Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

[März - Mai '16]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Melissa
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Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Melissa »

Der Hafen von Genua war, so hieß es von offizieller Seite, "de facto Domäne derer, die der Via Regalis folgen". Ein stolzer Anspruch und ein hübscher, war der Hafen doch das wildeste, raueste Viertel von allen, in denen muskulöse Seemänner, bärbeißige Kapitäne und das hinterlistigste Gesindel der Stadt sich den lieben langen Tag betranken und rauften.

Die Frau, deren nackte Beine vom Kai in das Wasser der Buch von Genua baumelten, wusste davon nichts. Oder besser gesagt: Sie wusste nicht, was diese Via Regalis sein sollte und noch weniger, wie etwas De Facto sein konnte, wenn man es nicht so nannte. Daher hatte sie, irgendeiner Eingebung folgend, die sie für das erste Angelica in die Schuhe schob, einen Spaziergang dorthin gemacht.

Zwar war sie sich bei dieser Unternehmung noch nicht ganz sicher, ob sie die kleine Diebin so zeitig wieder sehen wollte - der Schock ihres unangekündigten Besuches steckte ihr noch tief in den Knochen - aber Melissa hatte bei diesem letzten Vorkommnis immerhin eine Kleinigkeit gelernt: Sie musste ab und an wohl oder übel von ihrem selbst gewählten Flecken Erde herunter und den Rest der Stadt beschauen. Tatsächlich etwas, das sie in den letzten...oh, drei oder vier Jahren nun, noch nie getan hatte.
Eine Unverschämtheit eigentlich, am Meer zu wohnen und es doch noch nie besucht zu haben.

Im Augenblick fand sie die andere Seite Italiens doch deutlich hübscher. Sie vermisste die versandeten, antiken Hafenanlagen von Ravenna, wie sie alles jenseits des Horizonts, alles jenseits der Bucht, verachtete.
Es gab dort nichts, stellte sie fest. Nichts jedenfalls, das sie reizte oder lockte oder rief. Sie hatte sich mit einigen der Seefahrern unterhalten und die abenteuerlichen Geschichten über Seeungeheuer und schwarze Männer mit krummen Schwerten und roten Bärten löste nichts weiter als gähnende Langeweile in ihr aus und den Wunsch, sich in ihrem Nest zu verkriechen.
Noch wusste sie nicht, was sie davon halten sollte, dass das Meer sie so vollkommen langweilte, und dachte verträumt in dieser dunklen Nacht darüber nach. Abwesend in die Ferne starrend, wo die großen Schiffe lagen.
La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
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Fabrizio
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Fabrizio »

Die Ratte hatte Angst, panische Angst.
Die kleine pelzige Kreatur paddelte mit ihren Stummelbeinen um ihr Leben, nur schemenhaft war sie zu sehen im schwarzen Brackwasser das seicht und regelmäßig gegen den Kai und Melissas Beine schwappte.
Und doch glaubte man beinahe das winzige Herz des Tieres pochen zu hören. Die Ratte hatte es gesehen. Das Seeungeheuer, den Schwarzen Mann!

Keine Märchen.

"Nein, ihr müsst euch weiter zurück halten. Wir sind noch nicht so weit das Ruder zu übernehmen." Zischte der Kapitän etwas genervt und ungeduldig.
Dann blieb er plötzlich stehen. Ja er wurde in letzter Zeit immer etwas nervös, wenn da Nachts irgendwer an den Kaimauern herumlungerte, der da nicht wirklich hingehörte. Kinder, Nonnen, einsame hübsche Frauen...

Während der schwarz gekleidete Kapitän sie skeptisch und etwas seltsam anstarrte, als wäre sie eine von diesen Meerjungfrauen oder so etwas, wurden auch seine beiden abgerissenen Begleiter auf Melissa aufmerksam.

Wichtigtuerisch räusperte sich der eine. "Ja Maestro, da hast du ein gutes Auge. Kannst mir glauben: Die Stute is eine aus der du nen richtigen Goldesel machen kannst." Die Stimme klang grob und etwas dumpf.

