[1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, Caspar (SL)]

[Februar '19]
Benutzeravatar
Signora Achilla
Nosferatu
Beiträge: 1472
Registriert: Do 7. Feb 2019, 23:24

[1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, Caspar (SL)]

Beitrag von Signora Achilla »

“Signora! Signora!” Ilessandras Rufe klangen, wie vieles von ihr, überschwenglich, ein wenig zu laut und aufmerksamkeitsheischend. Doch die Signora schätzte sie eben genau deshalb als Teil der Truppe: Ilessa stellte sich gern in den Mittelpunkt, sie wollte auf die Bühne und sie stellte sich mit Genuß zur Schau. Menschen wie sie ließen anderes und andere um sich her blass und fade werden.

Signora Achilla saß in einem engen Verschlag unter einer Treppe in dem schäbigen Schankhaus, in das sie alle eingezogen waren. Hier war sie eben dabei, ein paar Ideen eng geschrieben auf Papier zu bringen, die die Truppe in den kommenden Wochen und Monaten, vielleicht sogar Jahren voran bringen sollten. Sie plante an einer Reihe von Schaustücken über den jüngsten Krieg. Niemand auf der Welt wollte sich lang ein einziges Stück anschauen - dafür hatte kein rechtschaffener Bürger Genuas Zeit und Muße. Doch eine Reihe von kleineren Szenen, je nach Ort und Zeit verschieden aneinander gereit, das ging schon. Ein Erzähler würde das ganze verknüpfen und Genuas Glanz und Glorie noch etwas polieren, während er den Zuschauern noch erklärte, was es eben wichtiges zu wissen gab.
Die Idee war auch, vielleicht einzelne, reiche Gönner zu finden, die sich selbst und ihre Taten im Krieg herausstellen und aufgeführt sehen wollten - oder so war zumindest die geschäftige Idee hinter dem ganzen Vorhaben. Dass es zu so viel Überlegungen und sogar langwieriges Schreiben führen würde, hatte sie sich nicht ausgemalt.
Um es kurz zu machen: Der Signora Achilla wurde es langsam zu eng und staubig in dem Verschlag und so war sie dankbar, als Ilessandras Ruf durch das halbe Schankhaus tönte.

“Signora! Du hast doch immer nach diesen Festen gefragt…”, begann Ilessandra. Sie war eine hübsche junge Frau, nun mit ansehnlich geröteten Wangen. Irgendwie schien sie zu wissen, dass das Blut der Signora aus ihr mehr machte als sie zuvor gewesen war und ihr Eifer, zu gefallen, war oft vollständig offenbar und durchsichtig - so wie jetzt. “...von diesem feinen Herrn!”
Das ließ Achilla noch einmal mehr aufmerken. “Sprich weiter”, ermunterte sie die Schaustellerin. “...und ich habe mit Gialatta gesprochen, am Brunnen… und die hat gesagt, dass Elsa gesagt hat, dass Bruno gehört hat, wie…”
Ein wenig ungeduldig schnitt Achilla die Auflistung mit einem Handwink ab. Ilessandra Isabetta, die auf der Bühne weit harscheres Publikum gewöhnt war, brauchte allerdings nicht einmal einen Lidschlag, um sich umzustellen und fortzufahren.
“...der Herr Caspar wieder eines seiner Feste plant! Und nicht einfach irgendwo sondern inter Alten Winzergasse - du weißt schon, wo diese Riesenfässer noch im Hinterhof stehen und dann haben sie da einfach ein Dach drüber gebaut und …”
Ein erneuter Wink der Signora.
“...man kommt eben nicht einfach so hinein, aber es ist wohl etwas geplant, das gleich auf mehreren Stockwerken geht, sonst würde nicht alles dafür freigemacht werden!” Sie lächelte und verkündete dann triumphierend: “Und ich weiß sogar, wann! In der nächsten Woche, feria sexta, wohl in den Sabbattag rein!”
Ihre Aufregung war ansteckend und die Nachricht versetzte Achilla einen kleinen Schlag, beinahe wie ein lebendiger Herzschlag. Wohlwollend strich sie der Schaustellerin über die Wange. Sie hatte sich ihre Gabe an Blut wahrhaftig verdient.

