Die Feuer der Jagd (Alerio)

[September '16]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Maria Penthesilea
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Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Maria Penthesilea »

Der Wind wehte von Osten und brachte die Ahnung ungezähmter Steppen und barbarischer Länder mit sich, ließ die Flammen der Fackeln wild flackern. Die Feuer warfen unruhige Schatten auf die Gesichter der drei Frauen und des scheinbaren Jungen. Eine seltsame Gruppe, die sich auf der Waldlichtung eingefunden hatte.

Stille lag über dem Ort, die Stille des Todes. Die drei Scheiterhaufen waren scheinbar chaotisch aufeinander geworfen worden. Erst ein zweiter Blick ließ eine seltsame Ordnung in dem Chaos aus Zweigen und Stämmen erahnen. In jedem Fall waren sie kräftig genug, die verstümmelten Körper darauf zu halten.

Evandre lag auf dem linken Holzstapel, ihr Gesicht, ihr Körper bleich. Sie war nackt. Seltsame Rankenmuster wanden sich von ihren Hüften bis zum Kopf, über den verbliebenen Arm. Ihr linker Arm fehlte - ein obszöner Anblick, auf wenn die klaffende Wunde gereinigt worden war. In ihrer Rechten hielt sie einen primitiven Talisman, kunstvoll gefertigt.

Derimacheia lag auf dem mittleren Stapel, noch im Tod die Zähne aufeinandergepresst. Es gab ihrem Gesicht etwas Wölfisches. Ihr Bogen lag auf ihrer Brust, lenkte aber kaum von den vielen üblen Wunden ab, die ihren Körper übersähten. Es schien, als habe der unbekannte Maler diese bei der Gestaltung der Ranken absichtlich mit einbezogen, Fleisch und Farbe zu einem grausigen Kunstwerk vereint.

Thermodosas Gesicht, das im Leben so streng gewirkt hatte, wirkte im Tode beinahe erhaben. Die tiefe Wunde auf ihrer Brust glich einem Medallion, einem Schmuck. Ihre Händen, die auf dem Bauch gefaltet waren, hielten einen Schädel, der mit Federn und Holzperlen versehen war. Ein heidnischer Anblick - so, als läge dort eine barbarische Königin.

Zwei der Frauen traten zurück und begannen einen leisen, anschwellenden Gesang. Atonal und zutiefst traurig, mit Worten einer vergessenen Sprache.

Die dritte nahm Alerio bei der Schulter und führte ihn an die Scheiterhaufen heran.
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Alerio
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Alerio »

Alerio betrat die Lichtung mit den Frauen und riss überrascht die Augen auf. Was war das hier? Das war kein Begräbnis.... Er blickte auf die toten Leiber der Frauen, die Opfer ihrer Jagd geworden waren. Wollten sie sie verbrennen?

Unvermittelt blieb er stehen, wollte er doch wirklich nicht den Haufen zu nahe kommen.
"Was ist das hier? Ist das eure Art von einem Begräbnis? Ihr verbrennt sie?" Sein Blick schweifte zu den Fackeln und sein Körper spannte sich unwillkürlich an.
...das war nicht gut.
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Maria Penthesilea
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Maria Penthesilea »

"Sorge dich nicht", sagte Maria Penthesilea leise, aber laut genug, dass sie über dem Klagegesang hörbar blieb. "Wir wissen was das Tier fühlt. Du musst nicht so lange dabei sein. Aber es ist notwendig. Sie zu verbrennen ist notwendig."

Sie führte ihn an die Körper heran. Der Fackelschein ließ die Rankenmuster tanzen, seltsam lebendig aussehen. "Sie sind auf der Jagd gefallen. Sie sind keine Beute. Würden wir sie nicht verbrennen - andere würden sich an ihnen nähren. Sie würden im Tod zur Beute. Das haben sie nicht verdient. Verstehst du?"

Der Wind frischte auf, brachte die Gerüche des Waldes mit sich. Alerios Nase bemerkte, dass auch die Körper einen Geruch ausströmten. Nach Moos, nach Wald - das Aroma der Farbe war stärker als der Leichengeruch. Kurz schien es Alerio, als seien die Nonnen gar nicht tot, nur in einer seltsamen Lauerstellung. Als würden sie sich gleich erheben und auf die Jagd gehen.
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Alerio
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Alerio »

Ah das war auf seltsame Weise verständlich. Unter der Erde würden sie auch nur Nahrung von Würmern und anderem Getier werden. Jedoch widerstrebte sich alles in ihm, wenn er an Feuer dachte.
Er nickte Penthesilea zu. "Ich verstehe."

Wie unheimlich und mystisch.
Sahen sie, die Vampire, auch so aus, wenn sie schliefen? Tot und irgendwie doch lebendig.

