[1027] Lehren, die das Leben schreibt [Gasparo, Achilla]

[April '19]
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Signora Achilla
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[1027] Lehren, die das Leben schreibt [Gasparo, Achilla]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Schaustellerei lief nicht allzu übel. Die kleine Truppe um die Signora Achilla - vordergründig um den “Magnificio Mauricio” - hatte sich in Genua eingelebt. Die Schausteller mochten wechseln, denn das war eine ganze eigene kleine Welt von persönlichen Dramen, Eitelkeiten und Tragödien. Ein Schaustellerleben war oft ein sehr kurzes, aber für die Pracht der Märkte und Feste, den Rausch eines Lotterlebens oder die gewisse Narrenfreiheit, die man mit Maske und Kostüm doch besaß, wagten doch viele den Schritt oder rutschten irgendwie hinein in die Scheinwelt der Schausteller.
Doch insgesamt lief es eben ganz passabel. Auf den Märkten trat man auf, zu Festen sowieso, reiche Leute konnten die Truppe anheuern und es gab einmal im Mond sogar ganz ansehnliche, redliche und sogar religiöse Spiele: In San Damiano im Sesterie Platealonga wurde einmal im Monat eine der Predigten um durchaus würdevolle und ernsthafte Darstellungen erweitert. Das half auch den einfachen Leuten, deren Latein nicht gut genug war, um den Prediger auf der Kanzel ganz zu verstehen.
Alles in allem also nicht zu übel.


Doch das hieß nicht, dass alles immer eitel Sonnenschein war. An diesem Markttag war nicht viel für die Truppe herumgekommen und die Stände wurden schon abgebaut oder geschlossen und trotzdem war nicht genug zusammen, um jeden satt zu bekommen. Mauricio, der meistens auf einer Kiste stehen musste, um größer zu wirken, wenn er seine Ankündigungen machte, rieb stirnrunzelnd ein paar Münzen aneinander und sah auf die restliche Ausbeute. Ein paar Eier, etwas altes Brot und Rüben, Reste von der Käserei und eine handvoll Nägel. Immerhin, alles brauchbar. Im Lager gab es noch ein paar Vorräte und etwas Wein.
Mauricio zwirbelte seinen durchaus prächtigen, geölten Schnurrbart, schmatzte einmal und erklärte dann der verschwitzten, vom Straßenstaub etwas grauen Truppe: “Für heute langt’s schon noch, aber ‘s braucht was neues. Wir gehen raus vor die Stadt und sobald’s dunkel wird, üben wir am Feuerspucken. Und davor ein paar von den Szenen für das, was die Signora vorhat. Ihr wisst schon.”
Das löste allgemeines Stöhnen aus. Die Signora hatte in der Tat großes vor: Sie wollte nicht nur ein paar einzelne Possen oder Szenen sondern etwas unerhört neues (oder altes), nämlich eine ganze Geschichte. Es war nicht einmal ihren eigenen Leuten ganz klar, wer die Geduld und Muße haben sollte, sich so etwas anzusehen, das sicher eine halbe oder ganze Stunde dauern würde, aber da war wohl nichts dran zu rütteln. Und zugegeben, die Heiligenszenen, die sie alle oft mitspielten, brachten immer solide etwas ein. Das waren auch durchgesprochene Handlungen - nur eben nicht gleich so lang.

Doch das Wort der Signora galt für gewöhnlich und Mauricio war ohnehin immer auf ihrer Seite, also half kein Murren. So zog die Truppe für die Nacht außerhalb der Stadt, denn solange es noch warm genug war, gab es da draußen genug freie Plätze, wo man herumlungern und üben konnte, ohne dass gleich irgendwer sich beklagte oder es wegen des Feuers mit der Angst zu tun bekam.
Es wurde noch ein kleiner Umweg gemacht, um dem Rest des Haufens bescheid zu geben. Ein paar schlossen sich an, darunter auch die Signora selbst, die ihren Entwurf endlich leibhaftig sehen wollte.