---

Die nächsten Tage wurden hektisch für den Maskenschneider und seine Frau. Die Nächste ebenso, für Achilla. Für sie war es ein einziger Zug an Vorbereitungen in Farben, Stoffen, Leder, Schleifen, Knöpfen und natürlich Masken. Sie musste eine für sich selbst wählen, für diese Nacht, und eine ganz neue musste auf die rechte Weise gefertigt werden, denn ohne ein Geschenk und mit leeren Händen wollte die Signora sich nicht blicken lassen.

Dass sie Einlass zu so einem Fest erhalten würde, das stand für sie ganz außer Frage. Nicht, weil sie sich sonderlich viel auf sich selbst einbildete, sondern hauptsächlich, weil sie selten irgendeinen Gedanken an Selbstzweifel, Zaudern oder Zögern verschwendete. Sie genoss den Wirbel der Vorbereitung zu sehr und ebenso die Vorfreude auf eine Nacht, die sicher nicht gewöhnlich sein würde. Eine Woche war eine entsetzlich kurze Zeit, um sich vorzubereiten.

---

Als die Nacht endlich anbrach und die Signora erwachte, um die letzten Handgriffe für Kleid und Frisur, Maske, Tuch und Zier selbst zu tun, drängte die Truppe sich um sie. Nicht alle kosteten regelmäßig von ihrem Blut, doch alle wussten gut genug, dass ihr Wohl und Wehe eher von der Gunst der Signora als von der Gunst Mauricios, der offiziell die Truppe anführte, abhing. Das war einer der Gründe dafür, dass sie nun alle posierten, selbst fein heraus gemacht und in der Hoffnung, dass sie es sein würden, die die Signora begleiteten. Der andere Grund war einfach genug: Jeder von ihnen hatte wenigstens ein bisschen von diesen Festen des Herren Caspar gehört und wer mit nur einem Funken Freude in der Seele würde wohl nicht gern dabei sein?!

Das Kleid der Signora übertrumpfte natürlich die bunte Garderobe der übrigen Schausteller. Es war mit den weißen und grauen Federn von Tauben - viele der Tiere hatten in der letzten Woche ihr Gefieder und Leben unter den Händen der Truppe lassen müssen - verziert. Tauben konnten ein Zeichen für Unschuld oder Frieden sein oder auch für überbrachte Botschaften. Aus der Sicht der Signora allerdings war es nichts von alledem. Für sie war es eine Anerkennung an ihr eigenes Blut und ihre Erzeugerin. Vordergründig war es allerdings doch eine Maske der Unschuld, eingewoben in ein Kleid, das auf den allerersten Blick in weiß und grau unschuldig oder sogar schlicht aussah, aber im Faltenwurf, hinter den eingesteckten und gestaffelt eingenähten Federn jedoch auf einmal Farben zeigen konnte. Es war eine Spielerei und vermutlich würde das ganze Kunstwerk nicht länger halten als eine Nacht - aber wer dachte schon so viel weiter, wenn es nur auf heute ankam?

“Du”, sagte sie und deutete auf Lodovico, der von allen Schaustellern noch am schlichtesten aussah, mit fester und einigermaßen sauberer Kleidung. Immerhin hatte er Schuhe und sie waren ziemlich sauber. Vor allem aber war Lodovico kräftig, hatte meist einen handfesten Knüppel dabei oder konnte sich schnell einen Gürtel um die Faust winden, wenn es galt, irgendwem eins auf die Nase zu geben. Heute abend würde er als Leibwächter herhalten.

“Und du”, sagte Achilla und deutete geziert auf denjenigen, der sich am hübschesten herausgeputzt hatte. Heute Nacht war das Adelfo, mit seinen weichen Locken und dem noch immer etwas feinen Bartflaum. Den übrigen blieb fürs erste nur ein langes Gesicht. Aber die Nacht war ja noch jung… .

