[1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

[November '18]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Simon
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Simon »

Der Darsteller, noch nicht gewillt, das Rätsel hinter dem Lächeln der Sphinx zu lösen, hatte sich wieder niedergesetzt, aufmerksam zugehört und weder genickt noch geblinzelt, während sie die hohen Amtsträger der Stadt aufzählte. Bei ihrem letzten Satz allerdings kam er nicht umhin, zu lächeln.

"Meine Liebe", begann er, "schon bei unserem ersten Treffen hätte ich ahnen sollen, dass die Geheimnisse, die dich umgeben, nicht alle die deinen sind." Er musterte sie kurz mit seinen Rehaugen, in denen so viel mehr lag als Unschuld oder Naivität, und wirkte, als müsse er erneut eine Entscheidung treffen - wie fast jedes Mal, wenn er Sousannas Gegenwart suchte. "Es sieht aus, als stünde ich erneut in deiner Schuld." Ein dankbares und ehrerbietiges Kopfnicken unterstrich seine Worte. "Wenn du einen Wunsch hast, dann nenne ihn bitte, auch wenn ich derzeit nicht mehr schenken kann als Verse und Gesellschaft."

Simon senkte den Blick, ließ ihn über ihren Körper wandern, ihre zarten Züge und wieder hinauf zu ihren Augen, die in ihrer Schönheit gleichsam gefährlich waren. "Selbstverstädnlich werde ich deinen Rat beherzigen, und es sieht so aus, als wäre Ilario - so hieß er doch? - mein nächster Anlaufpunkt. - Nichts ist kummervoller, als unstet leben und flüchtig", fügte er hinzu in jenem Griechisch, als säße der große Homer selbst zwischen ihnen.
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Sousanna
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Mahnend hob sich ein schlanker Finger, gebot möglichem Dank Einhalt.
"Danke und verschulde dich erst, wenn der Unterricht beendet ist.", rezitierte sie einmal mehr ein Werk, das nie geschrieben, nie gedichtet worden war. "Dies war ein Anfang, aber höre weiter:"

Wieder kehrte der Ernst in ihre Stimme zurück. "Du wirst dich bei Toma melden. Dann hast du es hinter dir und man wirft dir nicht vor, du hättest versucht dich vor der höchstverehrten Prinzessin zu verbergen." In den Ernst hatte sich leises Bedauern geschlichen. "Wenn der Drache dir deine Aufgabe gegeben hat, können wir dich dem werten Ilario und allen wichtigen Kindern der Nacht vorstellen."
Leicht zuckte ihr Mundwinkel als hätte sie sachtes Mitleid für die Rose, der dieses Prozedere noch bevor stand.

Dann folgte der aufwendigste Teil der Belehrung. Sousanna würde ihm jene Orte nennen, an denen er sich nicht nähren durfte, ihm Informationen darüber geben, wer welchen Ort beherrschte und wem er Respekt und Furcht schuldete.
Sie schaffte es auf ihre Weise, diese Aufzählung von Namen und Orten zu einer Gesichte werden zu lassen, der man nicht nur gerne, sondern voller Spannung lauschte. Die Bürokratie der Nächte Genuas schien in den Worten der Harpyie ein atemberaubender Epos zu werden.

Dann verstummte sie und sacht legte sich ihr Haupt zur Seite. "Wirst du dich an all das halten?", fragte sie dann leise. "Und damit deine und meine Ehre aufrecht halten?" Beinahe schien Simon damit einen Schwur abzuverlangen.
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Simon
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Simon »

Lag das Unsicherheit in den Augen des Wanderers? Er legte den Kopf schief, schloss leicht die Augen, wie schon viele Male zuvor, und in seine Gesichtszüge kehrten jene kleinen Falten zurück, die von einem Leben - und Unleben - auf der Straße erzählten wie das leichte Grau seiner Haare an den Schläfen.

Er ließ sich Zeit mit der Antwort, nahm ihre Worte in sich auf wie ein Darsteller, der ein neues Gedicht lernt und die einzelnen Verse wieder und wieder vor seinem inneren Auge vorbeiziehen sieht. Namen und Orte (sowie der Klang derselben) waren für ihn ebenso fremd wie die Zukunft und so beunruhigend wie die Vergangenheit. Dennoch ... Welche Wahl gab es schon, als sich zu fügen? Gelegentlich, so sagte das leichte Zucken seiner Mundwinkel, war es leichter.

"Gleich getan ist Zeit gespart", sagte er, stand währenddessen auf und legte eine Hand auf seine Brust, genau über dem kalten und dennoch fühlenden Herzen. "Du bist wirklich eine Sofia. Ich halte mich an deine Worte, an jede Silbe, wenn es denn der Ehre genügt." Ehrfürchtig senkte er den Kopf, nicht wie ein Schausteller, sondern wie jemand, dem diese Geste in Fleisch und Blut übergegangen war in jenen vergangenen Jahren. Keine bitteren Versprechen, stand in seinem Gesicht geschrieben, in seinen Augen, deren Blick für Sekundenbruchteile härter wurden ob der Pflicht, die bevorstand.

