[1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

[Juni '19]
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Mittlerweile, vielleicht all der Bewegung und Aufregung geschuldet, tanzten ein paar Motten um die Signora her. Ein paar andere auch um die verschiedenen Lichter in der Halle. Ihr Flattern sorgte hier und da für einen ruckartigen, bizarren Schattenwurf. Die Szene wurde ein wenig unwirklicher.

Maestro Mauricio zog beinahe die Sängerin von der Bühne, die mit hoch erhobenem Haupt davon herunter stolzieren wollte. Er zog sie beiseite, noch während Alain sein Urteil sprach und ein zwar leiser doch offenkundig hitziger Streit zwischen beiden entbrannte sofort. Drama gehörte wohl zum Bühnengeschäft!

Das führte allerdings auch dazu, dass gerade niemand recht die Schausteller zusammen hielt und für etwas wie Ordnung sorgte. Doch die beiden vorigen Vorstellungen hatten wohl wieder Mut gemacht. Und so sprangen zwei junge Männer auf die Bühne:
Einen davon kannte Alain wohl bereits. Das war Adelfo, der schöne Jüngling mit seinen weichen Locken und langen Wimpern. Ein paar Jahre waren seit der leidenschaftlichen Begegnung wohl zwar vergangen, aber Adelfo schien nicht gealtert. Wahrscheinlich kostete er Vampirblut. Ob die anderen das auch taten oder nicht, war schwer zu sagen. Die Truppe war bunt gemischt. Alles war möglich.

Der andere junge Mann war kräftiger und muskulöser - ein junger Herkules, wenn man es etwas großzügig sehen wollte. Und wenn schon nicht richtig ein Herkules, dann doch trotzdem ansehnlich muskulös.

Die beiden verbeugten sich schwungvoll und der eine machte eine Geste zu den Geschwistern hin. Leier und eine einfache Hirtenflöte waren es diesmal und dazu die Trommel.
Die Signora sah sich das kurz an. Bevor sie allerdings die Maske dafür selber finden musste - Mauricio und Cosa schienen immer noch beschäftigt - reichte ihr die blonde Hünin eine Maske. Die war glänzend lackiert und poliert und sah aus wie ein Abbild von einem rosigen Menschengesicht. Doch eine rote Stoffzunge hing vorn aus dem aufgerissenen Mund heraus und die Nase sah ein bisschen aus wie die von einem Ferkel, mit großen Nasenlöchern, die eher nach vorn zeigten als nach unten. Hässlich lüstern sah das aus - mit so einer Maske würde wohl ein Lüstling durchs Dorf getrieben werden, wenn er eine zum Spott noch dazu bekäme.

“Leben ist vergänglich und so ist die Lust”, begann die Signora. “Adelfo und Loardo, zwei Söhne Italiens in der Blüte ihrer Jugend! Die zwei werden nicht singen - dafür wollen sie zeigen, dass es auch für andere Sinne als das Gehör wohl gute Kunst gibt!”

Es fing langsam an, mit der Trommel und einem eher schnarrenden Streichen über die Leier. Laurelle - oder Sebastian? - klopfte die Trommel mit dem lumpenumwickelten Fuß, so dass sie die Hände für die Flöte frei hatte, doch noch schwieg das Instrument.

Was nun begann, war ein Tanz, der auf keiner offenen Bühne einer gottesfürchtigen Stadt seinen Platz gehabt hätte. Zu eng gerieten die Männerleiber aneinander, zu anrüchig, zu kraftvoll, zu gewagt waren die Schritte. Es war ein Schauspiel wie aus Spanien geliehen, wo es Tänze gab, die Eifersucht, Begehren und Leidenschaft - pasión - ausdrücken können wollten.
Die Trommel hielt die beiden Tänzer im Zaum und gab einen Takt vor. Bald wurde es ein Doppeltakt, wie ein Herzschlag. Hier verließ der Tanz die Bahnen des Unerhörten, jedoch noch Gekannten und vielleicht schon einmal Gesehenen.

