[Fluff] Mein Leben gehört mir [Seresa]

Geschichten über Monster

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Seresa
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[Fluff] Mein Leben gehört mir [Seresa]

Beitrag von Seresa »

1008 AD: Genua (heutiges Italien)

Er stand da und beobachtete sie, doch er hatte vergessen, wie lange er dort schon stand. Ihm war kalt und er fror, doch er spürte nichts davon.

Sie stand da und blickte in die Ferne, doch sie hatte vergessen, wie lange sie dort schon stand. Sie war kalt und tot, doch sie spürte nichts davon.

Es war kurz nach dem Abendmahl gewesen, als er sich auf sein Lager begeben hatte und sie sich an ihn gekuschelt hatte. Seine Nähe suchend, bevor er schließlich eingeschlafen war. Als er aufgewacht war, war es dunkel im Raum gewesen. Er war alleine und fand keinen erholsamen Schlaf. Die nächtliche Wache, welche er antraf hatte auf seine Frage nach Seresa zur Spitze des Wachturms gedeutet. Voller Sorge war er nach oben geeilt. Erschrocken hatte er die Hände vor den Mund geschlagen gehabt. Stand da, wie eingefroren in der Zeit. Unsicher, ob er sich nähern sollte. Sie würde fallen, wenn er nichts tat. Doch wenn er sich näherte, würde sie sich erschrecken und erst recht fallen? Was sollte er nur tun?!

Es war kurz nach seinem Abendmahl gewesen, als er sich auf sein Lager begeben hatte und sie sich zu ihm gelegt hatte. Ihm das Gefühl gebend, dass sie ihn brauchte, bevor er schließlich eingeschlafen war. Als sie leise aus dem Raum gegangen hatte, war es dunkel im Raum gewesen. Sie war alleine und sie fand keinen klaren Gedanken. Die nächtliche Wache, welche sie antraf hatte sie ignoriert und war zur Spitze des Wachturms gegangen. Sie hatte sich auf den äußersten Rand gestellt. Stand da, wie eingefroren in der Zeit. Unsicher, was sie tun wollte. Sie würde fallen, wenn sie nichts tat. Doch wenn sie etwas tat, würde sie straucheln und erst recht fallen? Was sollte sie nur tun?!

Sie hatte sich verändert, seit sie bei ihm waren. Sie hatte damals Angst gehabt vor ihm. Davor, dass er sie ihm wegnehmen würde. Als sie nach zwei langen Monaten gekommen war und ihn von Titus mitgenommen hatte, war er dankbar. Er hatte sie vermisst. Ihre Nähe. Ihre Liebe. Ihr Blut. Er hatte gelitten, als er bei Titus war und obwohl dieser gnädig zu ihm war und sein Leid gemindert hatte, als er ihm zu trinken gegeben hatte, war es nicht dasselbe gewesen. Nicht das, was er seit sechs Jahren mit Seresa geteilt hatte. Sie teilte ihre Sorgen nicht mit ihm. Das hatte sie noch nie. Sie hatte ihn aus der Welt hinter der Welt wie sie es nannte herausgehalten. Sie sagte, sie wolle ihn davor beschützen. Sie wolle, dass er glücklich ist. Das war er und doch hatte er das Gefühl, dass sie es nicht war, seid sie bei ihm war.

Sie hatte sich verändert, seit sie bei ihm war. Sie hatte damals Angst gehabt vor ihm. Davor, dass er sie an sich binden würde. Als sie nach zwei langen Monaten aufgewacht war und er sie gebunden hatte, war sie wütend. Sie hasste ihn dafür. Seine Kraft. Seinen Willen. Sein Blut. Sie hatte gelitten, als sie bei Ajax war und obwohl dieser gut zu ihr war und er seine Macht über sie nicht missbrauchte, hatte er alles zerstört mit seiner Handlung. Vier lange Jahre waren ins Land gegangen. Er teilte seine Sorgen nicht mit ihr. Das hatte er noch nie. Es wäre nicht gut, wenn sie zu viel wüsste. Er sagte, er wolle sie davor beschützen. Er wolle, dass sie frei ist und ihre eigenen Entscheidungen traf. Das war sie nicht und doch hatte sie das Gefühl, dass sie es sein könnte, seid sie bei ihm war.

Wer war sie für ihn? Er hatte Seresa kurz vor dem Jahrtausendwechsel kennengelernt. Ein neugieriges, gelehriges Mädchen. Sie erinnerte ihn stark an seine Jugend, als er im Kloster war. Sie war so rein und unschuldig. So unglaublich wissbegierig und ausdauernd. Sie konnte stundenlang in der Nacht nur bei ihm sein und ihm zuhören, wie er ihr vorlas. Wie er ihr die Bedeutung der Schrift erklärte. Die Kunst seines Handwerks. Sie schien aufzublühen unter seiner Lehre. Sie liebte ihn. Körperlich, doch vor allem geistig. Sie gab seinem Leben einen neuen Sinn. Seinem Leben, welches er davor vergessen hatte.

Wer war er für sie? Sie hatte Ajax kurz nach ihrer Ankunft in Genua kennengelernt. Ein machtgieriger, aufdringlicher Mann. Er erinnerte sie stark an ihre Kindheit, als sie eine Kainitin war. Er war so stark und selbstsicher. So unglaublich geduldig und bestimmt. Sie konnte stundenlang in der Nacht nur bei ihm sein und ihm zuhören, wie er ihr Dinge erklärte. Wie er ihr den Umgang mit dem Speer lehrte. Die Kunst seines Handwerks. Sie schien aufzublühen unter seiner Lehre. Sie liebte ihn. Körperlich, doch vor allem geistig. Er gab ihrem Leben einen neuen Sinn. Ihr Leben, welches sie davor vergessen hatte.

Wie würde eine Zukunft ohne sie aussehen?! Einsam und leer. Er konnte. Er wollte nicht ohne sie leben. Er musste sie retten.

Wie sollte eine Zukunft ohne ihn aussehen?!...

„Seresa?“

„Leg dich schlafen, Raffaele. Ich komme gleich nach.“

Er verließ sie in der Hoffnung und der Gewissheit, dass sie bald nachfolgen würde, um wieder bei ihm zu sein. Er legte sich auf sein Lager und schlief beruhigt ein, denn er wusste, sie war nicht fern. Sie würde ihn nicht alleine lassen.

