[Fluff] Reisende in der Nacht [Gasparo]

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Gasparo
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[Fluff] Reisende in der Nacht [Gasparo]

Beitrag von Gasparo »

Die Nächte im Frühling des Jahres 1015 waren kalt und ungemütlich in Genua. Schauer und Wind schienen ständig durch die Straßen zu fegen und auch in den Häusern klammerten sich die Anwohner aneinander, um die finsteren Stunden etwas erträglicher zu machen.

Auch die Wachen der Bischofsgarde kauerten hinter den Mauern des Kastells in einer dieser fast feindlich anmutenden Nächte. Die beiden Gardisten, die hinter dem Haupttor stationiert waren, hatten sich in Decken aus Kuhfell eingehüllt. Einer hatte die Augen geschlossen, in der Hoffnung, die Umwelt auszublenden, während sein jüngerer Kamerad lustlos auf einem Hühnerknochen kaute.

Plötzlich begann die Wachhunde im Hof wie wild zu bellen. Erst einer, dann stimmten ein halbes Dutzend der Tiere ein. Der ältere Gardist öffnete missmutig ein Auge. „Was ist in die Tölen gefahren?“ Bevor der andere Wächter mit den Schulter zucken konnte hämmerte jemand gegen das Tor, laut und heftig. Der junge Mann geriet einen Moment in Panik und krächzte unheilvoll bevor es ihm doch gelang mit einem Husten den verschluckten Hühnerknochen auszuspucken.

Mit einem unausgesprochenen Fluch auf den Lippen öffnete der ältere Wächter eine Sichtluke in dem massiven Tor. Draußen war es finster, doch er konnte eine Kutsche ausmachen. Direkt am Tor stand eine gedrungene Gestalt. Tiefe Narben waren auf dem kahlen Schädel zu sehen, doch dem Gardist fiel eher auf, dass der Neuankömmling ein Schwert am Gürtel trug.

„Was wollt Ihr hier, Fremder? Wisst Ihr, wo Ihr Euch befindet? Das Bischofskastell ist nach Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Wenn Ihr ein Anliegen habt, kommt am Tage wieder.“

Die Mundwinkel seines Gegenübers sackten hinab. Ob der schroffe Ton des Gardisten der Grund war oder doch das Wetter und die späte Stunde, war schwer zu sagen. „Öffnet das Tor. Mein Herr wird erwartet. Es war eine zu lange Reise um nun mit Euch zu streiten.“

„Euer Herr …?“

„Der edle Gasparo di Como. Magister Trivium. Um all seine Titel aufzuzählen bin ich sicher nicht der Richtige.“

„Ich kenne diesen Namen nicht und Ihr verschwendet unsere Zeit. Diese Tore bleiben verschlossen bis ...“

„ÖFFNET DAS TOR!“

Die Wächter drehten sich um und sahen ein seltenes Spektakel. Antenor, einer der Offiziere der Bischofsgarde, sprintete auf Sie zu. Der korpulente Gardist hatte nur einen Stiefel am Fuß, den zweiten hielt er in der Hand. Sein Wams hing lose um den Hals und seine Wangen plusterten sich auf. Er erreichte die Gardisten, außer Atem und hektisch.

„Öffnet … öffnet das Tor. Diese Gäste … der Bischof … eindeutige Befehle ...“

Die beiden Torhüter verstanden nicht, wer genau die Würdenträger waren, die die sonst so strikte Nachtruhe stören durften, aber sie zögerten nicht weiter. Beide begannen, den Riegel aus der Verankerung zu heben. Weitere Wächter waren inzwischen herbeigeeilt und stießen die Tore auf.

Das Narbengesicht außerhalb der Mauer trat zur Seite und eine neue Gestalt betrat das Kastell. Im Schein der Fackeln erschien der hagere, blasse Mann mit zurückgekämmten, schwarzen Haaren etwas fehl am Platz. Zu fein schien sein schwarze Lederwest über dem scharlachroten Hemd. Er ignorierte die Wachen, die weiter das Tor aufstießen um Platz für die Kutsche zu machen und lief auch vorbei an Antenor, der auf einem Bein hinter ihm herhüpfte, vergeblich bemüht in den zweiten Stiefel zu hüpfen.

„Sei- seid willkommen, Magister. Wir hatten euch bereits vor einigen Tagen erwartet.“

Gasparo stoppte und drehte sich ruckartig zu Antenor um. Er musterte den Offizier mit einem prüfenden Blick. Der Gelehrte stand gerade wie ein Strich und wirkte durch die Körperhaltung größer, als er es eigentlich war.

Mit gezückter Augenbraue und fester Stimme antwortete er: „Ich hoffe, Eure Erwartungen sind nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, Gardist.“

Antenor hob die Hände in einer Geste der Entschuldigung, während hinter ihm die Kutsche in den Innenhof geführt wurde. „So meinte ich das natürlich nicht. Wir hatten nur bereits länger Kenntnis von Eurer Ankunft und -“

„Habt Dank.“ Sein Tonfall schien diese Dankbarkeit nicht widerzuspiegeln. „Noch mehr wäre ich Euch verpflichtet wenn Ihr meinen Dienern die Unterkünfte zeigt, die für uns gedacht sind. Zuerst dürft Ihr mir allerdings die Bibliothek zeigen.“

„Magister, zu dieser Stunde -“

Mit einer wegwerfende Bewegung ließ Gasparo Antenor verstummen. „Schon Kritias in der Antike wusste, dass der Geist des Menschen sich am besten bei Mondschein entfalten kann. Die Sonne, das Vogelgezwitscher und das Geschnatter von Frauen … von diesen Ablenkungen sollen wir uns freimachen. Lasst dies Eure erste Lektion von mir sein, Gardist.“

Gasparo drehte ihm den Rücken zu und schritt tiefer in die Gänge des Kastells.

Im Innenhof bellten weiterhin die Hunde wie rasend.
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