Schlammige Pfade [offen]

[Januar '16]
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Melissa
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Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Melissa »

Hunde kläfften und stellten das Fell auf, als die kleine Gruppe Reisender am frühen Abend die Porta Soprana erreichte. Der Geruch von Rauch hing in der Luft, von Mist und Vieh, das an seinen Leinen zerrte. Die Gruppe reihte sich in die Reihe von letzten Ankömmlingen ein, die noch in die Stadt wollten.

Die Frau, die in ihrer Mitte umher schlich, mochte wohl der traurigste Anblick der Truppe sein. Sie war barfuß. Schlamm hatte ihr schlichtes Kleid bis auf Höhe ihrer Hüften besudelt. Ihre Haare waren ein Rattennest, voller Laub und Zweige und noch mehr Schlamm, als hätte sie die letzten Tage im Schmutz verbracht. Irgendwo unter dem Dreck steckte eine hübsche Frau, die ihre Reize und ihre Augen aber bei sich behielt.
Irgendwo zwischen der Pontexello und Sant'Andrea war sie zu ihnen gestoßen und niemand hatte sie eines zweiten Blickes gewürdigt, wie sie hinter dem Troß herschlich. Eine Hure oder Flüchtige mehr machte den Braten nicht fetter und sie belästigte niemanden.

Sie hatte das Jahr vergessen und die Jahreszeit. Es musste warm sein, denn die meisten Männer trugen nur wenig, die Männer am Tor stolzierten mit halb freier Brust herum und selbst die Frauen begnügnten sich mit leichten Stoffen. Sommer vielleicht oder später Frühling.
Eng drängte sie sich in das Rinnsal von Leuten, die sich durch das schmale Tor pressten. Bemerkungen hallten in ihren Ohren wieder. Melissa schloss die Augen. Ihre Nüstern flatterten. Sie schluckte ihren Stolz und das hungrige Knurren in ihrer Kehle.
Es war fast eine Woche her, dass sie gegessen hatte.

Sie schlug die Augen erst wieder auf, als sie die steinernen Mauern sicher hinter sich gelassen hatte. Sie war wieder in einer Stadt, nach langer, langer Zeit. Sie fühlte das Meer aus warmem Fleisch um sich fließen, als sie einen Augenblick stehen blieb. Sie sah die braunen Hügel von Raveccha vor sich, mit ihren schiefen Holzhütten und den Gärten und Gehöften und dem Geschrei von Vieh. Von Leben.
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- Giovanni Faldella
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Angelique
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Angelique »

Der Richtplatz hatte ein Festmahl für Angelique bereitet gehabt. In diesen bewegten Tagen voller Krieg und Unruhen musste sie nie hungern an ihrem grauenvollen Buffet.
Nicht erkaltene Leichen waren es diesmal gewesen, sondern gefangene sarazenische Piraten, die nach ihrer eigenen morgenländischen Sitte auf stumpfe, eingefettete Pfähle gepflanzt worden waren und qualvollst und erniedrigt ihr Leben erst nach endlosen Stunden, manchmal Tagen aushauchten.
Einer war sogar am Leben gewesen, als die kindliche Vampirin ihre Fänge in ihn geschlagen hatte. Seine Pein war zu Wonne geworden in diesen letzten Momenten seines Daseins, so war die Natur des tückischen Kusses der Untoten, und Angelique war froh gewesen, einem Menschen - und war es doch nur ein Heide - die letzten Augenblicke zu haben.

Auf dem Rückweg musste sie sich sputen, um noch vor dem Schließen der Tore die Stadt wieder zu erreichen.
Lästig wäre es gewesen, die Bestechung zu entrichten, die für Einlass nach Toresschluss nötig war. Sie hatte zwar immer wieder Kanditaten unter den Wächtern, die nach ihrem Bisse sich sehnten, aber sie musste vorsichtig sein, wenn sie ihren Kult aufbaute. Das ewig junge Kind fiel irgendwann vielleicht dem Falschen auf, der sie nicht als Engel, sondern als Teufel sah.

Aus irgendeinem Grunde fiel ihr die wie schlafwandlerisch dahin gleitende Frau ins Auge, die sich durch das Tor schlängelte. So besudelt sie auch war, steckte eine ätherische Schönheit unter dem Schmutz und den Lumpen. In sapphischer, nirgends in der Bibel verbotener Zuneigung zu einem vollgereiften Frauenleib, den sie niemals haben konnte, war Angelique sofort verzaubert. Sie wollte den Schmutz von ihr waschen und ihr eine gute Unterkunft in den besten Häusern üblen Rufes verschaffen oder, wenn sie der Welt entsagen wollte, Zugang zu einem reichen Kloster.

