[Fluff] Die Schatten der Vergangenheit [Ilario]

Geschichten über Monster

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

[Fluff] Die Schatten der Vergangenheit [Ilario]

Beitrag von Ilario »

Venedig

Neumond. Eilig trieb Mercurio das Packtier an, die Räder des großen Karrens wälzten sich durch den Schlamm der Straße, Venedig hinter sich lassend. Noch schien die herbstliche Sonne tauchte Weg und Bäume in abendliches Gold und Rot. Er war froh die Lagunenstadt hinter sich zu lassen, war er doch jede Nacht in Sorge um seinen Herrn gewesen in den vergangenen Jahren.
Sein Herr, ein Kind der Nacht, die Unsterblichkeit innehabend, hatte in ständiger Furcht existiert. Und damit war er nicht allein. Sicher Ilario hatte dies nie direkt gesagt oder offen gezeigt ihm gegenüber, aber das Elysium hatte er ohne Not nicht mehr aufgesucht oder auch nur die nächtlichen Gassen und Kanäle durchwandert. Angst hatte sich tief ins verborgenen Herz der Lagunenstadt gefressen...

Der Wagen hielt. Die Sonne war schon länger am Horizont versunken und in seiner Kiste nahm Ilario wahr, dass sein treuer Wächter nicht nur hielt, sondern auch Worte mit einem verspäteten Reisenden wechselte. Er spürte wie sich das Gewicht auf dem Karren änderte, der einsamen Wanderer hatte wohl Mercurios Einladung an- und Platz genommen. Der in breitem Dialekt Venetiens sprechenden Stimme nach ein Mann mittleren Alters. Gerade prahlte er mit Geschichten darüber wie er den Röcken nachstieg. Einmal mehr musste Ilario in der Dunkelheit der Kiste bitter lächeln, wenn der Fremde nur wüsste wie wenig Mercurio sich aus Frauen machte...

Der Wagen hielt erneut. Der mitreisende Fremde schwatzte noch immer während der Diener des Lasombra nur noh gelegentlich zustimmend brummte. Den zu vernehmenden Geräuschen nach sammelten die beiden Feuerholz und kurze Zeit später untermalte das Schlagen von Feuerstein auf Stahl das Geschwätz des Mannes. Bald schon drang dessen aufdringliches Lachen ebenso zu Ilario wie der Geruch brennenden Holzes.

Zu lange hatte er in Vorsicht existiert, seine Nächte in Furcht verbracht, mehr Opfer denn Jäger. Ilario hatte weder der Furcht Herr werden noch sie ignorieren können, dafür war er zu klug. Dennoch hatten ihre Zähne Spuren hinterlassen, an seinem Selbstbild ebenso wie an der in seinem Inneren verborgenen dunklen Bestie.
Es war Zeit. Zeit die Kontrolle zurückzugewinnen. Er musste Herr über die Furcht sein, nicht umgekehrt.

Es war Zeit zu jagen.
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Genua, Mascharana

Marcello hatte es nicht glauben wollen, Federico sogar verdächtigt während seines Dienstes Bacchus gehuldigt zu haben. Doch übermäßiger Weingenuss war eigentlich nicht dessen Art, noch wurde er im Haus geduldet. Und dann hatte die ebenso alte wie treue Magdlena ebenfalls die Stimmen gehört. Seine Amme war sie gewesen und wenn auch nicht gebildet, kein schlichtes Gemüt sondern altersweise.

Nach und nach war das ängstliche Getuschel unter der Dienerschaft immer mehr geworden und schließlich waren die Stimmen auch zu ihm gekommen.
Marcello war weder ein besonders ängstlicher, noch abergläubiger Mann, doch dieses Flüstern, die Stimme...

In der nächsten Nacht hatte er kein Auge zu tun können, hatte sich ängstlich in seiner Bettstatt gewälzt und so auch seine Frau wach gehalten. Vor ihr hatte Marcello ja schlecht zugeben können, dass ihn dieselben Dinge beunruhigten wie die Dienerschaft, daher verließ er das Schlafgemach und wandelte durch das stille, nächtliche Haus.

Am Rande des Blickfeldes, im Grenzbereich seiner bewussten, scharfen Wahrnehmung bewegte sich etwas. Immer wieder. Und gerade, als Marcello glaubte es sei wieder vorbei, womöglich doch nur ein Produkt seines übermüdeten und ängsterfüllten Verstandes, war da wieder dieses Flüstern und die fremdartige Stimme in seinem Kopf sprach erneut...

Sorgenvoll und grüblerisch saß Marcello vor einem noch unangetasteten Becher Wein. Was sollte er nur tun? Unter der Dienerschaft machte das Gerücht eines venezianischen Exorzisten die Runde, der sich irgendwo in Platealonga herumtrieb, doch könnte ein Mann von Welt wie er doch nicht dem Geschwätz der Gemeinen folgen. Was zur Hölle sollte er also tun...?
Es klopfte und eine der Hauswachen öffnete die Tür. Felippe, ziemlich ehrerbietig und beflissen wirkend, neigte er das Haupt und ließ einen Besucher ein. Hochgewachsen und in vom Regen tropfende, dunkle Robe gehüllt trat der unerwartete Gast ein, schlug seine Kapuze zurück.

Marcello war verblüfft wie es der Fremde an den Wachen vorbeigeschafft hatte und warum diese ihm auch noch zur Hand gingen. Doch dann sprach der Dunkle...
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Genua, Anno Domini 999

Mit flinker und sicherer Hand zeichnete Ilario geometrische Symbole um die brennende Kerze. Die dunkle Kohlelinien wirkten auf merkwürdige Art und Weise falsch, als würden sie eben jenen Gesetzen der Geometrie spotten denen sie zu folgen vorgaben. Einen Schritt zurücktretend betrachtete der Magister sein Werk prüfend und versuchte sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen durch das blaue Augenpaar das auf ihm ruhte. Zufrieden und entschlossen nickte er, seine Hand schnellte vor und erstickte das Licht. DIe Flamme fraß sich wie ein hungriges Raubtier in das untote Fleisch und erfüllte den Raum mit dem Geruch verbrannter Vitae. Das Feuer, der Schmerz weckte das schlummernde Tier, einen Augenblick drohte es hervorzubrechen und in Wut und Furcht davonzujagen oder gar in die eigene Vernichtung zu rennen. Doch dann wurde es von Ketten, geschmiedet aus festem Willen, zurückgezerrt in sein dunkles, kaltes Verlies.
Die Wunde brannte in heißem Schmerz und die Kraft der Vitae vermochte ihn nicht zu stillen. Raumgreifende, herbeirufende Gesten unterlegten seine Stimme, als Ilario einen tiefen gutturalen Gesang anstimmte. Fordernd waren die fremden Worte, befehlend und von reinem Willen getragen.
Macht und Mystik schwängerten den Augenblick als dienstbare Schatten herbeieilten und etwas dem Ruf folgte. Das Geschehen voll von düsterer Faszination und uralter Symbolik. Der Singsang ebbte ab und die Stimme des Lasombra wandelte sich zu einem zischelnden Wispern.
Namen wurden genannt, Beschreibungen präzisiert, Befehle gegeben. Dann verschwand der Schatten so schnell er gekommen war, folgte dem Willen der ihn gerufen hatte, und ließ die Kainiten allein zurück.