Adelfo war in der Tat ein Blutsdiener und er hatte schon viel gesehen in seinem bunten, rauschtrunkenen Leben. Italiens Städte kannten Pracht und Bräuche aus aller Herren Länder und er hatte von allerlei Vorstellungen etwas aufgeschnappt. Loardo war die Liebschaft des letzten Sommers, die Adelfo sich warm gehalten hatte. Über den Winter kam man am besten, wenn einem das Bett gewärmt wurde, nicht wahr? Der kräftige Italiener war dem schönen Jüngling mehr oder weniger verfallen und er war es nun, der die Griffe und das Halten ansetzte, die den anfänglichen Tanz zu Akrobatik machten.
Adelfo war ein Tänzer und Akrobat, ein Possenreißer und Charmeur. Er konnte jonglieren und ein wenig Messerwerfen - vor allem aber konnte er sich biegen und winden wie kaum ein Zweiter auf der Bühne.

Alain wurde Zeuge dieses pulsierenden, sich windenden Tanzes im flackernden Licht. Der Klang der Trommel hatte etwas hypnotisches an sich und so wie die Tänzer sich drehten und bogen, wie Loardo den deutlich leichteren und schlanken Adelfo emporhob und herumwirbelte, sich drehte wie und zuckte wie im Veitstanz, hatte der Tanz etwas unwirkliches, bizarres.
Auf eine Weise war es wie mit den Statuen: es wirkte obszön. Da war Lust im Spiel, Begehren und Begehrlichkeiten zwischen den beiden Männern. Doch es wurde nicht in einer bestimmten Sache sogleich deutlich und greifbar.

Bald schon glänzte die Haut beider vor Schweiß und ihr Atem ging schwer. Die Trommel und dann auch die Flöte forderten ein immer höheres Tempo, schneller, wilder, höher, rauer. Vielleicht war das am Ende zu viel. Vielleicht waren die beiden übermütig geworden, hatten sich von der tödlichen Anspannung des Abends hinreißen und den Kopf verdrehen lassen.

Loardo riss Adelfo in einem Griff herum, doch er glitt ab. Oder vielleicht war es Adelfo, der abglitt, wie er sich auf Loardos schweißglänzender Schulter abstützen wollte. Er kam aus dem Tritt, Loardo kam ins Taumeln und beide gingen in einem Gewirr aus Armen, Beinen und Leibern polternd zu Boden.

Man musste den Geschwister zugute halten, dass sie noch das beste daraus machten: Sebastian fuhr mit einer Hand schnarrend über die Laute, Laurelle brach nach einem lauten Trommelschlag ab und ließ die Flöte abrupt verstummen. Es wirkte atemlos dramatisch - immerhin das. Die beiden Tänzer waren bühnenerfahren genug, um noch irgendwie das Beste daraus zu machen, erhoben sich und verneigten sich schwungvoll. So, mit gesenkten Köpfen, verharrten sie.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Die Vorstellung verfehlt nicht ihren Effekt. Alain beobachtet die Tänzer mit steigendem Interesse. Seine Hände sind um die Lehnen des Stuhls gekrallt und seine Augen folgen jeder Bewegung. Als der Tanz schneller wird, als die Trommeln lauter schlagen, sieht es so aus, als wolle er aus seinem Stuhl aufspringen. Doch da kollabieren die beiden Tänzer und der Tzimisce sinkt mit einem Laut der Enttäuschung auf die Sitzfläche zurück. Er beobachtet den kläglichen Rettungsversuch mit düsterer Miene. Dann springt er auf.

Mit wenigen Schritten ist er auf der Bühne. Er greift Adelfos Hand, stößt Loardo zur Seite und ruft zu den Musikanten: "Noch einmal". Was dann geschieht, werden die Signora und ihre Truppe so schnell nicht vergessen. Alain führt Adelfo zu einem neuen Tanz. Enger. Schneller. Intensiver. Sich drehend und windend, Adelfo wirbelnd, ihn hebend - gestärkt von dem unheiligen Blut in seinen Adern. Doch im Gegensatz zu Adelfo zeigt sich keine Schweißperle auf Alains Stirn. Jede Bewegung wird mit derselben frischen Intensität durchgeführt wie die davor. Adelfo seinerseits kann gerade so mit Alain mithalten und es scheint, als wüsste er nicht recht wie ihm geschieht.