Schnell schlüpfte sie hinterher. Irgendwann wagte sie, die Frau anzusprechen: "Sei willkommen in Genua, Wandererin."
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Melissa
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Melissa »

Die Frau zuckte zusammen, so sanft sie auch aus ihrer Beobachtung gerissen worden war. Erst blickte sie sich nur um, wunderte sich, war verwirrt. Dann entdeckte sie Angelique.
Sie tat einen Schritt auf das fremde Kind zu und für einen Moment hob sie die Hand, unschlüssig wohl, ob...Dann zog sie sie zurück an die Brust, umfasst sie mit der anderen Hand.
Ein Ausdruck von Mitleid und Güte stahl sich auf ihr Gesicht, als sie das Mädchen betrachtete. Ihre Stirn legte sich in Falten, ihre Unterlippe schob sich nur ein winziges Stück nach vorn und begann zu beben.
Seltsam nur: Ihre Augen blieben kalt.

Sie sprach Italienisch, falls man es so nennen wollte. Eine zusammengezogene, kurze Form der Sprache, die gänzlich aus Vokalen und weichen Halbvokalen zu bestehen und keinerlei andere Indikatoren als die launische Betonung zuzulassen schien.
Die vollen, rosanen Lippen der Frau öffneten sich kaum, als sie sprach. Ihre Worte troffen mehr aus ihrer Kehle hervor, als dass sie sie in die Welt schleuderte. Vorsichtig und zart.
"Es ist sehr spät für Mädchen."
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Angelique
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Angelique »

Angelique war noch mehr bewegt, als die Fremde sich ihr zuwandte und sprach. Die kleine Vampirin war an eine antike Statue erinnert, die sie dereinst in den ewig wachsenden Sümpfen um Arles gesehen hatte, vom Morast besudelt und überwuchert, aber von erhabener Schönheit, die nicht verborgen werden konnte.
Diese Frau war zu schade für Genuas Sünder. Angelique wollte selbst mit ihren Fängen diese marmorgleiche Haut sinnlich durchbohren und die Vita der Frau kosten. Als Malkavianerin fühlte sie sich instinktiv zu der verhuscht wirkenden Fremden hingezogen, sah diese doch aus, als hätten Entbehrung, Leid, vielleicht Schändung oder der Verlust von Kind und Gemahl sie über die Grenzen des Verstandes getrieben.
Unschuld und Naivität heuchelnd nickte das untote Monster in Kindergestalt, als es mit heller Stimme meinte: "Ja, es ist ziemlich spät und ich habe meine Pilgergruppe verloren. Sie zogen einfach weiter, als ich kurz hinter die Büsche musste. Aber dank des heilgen Judas hab ich es ja noch vor Toresschluss in die Stadt geschafft."
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Melissa
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Melissa »

"Oh, du armes Kind", seufzte sie und kam noch einen Schritt näher.
"Wie glücklich du bist, es geschafft zu haben. Dort draußen ist kein Ort für Mädchen, noch weniger für kleine. Es..."
Wieder schloss sie den Mund, blickte zur Seite, als wäre ihr eine Eingebung gekommen. Ein Gedanke vielleicht oder eine Erinnerung, was genau dort vor den Mauern der Stadt lauerte. Was vielleicht sogar ihr widerfahren war, dass sie so zerrupft aussah.
Melissa sah die Menschen um sich herum, sah das Treiben langsamer werden und mit der Zeit versiegen. Sah sich wieder einsam und allein in einer fremden Stadt.

"Kennst du einen Ort, an dem du sicher schlafen kannst?", fragen sie das Mädchen, die Stimme voller Fürsorge, die echt oder gut gespielt war.
Wo Angeliques Stimme hell und kindlich war, war Melissas voll und rauchig. Weiblich.
"Weißt du, wo deine Gruppe unterkommen wollte?", fragte sie weiter und gespitzte Ohren hörten deutlich einen neuen Unterton in die Arie Melissens Stimme hinzutreten: Hunger.
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Angelique
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Angelique »

Wahrnehmung +Empathie:
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Irgendetwas im Ton der Stimme ließ Angelique aufhorchen. Misstrauisch wie alle Kinder der Nacht schaute sie sich die Geheimnisvolle jetzt genauer an.