Draußen, vor der Stadt, war schnell ein kleines Lager improvisiert. Bernard und Rica, beides blutjunge Neulinge unter den Schaustellern, mussten sich um das Saubermachen kümmern, während der Rest Lichter genug aufstellte, dass noch etwas geprobt werden konnte.
Das “Stück”, wenn man es so nennen wollte, handelte von Genua selbst und dem Krieg gegen Sardinien. Es gab ein paar einzelne Szenen, aber es fehlte noch der rechte Pfiff.
Die miesen Sarden und auch die Muselmanen wurden von allen gespielt, die nicht gerade etwas andere vorsprachen. Die Genuesen waren diejenigen, die auch Texte sagten: mutige Kapitäne auf See oder Befehlshaber in dem einen oder anderen Kampf. Noch fehlte aber einfach ein roter Faden und insgesamt die Disziplin.
Die Signora versuchte, ihre Leute anzutreiben, aber keiner war gewohnt, sich einen festgeschriebenen Text zu merken oder wie das Ganze am Ende aussehen sollte.

Dann aber kam eine gar nicht so üble Idee auf: Das Stück mit seinen kämpferischen Szenen und doch etwas gestelzten Dialogen brauchte einen Erzähler, der es dem Volk auf der Straße näherbringen sollte! Einen gütigen Lehrer oder Priester vielleicht, der das eine oder andere erklärte und die Zuschauer bei der Stange hielt.
Lodovico, der mit der Idee gekommen war, warf sich dafür eine braune Sackrobe über, spuckte in die Hände und fuhr sich ein paar Male damit durch das Haar, so dass es ordentlicher aussah. Und dann fing er an:

“Es begab sich im Jahr 1016, also vor zehn Jahren ungefähr…”
“...das war nicht ungefähr, Ludo”, bemerkte Adelfo, ein hübscher junger Bursche, von der Seite her. Die Signora schnalzte mißbilligend mit der Zunge, um ihn im Zaum zu halten.
“...also vor zehn Jahren, da hatten die guten Leute und die noble Herrschaft von Genua allen voran genug davon, dass Heidenvolk und Muselmanen ihre gierigen Hände nach Sardinien ausgestreckt hatten…”
Adelfo, der noch in einem Muselmanenkostüm mit Turban und spitzbärtiger Halbmaske steckte, improvisierte ein paar finstere Posen. Isabetta versuchte sich sogleich darin, eine ausgebeutete und geknechtete Magd aus Sardinien zu mimen. Das machte als Grund für einen Krieg schon einmal etwas her. Die anderen fielen sogleich in das Schaustück ein, während Ludo erklärend fortfuhr:

“Und so machten die tapferen Streitkräfte von Genua sich bereit. Stolze Schiffe und prächtige Krieger…”
Das wollte jeder gern darstellen. Es gab einige Augenblicke Chaos, weil die, die eben noch finstere Heiden gespielt hatten, auf einmal stolze Genuesen sein wollten. Das ordnete sich aber schnell - im Improvisieren hatten sie alle gute Übung.

Und so ging es fort. Ludo schien großen Gefallen an seiner Rolle als Erzähler zu finden. Sonst war er immer eher der Mann fürs Grobe. Früher hatte er auch mal als Eisenbieger und starker Mann das Publikum angezogen, bis er einen üblen Hexenschuss im Rücken gehabt hatte. Aber das er so ein passabler Erzähler sein konnte, hatte zuvor keiner vermutet.

Die Stimmung in der Truppe hob sich merklich, als die Geschichte der Signora so endlich etwas wie Gestalt und einen roten Faden bekam. Und auch die Signora selbst schien viel zufriedener, je besser alles lief.
Es ging schon auf die Mitternacht zu, als sie endlich Schluss machten. Die mitgebrachten Weinkrüge wurden angebrochen und die Proben klangen so langsam aus. Ludo, noch immer in seiner Robe, stolzierte etwas auf und ab. Vielleicht hatte er selbst nicht gedacht, dass es so gut funktionieren würde. Nach der Sache mit dem kaputten Rücken hatte er lange nicht gewusst, wofür er eigentlich zu gebrauchen sein würde.

So ging er ein paar Schritte vom Lager weg, um Atem zu schöpfen und sich vielleicht einen passablen Stock zu suchen, wie man ihn gut als Teil des Kostüms gebrauchen könnte.
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Gasparo
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Gasparo »

Jemand klatschte in die Hände, einmal, zweimal, dreimal. Nicht laut, aber vernehmlich. Als Lodovico sich umsah bemerkte er etwas abseits stehend den Mann, der ihm applaudiert hatte. Es war eine untersetzte, kräftige Gestalt. Ein glattrasiertes Kinn war stach unter einem von einem Umhang verhüllten Gesicht hervor. Der Fremde trug einen Lederharnisch über einem grauen Gewand, nicht schäbig aber auch nicht nobel. In einer Lederscheide, die an seinem Gürtel befestigt war, steckte ein Messer, in der Art eines Schmalsax.