Weitere Gesten und Worte folgten, nicht minder bedeutsam in ihrer Art als die vorrangegangenen, jedoch weniger unheimlich und traditioneller in ihrer Natur. Es lag Etwas in der Luft und es war mehr als der Geruch von Rauch und Blut, etwas subtileres, kaum greifbares.
Die schmerzhaft pochende Wunde ignorierend sah Ilario auf, nahm die Geste war, auch wenn er sie in ihrer Bedeutung, ihrer Tragweite, nicht gänzlich zu erfassen vermochte... Erst sehr viel später würde Ilario seine Schlüsse daraus ziehen, ob nun richtig oder falsch.
Dann biss er sacht in das schlanke, dargebotene Handgelenk und trank die süße, schwere Vitae. Da endlich war der Schmerz vergessen, verdrängt von etwas soviel süßerem, mächtigerem und ein zartes Band erwachte.

Noch lange Zeit später würde Ilario sich an diesen bedeutsamen Abend zurück denken, den langen Heimweg und auch etliche Nächte hindurch. Ein Jahr war eine lange Zeit wenn Krieg bevorstand, es konnte viel geschehen und doch war es nur ein Wimpernschlag im Angesicht der Ewigkeit.

Ein Jahr - Ein neues Jahrtausend.

Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Gerechter Zorn

Gehenna... Gottes Gnade... Große Pläne... Pah! Nichts davon zählte, nicht heute. Dieser elende Dreckskerl, wie konnte er es wagen? Ilario würde niemals vergeben, niemals vergessen. Mein ist die Rache spricht der Herr!? Er dachte nicht daran, würde selbst zum Racheengel werden und nicht Ruhen ehe dieser Bastard zu Fall gebracht würde. Nicht ruhen ehe seine stinkende Asche in alle Winde verteilt war. Gehenna mochte nah sein oder auch nicht, Ilario würde dafür sorgen, dass dieser Kainit das nicht mehr erleben würde.

"Mercurio! Was taugen die Männer?" Der Ghul trat aus dem nahegelegenen Schatten. Selten hatte er seinen Meister so aufgebracht gesehen wie in den letzten drei Tagen. Eigentlich noch nie. Aber dieser von kalten Zorn getriebene Racheengel war ihm bei weitem lieber als das weinerliche Elend das Ilario gewesen war bevor sie gen Kreuzdorf marschiert waren. Mit fester Stimme antwortete er seinem Herrn: "Gute Männer, allesamt in der Schlacht gestählte Veteranen. Keine Milizionäre, echte Krieger. Gewohnt Blut zu vergießen."
Der Lasombra nickte, hatte wohl auch nichts anderes erwartet. "Gut. Wir müssen schon bald zuschlagen. Jeder einzelne seiner Gefolgsleute muss aufgespürt und zur Strecke gebracht werden. Schärf den Männern ein, dass wir Gefangene wollen. Zuerst müssen wir wissen wo ER sich verbirgt."

Während Mercurio den Raum verließ blieb Ilario sitzen, legte seine Fingerspitzen aneinander und verfiel in finstere Gedanken. So finster wie die Schwärze die sich um ihn herum ausbreitete.

Es würde Blut fließen. Und zwar literweise.
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Genua, irgendwo in Mascarana


"Nimm das Messer und greif mich an."sprach der Südländer und deutete auf die an Boden liegende Klinge. Er wartete.

Ein Junge von zwölf Jahren, vormals Alessio, trat unsicher vor. Seine kleine, aber kompakte Gestalt ließ ihn als kräftigsten der Gruppe erscheinen. Ein Anführer? Ein Raufbold?
Mercurio grinste und ließ den Jungen gewähren als dieser das Messer ergriff und sich vor ihm positionierte. Der Mann hob eine Braue, des Waisenjungen geduckte Haltung und die Art wie er das Messer hielt sagten ihm, dass er nicht völlig unerfahren war in diesen Dingen. Völlig entspannt erwartete Mercurio den Angriff. Als dieser kam packte er die zustoßende Hand des Jungen und verdrehte sie schmerzhaft. Ein Schrei, ein metallischer Klang und das Messer lag wieder auf den Steinen.


Mercurio blickte kurz zu den Schatten in denen sein Meister sich verbarg, dann richtete er knappe Worte an den Jungen. Und an die restlichen Waisenkinder. "Gar nicht so übel. Entschlossen. Aber wenn jemand Versuch deinen Waffenarm zu greifen, sei schneller. Wende die Klinge gegen die zugreifende Hand. Schlitze sie auf."

Ein knappes Nicken aus den Schatten. "Nächster. Jetzt du." Bellte die Stimme des vermeintlichen Leibwächters, der nun auf einen schlaksigen Jungen von vielleicht neun Sommern zeigte. Dieser trat vor und beugte sich vorsichtig um das Messer aufzuheben. Wohl eine Wiederholung erwartend, doch dann traf ihn Mercurios Fuß in die Seite. Schleuderte ihn einige Schritt weit, wo er japsend um Atem rang.

"Zögern bedeutet Tod...Zu zögern bedeutet Schmerz. Schmerz ist Ablenkung und Ablenkung im Kampf führt zum Tode." Mercurio betrieb seine Aufgabe mit dem gebotenen Ernst. Aus seiner Sicht waren es seine Strenge und der Schmerz notwendig. Aus ihnen würde die Disziplin erwachsen die sie später am Leben erhielt.