---

Nicht allzu lang später bogen alle drei, Adelfo, Lodovico und die Signora Achilla selbst in die Alte Winzergasse ein. Die Straße hatte sicherlich viele Jahre lang keine richtige Winzerei mehr gesehen - wenn es hier überhaupt je eine gegeben hatte. Vielleicht hieß sie tatsächlich nur so, weil es diese riesigen Fässer hier gab, die zu groß waren als dass man sie zwischen den Schuppen und Häusern noch heraus bekäme, und deren Holz so alt und fest war, dass es zum Verbrennen kaum besser taugte als Stein. Das hieß nun nicht, dass sie leer standen und nicht irgendwie gebraucht oder einfach eingebaut wurden - aber sie hatten diesem Winkel wohl seinen Namen verliehen.
Hier also sollte Caspar mit seinem beneidenswert schillernden Ruf heute einen Abend geben, vielleicht ein Fest aushalten oder vielleicht auch etwas gänzlich anderes. Alles war möglich und eine geringere Dame als die Signora hätte sich vermutlich Sorgen um den eigenen Aufzug, den Anlass und die Schicklichkeit gemacht.

Ihr selbst lag allerdings kaum etwas ferner als das. Die heutige Nacht sollte denkwürdige werden! Und vielleicht auch ein wenig nützlich.
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
Benutzeravatar
Il Canzoniere
Erzähler
Beiträge: 8394
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 20:22

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen

Beitrag von Il Canzoniere »

Irgendjemand sang.

Es hatte den Tag über geregnet und noch immer hing ein Teil der Feuchtigkeit in der Luft, auch wenn die Hitze der Sonne das meiste des heruntergekommenen Lebenssaftes bereits wieder hatte verdampfen lassen. Die alte Winzergasse führte direkt auf den Cortile delle Meraviglie wie es schien. War beinahe ein Teil von ihm, zumindest aber ein Zubringer. Für gewöhnlich. Heute Nacht jedoch prosperierte die farbige Lumpenpromenade in einer ungewöhnlichen Energie. Verkleidete tanzten umeinander, Lichter aus den umliegenden Häuser erhellten freiliegende Fesseln, Knöchel oder gar Knie, jemand verkaufte gekochte Äpfel am Stiel und andere bewarfen Katzen mit Steinen. Kurzum: es war ein ausgelassenes Spektakel. Die Straßen wie auch der Platz selbst rammelvoll mit Menschen unterschiedlichster Coleur. Dem Gewimmel in ihrer Stimmung folgend, schaukelten aufgehängte Laternen sanft im Spiel des Windes während der Geruch gebrannter Mandeln die kleinen, gierigen Taschendiebe dazu verleitete die Nase witternd in die Luft zu recken.

Das auffälligste und das unauffälligste Zugleich jedoch war dieser Gesang.

Ätherisch, als ob er gar keiner wirklichen Kehle zu entstammen schien dirigierte er den Tanz der Huren und Bettler, der Strauchdiebe und Tagelöhner, der Schausteller, Juden, Quacksalber und Betrunkenen. Er presste die taumelnde Menge aus wie eine überreife Mandarine. Glück und lautes Gegackere schwebte durch die Straßen wie Staub aus einem ausgeklopften Teppich. Er schien das Licht zum funkeln zu animieren, die Sterne zum glitzern und die Geldbörsen zum klimpern. Er beschwor diesen ganz besonderen Geruch der so selbstverständlich eine Mischung aus lauen Sommernächten, frischem Regen und honigsüßen Klebrigkeiten in seiner Ursuppe beherbergte wie ein armer Landadeliger einen wohlhabenden Kaufmann.

Die Szenerie war magisch. Man konnte es kaum anders beschreiben. Dieser ganze Ort war magisch. All das hier besaß einen Sog der schnell süchtig machen konnte.
...und das auch tat. Die Signora brauchte nicht lange um eine kleine Gruppe Männer zu erspähen die Geschenke und Fundsachen entgegennahmen die von eifrigen Gästen gebracht wurden. Und hier und da einzelne Personen die mit bestimmter Hand von ebenso rabiat aussehenden Männern des Festes verwiesen wurden. Offenbar gab es hier eine zweite Ebene.