Aufmerksamkeit + Medizin
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Und obwohl oder gerade weil ihre medizinischen Kenntnisse auf den anatomischen Studien bei ihrem Mentor Benedetto beruhten, sah sie mit großer Deutlichkeit, dass die Fremde nicht atmete und kein Puls an ihrem Halse schlug. Die Blässe der Haut war nicht adliger Herkunft noch Krankheit geschuldet, sondern dem Tode.
Erstaunt und fast um der Ironie Willen auflachend, zeigte nun das kleine Mädchen seine Fänge und verbeugte sich artig, nachdem es sich umgeschaut hatte, ob sie wirklich alleine waren. "Seid mir gegrüßt, Verwandte," sagte sie hauchend.
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Melissa
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Melissa »

"Ach, du armes Kind", sagte die schmutzige Frau wieder und schüttelte den Kopf.
"Darfst mich Tante nennen, wenn du willst, aber Familie habe ich nicht."
Melise legte die Hand auf die Brust und lachte, herzlich und warm, aber wohl kontrolliert. So, wie es sich für eine Frau gehörte.
Immer noch: Keine Zähne. Nicht beim Sprechen, nicht beim Lachen.

Die Frau sah sich um, warf verstohlene Blicke über die Straße, die trotz der späten Stunde noch nicht völlig verlassen war. Sie kam einen weiteren Schritt näher, die Hände noch an die Brust gepresst, als hielte sie ein Amulett oder ähnliches unter dem Kleid umklammert. Ihre Bewegung war geschmeidig, natürlich, schnell.
Ihre Stimme bekam einen strengen Unterton, als hätte man ihr soeben das Abendessen versalzen.
"Du gehörst wirklich nicht mehr auf die Straße. Wie alt bist du, mein Kind?", fragte sie. "Ich bin sicher dein Vater wüsste gerne, wo du dich herum treibst."
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Angelique »

War sie von ihrem Klan, den Malkavianer? War auch sie von Gott berührt?
Sie musste vorsichtig sein. Außerdem sah sie wieder Leute auf der Strasse, also senkte sie die Stimme zu einem Flüstern.
"Mein Vater ist der Vater im Himmel. Der, dessen Samen ich entsprang, lebt schon lange nicht mehr. Und meine Erzeugerin, die mich in die Nacht holte und zur Perfecti machte, ist Veronique von Arelete aus dem Hause Malkavs. Und mein Name ist Angelique und recht habt Ihr: Vielleicht solllten wir uns in die Thermen oder einem der anderen Badehäuser zurückziehen. Dort könntet Ihr Euch frisch machen, bevor Ihr Euch den Offiziellen vorstellt."

Lächelnd fragte sie dann: "Und wie steht es denn mit Eurem Namen und Eurer Abkunft?"
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Melissa
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Melissa »

"Badehaus?", sagte sie und klang schockiert. Ihre Augen lagen auf dem untoten Kind, kalt und tot, wie liebevoll und süß ihre Stimme auch immer säuseln mochte. "Das ist kein Ort für eine Dame, noch weniger ein Mädchen. Ein schmutziger, verdorbener, unanständiger Ort ist das."
Sie fuhr sich mit einer Hand durch die wirren Haare und riss versehentlich einige davon aus, die durch Schlamm zusammen geklebt waren. Erdbrocken rieselten daraus hervor. Dann betrachtete sie ihre Fingernägel, lang, kräftig und mandelförmig, unter denen dick der Dreck klebte. Sie seufzte.

"Ein guter Vorschlag. Lass uns auf dem Weg dorthin sprechen, wenn wir etwas ungestörter sind..."
Melissa folgte ihrer neuen Bekanntschaft dann ohne weitere Einwände. Erst, als sie einigermaßen außer Sichtweite der größeren Straßen waren, erhob sie wieder die Stimme. Und selbst dann nur leise, als fürchte sie, gehört zu werden.
"Mein Name ist Melissa und mein Vater der Korinther, der sich in Ravêna niederließ, aus dem...Haus des Drachen.
Ich bin entzückt, deine Bekanntschaft zu machen, Anchelica."

Offensichtlich hatte die Frau Probleme damit, den Namen so auszusprechen, wie Angelique es selber tat.
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Angelique
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Re: Schlammige Pfade [offen]

Beitrag von Angelique »

Die wie Quecksilber sich ändernde Einstellung der Frau gefiel Angelique. Vom Drachen also aus der alten Kaiserstadt Ravenna, wo auch die neuen ottonischen Kaiser ein Machtzentrum hatten.
Aber der Name klang irgendwie griechisch. Eine Byzantinerin viielleicht? Sie sah aus, als wäre sie gerade aus dem Erdreich gestiegen. Hatte sie vielleicht lange Zeit im Torpor verbracht?
Das versprach alles sehr interessant zu werden.
"Komm mit mir, Tante Melissa," sagte sie herzlich und es war nicht einmal gespielt. "Lass uns im heißen Wasser aufwärmen." Einladend streckte sie ihr ihr kleines Händchen entgegen.
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