"Bastardo, halt dich da besser raus. Das hier ist eine Dame, das sieht man doch direkt. Mit so Schweinehirten wie dir wär ein Engel wie sie schlecht beraten. Lass mich mit ihr tanzen und ich mache sie die Königin Genuas." Der Charme triefte, süßlich schwer, aber im Abgang eine fiese Kälte.

"Machst eine Ehrbare Bürgerdame aus ihr, nicht wahr Ricardo? Den Ring ham schon viele gesehen und Königin is noch keine." Der erste lachte dreckig und fühlte sich wohl schlagfertig.

"Sculio redet von ehrbaren Damen? Der einzige Ring den deine Mutter..." Schlagartig brach Ricardo ab. Ein einziger harter Blick Fabrizios in sein von Narben gezeichnetes Gesicht ließ ihn verstummen, wie es sonst wohl wenig später die blanken Fäuste des bulligen Sculio getan hätten.

Währenddessen arbeitete es in Fabrizio. Irgendwoher kannte er diese Frau. Sie kam ihm bekannt vor, ohne dass er sie bereits direkt zuordnen könnte. Strandgut, was noch halb im Sand verborgen war...
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Melissa
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Melissa »

Melissa hatte die Männer früher oder später bemerkt. Ob es das Klatschen der Ruder war oder das verängstigte Quieken der Ratte, die sich neben ihr an Land gerettet hatte, oder nur die leisen Stimmen, würde ihr Geheimnis bleikben. Sie hatte die Lippen geschürzt und aus der Nähe hätte man ein Funkeln in ihren Augen sehen können. Wie Hunger.
Glücklicherweise war sie eigentlich viel zu weit entfernt, um jedes einzelne der schmutzigen Worte im schwierigen Dialekt der Seemänner ausgemacht zu haben.

Eure Männer sind ja herzallerliebst, Signore Fabrizio. Ich muss euren Ricardo aber wissen lassen, dass mein lieber Gatte und seine Familie mich nicht gern mit anderen tanzen sehen", rief sie dem noch ein Stückchen entfernten Boot und den Männern darauf zu.

...Eigentlich.
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Fabrizio
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Fabrizio »

Wieder ein scharfer kontrollierender Blick zu den Männern um eine sicherlich unpassende Erwiederung schon im Keim zu ersticken. Dann zischte er ihnen nur halblaut und eiskalt zu. "Verschwindet jetzt und macht eure Arbeit da wo ihr hingehört!" Diese Frau gehörte ihm, das war klar.

Einen Moment wartete er ab, bis seine zwielichtigen Gesellen sich tatsächlich wortlos davon machten. Jedoch gingen sie nicht ohne sich respektvoll vor ihm zu verbeugen, und das wirkte bei diesen Männern irgendwie grotesk. Normalerweise spuckten diese Männer anderen höchstens vor die Füße.

Fabrizio konnte die Frau, die seinen Namen kannte, nun zuordnen. Melissa der Drache. Sie hatte sich ihm in der Höhle vorgestellt. Danach hatte er sie nie wieder gesehen. Ihm war nicht einmal klar gewesen, dass diese Kainitin überhaupt noch in der Domäne weilte. Neugierig aber mit einer gewissen vorsichtigen Spannung in der Bewegung näherte er sich ihr.
Im näherkommen ergriff er dann aber bereits wieder recht zwanglos das Wort.

"Meine Männer sind nur Schmutzfinken, bitte entschuldigt ihr unangemessenes Verhalten, Signora Melissa."

Allerdings näherte er sich dann auch nur auf einen höflichen Abstand und neigte dezent das Haupt bevor er weiter spricht.

"Aber dein Gatte, dieser etwas blässliche Mensch den du uns zuletzt präsentiert hattest? scheint nicht viel besser zu sein, sonst würde er dich wohl kaum hier allein am Hafen warten lassen?" Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf seine Züge, aber das sah irgendwie falsch aus.
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Melissa
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Melissa »

Der Drache gluckste. Ein unschönes Geräusch, das einst ein Kichern oder Lachen hatte werden wollen, ehe Melissa es hiniter vorgehaltener Hand tötete.
"Mein Gatte weiß auch, was gut für ihn ist", erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln, "und dass eine Dame ihren Freiraum braucht."

