[1035] Animus [Achilla, Alain]

[Signora Achilla]

Das Jahr war noch nicht alt, zeigte sich verregnet und winterkühl. Schwere Karren blieben auf den schlammigen Wegen um die Stadt her leicht stecken und ohnehin galt es wohl, die Dinge etwas behutsamer anzugehen, nach alledem, was im letzten Jahr geschehen war.

So waren es nur zwei der Schausteller von Maestro Mauricios Truppe, die ihren Weg hinaus zum Palazzo del Mare machten, mit leichtem Gepäck und einer Nachricht für den jungen Herrn des Palastes.

“Die Signora lässt und ihre Grüße sagen”, würden sie entweder diesem selbst oder einem seiner Diener, von denen sie sicher den einen oder anderen kennen gelernt hatten, wohl sagen. “...und dass sie sich an ein Geschäft aus dem letzten Jahr erinnert. Sie sagt, sie hat da was, wenn’s noch beliebt…?”
Die beiden erwarten wohl eine Antwort vom Hausherrn, die sie mit zurücknehmen können. Sie haben es aber auch nicht eilig und solange sie irgendwo im Trockenen warten können und vielleicht mit einem Becher Wein oder zwei sich etwas aufwärmen können, haben sie eigentlich auch alle Geduld der Welt.

[Alain le Beau]

An Wein und gutem Essen mangelt es nie in den feinen Hallen des Palastes und die beiden Künstler werden reichlich versorgt. Statt des Jünglings finden sie sein Faktotum vor, einen Mann Ende der Vierziger, der sich als "Luca" vorstellt. Luca hört sich an, was die beiden zu sagen haben und nickt dann. "In der Tat", sagt er leise. "Das ist eine Nachricht, auf die mein Herr schon seit einiger Zeit wartet. Richtet eurer Signora seinen herzlichen Dank aus. Er wird sich freuen, sie in..." für einen Sekundenbruchteil denkt der Diener nach, dann fährt er fort "...vier Nächten hier im Palast zu empfangen. Oh - und dies ist für euch!"

Ja, in der Tat, ein Besuch in Nervi kann sich lohnen, wenn man neben feinem Essen und gutem Wein auch noch silberne Münze mit nach Hause tragen kann...

[Signora Achilla]

Glänzendes Silber wurde natürlich gern genommen - und sorgte auch dafür, dass die beiden Schausteller ihre Nachricht ohne größere Umwege und richtig zurücktrugen.

So kam es, dass vier Nächte später ein kleiner Zug der bunten Truppe von Maestro Maurizio den Weg zum Palazzo del Mare nahm. Den Karren wollten sie wohl zu dieser Jahreszeit nicht aufs Spiel setzen, aber zwei struppige Esel trugen dies und das, vor allem aber ein paar Instrumente und andere Kleinigkeiten für die eine oder andere Vorführung. Es war nicht sicher, ob der Palast selbst dafür das Ziel war oder sich die Truppe nicht doch aufteilen würde, so dass ein paar Leute beginnen würden, etwas Musik und Farbe zu den Gehöften und Anwesen im Umkreis zu bringen. Wahrscheinlich war es wie stets: Sie würden einfach sehen, wie die Dinge sich zeigten.

Die Signora selbst ritt auf einem der Esel, der deshalb nicht sonderlich schwer beladen war. Ganz geziert, mit einer Decke als Sattel und einem Kleid, an das sogar ein Pelzbesatz angenäht worden war, wirkte sie beinahe wie eine Edeldame - wenn es nicht eben ein Esel gewesen wäre, auf dem sie saß, und wenn der Pelz nicht eher nach Kaninchen oder streunenden Katzen ausgesehen hätte.
Doch das schien sie nicht zu beschweren und immerhin musste sie so ja auch nicht zu Fuß gehen wie der Rest. Ein Weinschlauch kreiste unter den Fahrenden während sie die Straße herunter trotteten, das eine oder andere Lied wurde gesungen und derbe Scherze flogen hin und her.

So jedenfalls kündigte sich das kleine Häuflein am Palast an und die meisten hofften wohl, aus der Kälte und Dunkelheit heraus zu kommen.

[Alain le Beau]

Die Truppe wird wie üblich recht herzlich empfangen. Sie sind ja mittlerweile auch schon beinahe Stammgäste, so oft, wie Alain sie engagiert, um seinen Adligen Besuch zu unterhalten. Während die Dienerschaft die Esel zu den (gut hinter der Hecke verborgenen) Ställen führt, werden die Schauspieler verköstigt.

Ihre Anführerin jedoch wird durch den Prunk des Palastes geführt, in eine kleine Hinterkammer. Selbst heute stehen Wachen in den Gängen, beobachten die Maskierte misstrauisch. In der Hinterkammer ist ein Tisch mit zwei Stühlen. Simpel und schlicht, ganz im Gegensatz zu den geschmückten Hallen, welche Alain sonst bevorzugt.

Es dauert eine Weile - Luca hat ihr in der Zwischenzeit etwas zu trinken von einer jungen, blassen Schönheit angeboten - da tritt auch der Herr des Hauses ein. Er bleibt in der Tür stehen, nickt Achilla leicht, sehr leicht zu und lächelt sein feines Lächeln. "Signora", sagt er und faltet die Hände. "Wie schön, euch wiederzusehen. Wie ist es euch ergangen?"

[Signora Achilla]

Ein solches Angebot ließ sich die Signora nicht entgehen. Dafür lohnte es sich auch, die Maske zu lösen - ein hässliches Unterfangen, doch geübt genug, dass es sich für den kurzen Genuss doch lohnte.