Als nächstes trat ein kräftiges Mädchen vor, fast schon heiratsfähig, welches noch einen letzten Blick zurück warf und unmerklich nickte. Sie hob die Klinge auf, den Blick stets auf ihren Lehrer gerichtet und begann ihn zu umkreisen. Gut, dachte Mercurio und schenkte ihr ein trockenes Lachen.
Nachdem sie ihn halb umkreist hatte, wurde Mercurio der erwarteten Bewegung hinter ihm gewahr, trat einen Schritt beiseite und stieß den Jungen der es zuerst versucht hatte in die Bahn der Angreiferin. Beide stürzten zu Boden, glücklicherweise ohne schwerere Verletzungen. Ihr Lehrmeister hob tadelnd die Stimme:
"Eine offensichtliche Überraschung ist schlechter als keine, sie wird gegen euch verwendet werden." Er lächelte grimmig-kalt, das Messer war verschwunden...

Mercurios strenger Blick glitt über das dreckige Dutzend. Entweder keiner hatte etwas bemerkt oder sie hielten zusammen. Unwahrscheinlich
. "Wo ist das Messer?" Niemand trat vor oder sagte etwas. Ratlose Blicke huschten hin und her, suchten einen Hinweis auf die Klinge. "Muss ich euch etwa alle Filzen ihr dreckigen Bälger?" Ein drohender Unterton.
Ein schmächtiger Junge, oder war es ein Mädchen, von etwa zehn Jahren trat mit trotzig-verängstiget Miene vor, gab das Messer heraus... und fing sich umgehend eine Maulschelle Mercurios ein. Blut tropfte von aufgeplatzten Lippen zu Boden und tödliche Stille breitete sich aus
.

"Halt!" Eine leise, doch befehlsgewohnte Stimme drang aus der Dunkelheit der tiefsten Schatten. Wie Öl glitt die Finsternis von der hageren Gestalt des Lasombra. Seine meergrauen Augen fixierten einen Blutstropfen ehe sie zu jenen des Waisenkindes fanden. "Du hast eine sich bietende Gelegenheit ergriffen. Niemand hat es bemerkt, weder Lehrmeister noch Mitschüler. Das richtige Gespür, Wille und Fähigkeit... Gut gemacht Kind. Du sollst eine Belohnung erhalten, wie ihr alle wenn ihr euch bewiesen habt... und darüber hinaus einen Namen." Ilarios bleiche Hand bot dem ehemaligen Waisenkind einen silbernen Pokal dar, gefüllt mit bitterer und zugleich köstlicher Vitae.

"Trink, Alerio."
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Genua, Anno Domini 1003

Was wenn...?

Ilario eilte schnellen Schrittes durch die stillen Straßen Mascharanas gen Platealonga. Keine Menschenseele weit und breit, was allerdings nicht hieß, dass SIE nicht da waren...

So sehr er dieses große Spiel der Spiegelschatten auch liebte und selbst eine Kreatur des trügerischen Zwielichts war, die Zeiten waren gefährlicher noch geworden als in der heißen Phase des Krieges. Bedrohungen von außen und von innen, Feinde und potentielle Verräter überall. Oh wie sehr er es hasste - und liebte gleichermaßen.
Moment, waren da leise hallende Schritte gewesen? Ilario verbarg sich so gut er konnte, hüllte sich in Schatten und schlich nun mehr als dass er ging. Wer mochte der Verfolger sein? Die Verborgenen? Acacias Handlanger? Assassinen fremder Mächte?

Er hatte sich nach besten Kräften bemüht im Schatten zu bleiben, verborgen, doch um etwas zu bewirken musste man sich manchmal ins Zwielicht begeben. Sollte ihm das jetzt zum VERHÄNGNIS werden? Sollte er sich in diesem feinen Spinnennetz aus Loyalität, Schatten und Blut verfangen haben? VORSICHT... warnte Ilario sich selbst. Das mochte genau das sein was SIE wollte, diese Gedanken...

Dort! Hatte sich jener Schatten BEWEGT? Nein, wohl nicht. Was aber nichts hieß. Sie könnten ÜBERALL sein. Könnten... Doch da war nichts. Dennoch verbarg er sich weiterhin in der wohligen Dunkelheit die er nicht fürchtete. Es sei denn...
Ilario sah sich argwöhnisch, fast schon am Rande der Panik um. Nein, nichts. Diese Stille, trügerische Stille, so war es auch beim Überfall der Nosferatu GEWESEN. Doch nein, diese Stille hier war nicht vollkommen. Die leisen Geräusche der Nacht waren da. Was nicht heißen musste dass die Verborgenen sich nicht auf anderem Wege verborgen hielten... oder andere, Acacias Krieger waren auch eher von der Stillen Sorte und wieder andere...

Seine kreisenden Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als er tatsächlich wieder jene Schritte hinter sich hörte. Ein Mann, in dem Gewand eines Tagelöhners und nach frisch Erbrochenem stinkenden, torkelte auf ihn zu. Erleichterung machte sich in Ilario breit, nur ein Zeche der es übertrieben hatte auf dem Weg zu seiner Schlafstelle. Keine Gefahr.

Oder doch? Womöglich eine meisterhafte Tarnung? Er sah sich kurz um, niemand war sonst in der dunklen Gasse und Einsicht war auch nicht gegeben von Außen. Und so rief Ilario in kalter Wut nach den Schatten. Finsterste Dunkelheit umhüllte, erstickte den Mann, während Ilario wartet. Die Dunkelheit verging als es sein Wille war und er blickte hinunter auf den Toten. Ein Fehler? Nur ein Mensch.
Ilario nahm nicht einmal sein Blut, zu gefährlich, stieg über den Leichnam hinweg und nahm einen anderen Weg gen Platealonga.

Vorsicht war besser denn Nachsicht.
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Genua, Villa Illuminata

Zorn, unbändige Wut. Ein Flüstern. Wahnsinn?

Pläne und Gedankenspiele zerbröseln wie Asche in sengendem Wind, als nahezu gleichzeitig ein Teil von ihm stirbt. Das eisige Blau dringt in Ilarios Geist, zerschmettert allen instinktiven Widerstand. Wie Eiszapfen schneidet sich der Blick ihrer blauen Augen durch die Spiegel seiner Seele, blickt auf deren Grund...

Dann beginnt sie zu blättern, liest in seinen Erinnnerungen wie in einem Buch. Und wie jemand in einem Buch liest der sehr wütend ist, blättert sie nicht sehr sorgfältig. Lang vergessene Erinnerungen tauchen vor Ilarios geistigem auge auf und verblassen wieder. Sie scheint etwas zu suchen, rücksichtslos...

"Lucius Valerius Galba, Lucius... Valerius... Galba... Galba... Galba..."

Immer schneller, immer rücksichtsloser wird das Blättern im Buch seines Verstandes und für Ilario kommen die Erinnerungen durcheinander. Sein selbst kommt durcheinander, wird fast umgekrempelt.