Sie hatte ihn verlassen in der Hoffnung, dass er bald nachfolgen würde, um wieder bei ihr zu sein, doch sie hatte keine Gewissheit. Sie stand da und blickte traurig in die Dunkelheit, denn sie wusste, er war fern. Sie wollte ihn nicht alleine lassen, doch sie musste.
~*~ Die Glut des Herzens ist am besten in den Nächten voller Dunkelheit zu erkennen. ~*~
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1009 AD: Genua (heutiges Italien)

Seresa rannte. Querfeld ein. Immer weiter. Immer weiter. Bis sie schließlich nicht mehr weiter konnte. Nicht mehr weiter wollte. Bis ihr Körper unter der Schwere der Last aufgab. Sie ließ sich auf ihre Knie fallen. Ein markerschütternder, gequälter Schrei durchzog die Leere der Nacht. Hier draußen war viele meterweit nichts. Keine Zivilisation. Nicht einmal vereinzelte Höfe. Sie war alleine und sie schrie. Schrie mit aller Kraft die Verzweiflung, die sich ihrer bemächtigt hatte, in die Leere der Welt hinaus. Wieder. Und wieder. Und wieder…

Rote Tränen bildeten sich in ihren Augen. Fielen lautlos zu Boden. Da war niemand der ihr helfen konnte. Da war niemand der ihr helfen würde. Sie zitterte und ihre Hände hielten sich verkrampft an ihrer Kleidung fest. Vor ihrem geistigen Auge erschien der Hoftag.

Ich habe von dir gehört. Meine Liktoren mussten dich davon abhalten die werte Sousanna zu vernichten. Das kochende Blut des Syphax verdirbt deine Adern außerdem. Dein Erzeuger wird von mehr als einer Geissel gesucht und für dich spricht nur deine gute Kinderstube. Du trittst ohne Aufmerksamkeit oder Namen welche für dich sprechen vor mich. Oder? Kannst du Namen nennen die ihre Hand für dich ins Feuer legen? Was hast du mir anzubieten? Wie gedenkst du Genua zu einem besseren Ort zu machen?

Die Worte Aurores prasselten wieder und wieder auf sie ein.

Ich erlaube dir die begonnenen fünf Jahre zu Ende zu bringen, Seresa vom Clan Brujah. Du hast bis Ablauf dieser Frist Zeit einen zweiten Fürsprecher aufzutreiben, sollten dich nicht andere... Komplikationen bereits zuvor aus dem Spiel nehmen. Du erhältst solange Aufenthalts- und Jagdrechte außerhalb der Stadt.

Seresas Körper verformte sich mehr und mehr zu einer kleinen Kugel, der sich vor und zurück zu wiegen begann.

Ich....ich...ich. Meine Aufgabe, Fürsprache für mich, mein Tier, mein Weg der Nacht. Wieso sollte dir die Gemeinschaft helfen, wenn du selbst ständig nur über dich redest? Für Egoisten ist hier kein Platz. Wenn du also durch eines der Tore schreitest, dann nur wenn es der Gemeinschaft dient und nicht ausschließlich deine eigenen Ziele vorantreibt.

Nein. Nein, sie hatte es damals nicht verstanden. Seresa rollte sich gänzlich ein. Ihr Kopf berührte die Erde. Sie hatte fünf Jahre gebraucht, um einen Hauch des Ganzen zu verstehen und nun da sie befürchtete tatsächlich zu verstehen, verzweifelte sie umso mehr daran.

„Mea Culpa.“

Das Zittern ging durch ihren Körper.

„Mea Culpa.“

Es war ihre Schuld. Ihre Schuld.

„Mea maxima Culpa.“

Ihre große, unendlich große Schuld. Sie hatte den Fehler gemacht. Sie wollte nicht sein wie ihr Erzeuger Fabrizio und nun war sie schlimmer geworden als er jemals sein konnte. Das war nicht, worum sie gebeten hatte. Das war nicht, worum sie ersucht hatte. Ein verzweifelter Schrei durchzog erneut die Stille der Nacht.

Man hatte sie geraubt.

Man hatte sie missbraucht.

Man würde sie zum Fraß vorwerfen, wenn sie nicht schon vorgeworfen worden war.

Aus blutunterlaufenen Augen blickte sie den Mond an, der auf sie herabzulächeln schien. Auf Seresas Lippen bildete sich ihrerseits ebenso ein Lächeln. Dann tupfte sie sich mit dem Ärmel ihrer Tunika die Reste der Tränen aus dem Gesicht, bevor sie sich schwerfällig erhob und dabei fast taumelte. Wieder hinfiel. Doch es gelang ihr sich aufzurichten. Sie stand aufrecht und stolz.

Sie hatte Ajax verflucht, weil er gegen ihren Willen sich ihr aufgezwungen hatte. Weil er sie unter seinen Schutz gezwungen hatte. Inzwischen war sie dankbar, dass er ihr damit die Augen geöffnet hatte. Dass er sie stärker gemacht hatte. Dass er ihr beigebracht hatte, dass sie vor nichts und niemandem knien musste, außer es war ihre eigene Wahl. Dass sie nicht schuld war. Dass er bei ihr war und sei es nur in ihrem Geist.

Sie war nicht allein.

Als sie sprach lag eine unverrückbare Gewissheit in ihrer Stimme. Sie war gedämpft, doch jede Faser ihres Körpers schrie und wusste, dass es sich richtig anfühlte. Dass es so sein sollte. Dass es so sein musste.

„Mein Leben gehört mir.“
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1009 AD: Genua (heutiges Italien)

Frechheiten!
Das Wort hatte sie getroffen. Tief in ihrem Inneren. Es hatte sie erstarren lassen. Es hatte sie wanken lassen. Es hatte sie knien lassen. Es war ein Wort, welches Seresa nicht hinuntergehen wollte. Eines, welches sie nicht schlucken wollte. Eines, welches sie nicht schlucken konnte. Sie, welche einst die Erziehung einer Ventrue genossen hatte. Sie, die allen seit jeher Respekt erwies. Sie, welche sich hatte hinreißen lassen. Sie, welche die Kontrolle verloren hatte. Sie, welche jedwede Etikette hatte vermissen lassen.
Die Ventrue in Seresa schämte sich für ihr unehrenhaftes Verhalten.