Melissa erhob sich von ihrer Stelle am Kai. Eine elegante, einförmige Bewegung, mit der sie die baumelnden Füße anzog und nach oben schnellte.
"Guten Abend, Signore Fabrizio", sagte sie und neigte ihm ebenfalls den Kopf zu.
Im Gegensatz zu ihm lächelte sie vollkommen natürlich. Lügen kamen ihr über die Lippen wie Wein, selbst die kleinen.
"Er hat...andere Qualitäten als einen braunen Taint", setzte sie sodann nach.
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Fabrizio
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Fabrizio »

Der Lasombra näherte sich noch einen weiteren Schritt, dann blieb er stehen. Eine gute Entfernung für eine unverbindliche Plauderei zwischen zwei flüchtig bekannten, daran dürfte wohl niemand anstoß nehmen.

Das unschöne Geräusch indess hatte ihm irgendwie gefallen, ein etwas verzogenes Lächeln huschte über seine Züge.

"Dann wird er wohl noch ein langes Leben vor sich haben." Tat er die Vorzüge des Gatten dann jedoch etwas lapidar und beiläufig ab, um zum wesentlichen zu kommen.

"Und die Sehnsucht der Dame nach Freiraum ist so groß, dass es sie zur weiten See hin zieht? Hier in unseren schönen nächtlichen Hafen?"
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Melissa
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Melissa »

"Ich wurde an der See geboren", stellte Melissa von den Drachen fest. "Beide Male. Die See ist...nicht meine Heimat, dazu hält sie wohl zu wenig Einfluß über meine Seele. Aber sie ist meine Amme gewesen. In ihren Armen wurde ich gewiegt, genährt, sie versorgte mich mit allen Reichtümern und allem Luxus, nach dem es mir verlangte. Mit Nahrung, Wärme und LIebe."

Sie zuckte mit den Schultern. "Die Adria jedenfalls tat es. Ich weiß noch nicht, ob der Golf es ebenso tun wird. Bisher sträubt er sich. Er ist ein etwas eitler Genosse, habe ich den Eindruck."
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Fabrizio
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Fabrizio »

"Dann solltest du wohl seine Geister wohlgesonnen stimmen. Die See war schon immer eine launische Amme. Ich weiß wovon ich spreche, auf See bin ich geboren." Eine Feststellung, weder rührseelig noch pathetisch, fast beiläufig und doch mit einem strengen Ernst.

Einen Moment spricht nur der leise aufkommende Wind.

"Dich begierd also nach Nahrung, Wärme und Liebe?" Ein forschender Blick, war da so viel Mensch in ihr?
Oder war sie einfach nur hungrig auf der Jagd? Er grinste knapp und eher wölfisch, denn seine Fänge bleckten kurz deutlich hervor wie er nun an das salzige Meer aus Blut gedachte.
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Melissa
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Melissa »

"Was sonst gibt es in der Ewigkeit zu suchen? Was sind diese Dinge den Unsterblichen? Wir haben alle Zeit der Welt, wieso es mit den selben Zwisten verschwenden, die die Sterblichen ruinieren?"
Auf Fabrizios Lächeln hin verzogen sich auch ihre Mundwinkel. Angeekelt ein Stück weit, abgestoßen von der offenen Zurschaustellung von Gewalt. Ihr Ton war spitz, eine Augenbraue süffisant gehoben.
"Auch wenn ich höre, dass Ihr einigen Erfolg damit habt."
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Fabrizio
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Re: Fische auf dem Trockenen [Fabrizio]

Beitrag von Fabrizio »

Schon waren die Zähne wieder verschwunden. Neugierig musterte er Melissa erneut.
Dann machte er ganz dezent einen weiteren kleinen Schritt auf sie zu.

"Das haltet ihr wohl für ordinär? - Keine Angst, ich werde mich benehmen."

Unschuldig zuckte er mit den Schultern.

"Mir eilt also ein Ruf voraus. Erfolgreich im Zwist und Ruinieren?" Er blickte skeptisch, aber schockiert schien er auch nicht zu sein. Vielleicht sogar ein bischen geehrt?

"Ich wurde nicht immer wie ein Teufel zur See geschimpft. Als Sterblicher war ich ehrenwerter Händler - hat mich nicht satt gemacht." Eine wegwerfende Handbewegung untermalte seine scheinbare Erinnerung.
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