Nun, betrachtete man weshalb die Signora hier war, gab es sogar eine dritte. Die Frage lautet nur: wo war der Eingang hierzu?
Benutzeravatar
Signora Achilla
Nosferatu
Beiträge: 1472
Registriert: Do 7. Feb 2019, 23:24

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen

Beitrag von Signora Achilla »

Für eine Weile ließ sie sich einfach treiben. Die Verlockung war zu groß und der Schritt hinein in das Gedränge aus Leibern, Gestank und Düften, Tanz und Schweiß, Köstlichkeiten und Gelüsten zu einfach und klein. Für eine Weile tanzte die Signora und verlor auch ihre beiden Begleiter ein wenig aus den Augen.
Wenn sich die Gelegenheit ergab, dann kostete sie von einem der Betrunkenen. Der Hunger war allgegenwärtig, doch unter solchen Klängen, in solchem Gedränge, verwischten die Grenzen und fielen die Barrieren.

Es war eher Zufall, dass sie Adelfo wiederfand, den Schönling. Er leerte seine Taschen in die Hände der Männer und die Signora konnte ihn so gerade eben noch davor bewahren, die Maske, die als Geschenk gefertigt und mitgebracht worden war, auch noch fortgab. Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn etwas fort. “Dies ist ein besonderes Geschenk”, erklärte sie den Männern mit koketter Stimme hinter ihrer eigenen Maske. “Für den Gastgeber heute Abend.” Sie wollte einfach sehen, was sie darauf sagen oder tun würden.
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
Benutzeravatar
Il Cavaliere
Erzähler
Beiträge: 2428
Registriert: Fr 14. Jun 2019, 23:47

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Il Cavaliere »

Die hart wirkenden Männer nahmen die Gaben an und hätten wohl auch die Maske angenommen, wollten sie gar mit grober Geste einfordern, da zucken sie wie von einer unsichtbaren Peitsche getroffen zusammen als die Signora vom Gastgeber sprach.

"Aber natürlich, ähh.."

Etwas verlegen blickte der hartgesottene Mann zu Boden.
Damit war dieses Gespräch auch schon vorbei und was immer auch noch gerne gesagt worden wäre ging im Wirbel einer neuen Melodie unter, laut und archaisch, lud sie nicht nur die Sinne, den Körper, ein sich ihr hinzugeben, sondern auch den Geist. Fremdartig wären die Klänge für abendländische Ohren. Wer nun tanzte, und das waren die meisten, tanzte wild... sinnlich... frei.

Irgendwo inmitten dieses wogenden Meeres aus tanzenden Leibern und sie umspielender Klänge musste er sein. Caspar, das Ziel ihrer Suche...
Benutzeravatar
Signora Achilla
Nosferatu
Beiträge: 1472
Registriert: Do 7. Feb 2019, 23:24

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Ohhh, die Musik, die Versuchung… . Die Signora Achilla, unter all den Masken, die sie ständig trug - und der Name und die Maske aus Holz und Farbe waren nur zwei davon - war doch jemand, die all das liebte.
Tanzen und Feiern hatte sie im Leben schon genossen, einen hübschen Mann an jedem zierlichen Finger. Und dann war alles anders gekommen und so viel dunkler geworden als sie sich je hätte erträumen können.

Jetzt aber war sie wieder zurück und zugleich vorwärts, im Klang der Musik. Und weshalb auch nicht? Sie hatten ihren Tribut gezollt. Weshalb war sie noch gleich gekommen? War es wirklich so wichtig? Und was machte es schon, wenn man sich ein paar Momente stahl, um zu tanzen?

Sie nahm Adelfo die zweite Maske ab und dann nahm sie ihn einfach mit sich. Die Signora drehte sich und umarmte ihn oder ließ ihn sie umarmen - gerade genug, dass sie die eigene Maske etwas verschieben konnte, um ihn zu küssen. Warme Haut unter toten Lippen, was für ein Gefühl. Sie würde trinken, aber nicht sofort. Es sollte köstlich sein und werden. Wein vielleicht und mehr von der Musik.
“Adelfo, tanz’ mit mir”, flüsterte sie ihm zu. “Trinken wir Musik und folgen ihr hinauf bis zu ihrer Quelle.” Sie wusste nicht, ob er ihr überhaupt folgen konnte. Menschenleiber gaben irgendwann auf. Aber wenn er zurück blieb, würde es jemand anderen geben, köstlich trunken von den Klängen… .

