Ein Abend im Elend [offen]

[Juli & August '16]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Melissa
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Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Melissa »

Wenn ein Reisender vom Landesinneren her die stolze Genua betrat, wenn er weiter die Strata Romana wegen des großen Handelsaufgebots und wegen all der Leute, des Geschwätzes und des Gedränges auf dem Weg zum Hafen umging - wenn er also das wahre, das echte Genua sehen wollte, das sich nicht heraus putzte für durchreisende Gäste - so nahm er eine der größeren Gassen durch Broglio hindurch.

Auf diesem Wege aber gab es nur zwei Ziele: Mit einem großen Umweg noch durch Raveccha und Mascharana bis zu den Villen der Reichsten auf ihrem abgeschotteten Hügel im Süden. Oder weiter nach Westen, in gerader Linie über den Platz der schwarzen Katzen zum Marktplatz des heiligen Georg.
Entlang dieser Achse hing Genua. Vom Marktplatz über den der schwarzen Katzen bis zu einer undefinierten Ansammlung an Menschen, denen das Gesicht fehlte.

Und dort auf diesem namenlosen Platz voll namenloser Menschen saß eine hübsch gekleidete Frau auf einem Faß. Offenkundig gehörte sie so wenig zu den Männern, die auf der Piazza lagerten, wie eine Rose in das Schweinegatter.
Sie aber schien sich nicht daran zu stören. Die Beine angezogen und das Kinn auf den Knien abgelegt, die Arme um die Beine geschlungen, starrte auf jene andere Seite des Platzes ganz am Rand von Broglio. Auf die andere Seite, wo der Schrecken begann.
Wo die Kloake der Stadt lag, deren Gestank sich langsam bis nach Broglio ausbreitete. Hier, wo nun auch Bettler zu Dutzenden herum lungerten, bis spät in die Nacht soffen und dann an Ort und Stelle einschliefen.
Melissa die Tzimisce rümpfte die Nase, beobachtete aber weiter mit großen Augen ihr Treiben.
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- Giovanni Faldella
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Angelique
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Angelique »

Mit trockenen Knacken brach das Genick des zappelnden Milizionärs, als die Zähne des kleinen Mädchen, das wie ein grotesker dämonischer Affe auf seinem Rücken saß und sich eisern festklammerte, durch Halsschlagader, Muskeln und knirschend auch durch die Vertebrae drangen. Sofort hörte das Zucken und jede Bewegung auf - ja sogar die Atmung, noch bevor der Mann endgültig tot war! Das Mädchen würde Benedetto nach diesem faszinierenden Effekt fragen müssen.

Ein zweiter Mann lag noch röchelnd im Urin besudelten Schlamm der Gosse dieser Nebenstraße und starrte ungläubig auf die Eingeweide, die dampfend aus der aufgeschlitzten Bauchhöhle quollen und bei jeder Bewegung des Sterbenden wie Gewürm sich wanden. Ein sichelförmiges Messer ragte grotesk aus seinem Unterleib hervor und, streng genommen, konnte man diesen Milizionär in seinen letzten Augenblicken nicht mehr als Mann bezeichnen.

Der letzte Leib in dieser namenlosen Gasse war ebenfalls entseelt, allerdings ohne das Zutun der kleinen untoten Kreatur: eine kleiner Betteljunge, totgeschlagen wie ein streunender Hund von den Monstern in Menschengestalt, die nun den Preis dafür zahlten.

Der Junge sah ein bißchen aus wie ein kleiner Bruder von Alerio, fand Angelique. Einer von vielen Gründen, warum die Vampirin seine Mörder bestraft hatte. Normalerweise trank sie bis zum letzten Tropfen, um die Seelen solche Sünder in sich aufzunehmen und vor dem Weltengericht zu bewahren. Diese hier nicht! Die sollten leiden!

Sie würde für ein Begräbnis des Jungen sorgen und dafür, daß die Schweine morgen satt an Milizenfleisch wurden.

Ihr Zorn verrauchte wieder, als sie weiterging. Sie kam zur Scheide zwischen Borgio und der Kloake wie zu einem unsichtbaren Fluß Lethe und da sah sie eine Rose auf diesem Haufen Exkrementen bühen, ein kühler Engel im geschäftigen Sodom, das Genua hieß.

Angelique beschloß, Melissa anzusprechen.
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Melissa
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Melissa »

Melissa regte sich auf ihrem Flecken nicht viel, als Angelique den Platz betrat. Ihre Augen legten sich auf die Malkavianerin, ihr Kopf nickte vielleicht, aber sie bewegte sich nicht weiter.
Vielleicht ein halbes Dutzend Männer lagerte auf dem Platz. Vier auf der Seite bei Clavica, davon drei zusammen in einer Gruppe, die nur noch betrunken scherzte, und zwei bei Broglio, die bereits an eine Häuserwand gelehnt schliefen.