Die Straße zu einem der Stadttore war nahe. War er ein Wanderer, der die Schaustelle belauscht hatte?

„Mein Freund, was bist Du für ein gescheiter Mann, ja?“ Die Stimme war rau und tief, auch wenn der Ton jovial erschien. „Ich habe einen Teil Deiner Rede gehört. All diese klugen Worte ...“ Er machte einen Schritt auf Ludo zu und hob dann eine Hand, als ob er ein scheues Tier vor sich hätte. „Verzeih, mein Freund, ich bin zufällig auf Dich und Deine Truppe gestoßen, als ich meiner Wege ging. Ich will Dich nicht erschrecken, mitten in der Nacht, ja? Mein Name …“ Er legte die andere Hand auf seine Brust. „... ist Crispianus.“

Nun, da die Distanz etwas geringer war, konnte man ein schiefes Grinsen auf Crispianus Gesicht erkennen, aber auch eine tiefe Narbe in seinem Mundwinkel.

„Darf ich fragen, was es war, dass Du gerade vorgetragen hast? Hast Du einen Moment Zeit übrig?“ Beide Hände zeigten nun, mit den Handflächen nach oben, in Ludos Richtung, eine bittende Geste.
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Signora Achilla
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Signora Achilla »

Überrascht und aus seinen eigenen Gedanken gerissen, wandte sich Lodovico um, um zu sehen, wer ihm da Beifall gab. Er wirkte erst ein wenig überrumpelt, doch dann eindeutig geschmeichelt von den Worten des Fremden. Jemand wie er musste für gewöhnlich auch keine große Angst vor nur einem Einzelnen haben.

Er fuhr sich mit einer Hand durch das krause Haar und sah sich seinerseits Crispianus neugierig an. Es war schon dunkel, doch der Feuerschein vom Lager her und das Mondlicht halfen noch gut genug.
“‘s ist ein Stück über Genua und den Krieg”, erklärte er. “Damit sich die Leute recht erinnern.” Das war zwar nicht ganz so, wie die Signora es erklärt hatte, aber es war, wie Ludo es hatte verstehen wollen und wie er auf die Idee mit dem Erzähler gekommen war. “Die Leute, die’s sehen, sollen auch verstehen. So ein Krieg ist viel Getümmel und die Menschen wissen oft nicht vorn von hinten zu unterscheiden. ‘s braucht gute Befehlshaber, wie gezeigt, aber so im Nachhinein sollen die Leute sehen, wie das alles so kam.”
Ludo rieb sich seinen Bart, dachte noch einmal nach und nickte dann. Er hatte den Teil ausgelassen, in dem die Zuschauer hauptsächlich wichtig waren, weil sie die Geldbeutel an der Seite hatten, aber das war ja auch nichts, das man jedem auf die Nase band.

Er lächelte Crispianus einmal zu. “Ich bin Lodovico, Herr Crispianus. Das ist eine gottdunkle Stunde, in der du noch hier draußen umgehen musst, aber du scheinst dir zu helfen zu wissen.” Kurz ging Ludos Blick bedeutungsvoll zu der Bewaffnung an Crispianus’ Gurt.
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Gasparo
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Gasparo »

Crispianus sah kurz zu seinem Haumesser herunter und winkte dann jovial ab. „Ach, weißt Du, dies dient nur der Abschreckung. Es sind ja durchaus noch andere Gestalten unterwegs als Leute wie Du und ich. Banditen, Wildtiere … abscheuliche Sachsen!“

Inzwischen stand er Lodovico gegenüber. Der Schauspieler konnte nun noch weitere Narben erkennen, die der Fremde unter der Kapuze verbarg. Der freundliche Fremde war offenbar vom Schicksal schwer gezeichnet.

„Eigentlich lebe ich in Genua ...“ Er nickte in Richtung der Mauern. „ … aber leider sind die Stadttore bereits geschlossen. Diese Stadtwachen sind wirklich strenge Gesellen.“ Er seufzte übertrieben. „Aber Glück im Unglück, dass ich Zeuge Deines Talents wurde.“

Er schien sich das Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. „Du erklärst den Zuschauern also praktisch den Krieg, ja, die Schlachten und die Generäle? Das macht Dich zu einem Lehrer, mein Freund!“

Er drehte sich um und zeigte hinter sich in die Dunkelheit, wo die Straße lag und er wohl ursprünglich hergekommen war.