Wiedergutmachung?
Seresa hatte sich ihm ausgeliefert und sich wie gefordert entschuldigt. Doch er hatte eine Wiedergutmachung von ihr gefordert. Erneut, wieder und vollkommen selbstsüchtig. Er benutzte sie! Nutze ihr Vertrauen und ihren Glauben nur aus. Es war alles seine Schuld! Er hatte sie provoziert! Er hatte es provoziert! Sie wollte nicht darüber sprechen. Sie wusste wo es enden würde. Er hatte ihren Zorn verdient! Es war gerechtfertigt! Ihr Clansbruder hatte sie vor ihm gewarnt, doch sie war blind gewesen. Es war alles wahr, was ihr Bruder im Blute ihm vorgeworfen hatte. Jedes kleine bisschen daran und noch viel mehr.
Die Brujah in Seresa rebellierte gegen sein unehrenhaftes Verhalten.

Rechenschaft?!
Es verblieb in Seresa die ungewisse Frage, ob und wem sie wahrlich etwas schuldig war. Was passierte, wenn sie sich weigerte. Was passierte, wenn sie nachkam. Wo Loyalität endete. Wo Verrat begann. In ihrem Inneren bildete sich ein Satz: Mein Leben gehört mir…
oder?
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1009 AD: Genua (heutiges Italien)

Da war er gewesen.

Dieser allumfassende Moment der grenzenlosen Macht.

Seresa hatte sein Schicksal in den Händen gehalten. Er war hilflos gewesen. Wehrlos. Willenlos. Sie hätte alles mit ihm tun können. Ihn als Waffe nutzen. Als Pfand. Als Spion.

Doch was war es, was sie tatsächlich getan hatte?!

Sie hatte ihn angefaucht. War von ihm zurückgewichen. Sie war überfordert gewesen mit der Situation und den unzähligen Möglichkeiten, welche ihr geschenkt worden waren. Mit der Frage, wie sie sie nutzen wollte.

Oder war da einfach noch immer etwas in ihr gewesen?! Etwas, was noch immer tief in ihr verborgen war?! Etwas, was sie noch immer nicht gänzlich abstreifen konnte?! Nicht hinter sich lassen konnte?! Nicht hinter sich lassen wollte.

Es hieß Nächstenliebe sei ein Zeichen von Schwäche und doch… so sehr sie sich selbst dafür verachtete: Sie hatte ehrliches Mitgefühl mit Galeno gehabt.

Seresa konnte nicht tun, was andere in ihrer Situation getan hätten und doch hatte sie den Benediktiner letzten Endes Titus ausgeliefert. Sie wusste nicht, ob es die richtige Entscheidung gewesen war und als er ihr sein Angebot gemacht hatte, hatte sie ihn dafür gehasst und es redlich bezweifelt. Nicht, weil er sie um die Möglichkeit einer wahrhaften und von ihr ausgehenden Entschuldigung gebracht hatte, sondern weil er ihr angeboten hatte, Galenos Schuld abzukaufen, bevor sie entgegnen konnte, dass sie selbst keine Schuldigkeit des jungen Benediktiners ihr gegenüber sah.

Die Brujah hatte Titus angebotenen Handel angenommen, obwohl sie innerlich ablehnen wollte und ihn gänzlich verabscheute. Doch Titus würde sie nie verstehen und ihr Nein hätte womöglich dafür gesorgt, dass sie die Martinsfeste nicht verlassen hätte können. Der Kappadozianer war nun einmal wie er war. Titus würde ihr nie vertrauen und sie lehren. Nicht, weil sie sich nicht von ihrem Bruder im Blute distanzierte, denn es war einerlei, ob er da war. Ob er lebte oder tot war. Titus forderte etwas von ihr, was sie niemals tun würde. Sie würde sich niemals wieder freiwillig binden. Nicht an ihn und nicht an jemanden sonst, denn ihr Leben gehörte nur ihr.

Womöglich war es gut so wie es gekommen war. Es war ein sauberer Schlussstrich unter einer Geschichte, welche niemals ein glückliches Ende gefunden hätte. Es würde keinen Grund geben Titus erneut aufzusuchen. Doch wusste sie innerlich, dass dies eine Lüge war, denn ihre Aufgabe zwang sie dazu, ob sie es nun wollte oder nicht.

Es war an der Zeit die Vergangenheit zu vergessen. Man konnte nichts an ihr ändern, lediglich aus ihr lernen. Zumindest sagte er das. Doch war Seresa sich sicher, tatsächlich seine offene Tür durchschreiten zu wollen, um seinen Rat zu ersuchen?! Wie konnte sie wahrhaft redlich zu ihm sein, wo sie doch selbst vor ihm schweigen musste?!

Am Ende des Tages gab es nur eine Frage: Wem gehörte ihr Leben?

Und wenn es nicht das Ihrige war…

Wer war es dann, der wahrlich entschied?
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1010 AD: Genua (heutiges Italien)

Es waren zwei lange Jahre gewesen, in den Seresa erneut auf sich gestellt in Genua verweilt hatte. Getrennt von allem was sie wahrlich begehrte. Sie war gänzlich allein ohne ihren Clansbruder, welcher mehrere Jahre lang ihr tägliches Leben Nacht ein und Nacht aus begleitet hatte. Ajax hatte sie einst in Ketten gelegt, um sie zu beschützen. Nicht, dass es etwas Neues gewesen wäre für Seresa, neigten sie alle dazu dies zu tun. Ganz so, als fürchteten sie, die Brujah würde die falschen Dinge tun, so sie nur frei wäre. Sie zwangen sich ihr auf. Banden sie Widerwillens. Brachen sie und ihren Willen. Steckten sie in Käfige, bis sie endlich die Kraft verlor, sich weiter dagegen aufzulehnen. So war der Wachturm zu Seresas neuem Gefängnis ohne sichtbare Ketten geworden. Doch Ajax hatte ihr eine Chance gegeben, sich zu beweisen. Er hatte sie geprüft, so wie so viele Seresa bereits zuvor geprüft hatten. Doch obwohl sie die Möglichkeit hätte nutzen können, um sich von ihm zu befreien, war sie Ajax ergeben geblieben. Sie hatte sich nicht gegen ihn oder seine Ketten aufgelehnt, welche er locker und sanft wie ein seidenes Band, um ihren Hals gelegt hatte. Sie hatte aufgehört dagegen anzukämpfen, denn sie wusste innerlich, dass es ein Kampf war, der Einzig in ihrer eigenen Vernichtung enden würde.

Und so stand Seresa - wie so viele Nächte zuvor - am höchsten Punkt der Wachstation und blickte gegen Norden.

