten Art von Würde und Großzügigkeit. “Denn Ihr seid ein Seher.” Etwas spöttischer fügte sie hinzu: “Vielleicht nicht eben ein Hellseher, denn was Ihr gesehen habt, das war nicht sonderlich licht.”

Sie beließ es dabei und neigte beschwichtigend den Kopf. “Die meisten, die so weit sehen wollen wie Ihr oder noch mehr, die lasse ich. Und ich hole sie mir. Aber sie sind keine Seher, nur gierig nach mehr und etwas Neuem.” Elegant hob sie den Arm wie jemand, der einen Geliebten umarmt oder so wie sie vorhin, zwischen den Wagen und mit dem armen Tropf, der zu gierig nach ihr gegriffen hatte.
Neugierig sah sie ihn über diesen Arm hinweg an. “Das macht Euch zu etwas Neuem. Und was macht Ihr daraus?”

[Alain le Beau]

"Eine wundervolle Nacht zu viert, hoffe ich", erwidert der Jüngling und zwinkert. "Denn neue Erfahrungen sind auch mir stets willkommen. Wenngleich ich in eurem Fall mit einem sehr... intensiven Erlebnis rechne." Er nimmt ihre Hand und führt sie an seine Wange. "Ich frage mich allerdings", sagt er leise "ob ihr versteht, mit wem ihr euch in meinem Fall einlasst." Irgendwo in diesem Satz ist eine Drohung verborgen, direkt neben einer deutlichen Aufforderung. Da ist sich die Signora sicher. In der Luft liegt eine Spannung, als würden sich zwei Raubtiere in die Augen sehen.

[Signora Achilla]

Der Stoff ihrer Handschuhe war nicht besonders fein, doch bereits dünn gegriffen und ein wenig fadenscheinig. Die Wärme einer Hand fehlte und der Stoff fühlte sich kühl und trocken auf seiner Wange an.
Sie zog ihre Hand nicht fort, trotz oder auch wegen seiner Worte und des Blickwechsels. Stattdessen trat sie näher. Mit dem Daumen jener Hand an seiner Wange strich sie prüfend über die Kontur des Kieferknochens und dann zielsicher über jene Stelle am Hals, unter der sonst das Blut warm und stark pulsieren würde.

[Alain le Beau]

Alain zieht etwas überrascht die Augenbraue hoch, lässt es jedoch mit sich geschehen. Seine Haut ist warm und glatt, aber einen Pulsschlag nimmt die Signora nicht wahr. Ob sie die richtige Stelle gefunden hat?

Als der vermeintliche Hellseher seinen Kopf etwas neigt, verrutscht das Tuch, das er um seine Haare geschlungen hat. Nur ein wenig. Aber es genügt, dass die Signora einen höchst interessanten Geruch wahrnimmt. Köstlich und verlockend, herbe und süß zugleich. Der Geruch edler Vitae, der ihr Tier reizt und ihren Mund wässrig macht - metaphorisch gesprochen, natürlich. Schließlich sind solche Körperfunktionen für eine Unsterbliche nicht selbstverständlich.

[Signora Achilla]

Das war ein Duft, den sie nicht erwartet hatte und es traf jäh und unvorbereitet. Die Maske milderte jede Art von Geruch ab, doch niemals ganz, zum Glück. Sie wollte das Tuch fortreißen. Sie wollte weiter über diese zarte Wange streichen. Sie wollte wieder diese Drohung in seinen Worten hören, gesprochen wie geronnene Stärke oder eine Herausforderung.
Sollte sie es wagen? Die Signora spielte mit dem Gedanken und hob etwas die Hand, um an dem Tuch zu zupfen. War dort Blut? War er wie sie? Vielleicht war er ein Zauberer aus irgendeinem fernen Land? Für einen Augenblick war sie sich nicht sicher, ob sie sich fürchten oder die Ungewissheit genießen sollte.

Die Signora wollte niemals ihre Nächte mit Furcht und Zaudern verschwenden. Und darum schickte sie sich an, dieses Tuch langsam fort zu ziehen.