„Ich stehe in den Diensten eines Magisters, der ganz versessen auf dieses Zeug ist. Vielleicht kannst Du kurz Deine Rede vor ihm wiederholen? Ich bin sicher, er würde das mit ein paar Münzen belohnen. Der Herr ist sehr großzügig, ja?“

Crispianus grinste freundlich, auch wenn die Narben und das rohe Gesicht ihm keinen Gefallen taten. Seine Hand gestikulierte in Richtung seines Harnisches, wohl um seine Aussage zu unterstreichen, und ging zwei Schritte rückwärts.
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Signora Achilla
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Signora Achilla »

Schmeicheleien oder Komplimente hört jeder gern und Ludo ganz gewiss, so wie er Crispianus zuhörte. Er rieb sich etwas verlegen den Hinterkopf. “Nja, Herr, ich bin nich’ eben ein Gelehrter”, sagte er. Aber ganz so sehr wollte er sich auch nicht kleinmachen, also fügte er hinzu: “Aber gerade für die einfachen Leut’ ist’s wohl auch einfach genug genannt!”

Er grinste ein wenig. “Ich kann wohl bei deinem Magister vorsprechen, aber du musst wissen, wir proben ja noch und ‘s ist ja auch nicht irgendeine Posse vom Markt. Wenn ich dahergehe und das alles woanders ausplaudere, woran wir noch proben, das könnte ne Tracht Prügel setzen, eh?”
Ludo runzelte die Stirn. Normalerweise war er derjenige, der in solchen Lagen die Prügel austeilte. Verkehrte, verrückte Welt, an diesem Abend.

Trotzdem ging er die paar Schritte mit Crispianus mit. “Wenn du eh hier draußen warten musst, könntest du auch mit ans Feuer kommen. Wir haben Wein und Brot”, bot er an.
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Gasparo
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Gasparo »

Crispianus hielt einen Moment inne und musterte Ludo von oben bis unten, dann winkte er ab und lachte heister. „Oh, Du scherzt mit mir, ja? Sehr gut, sehr gut. Kluge Menschen haben immer einen Witz auf den Lippen, so scheint es. Lass uns nachher speisen, mein Freund. Wir können meinen Herrn ja nicht alleine hier in der Wildnis zurücklassen.“

Er drehte sich um und murmelte vor sich her. „Kein Gelehrter … ha.“ Crispianus drehte sich mehrmals um als die beiden Männer die kurze Strecke zur Straße hinter sich brachten und nicht weit entfernt stand eine Laterne am Boden. In Ihrer Nähe, am Rande des Lichtscheins, den sie warf, stand Crispianus Meister.

Die hagere, große Gestalt stand so unbeweglich da, dass man sie von weitem für einen dünnen Baum hätte halten können. Erst, als sich Ludo und Crispianus näherten konnte man erkennen, dass er ein schwarzes, kostspieliges Gewand mit gelben Ärmeln trug. Ein Wollumhang hing über seinen Schultern. Sein schwarzes Haar war sorgfältig nach hinten gekämmt. Die Hände waren hinter seinem Rücken verschränkt. Selbst in diesem Zwielicht konnte man erkennen, dass seine Haut blass war. Der stechende Blick seiner braunen Augen ruhte auf Lodovico. Sein Gesichtsausdruck war unlesbar, emotionslos und passiv.

Ludo konnte sehen, wie Crispianus sich schnell aber tief verbeugte, ohne aus dem Schritt zu kommen. „Herr, dies ist Lodovico, der Kenntnisse über Geschichte und Ora- über das Reden hat. Ich habe es selbst gehört, ja.“

Die prüfenden Augen hatten Ludo nicht verlassen. Nun vor ihm stehend musste der Schauspieler erkennen, wie unwirklich dieser offensichtlich reiche, vornehme Städter in der Wildnis bei Nacht wirkte.
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Signora Achilla
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Signora Achilla »

Unwirklich und fehl am Platze. Ludo kroch ein Schauer über den Rücken. Seit er mit der Truppe des “Magnificio Mauricio” reiste, hatte er schon ein paar unheimliche Gestalten gesehen, doch dann war er nie allein gewesen.

Und auf der anderen Hand sah dies wie ein reicher Mann aus und reiche Leute hatten dicke Geldkatzen und sie hatten Einfluss, oft auch Gefolge und man tat insgesamt gut daran, ihnen zu gefallen anstatt sich mit ihnen anzulegen.
So lächelte Lodovico tapfer und brachte eine ordentliche Verbeugung zustande. Er warf dabei noch einen unsicheren Seitenblick auf Crispianus. Was nun?