Es würde nicht mehr lange dauern und Ajax wäre wieder hier. Bei ihr. Doch was würde das für sie bedeuten?

Die Brujah nahm einen tiefen, falschen Atemzug, indem sie die kälter werdende Nachtluft durch die Nase einsog und langsam entweichen ließ. Der Anschein von Leben und das Niederkämpfen der Angst. Der Panik, welche sich im Zittern ihrer Finger wiederspiegelte.

Würde Ajax zufrieden sein, sobald er zurückkehrte? Hatte sie getan, was er erwartet hatte oder erwartete er etwas völlig anderes von ihr? War es richtig was sie getan hatte? Was wäre, wenn es falsch gewesen war? Was, wenn sie ihn enttäuscht hatte? Würde er erneut nur das Beste für sie wollen? Sie zu ihrem Glück zwingen? Doch war es wahrlich ihr Bestes oder war es einzig sein Bestes?!

Seresa schüttelte leicht den Kopf, während sie sich über die Unterarme rieb. Nur einen Moment später umarmte sie sich selbst damit und gab ihr Halt, wo es doch keinen Halt zu geben schien.

Würde Ajax es wissen, wenn sie ihn hintergehen würde? Würde er spüren, so sie sich versuchen würde heimlich von ihm loszureißen? Sie bräuchte einzig Vertrauen in Jemanden. Jemanden, welcher bereit war das Risiko einzugehen und sie von Ajax zu befreien. Jemand der ihr die Hand reichte und für sie da war. Doch selbst wenn es diesen Jemanden gegeben hätte, hätte sie ihn wahrlich darum gebeten?! Waren vertraute Fesseln nicht besser als fremde?! War es nicht besser mit Jemandem zu leben, welcher sie respektierte oder zumindest es glaubhaft vorgab zu tun?

Sie seufzte leise und ließ für einen Moment noch ihren Blick in die Ferne gehen, bevor sie sich aufmachte die Spitze des Turms zu verlassen.

Was würde geschehen, sobald Ajax wieder in Genua verweilen würde? Würde er die Schlinge um ihren Hals erneut enger ziehen? Würde er sie verurteilen für ihre Schwäche? Würde er sie weiter stärken, da es sich gezeigt hatte, dass sie noch nicht allein aufrecht stehen konnte? Seresa fürchtete sich vor der Antwort auf die ungestellte Frage. Sie hatte Angst vor seiner Heimkehr, denn erneut schien es sich abzuzeichnen, dass ihr Leben nicht ihr gehörte. Dennoch verweilte sie weiter ergeben im Wachturm in Genua. Gefangen in unsichtbaren Fesseln, die sie an Ort und Stelle bannten. Nicht fliehend, weil sie es nicht konnte und zum ersten Mal in ihrem Leben fragte sie sich, ob das geächtete Leben ihres Erzeugers und die damit verbundene Freiheit nicht besser war, als der goldene Käfig, in welchem sie gefangen saß.

Seresa schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

Nein. Sie hatte ihr Wort gegeben. Sie konnte es nicht brechen, auch wenn es bedeutete, dass ihr Leben nicht ihr allein gehörte.
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1011 AD: Genua (heutiges Italien)

Es hatte angefangen wie ein aufziehendes Sommergewitter. Eine dunkle Vorahnung künftiger Ereignisse. Die Umgebung hatte sich um einige Grad abgekühlt. Kaum merklich und doch waren die Spatzen unruhig geworden. Unheil lag in der Luft, auch wenn sie es noch nicht richtig greifen konnte, was es war.

Etwas hatte sich verändert und warnend lagen ihr mitfühlende Worte im Ohr. Du bist noch weiter vom Licht entfernt wie damals.

Seresa blickte in den wolkenverhangenen Himmel.

War sie das? Vom Weg abgekommen? Vom Licht entfernt? Und was war er dann? Ein Blender vor dem Herrn?!

Er hatte sie in eine Falle gelockt. Er hatte sie ausgenutzt. Benutzt. Ihre Gutmütigkeit. Ihren Glauben. Ihr Mitgefühl. Am Ende der Nacht hatte auch er sie verraten. Wie könnte sie ihm jemals wieder vertrauen?!

Ein leises Donnern durchzog die Stille der Nacht.

Doch hatten sie das nicht alle getan? Es verläuft alles nach Plan. Wessen Plan und welche Rolle spielte sie darin?! War sein Kreuz ein Zeichen des aufrichtigen Glaubens oder nur ein weiteres Zeichen des Verrats?

Der Blitz zerriss die Dunkelheit und tauchte die Straße auf welcher die Brujah einsam wanderte in ein falsches Licht.

Das Verbot stammt von der Prinzessin persönlich.

Seresa schloss die Augen und nahm einen falschen Atemzug, als ein Regentropfen ihre Nase kitzelte. Die Brujah seufzte.

Weshalb schützte sie sie, nachdem sie sie zuvor bloßgestellt hatte? Was war es, was sie in ihr sah? Das verdorbene Blut? Die gute Kinderstube? Jemand der wahrlich seinen Wert beweisen wollte? Oder den Feind, welchen sie nicht offen selbst vernichten wollte?

Missmutig verzog die Gelehrte das Gesicht und ein leises, wütendes Fauchen huschte über ihre Lippen.

Wo Ramon war, war ungewiss. Ajax war ein erzwungener Vasall Mailands und tanzte auf einem bis zum zerbersten gespannten Seil. Mattia hatte entschlossen zu schweigen, so wie er immer schwieg. Er hatte sie bei Hofe zu sich gerufen. Wollte Stärke und Einigkeit präsentieren, doch fielen sie alle von ihm. Zuerst ihre drei Geschwister im Blute, bei welchen er zuließ, dass sie verurteilt wurden. Dann Ramon, bei welchem er schwieg. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Ajax und sie von ihm fallen würden. Doch wem konnte man in diesen dunklen Nächten wahrlich noch vertrauen?

Der Donner grummelte missmutig in weiter Entfernung und gab der Gelehrten keine Antwort auf ihre stummen Fragen.

Die Hinweise deuten in eine interessante Richtung.

Seresa ließ ihren Blick über die inzwischen erneut dunklen Weiten der Domäne Genua wandern, hin zu dem Wachturm in weiter Ferne.