Sie war eben erst fertig damit, als Alain dazu kam. Sie rückte die verzierte Maske zurecht, die ebenfalls ein wenig Pelzbesatz an den Rändern zeigte und dazu etwas glitzernden Tand wie es wohl zum Eselritt der ach so feinen Dame gepasst hatte.
Ganz vergnügt antwortete sie: “Ah, der Winter ist nie eine gute Zeit für Geschäfte, aber immer eine, um Geschichten zu schmieden und Stücke zu proben. Gut also, will ich meinen!”
Sie machte eine Geste über Alains Gestalt und auch den Palast hinweg: “Und Ihr habt’s auch wohl überstanden, dies letzte Jahr? Ich habe drum gefürchtet, dass wer auf den Gedanken kommt, gegen den Palast vorzurücken, um Euch zuzusetzen. ‘s wär eine elende Verschwendung gewesen… und davon gab’s genug allenortens schon innerhalb der Mauern.”

[Alain le Beau]

"Nun, wenn es geschehen ist, habe ich noch nicht davon erfahren", erwidert Alain lachend. "Aber Kämpfer nach hier draußen zu schiffen, mitten ins Nirgendwo, das ist dann wohl doch eine zu große Anstrengung für die Herren Befehlshaber gewesen. Wo ich darüber nachdenke... hier hat kurz ein Schiff vor Anker gelegen, ein Kriegsschiff, aber bedauerlicherweise ist ein Feuer ausgebrochen, so dass sie abziehen mussten. Sehr unvorsichtig, die Matrosen." Ein leichtes Kopfschütteln, bedauernd.

"Wie dem auch sei, Luca hat mir Neuigkeiten aus eurem Mund versprochen, die mich erfreuen würden. Obgleich ich ja der Ansicht bin, dass Nachrichten sehr rasch verfälscht werden, wenn sie von Mund zu Mund zu Mund zu Ohr wandern. Deswegen... Was habt ihr für mich, Achilla?" Er hat sich ihr genährt, steht nun vor ihr, mit einem gierigen Ausdruck auf den Zügen.

[Signora Achilla]

“Ah, das ganze blutige Treiben hat schon einiges durcheinander geworfen, doch solche Geschäfte soll man nicht vergessen”, bestätigte die Signora da.
“Wir haben uns umgetan und da hats tatsächlich wen, der sich ganz auf die Heiligenviten und braven Spiele und Gesänge versessen hat. ‘s ist eine kleine Truppe, würd’ ich sagen. Ihr Anführer hat sich einen ganz bedeutungsschweren Namen gegeben: Animo will er geheißen werden.”

Da klang ein bisschen Spott mit, vielleicht auch für sich selbst, denn “Achilla” war nun auch nicht ganz ohne Bedeutung und vermutlich auch nicht sonderlich echt. Im Grunde war es ein recht hoch gegriffener Name, wenn man denn den großen Helden Achilles als Vorbild dafür gelten lassen wollte.

“Sagt Euch der Name was, Herr?” fragte sie erst einmal, bevor sie sogleich fortfuhr.

[Alain le Beau]

"Ausgesprochen amüsant", sagt Alain und lächelt sein Lächeln. Die Nosferatu ist sich ziemlich sicher, dass er den Witz nicht verstanden hat. "Und dieser Animo ist ein fähiger Darsteller? Ich will schließlich nicht irgendeinen drittklassigen Dorftrottel... verführen", fügt er hinzu. "Es muss schon jemand sein, dem man seinen Auftritt ohne Zögern abnimmt, der einen, hehe, Heiligen so spielen kann, dass die Zuschauer auf die Knie gehen."

Er legt die Hände auf den Rücken. "Wo finde ich denn diese Truppe? Ich würde zu gern einmal einem ihrer Auftritte beiwohnen."

[Signora Achilla]

“Gut genug ist er wohl”, meinte die Signora. Es klang etwas mißbilligend - womöglich nach Rivalität? Sie schnalzte mit der Zunge und ein Dutzend kleiner, brauner Nachtfalter stob kurz auf. Ein paar krochen sogleich zurück, wieder unter die Maske, vielleicht noch tiefer.

“Er hat eine Hütte in Flussmund. Eine Handvoll seiner Leute wohnen mit ihm da, ein paar andere kommen von drumher, Burgus, Maddalena, die offene Straße. Wenn Ihr wollt, kann einer meiner Leute Euch den Weg zeigen. ‘s ist ja nicht zu weit.”

Nun zögerte sie, aber rang sich dann doch durch zu fragen: “Wollt Ihr einen Heiligen machen, Herr? So schön und ganz und heilig wie es nur geht ohne einer zu sein?”

[Alain le Beau]

"Auf euer Urteil ist Verlass", stellt Alain fest und nickt der Nosferatu zu. Er beobachtet den Tanz der Insekten um Achillas Gesicht mit einer gewissen Faszination, der Art Faszination, mit der man eitrige, verkrustete Wunden bestaunt. Andererseits hat der Tzimisce wohl wirklich schon Schlimmeres gesehen als die Signora. "Ich denke, einer eurer Männer kann Luca begleiten, wenn er dem Kerl ein Angebot macht."

Auf die letzte Frage der Verborgenen lacht Alain leise. So, als habe sie einen Scherz gemacht, den nur er verstehen würde. "In gewisser Weise, ja. Einen Heiligen." Noch immer grinsend fügt er hinzu: "Aber zunächst möchte ich, dass er hier in Nervi eine Vorstellung gibt. So, dass ich seine Kunst selbst erleben kann. Ich bin schon sehr gespannt."