Diesmal brechen die Tanzenden nicht beim Höhepunkt auseinander, im Gegenteil: Alain zieht seinen Partner noch enger zu sich heran. Wären Priester anwesend, würden sie wohl spätestens jetzt bei dem Anblick in Flammen aufgehen. Als die Musik verstummt, stehen die beiden noch einen Moment aneinandergeschmiegt da. Dann grinst Alain und lässt Adelfo los. Dieser sinkt zu Boden, nicht länger von seinen wackligen Beinen gehalten. Alain tritt an den anderen Mann heran, als wolle er die Vorstellung wiederholen. Stattdessen packt er diesen und schlägt die Zähne in dessen Hals, so dass nur noch ein kurzer überraschter Laut seinen Lippen entfahren kann. Die Gegenwehr ermattet rasch.

Das leise, nervöse Murmeln der Zuschauer erfüllt den Raum, als Alain den Herkules loslässt. Dieser fällt mit einem glücklichen Gesichtsausdruck und kalten, toten Augen auf die Bühnenbretter. Alain tupft sich den Mund mit einem Seidentuch ab und schaut zu Adelfo. "Finde einen besseren Partner", sagt er nur, leise, bevor er sich wieder auf seinen Stuhl begibt und sich befriedigt niederlässt.
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Was muss das für ein Gefühl sein? Loardo und Adelfo hatten einandern geliebt - Adelfo hatte das fest geglaubt, für einen prachtvollen, leuchtenden, trunkenen Sommer lang. Er hatte die Kraft und Stärke des anderen geliebt, den kraftvollen Körper, den Mut und das Glitzern in Loardos Augen, wenn er einen Scherz machte… oder das, wenn er Adelfo lustvoll ansah.

Jetzt starrten Loardos leere Augen Adelfo blind an, aber das einzige, woran der Ghul denken konnte, war Alain und dessen Umarmung. Er erinnerte sich zu gut an die letzte, an den Rausch, an die Herrlichkeit.
Was würde er nicht geben, für einen Kuss wie seinen, wie diesen… . Wie töricht der Wunsch war, wusste Adelfo selbst. Loardo war tot! Zum Teufel mit Loardo… .

Tränenerstickt schrie Adelfo auf und schluchzte. Er kletterte von der Bühne herunter und wollte Alain folgen, wollte Loardo umarmen, wollte alle Klageweiber dieser Welt in sich vereinen. Er wollte hinaus und fortlaufen und er wollte unbedingt bleiben und im strahlenden Licht der Aufmerksamkeit baden, das denen schien, die auf der Bühne standen. Das Licht dieses prächtigen Herrn, das Licht der Signora… oh.
Die Signora. Sie war auf einmal da, umarmte den tränentrunkenen Ghul wie eine Geliebte, wie eine Mutter, wie eine tröstende Schwester. “Ssshh… shh… Adelfo”, flüsterte sie. “Weine nicht. Es kommen neue Sommer.”


Die beiden Geschwister, der Schwertschlucker und die blonde Frau packten Loardo an Armen und Beinen und trugen ihn von der Bühne, um ihn an der Seite abzulegen und in seinen Mantel zu wickeln. Einer der anderen war bereits geistesgegenwärtig und kaltschnäuzig genug gewesen, die festen Stiefel, die Loardo auf seinem Weg her getragen hatte, zu nehmen und anzuprobieren. Man verschwendet keine so guten Sachen an den Tod - schon gar nicht, wenn man ihm so direkt ins Gesicht lacht wie in dieser Nacht.

Mauricio und Cosa hatten ihren Streit beendet und begannen, Schnaps und Wein auszugeben. Dem Toten zur Ehre, vielleicht. Oder ihnen allen. Morituri te salutant! In einem Anfall von Wagemut hob der Schwertschlucker seinen Weinbecher gen der Bühne und dann gen Alain. Keiner von ihnen würde diese Nacht wohl je vergessen.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Auch der Tzimisce hat sich etwas zu trinken bringen lassen - Wein natürlich, denn vom Blut ist er dank Loardo mehr als gesättigt - und prostet seinerseits der Runde zu. Nach dem Tanz wirkt er wie verwandelt. Zuvor war er der gnadenlose Richter, kalt und unnahbar. Jetzt scheint er über alle Maßen erregt, macht kleine, unbewusste Bewegungen, während seine Augen über die Menge schweifen. Er prostet dem Schwertschlucker zu und lacht. Das Lachen hallt in dem großen Saal wieder, wie Scherbengeklirr. Schwer zu sagen, welche Persönlichkeit gefährlicher auf die Sterblichen wirkt: Der Richter oder der Sünder?