Taten sie das?! Und wenn ja, was bedeutete das für sie?! Stand sie vor dem Abgrund oder war sie bereits einen großen Schritt weiter? Würde sie ungesichert fallen oder würde er versuchen sie zu halten? Würde er ihr weiter seinen Schutz gewähren? Schützte er sie denn wahrlich oder benutzte auch er sie nur?

Erneut wurde es Tag hell in der Nacht und der Blitz fand seinen Weg in der Dunkelheit.

Was war sie für ihn? War es am Ende alles nicht mehr als eine gespielte, falsche Vertrautheit? Das trügerische Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, welches es in ihrer Welt hinter der Welt nicht geben konnte. Nicht geben durfte.

Der Wind frischte weiter auf und aus den einzelnen Regentropfen war ein wilder, harter Schauer geworden, welcher auf den Körper der jungen Brujah einschlug, begleitet von dem Geräusch des nahenden Gewitters.

Würde er erneut richten?

Die Dunkelheit wurde vom Licht zerrissen.

Würde er sie dieses Mal vernichten? Würde er sie verraten und verkaufen?

Der Himmel schien die Antwort zu kennen, denn das bedrohliche Donnern war nahe und laut. Zahllose Hagelkörner schlugen auf den schlanken, jungen Leib der Gelehrten ein.

Weil er es konnte. Weil er es musste?!

Die Luft vibrierte vor Spannung, als die Helligkeit Seresa alles klar und deutlich in ihrer Umgebung sehen ließ.

Weil ihm letzten Endes keine andere Wahl bleiben würde.

Der Donner folgte nur den Bruchteil eines Moments später. Seresa kniete sich auf den Boden, rollte sich ein und machte sich klein. Unbarmherzig prasselte der Hagel auf sie herab und der Wind riss an ihrer Kleidung. Blitz und Donner tobten sich über ihrem Körper aus, während die Lippen der Brujah leise lateinische Worte murmelten.

„Herr, wende Dich mir zu und leihe mir Deine Gunst; denn ich bin einsam und erniedrigt. Weite meines Herzens Enge, aus meinen Ängsten hole mich heraus. Sieh an mein Elend und meine Plage und vergib mir alle meine Sünden. Schaue an meine Feinde, es sind derer so viele; mit gewaltigem Hass hassen sie mich. Behüte, Herr, mein Leben und rette mich, und lass mich nicht zuschanden werden, wo ich doch bei Dir geborgen bin. Schlichtheit und Redlichkeit mögen mich bewahren, denn auf Dich hoffe ich.“

Ein lautes Krachen und Knacken zerriss die unwirkliche Situation und erschrocken blickte Seresa auf. Der Blitz hatte in einen Baum in der Nähe eingeschlagen. Hell in Flammen stand die Weide, welche sich zuvor noch widerspenstig und trotzend im Wind hin und her gebogen hatte. Zitternd hielt Seresa den Rosenkranz in ihren Händen, während sie ihre Hände zu verzweifelten Fäusten geballt hatte, um ihr zumindest selbst einen kleinen Halt zu geben. Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern in einer Welt, welche um sie herum unterzugehen schien.

„Herr, sei unser armer Sünder Seele gnädig.“
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1012 AD: Genua (heutiges Italien)

Zehn Jahre.
Zehn unendlich lange Jahre.

Was hätte sie anderen Orts in dieser Zeit erreichen können? Wer wäre sie geworden wären die Dinge anders verlaufen? Wäre sie mit einem anderen Blut in ihren Adern letzten Endes dennoch in Genua gelandet? Was wäre geschehen, so sie damals eine andere Entscheidung getroffen hätte? Hätte sie trotz allem Ajax kennengelernt und diese innige Verbundenheit zu ihm gespürt und gepflegt? Hatte sie damals ihr eigenes Leben aus der Hand gegeben und andere darüber entscheiden lassen oder war es die einzig richtige Entscheidung gewesen, welche sie selbst in ihrem tiefsten Inneren hatte treffen können? Wäre sie nun glücklicher, so alles anders gekommen wäre?

Seresa hatte lange überlegt, wie sie diese bedeutungsvolle Nacht im Sommer verbringen wollte.

Gemeinsam mit Fabrizio, der den ersten großen Teil ihres untoten Daseins mit ihr verbracht hatte?
- Mit ihm, der sie einst grausam getötet hatte und der ihr doch dieses neue Leben eingehaucht hatte, obwohl er es nicht musste.
- Mit ihm, der sie in den Dreck gedrückt und erniedrigt hatte, auf dass sie gestärkt wieder aufgestanden war und weiterkämpfte.
- Mit ihm, den sie hasste und liebte - verfluchte und vergötterte - zu gleichen Teilen und zur gleichen Zeit.
- Mit ihm, dessen Blut ewiglich durch ihre Adern floss und sie für alle Zeiten miteinander verband.
- Mit ihm, dem sie folgte, nicht weil sie es musste oder weil sie dazu gezwungen wurde, sondern weil sie es selbst so wollte.

Gemeinsam mit Uta, die sie ein Drittel ihres neuen und ein weiteres Drittel ihres sterblichen Daseins begleitet hatte?
- Mit ihr, ohne die sie niemals eine Chance erhalten hätte.
- Mit ihr, die sich ihrer angenommen, sie gelehrt und ihr so vieles ermöglicht hatte.
- Mit ihr, die ihr strahlendes Licht in der Dunkelheit war.
- Mit ihr, die ihr ewiger Engel der Nacht war.
- Mit ihr, der sie folgte, nicht weil sie es musste oder weil sie dazu gezwungen wurde, sondern weil sie es selbst so wollte.

Gemeinsam mit Ajax, mit welchem sie das letzte Drittel ihrer Zeit in der Welt hinter der Welt verbracht hatte?
- Mit ihm, der sie aufgenommen hatte und versuchte sie vor Fehlern zu schützen.
- Mit ihm, der sie formte nach seinem Abbild und der sie stark machte - körperlich, wie auch geistig.
- Mit ihm, mit dem sie über so vieles viel zu offen sprach.
- Mit ihm, der sie wohl von allen ihrer Art in Genua wohl am besten kannte.
- Mit ihm, dem sie folgte, nicht weil sie es musste oder weil sie dazu gezwungen wurde, sondern weil sie es selbst so wollte.

Seresas Blick wanderte über die dunkle Stadt zu ihren Füßen. Sie war allein. Zumindest nahm sie das an. Sicher konnte sie sich dessen nicht mehr sein. Sie hatte zu viel gesehen und zu vieles erfahren. Zu vieles, welches besser im Verborgenen geblieben wäre.

