[1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

[September '19]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Angelique
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[1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Angelique »

Manche Dinge waren beständig in Genua, aber auch sie unterlagen dem unmerklichen Erodieren der Jahre.
Obwohl die Theodora auf dem ersten Blick so wirkte, als sei keine Nacht vergangen, seit Angelique sie das letzte Mal gesehen hatte.

Aber Angelique sah die Zeichen der Zeit an dem wunderschönen Schiff. Das Holz war dunkel geworden und die Muscheln wuchsen fröhlich am Rumpf an der Wasserlinie. Golden schimmernde Bronze von einst hatte eine Hauch von giftig grüner Patina angesetzt. Das alles machte die Theodora nur noch erhabener, aber Angelique gab es einen Stich, Schönheit vergänglich zu sehen.

Der Wald aus Masten um das prunkvolle Schiff herum war wieder gewachsen. Neue Flottillen der compagna, der Kriegsbanden Genuas, füllten den Hafen, seit die Stadt nach der Macht im Mittelmeer griff. Es wirkte, als beschützten die jungen kleinen Galeeren der Genuesen das prachtvolle große, aber alternde Schiff byzantinischer Glorie. Eine dunkle Vorahnung, dass das ein Symbol für die Zukunft war, beschlich das Orakel.

Aber das untote Mädchen zuckte mit den Schultern. Wenn interessierten Orakelsprüche heutzutage noch, die über ein "Wie wird das Wetter für die Überfahrt?" und "Bleibt der Sklavenpreis stabil?" hinausgingen?

Angelique fiel nicht mit der Tür ins Haus. In diesem Fall mit dem Fallreep.

Artig stellte sie sich vor dem Schiff auf und fragte, ob die Herrin Sousanna zugegen wäre. Eine Marie wünschte sie zu sprechen.
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Sousanna
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Es war ruhig um die Harpyie geworden. Als hätte der Krieg mit Sardinien sie verschlungen war sie in dessen Wirren abgetaucht und schien verschwunden. Wie man es von einer Wanderin erwartet hatte. Doch das Alla Murra war weiter gelaufen. Man hatte gesoffen, gehurt und gespielt - soweit es eben erlaubt war und ein klein wenig darüber hinaus. Und die Theodora war ab und an aufgetaucht wie der Schatten einer Welt, die möglich wäre, wenn, ja wenn man sich nur ein klein wenig der Sünde hingab und sich treiben ließ.

Doch nun schien es, als plane man einen längeren Aufenthalt. Das Schiff schaukelte nun schon ein paar Nächte im Hafen, wogte dunkel vor sich hin und verströmte seinen sanften Duft nach dem Paradies.

Die kleine Marie wurde mit Freuden empfangen, nachdem ein Junge zur Herrin geschickt worden war und man lud sie ein, aufs Schiff zu kommen. Die Herrin wandle im schwimmenden Garten. Ein schweigsamer Matrose würde das Kind in diese Kuriosität einer älteren, vielleicht schöneren Zeit führen. Für einige Augenblicke würden sie dort warten, im zarten Nachtwind und der Bootsmann schien unruhig zu werden, als mit einem Mal eine altbekannte Stimme zu den beiden herüber wehte.
"Ich habe so viele Tage und Nächte gewartet, dich endlich wiedersehen zu können - und heute schickt dich der Himmel."

Damit tauchte die Ravnos hinter den beiden auf und ihr Lächeln schien die Sonne aufgehen zu lassen, während sie mit einer Handbewegung ihren Lakaien entließ, der sich dankbar entfernte. Heller Stoff, fast silbern umschmiegte den Leib der Schönheit als hätte sie aus Mondlicht eine einfache Tunika gewebt und ihr langes Haar, das sich kräuselte wie das Meer im byzantinischen Hafen, fiel offen über ihre Schultern. Echte Freude stand auf ihren Zügen, während sie die Arme zu einer Umarmung ausbreitete.
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Angelique
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Angelique »

Sousanna - schön wie immer - musste erschrocken sein über Angelique.

Wie alle Vampire war die kleine Vampirin natürlich alterslos und doch - ihr Kleid war fadenscheinig und die einst grellen Farben verblasst, Gelb zu fahlem Ocker, Schwarz zu grau.

Es musste dasselbe Harlekinkleidchen sein, dass sie vor Jahrzehnten getragen hatte.

Schlimmer noch, ihre Haare waren völlig ungekämmt. Sie selber kümmerte sich nie darum, die widerspenstigen Locken zu richten. Das machten normalerweise immer ihre Ghule.

So wirkte sie tatsächlich ein bißchen wie ihr eigenes Gespenst.

"Schiavo, Sousannoula. Es ist lange her..."

Selbst ihre helle Singstimme wirkte ein wenig hohl.