Alain hat sich derweil zu der Signora gesellt und grinst. "So viel Spaß hatte ich lange nicht mehr. Habt ihr noch etwas für mich?"
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora hatte Adelfo mehr oder weniger gnädig zu den Schaustellern entlassen, wo er nun neben dem Leichnam kniete und doch den Blick nicht von Alain wenden konnte.
Die Nosferatu neigte einmal den Kopf zur Antwort für diesen und sah zu ihren Leuten herüber. Eine jungenhaft dünne - oder dürre - junge Frau sah mit vor Angst übergroß scheinenden, dunklen Augen zu ihr herüber und schüttelte den Kopf.

Mißbilligend schnippte die Signora mit den Fingern - ein Laut, der wie das stoffgedämpfte Brechen von Reisig klang. Maestro Mauricio eilte hinüber, um sicher der Sache anzunehmen und die Signora griff selbst nach einer Maske.

Diese war schwarz wie viele der eher kunstlosen, gewöhnlichen Masken die bei Feiereien und manchmal auch Schurkenstücken gebraucht wurden. In einer weiten Geste und damit verborgen hinter dem weiten Ärmel der Signora tauschte sie die Masken aus. Das obszöne Schweinegesicht ließ sie achtlos fallen. Man konnte das dünne, geleimte Holz brechen hören.

“Eines noch”, erklärte sie. “Ein Schattenspiel. Das ist eine uralte und neue Kunst. Zauber wird ihr nachgesagt - oder dunkle Magie. In Wahrheit aber ist es die Fertigkeit von flinken Fingern, geschicktem Handwerk und nicht nur ein Spiel über eine Ecke hinweg sondern über zwei. In einem Schattenspiel lässt sich alles sagen oder nichts. Es ist ein Narrentanz und Spiel mit dem Feuer zugleich, wie jedes Narrenwerk.”

Gemächlich ging sie zu Alain herüber, kaufte wohl Zeit für die Dramen und Flüstereien, die sich unter den Schaustellern abspielten. Die meisten packten mit an und hatten begonnen, die Bühne herzurichten. Sie brachten Stoffe und ein paar leichte, zusammengebundene Gestelle aus Holz, über die er drapiert werden konnte. Jemand hatte einige Öllampen hell aufgedreht und stelle sie in eine Art Tonkorb mit polierten, metallenen Scheiben oder Tellern. Es sah ein wenig zusammen gestückelt (oder gestohlen) aus, aber es glänzte hell im Licht, bis der Korb von den Zuschauern verborgen worden war.

“Ein Narrenstück lebt von den Zuschauern, die’s sehen und verstehen”, erklärte die Signora. “Womit soll diese Geschichte beginnen?”
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

"Habt ihr etwa einen Magister in eurer Truppe?" scherzt Alain leichtfertig - das kurze, nervöse Zucken seines Auges zu den Schatten der Halle ist sicherlich nur Zufall. "Ich bin in jedem Fall schon sehr gespannt." Er legt den Finger ans Kinn. "Womit beginnen wir... Vielleicht mit einem naiven Bauernburschen, den das Schicksal auserwählt? Nein, zu gewöhnlich. Eine Gruppe von Helden, die in einer Taverne beisammensitzt? Nein, nein. Vielleicht einer Hexe, die etwas Abscheuliches mit einem armen Kind anstellt? Aber wir haben ja bereits genug gelacht."

Der Tzimisce grinst, so dass man seinen langen Eckzahn deutlich sehen kann. "Ich weiß! Wie wäre es mit einem Tag aus dem Leben eines armen Teufels - also, eines wirklichen Teufels?"
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ein Teufel unter Menschen…”, vermutete oder fragte die Signora, gerade laut genug, dass die Schausteller es hören konnten.

Um die Bühne her wurden Stoffe aufgehängt. Den Hintergrund bildete ein recht glattes Stück Segeltuch - wenn man einmal von dem Riss quer hindurch absah, der allerdings mit feinen Stichen so genäht worden war, dass man ihn kaum mehr sah. Zum Segeln würde das niemals taugen, denn es würde sofort wieder reißen, doch als ein Hintergrund für dein Schattenspiel taugte es allemal.