Der Hundewelpe den er hatte als er vier war, war er wirklich dabeigewesen als Prinz Tiberian von Venedig Ilario freisprach? Sein erstes lateinisches Gebet, war das vor oder nach Mercurios Rekrutierung gewesen? Ilario hatte das Milchglas des Diakons zerbrochen in jungen Jahren. Oder nein halt, es war das Galbas gewesen, seines Erzeugers. Wer war sein Vater, war er wirklich der Bastardsohn des Bischofs gewesen? Ja, aber die Patrizierin die Ilarios Mutter war... war sie es wirklich? Seine Mutter hatte grüne Augen gehabt, grüne. Oder doch blaue? Blau wie jene die in ihn so sengend, so strahlend, hineinsahen. DIES waren die Augen seiner Mutter. Lang vergessen war die Erinnerung an das strahlende Gelb der Sonne, war denn nicht die Sonne selbst von kaltem Blau wie diese Augen?

Hatte Ilario nicht erst vor wenigen Jahren einen Mann in den er große Hoffnungen gesetzt hatte in ein geistiges Wrack verwandelt, so stand er selbst kurz davor seine letzten Nächte als blutsabbernder, stumpf vor sich hinstarrender Kainit zu verbringen. Einzig jene innere Stärke, die kompletative Besinnung auf den Kern seines Selbst, die er im Umgang mit den zerstörerischen Kräften der Leere hinter den Sternen erworben hatte, bewahrten Ilario davor. Dann verlor er das Bewusstsein.

Erwachen, Tage später. Auf einer Pritsche, neben ihm ein Becher abgestandenes Blut.
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Der Queste erster Teil


Aufbruch

Was hatten die Worte des Sklavenprinzen nicht alles in Gang gesetzt. Misstrauen entfacht, Kind gegen Erzeuger gewandt. Angst gesät, eine Bedrohung der eigenen Existenz beschworen…

Und so hatte Ilario in aller Stille Pläne geschmiedet, Alternativen erwogen, sogar Caspar entsandt um Hinweise und Geschichten zu sammeln, und sich schließlich zu einem riskanten Schritt entschlossen. Eine Reise, womöglich ohne Wiederkehr.

Ein Schiff war eigens in Auftrag gegeben worden in den besten Werften der bekannten Welt, in Venedig. Die Schwalbe von Genua war weder als Kriegsschiff noch als klassisches Handelsschiff konstruiert worden, sie war gleich ihrer Namensgeberin auf Schnelligkeit und Wendigkeit ausgelegt.

Als das Schiff schließlich nach langer Bauzeit und Überführung im Hafen Genuas lag, fehlte eine verlässliche Mannschaft. Wieder hatte Ilario sich an den Sklavenprinzen gewandt, um fähige Männer gebeten. Solche die Befehlen ohne zu Zögern oder zu Fragen nachkamen und in Gefechten zur See gestählt waren. Und er hatte den Preis gezahlt, Männer gegen wertvolles, schwierig zugängliches Wissen getauscht. Wissen welches Ilarios Leute hatten zuerst in Erfahrung bringen müssen.

Die Erwägung andere Kainiten hinzuzuziehen, als Geleitschutz oder ob ihrer seherischen Qualitäten, hatte Ilario wieder verworfen. Weder konnte er jene fremden Blutes in die dunkelsten Geheimnisse der Schatten hineinziehen, noch wollte er Marie dieser Gefahr aussetzen.

Die Fahrt

Die Schwalbe von Genua, unter venezianischer Besegelung, flog dahin über die Wellen des Ligurischen, dann des Tyrrhenischen Meeres. Den Anweisungen ihres geheimen Herren folgend, nahmen sie bei hellem Tageslicht Kurs auf Sizilien und passierten zügig und unbehelligt die Meerenge von Messina. Dem Herren Catanias wollte Ilario nun wirklich nicht begegnen, schon gar nicht während dieser heiklen Reise. Selbst die Starre des Tages war unruhig, so groß war seine Sorge… doch unbegründet. Nach Einbruch der Dunkelheit kam Ilario an Deck und hatte nicht einmal einen Blick auf die bedrohliche Insel geworfen. Das Ionische Meer lag nun vor ihnen, Konfliktgebiet zwischen Byzanz und der See der Schatten.


Othonoi

„Welchen Kurs sollen wir setzen Herr, Gallipoli oder Korfu?“ Der Navigator erwies den nötigen Respekt ohne zu kriechen, ein Mann der selbst gewohnt war Befehle zu geben aber auch ihnen zu folgen. Ilarios Stimme übertönte nur knapp das Brausen des Windes. Eines hatte die Mannschaft schnell gelernt: Dieser Mann schrie nie, wurde nie laut. „Gen Korfu, wir steuern die Gewässer vor Othonoi an.“

Des Nachts erreichten sie, den Hinweisen aus Caspars Geschichte folgend, jene Wasser auf denen die örtlichen Fischer manchmal noch Poseidon opferten. Hier sollte die Untiefe sein, hier hatten waren die Überreste geborgen worden. Bevor der Tag graute wies Ilario die Männer an die Tiefen auszuloten, auch wenn dies in einem so umfangreichen Gebiet wohl Monate beanspruchen würde. Zeit die sie nicht hatten.
Als die nächste Nacht hereinbrach zog sich Ilario zurück und traf Ritualvorbereitungen. Er entzündete schwere Ritualkerze, zeichnete nichteuklidische Winkel und stimmte einen düsteren Gesang an, rief ES. Doch anders als sonst schienen die Schatten sich gegen die Beschwörung zu wehren. Das Schattenwesen erschien, schrie in namenloser Agonie und vollführte einen Veitstanz losgelöst von allen Gesetzen der Natur. Davon überrascht schreckte Ilario zurück und anstatt die Flamme einfach zu ersticken, stieß er die schwere Kerze um und setzte dabei seinen Ärmel in Brand. Panisch riss er ihn ab, wobei jedoch Hand und Arm Feuer fingen. Brüllend übernimmt das Tier die Kontrolle, Ilario stieß die Tür auf und raste an Deck, hechtete ohne innezuhalten über die Bordwand. Klatschend schlug das kalte, salzige Nass über ihm zusammen, löschte die Flammen und langsam, ganz langsam beruhigte sich das Tier… und die Angst vor dem Feuer wurde ersetzt durch die Unsicherheit darüber was davor geschah.