"Bevor ich aber gehe", begann er in seinem nativen Italienisch, das so vollkommen ohne Schnörkel war, und auch seine Stimme verriet nur den Mann, nicht das Monster, "würde ich dir gerne noch eine letzte Frage stellen, wenn es recht ist."
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Sousanna
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Auch die Neigung des Kopfes der Ravnos war geübt. Die Geste einer hohen Dame, die es gewohnt war, Gnade zu verteilen. Doch als sie danach lächelte, war da nur das liebe Mädchen von der Straße. Das, das einem auf dem Markt aus Freundlichkeit einen Apfel und einen schönen Blick schenkte.
Sacht legte sich die warme Hand auf seine Wange und in einer liebevollen Geste strich ihr Daumen über seinen Wangenknochen. Erst jetzt bemerkte Simon, wie nah sie ihm eigentlich die ganze Zeit gewesen war.

In zärtlicher Geste hob sie sein Kinn an und sah ihm mit einem sanften Blick in die Augen. "Frag was du willst.", flüsterte sie sacht und erhob sich wieder auf die Knie. "Und dann bleib die Nacht bei mir. Nimm noch eine Nacht Auszeit. Raste." Kurz streiften ihre Lippen seine Wangen.
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Simon
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Simon »

Simon, der Sänger, der Wanderer, der Suchende ... all das schmolz dahin wie Kerzenwachs. Er erwiderte ihren Blick, spürte ihre Nähe, ihre Wärme, und bemerkte, wie sehr er sie brauchte, sie begehrte in all ihrer Schönheit - dieses Gesamtkunstwerk an Leidenschaft.

"Ohne Titel ...", hauchte er sanft auf Griechisch und legte jenen Tonfall in seine Stimme, die jemandem gehörte, der über alle Maßen hinaus alles geben wollte, was er hatte. Sein gesamte Ich, seine Existenz. Als wollte er mehr sagen, öffnete er leicht die Lippen - erneut ohne Vers oder Wort.

Simon hob die Hand, legte sie sacht auf die Wange der Schönen, als ihre Lippen ihn streiften. Seine Finger fuhren hinab zu ihrem zarten Hals, streichelten die weiche, duftende Haut, bis sich seine Hand um ihren Nacken legte wie in jener einen herrlichen Nacht, die er zu wiederholen gedachte, hier, jetzt, nur für sie.

"Warum?", fragte er schließlich, bevor er den Kopf schieflegte und ihren Blick - die unschuldigen und doch so weisen Blick - erwiderte. "Viel kann ich dir nicht geben, meine Sofia, außer mir selbst. - Warum jemand wie ich?"
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Sousanna
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Leicht nickte die Schöne wie zur Bestätigung. Solche Galanz lag in ihrem gesamten Sein, dass man kaum glauben konnte, sie wäre wahr. Ein Wesen so wunderschön und grausam verzaubernd zugleich. Vielleicht kannte der Sänger jene Geschichten von der Circe. In diesen Augenblicken konnte er nicht umhin, sich an sie erinnert zu fühlen.

Mit der Sanftheit einer Liebenden strichen ihre Finger spinnwebengleich über sein Gesicht. Beinahe als könne sie kaum glauben, dass er wirklich hier war. Bei ihr. Im Netz der Spinne Genuas, die sich nun doch als Monster mit einem Herz herausstellte.

Dann aber schlug Sousanna die Augen nieder. Seufzte gebeugt vom Schicksal, stets wissend, stets hinterhältig sein zu müssen.
"Die Heimatlosen sollen sich gegenseitig Heimat sein.", erwiderte sie ruhig und strich mit einem geheimnisvollen Lächeln seinen Nacken hinab. "Ich bin nur eine Wanderin und du von hohem Blut. Selbst jetzt wirst du mir Nutzen bringen können."
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Simon
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Simon »

"Nutzen ..."

Es war keine Frage, auch kein Vorwurf. Simon nahm seine Hand von ihrem Nacken und legte sie auf die Finger der Schönen, als wollte er ihnen Einhalt gebieten und ihr gleichzeitig Trost spenden. Er zögerte kurz, löste ihre Hand und verschränkte sacht, als wollte er sie mit seiner rauen Haut nicht kratzen, ihre Finger mit den seinen.

Im Blick des Suchenden machte die Leidenschaft der Fürsorge platz. Wie ein Bruder seine kleine Schwester betrachten mochte, die hingefallen und sich die Knie aufgeschürft hatte, sah er Sousanna an und wusste nicht so recht, welche Antwort darauf die angemessene war.

Von hohem Blut. Hatte nicht die Kleine, die er zuvor begegnet war, etwas Ähnliches gesagt? Wie merkwürdig doch diese Situation war. Er, der Zugereiste, unwissend ob der Politik und der Ränke, sollte auf eine seltsame Weise höher stehen als diese sanfte Gestalt, die bereits solange hier war und einen Rang innehatte, den er nie würde erreichen können, weil sein Streben woanders hinführte? Welchen Nutzen sollte das bringen?