Aber in die offenen Arme der Ravnos sank sie zu gerne.
Immerhin stank sie nicht, sondern roch frisch gebadet und mit Duftwasser einfeölt.
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Sousanna
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Eng zog die Wanderin ihre kleine Freundin an sich. Als könne sie das Kleid des Mondenkinds ein wenig vergessen lassen, wenn sie sie nur fest genug an ihren Busen drückte. Einen Augenblick ruhte das schöne Haupt Sousannas auf dem der Kleinen wie es bei einer Mutter oder einer sehr viel älteren Schwester geschehen wäre und Angelique würde ihren falschen Atem dicht an sich spüren.
"Oh meine liebste und einzige Freundin in diesen kalten Tagen", flüsterte sie und das Griechisch der goldenen Gassen Konstantinopels floss über ihre Lippen wie einst, da sie in vergnüglicheren Tagen gemeinsam gelernt hatten. "Was ist nur geschehen?"
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Angelique »

"Roger ist tot. Etienné ist tot. Und ich lag all die Jahre mit Pflöcken im Herzen in einer Kloake. Ich habe alles verloren und muss nun noch einmal von vorne anfangen."

Sie seufzte, aber Sousanna mochte einen entschlossenen Unterton in den Worten hören. Angelique schien sich nicht aufgegeben zu haben, wie die Worte vermuten ließen.
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Sousanna nickte leicht. Es gab auch nichts, das sie dazu sagen konnte. Sagen wollte. Die letzten Jahre waren voller Grausamkeiten gewesen - und gerade im Falle ihrer Freundin mehr als nur entbehrungsreich.
Stattdessen strich sie Angelique mit zarten, aber geübtem Geste durchs Haar und versuchte offensichtlich, ihre verwirrten Locken ein wenig zu ordnen.

"Du wirst es schaffen.", versprach sie ruhig und versuchte ein ebenso schmerzvolles wie aufmunterndes Lächeln. "Und wenn es etwas gibt, das dir helfen kann, dann sag es mir."
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Angelique »

"Dass du für mich da bist, ist schon mal ein guter Anfang", sagte Angelique lächelnd und ließ es zu, dass ihr Haar gerichtet wurde.

Da hatte sie wieder eine ihrer berüchtigten spontanen Ideen. Sousanna konnte das inzwischen sicher gut erkennen, selbst wenn Jahre zwischen ihren letzten Treffen und jetzt lagen.

"Vielleicht gibt es tatsächlich etwas. Ich bin nahezu mittellos. Das soll aber nicht so bleiben. Du kennst doch sicher reiche und mächtige Leute, die auf junges Gemüse wie mich stehen. Kannst du mich an sie vermitteln?"
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Mit der Zärtlichkeit einer Schwester fuhr sie vor, das zerzauste Haar Angeliques. In einer Geste, die von Verzweiflung und schwesterlicher Liebe gleichzeitig sprach. "Dann bin ich das.", versprach sie ruhig und lächelte ganz leicht.

Auf die Bitte hin legte sie schließlich den Kopf leicht schief und ihre weißen, unendlich menschlichen Zähnchen legten sich auf ihre volle, rote Unterlippe. Einige Momente schien sie die Bitte des scheinbar so jungen Mädchens zu bedenken.
Schließlich aber nickte sie. Auch wenn der Schatten von Sorge sich über ihre dunklen Augen gelegt hatte. "Ich will sehen, was ich tun kann."
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Angelique »

"Danke", sagte Angelique und lächelte schwach. "Zumindest werde ich nicht verhungern und anderen Mädchen oder Knaben werden solche Sünder ersparen. Ich kann viele Masken annehmen, selbst Jungen, wie du ja weißt. So etwas sollte estwas wert sein, finde ich. Ich kann von Salome bis Phyllis alles sein und von Heilige bis Schlampe.

Aber warum schaust du so besorgt?", wollte sie mit schräg gelegten Kopf wissen, als sie Sousannas Blick bemerkte.
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Sousanna
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Re: [1032] Wiedersehen nach vielen Jahren [Angelique, Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Die Harpyie lächelte. Zart wie eine Blüte in einem Frühlingsmorgen und ebenso brüchig. Es störte sie nicht, wenn Angelique sich verkaufte. Es gab schlicht keine Sünde, zu der sie nicht mit Freuden gejubelt hätte - und sie wusste, wie viel erfahrener das Mädchen war, als es aussah. Doch der Gedanke daran, dass ihre Freundin es tat, weil sie so gebrochen war, machte ihr Bauchschmerzen.
Im Herzen der Ravnos verhärtete sich ein kleiner Stein. Ein Schwur, jene leiden zu lassen, die der Tochter der Nacht das angetan hatten.

Dennoch schüttelte sie den Kopf und lächelte etwas zuversichtlicher. "Nichts", gab sie zurück und legte das schöne Haupt ein wenig schief. "Nichts, ich bin nur froh, dich wieder zu sehen. Darf ich dir die Haare richten?"
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