Die völlig stille See, die sternklare Nacht darüber und der stolze Kastellan Genuas darin. Verbrannt, nass und in zerrissenen Gewändern, voll Angst und Scham, verhinderte sein Stolz, dass er einfach zurück zum Schiff schwamm. Ein weiterer Blick zurück, das Feuer an Bord schien gelöscht, der Anker wurde gerade hinabgelassen, beruhigte ihn schließlich. Das Tier senkte sein furchterfülltes Haupt, die eiserne Umklammerung seines Herzens lockerte sich.
Gerade wollte Ilario doch zurück schwimmen, als er es spürte: Eine Vibration, ein ziehen in seiner Seele, ein Stechen in den Schläfen als hätte er seine Fänge in einen Eisblock versenkt. Etwas rief ihn, Ilario stellte jegliche Schwimmbewegung ein und sank. Wie ein Stein sank sein toter Körper, hinabgezogen von diesem Ruf. Jahrelang geübte Kräfte die er nun anrief verweigerten sich, blind und in völliger Finsternis sank er tiefer. Die eigenen Gedanken umkreisten den Lasombra wie Raubfische, verbissen sich in seiner Furcht.


Schwarzer Sand

Dann plötzlich nimmt das Sinken ein Ende, ein weiches Bett aus Sand empfängt Ilario. Der Grund. Inzwischen war die Kälte die er an Körper und Seele empfand schlimmer geworden, erfüllt ihn fast zur Gänze. Sich sammelnd hieß Ilario die Dunkelheit willkommen, schon lange fürchtete er sie nicht mehr… doch da war noch mehr als nur Finsternis, Besorgnis schleicht sich ein. Mantraartig wiederholte Ilario Worte aus seinen Tagen als Schüler Galbas. „Die Dunkelheit ist nicht dein Feind, die Dunkelheit ist nicht dein Feind Ilario, die Dunkelheit ist nicht der Feind…“ Es fällt schwer klare Gedanken zu fassen, die Kälte… sie wird schlimmer, scheint aus seinem eigenen Herzen aufzusteigen. Eiskristalle bilden sich, fressen sich entlang des toten Blutes in Venen und Arterien. Auch noch bis in die letzten Winkel seiner Glieder breitet sich die abbyssale Kälte aus. Instinktiv und doch unter großer willentlicher Anstrengung beginnt das tote Herz zu schlagen um Wärme in die Glieder zu bringen. Fast vergeblich...

Zitternd und in Zeitlupe, wie ein Blinder in der Wüste, kriecht Ilario über den sandigen Grund. Was ist das? Nach wenigen Metern ertastet er etwas Weiches. Haut? Ein Körper? Ja, eindeutig humanoid. Seine kalten Finger tasten weiter ungeachtet der Schmerzen. Die Haut ist intakt, die Kleidung jedoch zerschlissen. Eine Frau… bar jeder Verwesung und Fressspuren. Hier scheint es kein Meeresgetier zu geben, weder Fische noch Krebse. Ilario findet den Kopf, das Gesicht, schiebt seine Finger in den regungslosen Mund. Ja, definitiv Fänge. Eine Kainitin. Instinktiv muss er an seine Consanguina denken. Daria Pesarona, die er nie kennenlernen durfte.
Pragmatisch denkend tut Ilario das naheliegende, bringt in Erfahrung was er wissen will und nährt sich gleichzeitig als seine Fänge die nahezu unberührte Haut durchstoßen und er zwei, drei tiefe Schlucke nimmt. Vitae. In der Tat. Im ersten Moment köstlich, vermengt mit dem salzigen Geschmack des Meeres. Dann folgt die Kälte und die Erkenntnis, als ob jemand gefrorenes Eisen gegen seine Fänge drückt. Es ist die Vitae welche die Kälte verströmt, die ihre wie wohl auch die seine…

Es liegt also im Blut, wie so vieles. Der widrigen Lage zum Trotz erfreut sich der Wissensucher und Mystiker in ihm an dieser Erkenntnis. Innehalten wäre der sichere Tod oder Schlimmeres. Also kriecht der Lasombra weiter durch die Finsternis. Der sandige Boden steigt leicht an und schon kurz darauf stößt Ilario auf… eine Hand? Ein Arm? Ein weiterer Körper. Ein Kainit und vermutlich nicht der letzte…. Womit Ilario Recht behält. Wieder und wieder stößt er auf nahezu unberührte Kainiten. Hier unten müssen dutzende, hunderte Körper liegen. Ein Friedhof der Kainiten, verborgen unter den Wellen der Adria, im äußersten Dunkel. War der Körper eben nicht der den er am Anfang fand? Bewegt er sich im Kreis? Panik keimt auf, aber der disziplinierte Scholar des Abbyss kämpft sie nieder. Der Kälte zehrt an seinem Willen wie an seinem Körper. Ilario geht das Risiko erneut ein, schließt die Augen… und öffnet sie der Finsternis. Es gelingt. Ihm bietet sich ein Bild das er nie wieder vergessen wird…
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Der Queste zweiter Teil

Der Diapontische Kreisel

In der Düsternis des Meeresgrundes verborgen biegt sich ein kreisrundes Sandareal zu einem Hügel hinauf, gleich der Unterseite eines Kreisels. Der Diapontische Kreisel, er hat ihn gefunden. Etwa über hundert Meter im Durchmesser und von schwarzem Sand bedeckt, wird Ilarios vorherige, blinde Vermutung zur Gewissheit. Hunderte von kainitischen Körpern liegen auf dem schwarzen Sand, teils in schmerzverkrampfter Pose, teils völlig friedvoll ruhend. Sein nachtschwarzer Blick wandert zur Spitze des etwa fünfzehn Schritt hohen Kreisels. Diese ist frei von Sand und glasartig, darauf sitzend oder kauernd erblickt Ilario eine sich im Wind der Strömungen wiegende Gestalt. Die Umrisse erscheinen verwaschen, seltsam unecht… weniger eine körperliche Gestalt denn gesichtslose Idee. Etwas das die Grenze zwischen dem Hier und dem Dort übertreten hat, unklar von welcher Seite es stammt.