Und so tanzte die Signora. Sie gab sich der Musik hin, die so fremdländisch klang und am Ende doch in den Leibern steckte. Man musste einfach nur nicht zu viel darüber denken und auch nicht zu viel von sich selbst halten. Sie lachte und drehte sich und umarmte eine andere, die nicht Adelfo war sondern braungelockt und rund. Und dann war da ein anderer, mit wild verschwitztem Haar und Bart, der sie herumwirbelte und die Signora drehte sich und drehte sich wie im Veitstanz.
Alles verschwamm und wurde zugleich klarer, während sie sich der Musik und dem Moment hingab, dem Duft und dem Pulsschlag dieses Abends, indem alle Menschen zusammen sich anfühlten wie ein einziges, lebendiges, großes Ding. Wie wäre es wohl, vom Herzblut von alledem zu kosten? Dorthin zog es sie, zur Quelle.
Wie eine Motte tanzte sie, immer näher und näher um die pulsierende Flamme dieses Abends… .
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
Benutzeravatar
Il Cavaliere
Erzähler
Beiträge: 2428
Registriert: Fr 14. Jun 2019, 23:47

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Il Cavaliere »

Adelfo, der gute Adelfo, gab sich redlich Mühe Schritt zu halten. Und doch verloren sie sich aus den Augen, zu wild, zu frei waren die Tanzenden. Gesichter und verschwitzte Körper wechselten sich im Takt der Musik ab, wanderten und als würden die lockenden Klänge sie leiten, oder als würde Achilla davon magisch angezogen, war es wie ein Sog. Ein Strudel der sie in sein Zentrum zog, langsam aber unaufhaltsam. Es sei denn man wollte...

Und plötzlich war er da, tanzte mit ihr. Caspar, er musste es sein. Seine aus Versatzstücken unterschiedlichster Kulturen bestehenden Gewänder wirbelten, folgten seinen geschmeidigen Bewegungen die völlig im Einklang mit der fremdartigen Musik schienen. Im, selbst im Untod erhaltenen, braunen Teint seines Gesichts blitzte ein weißes Lächeln auf. So echt, so lebendig wirkend, hauchte es die Worte mehr. Und doch vernahm Achilla sie deutlich, als bräuchten sie die Musik nicht zu übertönen.


"Sei willkommen Täubchen, welches geheime Begehrten bringt dich an den Cortile delle Meraviglie?"
Benutzeravatar
Signora Achilla
Nosferatu
Beiträge: 1472
Registriert: Do 7. Feb 2019, 23:24

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Das ließ die Signora lachen. Die Gründe waren verschieden. Der leichteste war wie Federn und Flügelschlag: Wie lange schon hatte niemand sie mehr “Täubchen” genannt? Das brachte Erinnerungen zurück, an eine Zeit als sie mit allen Masken tanzen konnte oder ohne eine einzige. Begehrlich hatten alle zu ihr gesehen und an jedem zierlichen Finger ihrer Hände hatte sie einen Liebhaber gehabt.

Und der andere Grund war… die Frage selbst. Welches geheime Begehren brachte sie an diesen Hof der Wunder? Es war als hätte er die Tänzer umher gefragt, aus welchem Begehren heraus sie atmeten. Oder als habe er sie gefragt, aus welchem Begehren heraus sie das süße Blut der Lebenden trank.
In diesem Moment, im Tanz und in dieser Nacht war sie wieder lebendig und er hatte ihr das geschenkt.
Und so musste sie lachen.

“Wer in diesen Nächten nicht hier sein will, der muss staubig und leer sein, schöner Herr”, antwortete sie ihm. “Als ich das erste Mal vom Hof der Wunder hörte, musste ich kommen und so tat ich. Vielleicht hast du etwas von unserem Tanz hier gesehen?”

Aus der Bewegung und Drehung heraus verneigte sie sich. Das bunte Lumpenkleid wirbelte um sie her und bevor es zum Stillstand fallen musste, griff sie den Tanz wieder auf.

“Als ich das erste Mal von dir hörte, wollte ich wissen, was du treibst und ob du eine wie mich hier haben magst.” Sie breitete die Arme aus. Die Ärmel von ihrem Festtagskleid waren aus den verschiedensten Stoffen zusammen genäht, aber sie waren verschwenderisch weit geschwungen.