Sie sah die Spinnweben, welche sich durch die Domäne zogen und wie sie sich weiter verästelten. In andere Domänen übergingen. Wie sie den Lauf der Geschichte miteinander verbanden und wie es immer schwieriger für Seresa wurde. Riesige, beängstigende und gefräßige Spinnen waren in ihrem Sichtfeld aufgetaucht. Sie wanderten über Grenzen hinweg. Trennten Fäden. Schufen Schicksale. Zerstörten Leben.

Wie konnte sie nur ruhig bleiben oder sich gar ruhig verhalten bei allem was sie sah? Geduldig sein und unbeteiligt der Dinge ausharren, welche geschehen würden, um dabei keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie konnte sie noch immer versuchen mehr zu sehen und verstehen zu wollen, obwohl die Stränge, welche sie bereits ausgemacht hatte, beunruhigend genug waren, um sich einfach totstellen zu wollen und den Blick am liebsten angstvoll abzuwenden. Schließlich war letzten Endes doch nicht da, was man nicht sah. Oder?!

Die Brujah sog die Luft in ihre toten Lungen und ließ sie unverbraucht entweichen. Atmen. Es war ein gänzlich nutzloses Vorgehen an sich seit sie gestorben war. Sie benötigte es nicht länger und doch tat sie es des Öfteren. Es war wie eine schlechte Angewohnheit. Eine, welche sie beruhigen und ihre Leidenschaft zügeln sollte. Doch sie war tot und dies war die erste Nacht in ihrem Dasein, in welcher die Zeit in der Welt hinter der Welt ihre Lebtage überholt hatte.

Sie hatte damit gerechnet, dass sich etwas verändern würde, ähnlich dem Übergang vom Kind zur Frau. Ein Gefühl, welches sich einstellen würde. Doch es hatte sich nichts verändert. Alles blieb wie es bereits zuvor war. Es kam keine Erleuchtung oder gar Angst in ihr auf. Da war nichts. Sie war einfach weiterhin kalt und tot.

Seresa blickte nachdenklich in Richtung der Lichter im Norden. Wie es wohl war alt zu werden. Nicht äußerlich, sondern innerlich. Was bedeutete es für einen selbst derart alt zu sein? Womit verbrachte man seine Nächte? Entfernte man sich weiter von den Menschen, weil ihr Leben nicht mehr als ein Wimpernschlag im Vergleich zum eigenen Dasein war? Sah man junge Kainiten dann als ebenso unbedeutend an? Als Kinder, die nicht wussten, um was es eigentlich ging. Als Kinder, welche sich um bedeutungsloses Spielzeug eines anderen stritten? Beobachteten sie sie und ihre ersten Gehversuche? Schlossen sie Wetten darauf ab, welches Kind wohl als nächstes heulend im Dreck lag? Oder sorgten sie gar mit Wollust selbst dafür, dass das eine oder andere strauchelte? Und wenn ihr Blick dann auf Seresa fiel, was sahen sie dann?

Die Brujah schloss für einen Moment die Augen und nahm einen erneuten Atemzug, bevor ihr Blick zurück zu den unzähligen, unsichtbaren Fäden wanderte. Seresa wusste nicht vieles, doch sie wusste, wer sich totstellen würde und sich in einem gemachten Netz ausruhte würde eines Nachts fallen. Doch wie sollte man sich bewegen, ohne sich selbst für immer in dem klebrigen Gespinst zu verheddern und zu verfangen?! Wie schuf man eigene Netze?! Netze, welche tragen würden, so Fäden gekappt wurden?! Wo mussten die Knoten stark geknüpft sein und wo mussten die Verbindungen lose genug sein, dass man sie mit Leichtigkeit selbst kappen konnte. Welche Fäden waren stabil und trugen? War es das Blut was einen verband? Eine gemeinsame geistige Haltung? Gemeinsame Ziele? Eine gemeinsame Herkunft? Wer war in dieser Welt hinter der Welt ein wahrer Freund? Wer war ein Verderber und der künftige Feind?

Was bedeutete es letzten Endes länger tot zu sein als lebend? Was machte dieser Zustand mit einem? Wurden sie deshalb so unnahbar, kühl und distanziert, weil sie mit den Jahren verlernten was es bedeutete zu vertrauen? Weil sich öffnen auch immer bedeutete missbraucht, hintergangen und verletzt werden zu können? Doch was für ein Leben war dies dann noch, welches man führte?! Niemand spielt fair. Das waren Ajax eigene Worte gewesen und Seresa wusste tief in ihrem Innersten, dass irgendwann die Nacht kommen würde, welche sie von ihm trennen würde, doch diese Nacht war nicht heute und würde auch nicht morgen sein.

Es waren die letzten Stunden vor dem Morgengrauen als Seresa an die schwere Tür klopfte und eintrat. Unweigerlich senkte sie den Blick und den Kopf. Trotz der vielen vergangenen Jahre und des Wissens, dass es ihm bei ihr nicht wichtig war, war bei ihr noch immer diese intuitive Form der Ehrerbietung und Ehrerweisung geblieben. Auch die gewisse Verliebtheit, welche sich wenig später in Form eines warmen Lächelns auf ihre Lippen schlich. Etwas, was sie sich in all den Jahre nicht hatte abgewöhnen können, so sehr sie es auch versucht hatte. Seresa zögerte einen Moment, während sie kurz zu Boden blickte, bevor ihre braunen Augen unsicher die grünen ihres Gegenübers suchten und fanden. Die Brujah atmete ein, wobei sich ihr Körper straffte. Für einen Moment hielt sie den Atem an, offenbar unsicher, ob sie ihren Wunsch tatsächlich aussprechen sollte oder nicht. Dann gab sie sich einen inneren Ruck und ihre Worte platzten unmittelbar und direkt aus ihr heraus.

„Ich würde heute gerne bei dir liegen, Ajax.“

Ihr Leben gehörte ihr, aber sie war bereit es mit Jenen zu teilen, welche sie liebte und verehrte. Daran sollte auch der Zustand, dass sie nun länger tot als lebendig war, nichts ändern.
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1012 AD: Genua (heutiges Italien)

Ich werde die Wahrheit herausfinden.