Kriechend nähert Ilario sich, gedanklich beschwörende, hoffende Worte murmelnd. „Mamercus… Mamercus… Magnus Sertorius Mamercus.“ Seine Bewegungen werden langsamer, die Kälte schlimmer, eisiger, je näher er dem Epizentrum kommt. Am Fuß des Hügels ankommend zieht ihn die Kälte immer mehr hinab in die Dunkelheit des Unterbewusstseins. „Mamercus…“ Formen seine Lippen ein letztes Mal jenen Namen. Fast verlässt Ilario die Hoffnung, da sieht er, dass sich die Gestalt erhoben hat. Sie hat sich ihm zugewandt, wartet regungslos, beobachtet was mit ihm geschehen mag. In einem Akt purer Entschlossenheit, einem Triumpf des Geistes über den Körper, kämpft sich Ilario auf die Knie, erhebt sich schließlich. Seine Gedanken formen Worte, denen seine spröden Lippen lautlos folgen. „Verrat, Galba, Gerechtigkeit… Rache...“ Sein Blick flackert, verschwimmt und fokussiert sich wieder. Die Gestalt kommt ihm entgegen, verharrt an der gläsernen Grenze wo der schwarze Sand beginnt. Zuvor nur ein verwaschenes Etwas, ist nun grob ein menschenähnliches Gesicht erkennbar. Ein Mann? Es hebt die Hand, winkt Ilario zu sich heran. Zehn Schritte trennen sie, zehn Schritte die ebenso gut zehn Meilen sein könnten.

Mamercus

Der erste Schritt, voller Entschlossenheit getan, lässt Blut in nebeligen Schwaden aus Ilarios Nase und Ohren treten. „Der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach…“ hallen ihm Worte aus Tagen des Noviziats im Geiste wieder. Der zweite Schritt lässt ihn in die Knie brechen und doch ist er getan. Ilario robbt weiter, einen dritten Schritt den Hügel hinauf. Seine Haut wird spröde, reißt auf, die Augäpfel gefrieren und sein totes Herz beginnt zaghaft zu schlagen. In die falsche Richtung. Den Schmerzen zum Trotz heißt Ilario die vertraute Finsternis willkommen, versucht es zumindest. Er stemmt sich hoch, taumelnd einen vierten, einen fünften Schritt hinter sich bringend.

Die Hälfte des Weges ist geschafft. Die düstere Gestalt wartet stoisch, abyssale Schwaden umwehen ihre Kontur wie ein Mantel. Ist es tatsächlich ein Gewand oder kleiden ihn die Schatten? Die Hände hinter dem Rücken verschränkt erwartet er Ilario in aller Seelenruhe, wartet ob er es schafft oder zugrunde geht.
Der sechste Schritt, unsägliche Pein zeichnet sein Gesicht als eine Reihe Adern unter dem auf ihnen lastenden Druck bersten und kostbare Vitae verströmen. Blut strömt auch aus den Ohren Ilarios, als er einen siebten Schritt wagt. Die Vitae umfließt seine Gestalt, verwischt seine Konturen, während er die verbliebene nutzt um einige Wunden zu lindern. Dunkelrote Schwaden umkreisen seinen Leib auf ihrer Umlaufbahn wie einen Himmelkörper, aus der Ferne mag Ilario nun ähnlich verwaschen erscheinen wie die wartende Gestalt…

Acht. Wieder ein Stück näher. Sein Gesichtsfeld beginnt zu flackern, die Verschwommenheit weicht als ob da etwas wäre das schon immer dagewesen aber nicht wahrgenommen wurde. Es wird klarer und zugleich dunkler. Die Konturen des Mannes… gewinnen an Schärfe, beinahe ist seine Kleidung auszumachen…
Die jedem Kainiten innewohnende Kraft anrufend wappnet der Lasombra seinen Körper gegen weitere Zerstörungen. Doch vergeblich: Die eigene Vitae wendet sich gegen ihn, tötet ihn Stück für Stück. Scharfkantig wie Glas drücken sich hunderte kleine Eiskristalle durch Ilarios Haut.

Der neunte Schritt, zu viel. Der Rücken bricht auf, etwas will hinaus. Der Sog ist zu stark, will Ilario hinabziehen, fort von dem Hügel. Doch die Gestalt packt seinen geschundenen Arm und zieht ihn zu sich heran. Das Bewusstsein schwindet, nur unter großer Willensanstrengung gelingt es Schmerz und brennende Kälte auszuhalten. Die schattenhafte Gestalt sieht ihn an, findet Ilarios Blick. In seinem Kopf hallen Worte nach, kein Ton dringt durch das dunkle Wasser und doch so klar. „Wer bist du? Was tust du hier? Wer hat dich gesandt?“
Mühsam formt Ilario seine Gedanken zu lautlosen Worten. „Ilario Contarini, Kind Galbas. Niemand schickt mich. Ich bin aus eigenem Antrieb, aus freiem Willen hier. Ich will ihm zuvorkommen… will das Galba seinen Preis zahlt. Das menschliche Gesicht des Mannes, das zum Vorschein kommt wann immer die ihn umwogende Vitae es zulässt ist bleich. Er ist nicht besonders groß, hat schwarzes Haar und tiefggründige Augen. Er runzelt die Stirn, schüttelt leicht den Kopf. „Was hat Galba denn getan?“ Schlieren von Rot umwabern Ilario, der mühsam antwortet. „Ich vermute ihr seid… oder wart Magnus Sertorius Mamercus? Ich vermute weiterhin, dass Galba euch Verriet… euch den Preis zahlen ließ für dunkle Ritualistik. Vermutlich im Zusammenhand damit.“ Er deutet schwach auf die gläserne Spitze des Kreisels. Der Mann nickt. Ja er ist es, Mamercus. „Galba lässt mich einen Preis zahlen? Umreisst die Geschichte die ihr zu glauben meint…Enkel.“ Vielleicht sind das nicht die exakten Worte. Doch es ließ sich nur schwer in Worte kleiden, dieses Lippenlesen und das was darüber hinaus stattfand… fand etwas darüber hinaus statt?

