[1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

[Januar '19]
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Sousanna
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[1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Sousanna »

Der Winter war gekommen. Kälte hatte er gebracht und Schneeflocken, die verirrte Federn durch Genua tanzten. Ihr Weg schien ohne Ziel und Sinn, doch wer genau hinsah, der vermochte in ihren Wegen Figuren zu sehen. Geschichten. Den ganzen Fall und Aufstieg von Reichen. Doch sichtbar war das nur für offene Augen.

Der Gesang des Schnees brachte noch etwas mit. Einen Bogen duftendes Pergament, der vor den Toren der Villa des Kastellans lag als die blasse Sonne den Schnee in graurosé getaucht hatte.

Seine Nachricht war einfach. Man hatte die bittere Medizin in Reichweite. Es bräuchte nur noch Finger, die geschickt danach griffen.
Doch sie müsse frisch und übelschmeckend eingenommen werden. Gern könne man sich am Ort des Geschehens treffen. An jenem Ort, an dem all die gebrochenen Seelen ohne Hoffnung Erlösung finden konnten und der wohlwerte Herr, der alte Freund ein vor langer Zeit geschmiedetes Verbrechen wahr geworden finden würde. Dort könnte man die letzten Besprechungen und Vorbereitungen treffen. Wann immer er es wünsche.
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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Ilario
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Ilario »

In Begleitung Alerios näherte sich Ilario dem „Alla Mura“. Beide hatten sich, wohl um nicht weiter aufzufallen, weite Umhänge von schwerer grauer Wolle übergeworfen. Wiewohl seine Begleiterin zahlreiche Klingen mit sich führte, war doch keine davon groß genug um als offensichtliche Bewaffnung ins Auge zu fallen. Ilario selbst stützte sich auf einen Wanderstab, zwei Reisende die in Ravecca einkehren wollten, Reisende die Ausschau hielten nach dem bezaubernden Antlitz Sousannas oder dem herberen ihres treuen Tiziano.
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
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Sousanna
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Sousanna »

Es war wie damals. Als der fremde Lasombra sie nach der Bestie von Genua befragt hatte.
Wieder flog die Ravnos zwischen den Tischen hin und her und tarnte sich einmal mehr als Schankmaid. Hier witzelte sie mit den Trunkenbolden, dort wich sie den Prügeleien aus und drüben rief sie kleinere Bestellungen zu den Knechten an der Theke hinüber.

Und wie damals wandten sich gierige Blicke den Reisenden zu. Selbst wenn es weniger geworden waren. Offensichtlich besaß die Harpyie einen halbwegs regulierenden Einfluss auf ihre Leute.
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Ilario
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Ilario »

Sie suchten sich einen freien Platz und warteten auf die vermeintliche Schankmaid. Während die Aufmerksamkeit seiner Begleiterin ganz möglichen Bedrohungen, wovon es in ihren Augen unter den Besuchern des Alla Mura zahlreiche gab, galt, blieb Ilario gelassen, den Fokus ganz auf der umherwuselnden Byzantinerin. Geduldig wartend auf unauffällige Kontaktaufnahme. Nach außen hin war es wohl keineswegs ungewöhnlich, dass ein neuer Gast mit seinen Blicken an der schönen Schankmaid hing.
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Sousanna
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Sousanna »

Als hätte sie ein unnatürliches Gespür für die Monster unter ihren Gästen, zog es die Schankmaid schon bald zu den verhüllten Gästen. Sie knickste adrett vor ihnen - so wie sie vor jedem geknickst hätte, doch eine Spur tiefer, ihrer beider Stand entsprechend.
"Es freut mich, heute Abend so angenehme Gäste zu haben.", raunte sie ihnen zu und zeigte das strahlende Lächeln einer unbedarften Magd, ehe sie leicht nach oben nickte.

"Darf ich euch die Zimmer zeigen?" Eine sachte Frage, die sie jedem Gast hätte stellen können, von dem sie mit dem Geschick der Dienerin einer Herberge erahnte, dass er sich erholen wollte. Doch das Funkeln in den großen Augen ließ auf bedeutend mehr schließen. Auf ein großes Geheimnis, das in jenen Zimmern lag.
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Ilario
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Ilario »

Ein schlichtes Nicken, das das neugierige Funkeln in den meergrauen Augen Lügen strafte, dann erhob sich Ilario auch schon. „Aber gern, geht nur voran.“ Alerio deutete er zurückzubleiben, dann folgte der verkleidete Lasombra der Schankmaid aufs Zimmer.
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Sousanna
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Sousanna »

Wieder ergoss sich jenes Strahlen über das Gesicht der Harpyie, das so sehr an Sonnen übergossene Felder zu erinnern vermochte. Ein Strahlen, das vergessen ließ, dass sich unter der Gestalt der schönen jungen Frau eine Bestie verbarg.
Dann nickte sie und brachte den scheinbar so Fremden unter dem Mantel nach oben. Auch hier wurde ihr unweigerliches Geschick gewahr, sich in den Massen zu bewegen ohne, dass jemand sich durch einen falschen Schritt gestört fühlte. Hinter ihr vermochte der Kastellan den versoffenen Mob ebenso geschickt zu durchschreiten als wäre er ein Hai und all die verlorenen Seelen Wasser.