Die junge Frau hatte beim Tonkorb mit dem Licht Platz genommen. Die meisten anderen Schausteller, die noch lebten, hatten sich um die Bühne her versammelt, einige mit Tüchern, andere Hölzern oder Instrumenten. Die beiden Geschwister schlugen wieder eine Melodie an, erst einmal nur leise gezupft auf weichen Saiten.

Letztlich fasste sich einer der Schausteller ein Herz und tauchte unter einer der Stoffbahnen durch, um im Schattenwurf gegen das helle Licht aus dem Korb zu verschwinden. Mit ein paar Hölzern und Stoff brachte er die Umrisse von zwei Leuten auf den Leinwandhintergrund. Die saßen nur da als wären sie miteinander im Gespräch. Weitere folgten und die Musik wurde zu der Melodie eines altbekannten Trinkliedes. Einer der Schausteller hatte sich einen Tonkrug gegriffen und Geräusche wie bei einer Trinkstand am Markt kamen nach und nach dazu, als einer nach dem anderen einfiel. Es war eher gedämpft, aber man konnte die Kulisse gut genug verstehen.

Doch lebendig wurde das Schattenspiel erst, als die junge Frau ihre Hände hob. Auch sie hatte allerlei Zeug um sich her liegen. Von seinem Platz aus konnte Alain nicht genau erkennen, wie sie es fertig brachte, aber der Schattenwurf zeigte eine schlanke Männergestalt mit gelocktem Haar, von dem man sich wohl einbilden konnte, dass da zwei Hörner daraus hervorlugten - oder auch nicht.
Der Schatten sah Alain recht ähnlich - vielleicht war dies Zufall? Gegen die eher etwas verschwommenen Schemen und Figuren, die die Schausteller näher an der Bühne warfen, war dieser schärfer, klarer.
Auf eine seltsame Weise wirkte der Schatten dieses Teufels unter Menschen echter als die übrigen.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain geht mit hinter dem Rücken zusammengelegten Händen zu seinem Sitz zurück und lässt sich nieder. Er zieht eine Augenbraue hoch, als er das Trinklied vernimmt, aber als die lockige Gestalt erscheint, muss er grinsen. Er hebt seinen Krug und prustet dem seltsamen Teufelchen zu. Dann lehnt er sich zurück, nippt an seinem Wein und genießt das Schauspiel.
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora zog sich ein Kissen herbei, um sich darauf neben Alains Platz nieder zu lassen. Ihr nun schwarzes, konturloses Maskengesicht sah ihn an, während der Teufel in die Schattenszene trat.

Er ging zwischen den anderen Schemen umher und schien sich dies und das auf dem angedeuteten Markt zu betrachten.

“Was tut der Teufel unter Menschen?”, fragte die Signora.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

"Gemeinhin wird angenommen, dass er nach Seelen sucht", sagt Alain mit leiser Stimme. "Aber - das ist nicht wahr! Seelen interessieren den Teufel wenig." Er erhebt sich aus seinem Stuhl, ohne das Schattenspiel aus den Augen zu lassen. "Die Menschen verdammen sich selbst, ohne jede Hilfe. Ja... die Hölle muss voller Seelen sein. Wahrscheinlich quillen die Seelen bereits überall hervor, wie Geschwüre. Der Teufel hat genug von Seelen!"

Er dreht sich ein wenig, sieht zur Menge, dann wieder zur Bühne. "Stattdessen sucht der Teufel nach der Wahrheit. In der Bibel heißt es: ' Du sollst nicht dies, du sollst nicht das. Nicht töten, nicht lügen, Vater und Mutter nicht schänden, nicht der Sodomie fröhnen, nicht trinken, nicht in Milch kochen, nicht Gottes Namen lästern. Gottes. Verdammten. Namen!" Alain breitet die Arme aus und blickt ruckartig zum Himmel, als würde er erwarten, dass ihn der Blitz trifft. Für einen Moment ist alles still. Dann lacht er, leise und fröhlich. "Wie weit, fragt sich der Teufel, wie weit kann ich gehen? Wo sind die Grenzen meiner Freiheit?"

Der Tzimisce legt die Hände hinter dem Rücken zusammen. "Das tut der Teufel unter Menschen. Er erprobt seine Freiheit - und ihre."
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