„Er fand damals Unterschlupf bei euch in Gallipoli, kommandierte die Garnison und jagte sizilianische Spione. Er ging in die Grotta Porcinara, suchte den Eremiten auf. Dort tat er etwas das sich meiner Kenntnis entzieht, blieb über ein Jahr darinnen. Als er wieder hinauskam, hatte er sich stark verändert. Zumindest seinem alten Weggefährten Calistus nach… Als ihr später die sizilianische Armada geschlagen hattet, auf dem Rückweg, geschah etwas. Man munkelt er verriet euch. Ich denke er hat den Kreisel irgendwie benutzt und wollte den Preis nicht entrichten, nicht selbst zahlen.“ Sehr knapp und ohne Ausschmückungen, dafür fehlte Ilario einfach die Kraft. Die Antwort erschütterte ihn. „Wir haben den Kreisel genutzt.Anders wäre die Schlacht nicht zu gewinnen gewesen. Und wenn das der Verrat sein soll den er begangen hat, dann muss ich dich enttäuschen. Er hat mich damals nicht verraten. Am besten redest du mit ihm selbst.“ Er schweigt, scheint einen Moment zu überlegen. „Sag ihm du könntest vielleicht helfen. Immerhin hast du es hie herunter geschafft.“ Kurz fliegt sein Blick umher, sucht etwas, dann schüttelt er den Kopf. „Nimm etwas von dem schwarzen Sand. Den wird er erkennen.“ Abschätzend betrachtet er seinen Enkel. „Du musst weg hier. Der Kreisel wird dich umbringen.“ Wieder huschte sein Blick zu dem Sand hinüber, als wolle er sagen: Wie all diese hier…
„Wobei helfen?“ Dass der Sklavenprinz versuchte ihn zu benutzen traf Ilario nicht völlig unerwartet, und doch hatte alles Sinn ergeben. Vielleicht hatte er es zu sehr glauben wollen… „Eines noch, ich muss es wissen und euch fragen. Vermutlich seid ihr der Einzige der noch die Antwort kennt: Welchen Namen trägt euer Erzeuger?“ Die Schmerzen des Verweilens, das Risiko, war es Ilario wert zu wissen woher er kam. Ein Lächeln huscht über Mamercus Gesicht, als ob er wüsste warum sein Enkel fragte. Er schüttelt den Kopf. "Offenbar wisst ihr doch schon wer er ist. Und ich kenne keinen Namen der für ihn so lange ich denken kanneine Bewandnis hatte. Ich glaube nicht, dass er ihn selbst noch kennt." Auf die andere Frage erhielt Ilario keine Antwort. Offenbar war hierzu alles gesagt. Oder zu gefährlich darüber zu sprechen.

"Es war mir eine Ehre euch zu treffen und werde tun wie mir geheißen. Ich werde Galba aufsuchen." Ilario verneigt sich gedanklich und macht sich bereit aufzubrechen, straffte seinen zerschmetterten Körper. Unfähig sich zu heilen, greift er zwei handvoll des schwarzen Sandes, stopfte sie in seine Taschen. "Falls ich es nicht schaffe, helft mir zur Oberfläche zu gelangen. Ilario, Scholar der Schatten, konzentriert sich ruft nach den Kräften des Abyss. Doch etwas stimmt nicht, der Sog reisst selbst die Kräfte des Abgrunds mit sich. In einen düsteren Strudel ohne Boden... Mamercus schüttelt den Kopf. "Keine abyssalen Anrufungen Kind! Gott, wer hat dich denn so im Dunkeln gelassen?" Zornesfalten zeichnen sich ab in seinem Gesicht. Tiefe, alte Zornesfalten. Über die Ironie seines Satzes schien er nicht nachgedacht zu haben. Oder war es genau das was er sagen wollte?

Zusammengesackt raunt Ilario: "Galbas Geheimniskrämerei... Dann brauche ich eure Hilfe. Mein Körper ist zerschmettert, ohne die Schatten kann ich von diesem Ort nicht entkommen." Verzweifelt blickt er auf zu seinem Ahnherrn. "Ich kann euch Schwung geben. Den Rest müsst ihr allein schwimmen. Schafft ihr das?" Skeptisch betrachtet er Ilarios geschundenen Leib. Offenbar ist er sich da nicht so sicher... "Ich muss es schaffen. Versagen ist keine Option. Gebt mir soviel Schwung wie möglich." Mamercus nickt, reicht seinem Enkel die Hand. Eine zweideutige Geste, als Verabschiedung wie auch um den Plan in die Tat umzusetzen. Dabei blickt er Ilario mit abschätzendem, anerkennendem Ausdruck an. "Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns wiedersehen"

Als Ilario die ausgestreckte Hand ergreift packt Mamercus mit der Zweiten zu und beginnt seinen Nachkommen mit ungeheurer Kraft herumzuwirbeln. Die Welt saust immer schneller an ihm vorbei, verschwimmt vor Ilarios Augen. Dann wird er losgelassen, schießt schräg nach oben durch das kalte, dunkle Nass. Der Wasserwiderstand bremst, aller titanischen Kräfte zum Trotz, den geschundenen Körper rasch aus. Dennoch ein gutes Stück ist geschafft. Die Kälte ist weniger heftig, ihr Stechen gleicht nun weniger einem Hornissenschwarm als einer Handvoll. Ilario riskiert einen Blick nach oben. Noch gute fünfzig Meter, seine Augen suchen den Schiffsrumpf und finden ihn. Dort, die Ankerkette! In einem Akt schierer Willenskraft zwingt er seinen zerstörten Körper zu einer Schwimmbewegung, pumpt Vitae in die zerrissenen Muskeln, und langsam, wie in Zeitlupe sinkt Ilario ab, der Kette entgegen. Er erreicht sie und kann sich mit Mühe halten, sinkt nicht weiter. Sterne tanzen vor seinen Augen. Ein Stück zieht er sich noch, doch die Kräfte schwinden. Lange hält er nicht mehr durch, Ilario wird es nicht schaffen. In einem letzten Akt der Rebellion, sich dem Versagen verweigernd, nutzt er die vom Blut verliehene Kraft und ruckt an der Kette. Hofft, dass man es an Bord bemerkt. Allein schafft er es nicht mehr zurück…
Plötzlich ist die Kette locker, sinkt. Abgerissen, er hat sie abgerissen.


Raserei

Verzweiflung, Resignation, Schmerz und die ganze Zeit schon der Hunger. Befeuert von Blutverlust und Nutzung der Vitae, regt sich das Tier im Hintergrund. Bis zuletzt hat Ilario gekämpft und alles in ihm sträubt sich. Er hat gekämpft, gestrampelt und geblutet. Ist immer weiter gegangen, jenseits dessen was ein Mensch hätte tun können, ja beinahe jenseits dessen was die meisten Kainiten tun würden. Ilario lässt das Letzte was ihn noch retten könnte von der Kette. Etwas das er immer gefürchtet hat und seit Dekaden nicht zugelassen hat. Widerwillig erkennt er, dass an der Argumentation eines Brimir doch etwas dran sein könnte… dann verliert er das Bewusst sein. Wird beiseitegeschoben von etwas dunklem, animalischen… das schon immer da war.