“Eine gesegnete Nacht, Herr”, versuchte er in etwas aufpolierterem Italienisch als es ihm sonst von der Zunge kam. “Eine Schande, dass die Tore sich vor Euch geschlossen haben. Aber zum Glück ist es eine freundliche Nacht und trocken genug.”

---

Auf dem kleinen Platz um das Feuer her kreiste mittlerweile der Weinkrug. Reste von Brot, Käse und ein Beutel Nüsse wurden geteilt. Die Signora besprach sich mit Mauricio, der wahrscheinlich auch lieber Wein und Brot gehabt hätte, doch ihre Freude an der Idee und wie das Stück Gestalt annahm, war zu ansteckend für ihn. Er konnte ihr nie irgend etwas abschlagen.
“‘s ist trotzdem noch etwas farblos”, brummte er unsicher. Er wollte sie nun auch nicht erzürnen.
“Wir können sehen, ob wir Gönner gewinnen. Wer da gefochten hat, der will seinen Namen wohl auch bekannt gemacht sehen?”, überlegte die Signora.
“...umh.. und dann machen wir halt unterschiedliche Szenen. Die Pfeffersäcke und noblen Herrschaften bezahl’n halt und wir bringen dann auffe Beine und Bühne, wasse wollen…”
Er kniff die Augen zusammen und rechnete sich schon aus, was man vielleicht verlangen konnte ohne dass man gleich mit einem Stiefeltritt wieder aus der Tür befördert wurde.
“Wir müssen ein paar gute Szenen bringen, dass die Leute aufmerksam werden. Und dann sehen wir, dass wir Gönner damit gewinnen. Wo ist Ludo? An ihm wird es hängen.” Die Signora sah sich um, aber der große Mann war nirgendwo am Feuer zu sehen.
“Kühlt sich hoffentlich den Kopf, bevor der noch zu heiß und groß wird”, brummte Mauricio, nun in der Tat ein wenig eifersüchtig auf den anderen. Er wurde immer eifersüchtig, wenn die Signora jemand anderen mit Lob bedachte.

Die Signora warf einen Blick hinüber zu der schon deutlich angetrunkenen Truppe. “Halt die Leute zusammen”, sagte sie. “Ich gehe einmal nachsehen. Wer weiß, vielleicht findet sich noch etwas anderes… .” Das war eher der Hunger, der aus ihr sprach, aber sie machte sich nicht die Mühe, das zu erklären. Weshalb auch.
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Gasparo »

Gasparo musterte Lodovico kühl, ohne auf seine Begrüßung zu reagieren. Stattdessen wandte er sich nach einem Moment der Stille seinem Leibwächter zu. Seine Stimme klang gedämpft und unzufrieden.

„Dies kann nicht dein Ernst sein, Crispianus. Du solltest es nach den Jahren besser wissen. Sieht dieser Gaukler für dich wirklich wie jemand aus der jahrelang Historie und Zeitgeschehen studiert hat?“

Crispianus wich einen Schritt zurück und sog etwas Luft ein. Offenbar war er von der Reaktion des anderen Mannes überrascht.

„Ich hatte dir wirklich mehr Aufmerksamkeit zugetraut,“ fuhr der Lehrmeister fort. Ohne Ludo anzusehen gestikulierte er etwas abfällig in die Richtung des Schauspielers. „Dieser Sack den er trägt … hat der dich etwa überzeugt? Oder die Tatsache, dass vor den Toren der Stadt einen Vortrag hält, vor einer Gruppe wandernden Volkes?“

„Nun … die Mönche tragen auch nicht bessere Lumpen und dieser Kerl -“

„Genug!“ Gasparos Stimme war scharf wie der Knall einer Peitsche, als er Crispianus unterbrach. „Du hättest es besser wissen sollen.“ Ein arroganter Blick fiel wieder auf Ludo. „Hast Du ihm meinen Namen genannt?“

„Nein, nein ... er weiß nichts.“ Lodovico merkte, wie angespannt die beiden anderen Männer waren. Dann spürte er, wie Crispianus ihm eine Hand auf die Schulter legte und langsam aber bestimmt weg zog von seinem Meister.
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Signora Achilla »

Ludo wich schon schon von ganz allein zurück, um nicht länger als nötig dem Zorn dieses Fremden ausgesetzt zu sein. Er wusste nicht einmal sicher zu sagen, warum das so war - normalerweise war er kein Feigling oder Drückeberger. Auch, wenn es sicher schlau war, gegenüber hohen Herrschaften nicht das Maul aufzureißen, beschlich ihn dann doch nicht so ein mulmiges Gefühl wie jetzt. Der Herr musste jemand wirklich Wichtiges und Mächtiges sein, so dachte er bei sich. So etwas merkte man eben, oder nicht?