Wenn Angelique besonders aufmerksam war, wenn sie in die Nacht lauschte und das Schnarchen der Männer ignorierte und das leise Gegacker der Anderen, dann mochte sie ein Knurren vernehmen. Leise, unbestimmt, aus irgendeiner der Gassen, und so lang anhaltend und tief, dass es normalen Ohren fast entging.
Es kam auf, als Angelique den Platz betrat und sich Melissa näherte. Erst als diese sich endlich doch bewegte, als sie einen Fingerzeig machte, löste sich das Geräusch auf.
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Angelique
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Angelique »

Wie üblich beobachtete Angelique ihre Umgebung scharf, schaute mit katzenhaften Augen, hörte mit der Schärfe der Fledermaus und roch mit den Sinnen des Wolfes. Bei all dem war sie nur eine Welpe im Vergleich zu den alten Egeln, die in der Nacht lauerten.

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In der Tat hörte sie das Knurren des Hundes und sah auch die Geste der Drachendämonin. Schlaue Melissa, vorsichtige Melissa! Sie hatte sich abgesichert gegen die, die ungesehen kamen und gingen, so wie Angelique.
Das untote Mädchen hatte selbst häufig mit dem Gedanken gespielt, einen so unkomplizierten und sinnesscharfen Gefährten sich zuzulegen. Aber der Gedanke einer so sodomitischen Tat, ihr Blut in Kommunion einem Tier zu geben, das dann nach ihr in Verlangen lüstete wie ein sterblicher Mann... Sie schüttelte mit gestohlenem Blute errötend den Kopf. Was für dem bestialischen Belial würdige Gedanken! Es musste von ihrem inneren Dämon kommen, den manche Dämonen Genuas profan "Tier" nannten, als sei es ein unschuldiges Geschöpf GOttes. Ja, so war es sicher.

Zum Lächeln sich zwingend trat sie zu Melissa und verbeugte sich. "Seid gegrüßt, mächtige Drachenfrau!"
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Melissa
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Melissa »

Der Finger, den Melissa eben noch gegen den Hund gestreckt hatte, hob sich jetzt vor ihre Lippen. Sie schüttelte sacht den Kopf, so als wolle sie sagen: Hier nicht, nicht vor den Sterblichen.

"Guten Abend", sagte sie.
Ihr Blick ging mit einer weichen, stockenden Bewegung weg von Clavica und zu Angelique. Er wirkte abwesend, als beschäftige sich ihr Geist mit anderen Dingen. Als schweife er durch die Nacht und die Vergangenheit und als wäre das, was tatsächlich vor ihr lag, nur ein Schatten, der kaum ihrer Aufmerksamkeit bedurfte.
"Wie geht es dir?", fragte Melissa, die Stimme belegt, die Augen wieder auf das ferne Viertel richtend.
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Angelique
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Angelique »

Angelique folgte Melissas Blick und wurde auch abwesend.

"Ganz gut", antwortete sie abwesend. "Habe gerade zwei Gefäße leer gemacht und zerbrochen. Taugten nichts. Und selbst?"
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Melissa
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Melissa »

Bei diesen Worten regte sich die Tzimisce. Mit der Gewalt einer zubeißenden Bärenfalle raste Melissas Aufmerksamkeit wieder in das Hier und Jetzt. Ihr Blick schnellte wieder zu Angelique, war diesmal wach, kraftvoll - wütend.
"Was?", schnappte sie.
"Wen und warum?"
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Angelique
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Angelique »

Aaah, Aufmerksamkeit! Fast so kostbar für Angelique wie Blut!

Sie schnurrte wie ein Kätzchen. "Ach, nur welche, die ein kleines Gefäß zerbrachen. Auge für Auge, Zahn um Zahn. Was du dem Geringsten tust, hast du mir getan."

Sie überlegte wie sie in Gleichnis hüllen sollte, daß die Toten Milizionäre waren, aber dann fiel ihr die beliebt Pingsdorfer Keramik aus den Rheinlanden ein, die Muster von Bemalung trug, wo gewöhnliche Töpfe schmucklos waren. So wie Muster auf Schilden und auf der Kleidung den Milizionär von der grauen Masse abhob.

"Es waren Gefäße mit Bemalung, die sich die hohe Herren kaufen, um anzugeben. Aber sie zerbrechen so leicht wie das krudeste, handgeformte Bauerngefäß und ihr Inhalt ist immer derselbe."
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Melissa
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Melissa »

Der Blick Melissens war hart und bohrend. Sie rätselte einen Augenblick über der Bedeutung des Gleichnisses herum und beschloss dann, nur das wenige zu nehmen, das sie verstand.
"Ein edles Anliegen. Und doch sind alle hohe Herren in diesem Teil der Stadt Freunde von mir, wie ich laut und deutlich verkündet habe. Freunde, die sich anständig benehmen oder mir Rechenschaft schulden. Jedes Einzelne ihrer Gefäße ist auch meines."
Ihr Tonfall war kühl, mühsam beherrscht.
"Wo?", fragte sie dann und zeigte mit dem Kinn hinüber nach Clavica. "Hier oder dort?"
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Angelique
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Re: Ein Abend im Elend [offen]

Beitrag von Angelique »

Angelique deutete hinter sich ins veranzte Clavica. "Dort natürlich. Ich komme ja gerade von da."
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