[Alain le Beau]

Als ihre Finger das Tuch berühren, weiten sich die Augen des Jünglings etwas. Er tritt rasch zurück und lächelt entschuldigend. "Ich bin überfallen worden", sagt er. "Offenbar schätzt nicht jeder, was ich tue." Leicht lupft er das Kopftuch. Darunter wird ein Verband sichtbar. "Nichts ernstes, aber ich möchte nichts riskieren." Jetzt, wo der leicht rosane Verband offenliegt, ist der verführerische Geruch noch stärker.

Der vermeintliche Hellseher legt den Kopf leicht schief und mustert die Signora nachdenklich. Dann tritt er wieder auf sie zu und streicht sanft über ihre Schulter, den Arm herunter. Sein Gesicht hat erneut das einladende Grinsen, das kecke, herausfordernde Grinsen. Er fühlt ihre Formen unter dem Stoff, streichelt sie gekonnt. Gleichzeitig scheinen seine Finger etwas zu suchen...

[Signora Achilla]

Mhmm, süßer Duft. Leben roch so, flüssige Momente… . Achilla schloss halb die Augen, um den Geruch tiefer einzuatmen, sobald er wieder näher trat. Sie scherte sich nicht um seine Hand in ihrem Rücken. Sie legte dafür die ihre in seinen, für einen besseren Halt. Ein wenig musste sie sich strecken, auf die Zehenspitzen stellen, um dem Duft näher zu kommen.

“Ich glaube Euch kein Wort”, flüsterte sie ihm ins Ohr. Es klang verzerrt durch die Maske, die nicht für solche Nähe gemacht war. Die Maske dämpfte den Geruch noch immer ab, doch nicht genug, dass Achilla nicht ahnte, dass der Unterschied zwischen diesem Blut an ihm und jenem, das ihr noch auf der Zunge lag war wie der zwischen Wein und Wasser. Beides sättigte den Durst, auf eine Weise. Nur eines genügte wirklich.
“Einer wie Ihr wird nicht überfallen. Habt Ihr’s nicht kommen sehen?” Es war nur ein milder Spott - eigentlich wollte sie nur davon ablenken, dass sie an diesen Verband kommen wollte, mit der anderen Hand.

Er seinerseits konnte unter seinen Händen den Stoff des Kostüms spüren. Dazu gehörte eine Art Überwurf, dessen Farben schon ausgeblichen waren, aber mit aufgestickten Sternen, Mond und Sonne sah er doch noch mystisch genug aus, um zu der Maske zu gehören. Das Kleid darunter gehörte nicht mehr zum Kostüm. Es war etwas zu ausgefallen für gewöhnliches Stadtvolk, hatte ein paar Fransen und Troddeln. Der Körper darunter fühlte sich ...anders an. Eigenartig. Keine Wärme, aber auch nicht die ebenmäßigen Kurven, die die Form doch versprach. Vielleicht trug sie mehr darunter? Glatt und fest hier, seltsam eingefallen und nachgiebig dort.

[Alain le Beau]

"Ha!", entfährt es Alain und er muss grinsen. "Wenn es so einfach wäre mit der Hellseherei!" Obgleich er auf ihre Neckerei eingeht, erkennt die Signora, dass ihr Gegenüber sehr genau darauf achtet, was sie gerade mit ihren Händen anstellt. Dann tritt er zurück, entzieht sich ihr erneut.

"Ich dachte, ich hätte heute einen Geist auf der Bühne gesehen. Aber nun bin ich nicht mehr sicher, ob sich unter all diesem wunderbaren Stoff nicht etwas viel Interessanteres verbirgt." Er schließt kurz die Augen. "Motten..." murmelt er langsam, so, als ob in seinem Kopf noch die Eindrücke nachhallen würden. Er schüttelt sich leicht und betrachtet die Maske wieder, offenbar unschlüssig.

"Was meint ihr..." sagt er leise. "Sollen wir Mysterien austauschen?"