Seresas Worte hatten in jener Nacht wie ein folgenschweres, dunkles Versprechen eines Wandlers auf der Via Regalis geklungen, während ihr Gegenüber sie eindringlich gewarnt hatte. Die Brujah genoss die Gespräche mit dem Mann an ihrer Seite. Das hatte sie schon immer. Sie wusste seinen Verstand zu schätzen. Seinen Rat. Doch in jener Nacht. In jener Nacht hasste sie ihn für seine Worte. Seresa wusste nur zu gut, dass er vollkommen recht mit seiner Warnung hatte. Sie hatte offen mit ihrem Gegenüber gesprochen. Offen über jene Dinge, welche vorgefallen waren und noch viel mehr. Doch sie hatte ihm nicht alles gesagt. Als sie schließlich gesprochen hatte, hatte ihre Stimme ruhig geklungen. Zu ruhig, bedachte man die aufgezeigten Konsequenzen.

Ich weiß.

Sie hatte ihm gesagt, weshalb sie es tun wollte. Weshalb es ihr nach dem Erkenntnisgewinn dürstete. Doch sie hatte ihm in jener Nacht nicht die ganze und vollkommene Wahrheit gesagt. Dennoch stand eines unabdingbar fest: Die Brujah hatte ihn nie belogen. Trotzdem hatte sie ihm wissentlich Wissen vorenthalten, denn sie kannte ihn zu gut. Sie waren sich zu ähnlich, dass hatte sich auch in seiner Antwort auf ihre Frage gezeigt.

Seresas Augen schlossen sich und öffneten sich erneut, während sie auf die Männer ihres Bruders im Blute unter ihren Füßen hinabblickte. Die Brujah hatte ihren eigenen Weg der Nacht gewählt. Er war gangbar für sie, auch wenn manch einer es nicht verstand. Gar deshalb an ihr zweifelte. Dennoch würde sie sich von Niemandem sagen lassen, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Auch nicht von Jemandem, den sie derart schätzte wie ihn. Womöglich war es Hybris, doch brauchte nicht Jeder irgendein Laster, dem er in dunklen Nächten frönen konnte?!

Letzten Endes stand ohne hin eines fest: Sie trug die Konsequenzen ihres Handelns stets allein. Das tat sie schon immer. Seresa war sich dessen bewusst und aus diesem Bewusstsein heraus handelte sie. Die Brujah war sich immer im Klaren über die damit verbundenen Folgen und Auswirkungen gewesen. Dennoch tat sie unbeirrt das, was sie in ihren Augen tun musste, auch wenn dies bedeutete, dass ihr Schicksal besiegelt war oder es ein düsteres werden würde. Die Brujah war nun einmal wie sie war. Sie würde ihr Leben auf jene Art und Weise leben, die sie für richtig empfand. Nach ihren eigenen Regeln. Nach ihren eigenen Maßstäben. Denn eines war sicher: Durch ihre Adern floss das starke und kämpferische Blut Brujahs. Eine Tatsache, welche sie stets sorgsam kontrolliert verborgen hielt. Dennoch kämpfte auch sie für ihre eigenen Visionen einer besseren Welt, sowie jeder aus ihrer Linie. Es gab für sie kein vorbestimmtes Schicksal. Sie alle waren ihres Schicksals eigener Schmied. Seresa würde tun, was auch immer nötig war, um ihr eigenes Schicksal zu schmieden. Denn etwas würde in ihren Augen immer wahrbleiben:

Ihr Leben gehörte ihr. Daran glaubte die Brujah.


..
.

Zumindest noch für einige wenige Jahre.
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Re: Mein Leben gehört mir [Seresa, Fluff]

Beitrag von Seresa »

1015 AD: Genua (heutiges Italien)

Titus hatte Toma festgehalten und dann losgelassen. War es eine bewusste Entscheidung von ihm gewesen oder hatte er wie Seresa die Kraft des Tzimiscen maßlos unterschätzt? Sie wusste es nicht, doch nach allem was danach geschah, bezweifelte sie, dass sie eines Nachts eine redliche Antwort darauf erhalten würde. Was auch immer es war, es sorgte dafür, dass ihr Bruder im Blute gehandelt hatte. Dass er wie immer das getan hatte, was getan werden musste. Ohne Zögern. Ohne Reue. Ohne Erbarmen.

Metall hatte sich unerbittlich in den Körper Tomas gebohrt, bevor dieser leblos zu Boden gesunken war. Der strahlende Held über ihm, welcher einer Jungfrau in Nöten zur Hilfe gekommen war. Der sich todesmutig in den Weg gestellt und selbstlos einen wütenden Drachen erschlagen hatte, um das holde Weib zu schützen. Erneut. Barden hätten glorreiche Sagen aus derlei Dingen gesponnen, doch die Realität?! Die Realität war eine andere gewesen. Die Wahrheit war weitaus schmutziger und dunkler. So dunkel, dass Seresas Fangzähne in jener Nacht ausgefahren waren, als sie das Schauspiel aus dem Verborgenen und der Ferne heraus beobachtete. Wütend hatten die braunen Augen gefunkelt, während ihr Körper angespannt war. Einzig ein Wort hatte sie davon abgehalten, sich einzumischen.

Seresa hätte sich zurückziehen können. Weiter im Verborgenen bleiben können. Ungesehen und unbeteiligt. Doch sie hatte sich entschieden. Sie hatte eine Seite gewählt. Ruhig war Seresa aus den Schatten getreten, um neben Ajax zu schreiten. Mattia war in vielen Dingen ein Narr, doch hatte er mit einer Sache stets recht gehabt: Ihr Clan wurde nicht ernst genommen. Sie wurden nicht ernst genommen. Es wurde Zeit dies zu ändern.

Schweigend war Seresa einige Stunden später am Schreibpult gesessen und hatte ihre eigene Schrift betrachtet. Ihren klar und deutlich formulierten Wunsch, der keinen Zweifel offenließ. Dennoch war in ihrem Inneren eine kleine Stimme gewesen. Eine kleine warnende Stimme, welche sie ermahnte, dass sie einen schwerwiegenden Fehler damit beging. Einen Fehler, welcher ihr eines Nachts das Genick brechen würde. Einen Fehler, welcher schwer genug wog, um ihren Kopf von ihrem Hals zu trennen. Es war nicht die Frage, ob dieser Hieb kommen würde. Es war einzig die Frage wann und von welcher Seite. Sie wusste, sie würde ihren ganzen Mut aufbringen und ihre Loyalität beweisen müssen, während sie sich auf ihren vorsichtig gesponnenen Netze bewegte. Ob sie sie tragen würden? Das wusste Seresa nicht, doch sie war bereit den Versuch zu wagen.