Er wartete gespannt wie es weitergehen würde dieses seltsame Ritual.
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Maria Penthesilea
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Maria Penthesilea »

Maria Penthesilea blieb zunächst vor Evandre stehen. Sie schloss die Augen, dann sprach sie, über den Gesang hinweg: "Seht, Jäger: Seht eine, die auf der Jagd starb. Evandre! Werke schuf sie, von großer Schönheit. Vor Hunden floh sie, flink wie ein Fuchs. Ihr Pfeil traf ihre Beute, doch die Beute war stärker. Ihre Jagd endet hier. Doch die Jagd endet nie!"

Dann schritt sie zum nächsten Scheiterhaufen. "Seht Jäger: Seht eine, die auf der Jagd starb. Derimacheia! Heiß brannte ihr Zorn! Sicher flog ihr Pfeil! Das Feuer ist erloschen, die Asche erkaltet. Ihre Jagd endet hier. Doch die Jagd endet nie!"

Vor dem letzten Scheiterhaufen schwieg sie einen langen Moment. Dann sprach sie, lauter als zuvor, wilde Emotionen in ihrer Stimme: "Seht Jäger: Seht eine, die auf der Jagd starb! Thermodosa!" Sie schloss die Augen. "Gefährtin und Ratgeberin, klug und wachsam, streng und gerecht. Lange währte ihre Jagd und viel Beute machte sie. Der Rabe von Venedig fiel durch ihren Pfeil." Maria Penthesilea blickte auf den Schädel in den toten Händen. "Sie tanzte vor der Klinge, wie ein Blatt im Wind. Nun ist der Wind still."

Sie hielt eine Hand ausgestreckt, leicht zitternd, wie zum Gruß. "Ihre Jagd endet hier. Doch die Jagd... endet nie."

Dann blickte sie zu Alerio. Wollte er etwas hinzufügen?
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Alerio
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Alerio »

Er lauschte den persönlichen Worten, die die Erinnerung an die Frauen, wie sie im Leben waren, aufrecht erhalten sollten. Hörte den Gesang und kam nicht umhin festzustellen, das der Moment eine gewisse Erhabenheit hatte. Mehr als es die Begräbnisse der Christen hatten.
Doch er spürte keine große Verbundenheit, keine Trauer, er kannte die Frauen nicht.
Wenn er etwas über sie sagen konnte, dann das sie ihn überrascht hatten.

"Sie waren mehr als Menschen. Mehr als Frauen. Waren Kämpfer. Waren Lehrer. Waren Jäger.
Ihre Jagd endet hier, doch Die Jagd endet nie."
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Maria Penthesilea
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Maria Penthesilea »

Maria Penthesilea lauschte seinen Worten und nickte zustimmend. Ein leichtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, so, als wäre sie zufrieden mit dem Gesagten. Dann nickte sie Alerio zu. "Wenn du dein Tier prüfen willst, bleib. Sonst gehe besser." Sie nickte zum Rand der Lichtung, zu den beruhigenden Schatten des Waldes.

Langsam und mit erhabenen Schritten ging sie auf eine der Fackeln zu, nahm diese in beide Hände. Während sie zurück zu den Scheiterhaufen ging, schwoll der Gesang der anderen beiden Jägerinnen an. Rhythmisches Keuchen, wie der Atem der Beute, mischte sich in die Melodie.

Maria Penthesilea legte die Fackel an den Scheiterhaufen von Maria Evandre. Dann an den von Derimacheia. Dann an den von Thermodosa. Der Reisig zwischen den Stämmen loderte auf, Flammen schlugen hervor, umhüllten die toten Körper. In der Luft verbreitete sich der Geruch von verbranntem Fleisch. Der Gesang erreichte neue Höhen - und brach dann unvermittelt ab.

Alles was noch zu hören war, war das Knistern des Feuers.
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Alerio
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Alerio »

Er wusste, dass er es irgendwann tun musste, sein Tier prüfen, es besser kennen lernen, doch das hier war nicht der Ort dazu. Er nickte Penthesilea zu und ging. Zog sich in die Schatten der Bäume zurück und schaute aus sicherer Entfernung zu wie die Flammen in den Himmel schlugen und die Körper verzehrten.
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Maria Penthesilea
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Re: Die Feuer der Jagd (Alerio)

Beitrag von Maria Penthesilea »

Auch die Nonne trat vor den Flammen zurück, aber sie blieb stehen, ebenso wie ihre Schwestern. Wie drei Statuen standen sie da vor der Kulisse des Feuers. Ein archaischer Anblick, trotz der zwei Nonnengewänder. Ihm kamen die Worte in den Sinn, welche die Nonnen einst gesprochen hatten. "Bevor es die Stadt gab, bevor es das Feld gab, gab es den Kult."

Und ihm schien, als würde er beginnen zu verstehen. Leben und Tod, Jäger und Beute, all dies lag in diesem Moment.

Schließlich drehten sich die drei beinahe gleichzeitig um und kamen auf ihn zu, Schatten vor den ersterbenden Flammen. Während die anderen beiden andächtig schweigend in den Wald schritten, gesellte sich Maria Penthesilea zu ihm.

"Wir müssen reden", sagte sie. "Aber nicht hier."
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