"Weißt du noch, meine Schöne, was ich dich bei unserem ersten Treffen gefragt habe? Darüber, wie lange dieses Spiel weitergehen soll?" Er runzelte leicht die Stirn. "Nach der kurzen Zeit hier kommt es mir vor, als ginge es schon eine Ewigkeit, und wird vermutlich noch bis zum Jüngsten Tage weitergesponnen ..." Er biss die Zähne zusammen. "Von hohem Blut", presste er hervor, hielt aber weiterhin den Blick auf sie gerichtet und ihre Finger zwischen den seinen.

Schließlich kehrte die Ruhe in sein Gesicht zurück. "Aber ich verstehe, worauf du hinaus willst. Wie gesellet doch Gott beständig Gleiche zu Gleichen", fügte er hinzu. "Dann stelle ich die Frage anders. Wie kann ich dir von Nutzen sein?"
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Sousanna
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Ernst erwiderte sie seinen Blick. Nicht eine Wimper zuckte, da Rehaugen auf Rehaugen trafen und Wahrheiten ebenso austauschten wie Lügen. Langsam kehrte die Traurigkeit in die großen dunklen Augen ein und mit ihr eine Gewissheit, dass eine unumstößliche Wahrheit ausgesprochen werden würde.
"Du bist jung und weißt nichts über das Blut der Wanderer." Ein Seufzen gefolgt von einem bedauernden Kopfschütteln und garniert mit einem Lächeln. In ihren Worten war kein Tadel nur eine leise Feststellung. "Ein Spieler kann nicht aufhören zu spielen und nichts bringt das Spiel in den Adern eines Wanderers zum Verstummen außer das Feuer. So tanzt und springt es bis in alle Ewigkeit."

Leicht wie eine Feder strichen ihre Finger über seine Wange. Zärtlich als wolle sie eine Träne fortwischen. "Ich kann dir kein Ende eines Spiels versprechen. Nicht ich. Nicht diese Wanderin." Bedauernd schüttelte die Wanderin den Kopf.

"Aber eine Antwort kann ich dir geben. Du kannst mir von Nutzen sein, indem du mich besuchst." Ein leises Lächeln huschte über ihre Züge. "Das lindert die Langeweile - und vielleicht kannst du mir auch eines Tages helfen, aber das wird sich zeigen."
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Simon
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Simon »

Einen kurzen Augenblick lang schien es, als würde der Sänger jemand anderen sprechen hören. Er seufzte tatsächlich; ein Laut, der aus dem tiefsten Inneren des Seins kam, womit er unmissverständlich die Wahrheit akzeptierte. Er nickte.

"Gerne besuche ich dich, meine Schöne." Er lächelte zurück. Verstädnis lag darin, Wärme und Sanftheit von jemandem, der selbst kaum welche erfahren hatte und einfach teilen wollte, was er hatte. "Vielleicht", fuhr er fort, "kommt tatsächlich der Zeitpunkt, an dem ich dir von Nutzen sein kann. Bis dahin ziehen wir unsere Kreise ... und warten ab, was geschieht."

Simon, wieder ganz versunken in ihren Augen, nahm ihre Hand, beugte sich zur ihr vor und raunte: "Dann beginne ich jetzt schon einmal, meine Schuld bei dir abzutragen ..." Seine Stimme verlor sich wie ein Windhauch. Und bevor er sie antworten ließ, senkte er leicht den Kopf, öffnete den Mund wie zu einem Vers, der nie gehört werden würde, aber doch zwischen ihnen schwebte, dann berührte er mit den Lippen ihren Hals und kratzte leicht mit den Zähnen darüber, ohne sie zu ritzen.
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Sousanna
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Re: [1013] "Hier sind wir ohne Titel..." [Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Auch sie seufzte. Schwer klang es und voller Gram schien ihr Rücken gebeugt in diesem Augenblick. Sogar ihr Haupt sank in diesem Augenblick ein Stück. Die Last der Welt drückte sie nieder.
"Eines Nachts gewiss.", flüsterte sie leise und es schien ein Hauch, kaum mehr als eine Hoffnung, dass es nie nötig sein würde. "Es bleibt nichts als das stete Kreisen der Sonne um unsere Erde... Ein unauslöschlicher, ewiger Tanz."

Vielleicht hätte sie etwas sagen wollen. Vielleicht hätte sie ihm widersprochen, doch da trafen die Lippen und Zähne ihren Hals und mit einem Seufzen, wie das eines Ertrinkenden, der endlich Wasser bekam, sank sie gegen ihn.
So wurde die Harpyie Wachs in den Händen des Neugeborenen. Zart strichen ihre Finger über seinen Hals, seinen Nacken, brachten Halt suchend Freude.
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