Das anschließende Gespräch war kurz gewesen. Ob sie wusste, dass es gewagt war? Ja, dass ahnte Seresa, denn sie war nicht derart blind oder gar derart naiv, wie es manche von ihr dachten. Sie hatte sich lange darüber Gedanken gemacht. Über das Für, wie auch das Wider. Wie sie das Eine mit dem Anderen verbinden konnte. Welchen Weg sie beschreiten wollte. Wie sie ihn beschreiten wollte. Was geschehen würde, so eines nachts Loyalitäten gegenüberstehen würden. Und seid ihr euch bewusst, dass ihr, gesetzt den Fall euer Gesuch fände Gehör, den Vasalleneid leisten müsstet?

Seresa hatte für einen Moment die Augen geschlossen, als seine Stimme zurück in ihre Erinnerung kam. Ein geschworener Eid. Das beste und zugleich schlimmste, was einem Wandler auf der Via Regalis passieren konnte. Der Bruch eines Eides wog schwer, doch dieser Bruch würde schwerer wiegen. Es hatte lange gedauert, bis Seresa die Wahrheit anerkennen konnte. Eine Wahrheit, welche sie innerlich bereits kannte, akzeptierte und welche sie für sich nie in Frage gestellt hatte. Sie verdankte es der Gnade und Weisheit ihrer Majestät Aurore, dass Jemand wie sie überhaupt in ihrer Domäne als Gast geduldet wurde. Dass Seresa entsprechend weder zögern noch zaudern, sondern ergeben auf ihr Wort und ihre Weisung vertrauen sollte. Ja, die Brujah war sich bewusst, dass sie den Vasalleneid an eine Ventrue leisten würde, so diese diesen ihr überhaupt anbieten würde.

Seresa hatte schweigend auf Knien ausgeharrt. Den Blick gesenkt, wie es angemessen war. Förmlich und formvollendet wie sie es gelernt hatte. Das Verhalten der Schülerin einer Ventrue angemessen. Ehrerbietung erweisend, welche sie bei Hofe stellenweise hatte missen lassen. In ihren Händen hielt sie ergeben eine kleine Aufmerksamkeit. Ein Kunstwerk der Schreibkunst, welches seinesgleichen suchte. Geschrieben unter dem Preis des Verzichts der Brujah und dem Hunger ihres Dieners. Ein Zeichen von Seresas Bereitschaft nahezu alles zu opfern für ihre Majestät Aurore, welche von ihrem Vorrecht als Ahnin und Prinz in dieser Nacht Gebrauch gemacht hatte.

Aurore hatte den Thron als halbe Liege genutzt, mit den Beinen in der Luft geschaukelt und dabei gelangweilt an die Decke geschaut. Als Seresa mit Lucio eingetreten war, hatte Aurore ihnen gar desinteressiert entgegengesehen und dem Allesfresser zugenickt, als dieser neben sie trat. Dennoch hatte Seresa sich nicht beirren lassen. Sie schwieg, bis es an ihr war zu sprechen. Sie stellte sich vor und überreichte die Schriftrolle als kleine Aufmerksamkeit, bevor sie ihren Wunsch klar und deutlich vor ihrer Majestät Aurore wiederholte. Die folgenden Fragen überraschten Seresa wenig. Sie waren absehbar gewesen. Dennoch war das Gefühl allein und schutzlos vor einem Ahnen und Prinzen zu knien wohl eines, welches nur wenige Neugeborene kannten. Eine überaus zweifelhafte Ehre, welche kaum Jemandem von ihnen zu Teil wurde.

Man erkennt ihre Handschrift.

War es eine offenkundige Beleidigung oder eine Anerkennung von Seresas bisheriger Ausbildung? Der Grad dazwischen war ein feiner. Welche Wahrheit konnte und durfte man als Neugeborener sehen? Welche anerkennen? War Seresa nicht mehr als eine von vielen? Ungenügend in alten und weisen Augen, welche so viel mehr gesehen hatten als sie selbst? War das, was Seresa mit tiefem Stolz erfüllte, nicht mehr als weniger ungenügend, als das was andere ihrer Majestät Aurore ebenso bieten konnten? Und dann war sie da gewesen. Die offenkundige Falle, welcher man nicht entgehen konnte, auch wenn man sie sah.

Ich benötige einen Herold, keinen Aal. Sprich ruhig offen. Ich bitte dich um deine Meinung.

Was entgegnete man einer Ahnin und Majestät auf solche Worte? Verweigerte man sich ihr? Ihrer Bitte und somit was ihr gebührte? Wand man sich weiter wie ein Aal, auch wenn es einen weg von seinem Ziel führen würde? War die eigene Meinung überhaupt von Bedeutung? Doch so ihre Majestät Aurore sich auf das Urteil ihrer Herolde zu einem gewissen Maß verließ, war es dann nicht wichtig eine Meinung von sich geben zu können? Hinter und zu etwas zu stehen? Farbe zu bekennen? So hatte Seresa nach einem Moment des Zögerns gesprochen, in dem sie nicht sicher war, ob ihr Gegenüber einen Scherz gemacht hatte oder nicht. Abschätzend hatte die Ventrue einige Momente später ihren Blick auf Seresa geworfen, bevor sie schließlich genickt hatte.

Du machst einen vernünftigen Eindruck auf mich.

Ein Funke redlicher Dankbarkeit war in der Verneigung des Hauptes von Seresa zu erkennen gewesen. Sie hatte sich geehrt gefühlt in diesem Moment durch die hoheitlichen Worte.

Eine Sache gibt es da aber noch.

Die Brujah hatte mit ihren aufwallenden und gänzlich unterschiedlichen Gefühlen gekämpft, als mannigfache Eindrücke ungebremst auf sie in jener Nacht einprasselt waren. Dinge, welche sich vor ihr verbunden hatten zu einer gefährlichen Mischung aus Fluch und Segen zu gleichen Teilen. Unsäglich grausam in ihrer Art, da gänzlich ungeschönt, doch unendlich barmherzig in ihrer Weise, da wahrhaftig und rein.

„Es bedeutet das du dein Unleben und dein Schicksal in meine Hände legst.“

...
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Blut floss in jener Nacht. Blut, welches ihr Schicksal besiegelte.

...
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Ihr Leben gehörte nicht länger ihr.


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