“Und jetzt, wo ich dich ansehen kann, schöner Herr dieser Nacht, will ich deiner Musik folgen, dass mir das Leben in die Glieder fährt und ich wieder weiß, wie das ist: Zu tanzen ohne einen Hauch von Scham und Anstand. Wie konnt’ ich das nur vergessen?!”
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
Benutzeravatar
Il Cavaliere
Erzähler
Beiträge: 2428
Registriert: Fr 14. Jun 2019, 23:47

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Il Cavaliere »

"Staubig und leer, das sind die meisten. Euer Tanz hingegen war das nicht." Welchen er meinte blieb völlig im Unklaren, darum wissend blitze ein schurkenhaftes Grinsen in Caspars Gesicht auf. "Scham und Anstand vergessen machen? Nichts leichter als das!" Ein Fingerschnipsen gefolgt von einem Lachen das von halbvergessenen Verführungen sprach, von starken Glaubenskriegern, hübschen Adelstöchtern, von staubigen leeren Seelen.

"Eine wie du ist hier stets willkommen, zum Tanzen, zum Feiern, zum Vergessen der Eintönigkeit dort draußen und der Leere dort drinnen." Caspar deutete auf ihr Herz, eher er in einer spielerisch leichten Tanzbewegung näher glitt. Schulterzuckend ergänzte der Ravnos: "Oder auch nur für schnöde Geschäfte."

Dieses Spiel, es schien ihm Spaß zu machen. Und allem Anschein nach war er gut darin...
Benutzeravatar
Signora Achilla
Nosferatu
Beiträge: 1472
Registriert: Do 7. Feb 2019, 23:24

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Den Deut auf ihr Herz aufgreifend, legte die Signora ihre Hand darüber. Es fühlte sich nicht leer an, in diesem Augenblick. Und das war das Gute daran, an diesem Abend, an diesem Jetzt.

Als er näher kam, machte sie den Seitenschritt, um mit ihm zu tanzen - um ihr her vielleicht. Es fühlte sich richtig an, wie die Motte um das Licht dieses Abends. Was geschah mit Motten, die zu dicht um das Licht kreisten? Wen kümmert’s! Es gab so selten die Gelegenheit, einfach los zu lassen… .
Doch seine letzten Worte machten es zunichte. So schön der Moment war, so schön er war, so gern sie wollte - da war noch etwas anderes. Die Erinnerung an Godeoc klebte ihr in den Erinnerungen. Harsch hörte sie die Stimme des Grafen der Gosse widerhallen: ”Wenn ich wen erwische der … nich hilft, dem reiss ich die Beine raus. Verstandn?"

Die Signora Achilla mochte ihre beiden Beine sehr gern und schauderte, kaschierte das Schaudern in einem leichten, kleinen Ausfallschritt und wieder zurück und sah sich Caspar genauer an.

“Meinen Dank für das Willkommen”, sagte sie und das kam von Herzen, so leer es manchmal auch war und so voll es heute Nacht war. “...und den Rest. Willst du wirklich über schnöde Geschäfte sprechen, hier und jetzt?” Für den Satz rückte sie sich in die steife, förmliche Haltung eines würdevollen, höfischen Tanzes von der Sorte, von der man ja nicht schwitzt oder auch nur schnell atmen müsste. “Und wie schnöde wär’n die wohl? Womit handelt einer, dessen Musik die ganze Welt klingen lassen kann?”
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
Benutzeravatar
Il Cavaliere
Erzähler
Beiträge: 2428
Registriert: Fr 14. Jun 2019, 23:47

Re: [1024] Feste feiern wie sie fallen [Achilla, SL]

Beitrag von Il Cavaliere »

"Nein... und ja!" Antwortete Caspar der Signora auf ihre Frage nach schnöden Geschäften. "Nun Geschäft ist Geschäft, aber im Gegensatz zu manchem Kind vermag ich sie mit dem Angenehmen zu verbinden. Ich handle mit vielem, mit Allem und mit Nichts. Vor allem aber mit Geschichten." Die Betonung des letzten Wortes hatte etwas Orientalisches. Vor allem aber verhieß sein Lächeln mehr als nur Geschichten eines Wanderers, es verhieß zu Träumen und sich in Geschichten verlieren zu können. Vielleicht sogar Teil einer solchen zu werden.

"Geschichten sind es doch, die für einen Moment diese Leere die wir alle in uns tragen vergessen machen können."
Gesperrt

Zurück zu „1016-1025“