Das obere Geschoss lag ruhig da. Das Rauschen von unten drang durch die Holzbohlen und ein paar allzu menschliche Geräusche schwebten herüber. Doch dafür, wie grässlich das Alla Murra unten wirkte, war das Obergeschoss sehr gepflegt. Sauber und ganz dezent nach Blumen riechend erstreckte sich der Flur vor ihnen, den Sousanna raschen Schrittes durchquerte um eine Tür am anderen Ende zu öffnen.
Ehe sie sie öffnete wandte sie sich noch einmal zu dem Herrn der Schatten um und schenkte ihm ein halb vertrauliches, halb verschmitztes Lächeln.
"Seid willkommen im Herzstück dieses Ortes", flüsterte sie im Tonfall griechischer Priester, den sie irgendwo aufgeschnappt haben musste. "In meinem Heiligtum."

Erst dann öffnete sich die schlichte Tür und schloss sich sofort nachdem auch der alte Gefährte eingetreten war. Man hätte alles erwarten können. Ein Herbergszimmer, einen Altar der Sünde, einen Stall... Doch all das strafte der Realität Lügen.
Man mochte meinen, sie befänden sich im Inneren einer Rose, so sacht schimmerte falsches Sonnenlicht (war es denn wirklich falsch?) zwischen seidig purpurnen Vorhängen hindurch. Der kissenüberhäufte Boden war übersät mit Kostbarkeiten. Solchen, die bloßer glitzernder Tand waren. Und solchen für deren Wert Menschen bereits gemordet hatten.
In der Mitte des Raumes thronte voller Exotik und Verführung eine Wasserpfeife und auf Tischchen an den Seiten jene Kräuter, die man damit rauchte. Alles überdacht vom Schatten eines enormen, verzierten Stoßzahn eines Elefanten.
Und über all dem schwebte der schwer-liebliche Duft der Herrin der Sünden.
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Ilario »

Auch wenn er innehielt und im ersten Moment nur mühsam nicht zurückschreckte vor dem falschen Sonnenlicht, trat Ilario ein und sah sich dann fasziniert um. So viel Exotik, so viel Mysterien… ein Heiligtum fürwahr. Was an Geschichten sich hinter all dem kostbaren Tand verbergen mochten? Welch grausamer Bestie gehörte dieser gigantische Zahn? Wie wohl ein Maul voll solcher Fänge aussehen würde? Sicherlich steckte auch eine Geschichte hinter diesem, ein Heldenepos vielleicht.
Bewusst atmete der schon so lange tote Schatten den Duft jenes Ortes ein, den Hauch ferner Länder… Sousanna.
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Sousanna
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Sousanna »

Genau hatten die dunklen Rehaugen den Kastellan beobachtet. Schienen jede seiner Regungen in sich aufzusaugen. Dann teilten sich die vollen Lippen zu einem breiten Grinsen. Ganz offensichtlich genoß sie die sachte Neugier in seinen Blicken.
"Gefällt es euch?", fragte Sousanna mit dem sonnigsten Tonfall, den Genua je gesehen hatte. Einmal mehr bespielte sie das Bild der Unschuld in Perfektion. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt und sah sie zu ihm empor als wäre nicht der Raum, das Schönste, was sie je gesehen hatte, sondern der Herr der Schatten. Zumindest schien es in diesem Fall mehr als nur wichtig, was er von diesem Heiligtum hielt.
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Ilario
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Re: [1015] Heilung durch Sünde [Ilario]

Beitrag von Ilario »

Wiewohl er um ihre Verschlagenheit wusste, konnte Ilario nicht leugnen, dass die Schönheit und mehr noch die pure Lebendigkeit der Ravnos ihn vereinnahmte. Oder vielleicht war es gerade diese Kombination aus Lebenslust und Durchtriebenheit die ihn so faszinierte? Es fiel schwer sich nicht blenden zu lassen und wachsam zu bleiben. Es war nicht nur die Körperlichkeit derer sie wohl mit so manchem Sünder frönte, nein… er ertappte sich bei dem Gedanken ob ihre Vitae wohl auch nach süßer Lebendigkeit schmecken mochte, nach wahr gewordenen Träumen?

Die Frage der Byzantinerin riss ihn aus diesen, eher untypischen, Gedanken. Abermals ließ er seinen Blick durch den Raum wandern um schließlich zu ihr zurückzukehren.
„Es ist wie ihr einst sagtet: Träume und Wirklichkeit, verschmelzend… ein Ort der schwindenden Grenzen. Es ist… wunderschön.“ Leise, fast verträumt sprach seine Stimme von Schönheit, Zweilicht, Schein und Wirklichkeit, Exotik und Geschichten, ein Hauch von Orient. Es stand im Widerspruch zu der kalten, rationalen Welt dort draußen.
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