Später erzählte man sich, was auch immer dort unten zu finden sei, es hätte den stärksten Mann den man kenne in ein Wrack verwandelt. Hätte ihn hinabgezogen in die Tiefe und halb zerkaut, halb wahnsinnig wieder ausgespukt. Man sagt als man den stolzen, nachdenklichen Mann der über Bord gegangen war mittles eines Netzes wieder an Bord holte, biss und schlug er geistlos um sich. Tötete in blindem Wahn gar einen der eigenen Männer und labte sich wie ein Tier an dessen Blut ehe er sich kraftlos unter Deck schleppte wie ein Hund der sich zum Sterben niederlegte. Wochenlang soll er nicht erwacht sein aus seinem Delirium. Auch als man längst zurück in Genua war. Zwar kümmerten sich die engsten seiner Leute um ihn, aber außer Fieberträumen und einzelnen, halb geseufzten, halb geschrienen Lauten sei aus ihm nichts herauszubekommen gewesen. Weder was dort unten passiert sei, noch wie er sich all diese schrecklichen Verletzungen zugezogen hatte. Die geplatzten Adern in den Augen. Der aufgerissene Rücken. Die millionenfach von innen durchstochene Haut. Die bläulichen… Erfrierungen.

Niemand wusste was zu tun sei. Außer Mercurio, der älteste seiner Diener. Er nahm Marcello beiseite und hieß ihn Vorbereitungen zu treffen. Der Herr würde Ruhe brauchen und Zeit das Tier unter seinen Willen zu zwingen. Und Blut, eine Menge Blut…
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Benutzeravatar
Ilario
Lasombra
Beiträge: 3189
Registriert: Di 28. Feb 2017, 09:41

Re: [Fluff] Die Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Ilario »

Galba

Briefe waren geschrieben worden, Boten waren hin und her geritten, doch für das Weitere war ein persönliches Treffen von Nöten. Zu viele Grenzen, zu viele fremde Domänen trennten, daher war es am Kind die Reise zu wagen und seinen Ahnen aufzusuchen. Galba hatte den Treffpunkt definiert, eine alte Mühle außerhalb von Mirano. Nicht weit entfernt von der Lagunenstadt…

Ilario hatte die Reisevorbereitungen sorgfältig abgeschlossen, ohne Hast oder Trödelei. Der Trupp aus Panzerreitern, Tross und Wagen sowie persönlicher Leibwache hatte Genua in nordöstlicher Richtung verlassen. Stets waren sie des Tags gereist und hatten nachts auf dem Lande gelagert. Die größeren Ansiedlungen oder gar Städte wie Parma, Mantua oder Verona hatten sie gemieden. Für sterbliche Räuber oder Raubritter war der Zug zu wehrhaft und Kainiten waren selten außerhalb der Städte. So erreichen sie Mirano…

Panzerreiter und Tross waren zurückgeblieben und nur Mercurio begleitete seinen Herrn zu der alten Mühle die schon bessere Nächte gesehen hatte. Von den sterblichen Bewohnern fehlte jede Spur, doch Galbas Männer, einige kannte Ilario noch aus Kindertagen, hielten Wacht. Er werde drinnen erwartet ließ man ihn wissen. Eine einzelne Kerze brannte am Eingang der Mühle, im Inneren war es stockfinster und ein merkwürdiger, moschusartiger Geruch lag in der Luft.
Als er eintrat hielt Ilario kurz inne, konzentrierte sich und seine nunmehr nachtschwarzen Augen durchblickten die Finsternis als wäre heller Tag. Zwei leere Stühle standen dort und sein Erzeuger in der Mitte des Raumes. Lucius Valerius Galba ließ sein Kind das komplette förmliche Prozedere absolvieren: Ilario sank auf die Knie, den Blick ehrfürchtig gesenkt. Er sprach und erhob sich erst als Galba ihn mit einer Geste dazu aufforderte. Ebenso kam er der Aufforderung sich zu setzen erst nach, als sein Ahn bereits Platz genommen hatte. Ein Test.
Galba forderte sein Kind auf zu berichten und erschloss sich dann seine eigene Geschichte aus Ilarios Worten. So wie er es immer schon getan hatte…

Als der Ahn schließlich geruhte auf Ilarios Fragen zu antworten verfiel er in jenes altertümliche Latein von welchem Ilario annahm es sei seine Muttersprache, in das er stets verfiel, wenn es wirklich auf die Details ankam. Flach verbalisierend brachte er die gesamte Geschichte in einem einzigen Atemzug unter. Eine Technik die auch seinem Kind vertraut war, denn wie sonst hätte Ilario die „Eynhundertliche Anrufung des Ahryman“ in unter 300 Herzschlägen meistern sollen?
Nach einer Weile wurde ihm gewahr, dass er nicht auf die Stimme Galbas sondern auf deren Echo im Raum achten musste. Betonungen, feine Akzentuierungen all das was der gemeine Neugeborene vielleicht als „Ahnensprache“ vermuten mochte, verbargen sich hinter einer Schicht aus Nebel, Lügen und Schatten. Ilario verstand, selbst Galba einen der undurchschaubarsten Alten mit denen er gesprochen hatte, etwas das nicht viele Neugeborene je taten… es aber mussten wollten sie je über diesen Status hinauswachsen.
Sanfter Tadel schwang in den ersten Worten seines Erzeugers mit:
„Sehr verehrte, Ilario… sehr verehrt. Ich brauche nicht noch mehr Probleme.“ Dann fokussierte er sich auf das Wesentliche, hakte hier und dort nach. „Gewebehaut und Repositorium sind intakt nehme ich an? Du hättest dort unten leicht etwas beschädigen können, etwas durcheinanderbringen können… Wie geht es ihm? Hat er dir etwas mitgegeben? Eine Nachricht? Eigentlich befinden wir uns im planmäßigen Zyklus…
Da der Sog dich nicht direkt zerrissen hat nehme ich an, dass er dir geholfen hat. Was beweist, dass du ein Narr bist. Und kein Verräter… Habe ich dir nicht beigebracht nur mit Kräften zu hantieren die du analysiert und begriffen hast? Haben dich ein paar wohlplatzierte Lügen derart aus dem Konzept gebracht? Woher die Unruhe?“
Ilario ärgerte sich ungemein über seine mangelnde Umsicht, doch er hatte überlebt. Die Intrige eines Ahnen überlebt. Eine überaus wertvolle Lektion.
Nach all dem sachten Tadel, der Belehrung und des Nachfragens war nun eine der seltenen Gelegenheiten gekommen da Lucius Valerius Galba Antworten gab und Erkenntnisse teilte. Weil es Nachteile für ihn hätte dies nicht zu tun.
„Wirklich clever von ihnen es über Pisa zu versuchen. Besonders nach den jüngsten Ereignissen. Du hast Fragen?“
Die Nächte lehren viel, was die Tage niemals wissen.
- persisches Sprichwort
Antworten

Zurück zu „Fluffs“