Die Signora hatte den harschen Wortwechsel nicht zur Gänze mitbekommen, aber sie war letztlich dem Klang der Stimmen gefolgt und sah zu, wie Crispianus Lodovico beiseite zog. Sie hielt inne, um den Moment einzuschätzen. Wer war der Fremde? Ungewiss. Wichtig oder wenigstens reich genug, um sich einen Handlanger zu leisten? Gut genug, um mit ein paar mehr von den Schaustellern zurück zu kommen und ihn auszunehmen? Oder würde das nur mehr Scherereien bringen als Gewinn?

Der Impuls, im Verborgenen zu bleiben, lag ihr im Blut. Es war ein Geschenk der Nacht an sie, so hatte sie es immer gern gesehen. Doch sie hatte es auch oft genug abgelehnt und aufgespart. Die Signora Achilla hatte auch die Bühne im Blut, und das Schauspiel. Sie hatte die Wahl und hier draußen fühlte sie sich sicher genug, um auch etwas zu wagen.

Und so trat sie etwas näher an die drei Männer heran und hob die Hand wie um Lodovico wieder bei sich willkommen zu heißen. Wie auch immer er in dies hineingeraten war, war dahinter doch vermutlich keine Arglist gewesen. Er war eben nicht unbedingt der Hellste.
“Ich hoffe, der Ärger kann Euch schnell verfliegen”, sagte sie laut genug dass die drei auf sie aufmerksam werden konnten, wenn sie sie nicht zuvor schon gesehen hatten. Achillas Kleid heute nacht war kein zu Auffälliges sondern eher fest und robust genug für die Proben hier draußen - und den Versuch, später doch wieder in die Stadt hinein zu gelangen, natürlich.
Die Maske, die sie heute Nacht trug, war eine kleine Spielerei des Maskenschneiders und von ihrer eigenen Hand: weiß mit dem roten Kreuz darüber und der Flagge Genuas nachempfunden, mit ein paar Malereien und Muscheln verziert, als ein in Farbe und Zierart gezollter Respekt vor der Seemacht der stolzen Stadt.
“Man sollte sich auch wohl nicht vor den geschlossenen Toren streiten”, erklärte sie. War da ein sachter Tadel in der Stimme der Signora? “Das lockt nur Gesindel an.” Dies letzte jedenfalls, klang durchaus nach einem Hauch von Selbstironie.
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Gasparo
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Re: [1027] Lehren, die das Leben schreibt (Gasparo, Achilla)

Beitrag von Gasparo »

Als er die neue Stimme vernahm legte sich Gasparos Stirn in Falten, was in der Dunkelheit aber wohl kaum jemand zur Kenntnis nehmen würde. Diese Nacht gestaltete sich fortschreitend ärgerlicher. Erst hatte Crispianus ihm Beute angeboten, die offensichtlich minderwertig war und nun wurden sie noch unterbrochen von einer Maskierten. Wer waren diese Menschen? Genua schien weiterhin seine Anziehungskraft auf Merkwürdigkeiten auszuüben.

Crispianus reagierte inzwischen körperlicher. Sein Hand umklammerte den Griff seiner Waffe, auch wenn er da Haumesser nicht zog, und mit einer schnellen Bewegung positionierte er sich zwischen Gasparo und den Schauspielern. Misstrauisch wanderte sein Blick zwischen Ludo und der Signora hin und her, wobei die maskierte Frau nicht besonders bedrohlich aussah. „Geht zurück zu Eurem Lager, ja? Hier gibt es nicht zu sehen.“ Seine Haltung machte klar, dass vor allem Lodovico zurück weichen sollte.

Der hagere Lehrmeister überragte seinen Leibwächter etwas und er schien sich noch etwas zu recken, um einen Blick auf die Details der Maske zu erhaschen. Die Sorgfalt, mit der sie verziert war, erregte seine Neugier. Sollten doch eine Spur von Tiefgang unter diesen Schnorrern und Bettlern zu finden sein? „Es gibt keinen Streit.“ Gasparos Stimme machte eine Feststellung, keine Behauptung. Seine feste, autoritäre Stimme schien keinen Widerspruch zuzulassen.
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