Das Mitternachtsurteil [Prozess]

[November 16]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

Benutzeravatar
Il Canzoniere
Erzähler
Beiträge: 8379
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 20:22

Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Il Canzoniere »

Die Erkenntnisse des Hofes lagen noch frisch in der Luft und sackten erst langsam zu Boden. Die meisten der Anwesenden waren sichtlich noch mit der einen oder anderen sie betreffenden Feinheit beschäftigt, da walzte die präzise geplante Maschinerie des Hofes bereits weiter.

Diener brachten zwei Stehpulte für Anklägerin und Verteidigerin herbei. Tische und Stühle für fünf Geschworene, bauten sie seitlich auf, so dass die Tafel der Ehrengäste vor dem Prinzenthron einen guten Blick auf alles hatte. Auch für die nicht beteiligten Gäste wurden Sitzgelegenheiten herbeigeschafft. Im Rücken der beiden Stehpulte. Nur eine schmale Gasse wurde in der Mitte gelassen.

Der Allesfresser gab kurz darauf mit einem Nicken in Richtung Aurores das Ende des Aufbaus bekannt. Diese wischte das heilige Protokoll mit einer lapidaren Handbewegung zur Seite. Jeder sollte seinen eigenen Platz finden. Gäste. Geschworene. Ja sogar die beiden Sprechenden hatten mit einem Mal, im Rahmen ihrer Rolle während dieses Prozesses, die Wahl wo sie Platz nehmen wollten.

Gesprochen wurde kaum. Weder an der Tafel der principessa bianca, noch unter den sich umgruppierenden Besuchern, Gästen und Vasallen der Domäne. Es wirkte wie die Parodie eines sterblichen Prozesses. Dort lachten oder tuschelten die Adeligen, wenn es einem der ihren an den Kragen ging. Hier tat das niemand. Die bedrohliche Stille die über der Situation hing schien die wenigen Geräusche, das Stühlerücken, die leisen Schritte oder den lauten Herzschlag (der wenigen Anwesenden die noch einen hatten) noch zu verstärken. Die bereits spürbare Andersartigkeit dieses Hofes, die bisher eher vage im Raum geschwebt hatte, trat nun in den Vordergrund.

Dinge würden heute Abend ins Rollen geraten. Dinge die keiner von ihnen aufhalten oder auch bloß abschätzen konnte. Dinge bei denen einige der hier Anwesenden ihren Kopf verlieren würden.

Ketten rasselten.
Dateianhänge
prozess.jpg
prozess.jpg (75.05 KiB) 2556 mal betrachtet
Benutzeravatar
Melissa
Tzimisce
Beiträge: 907
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 15:17

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Melissa »

Die Tzimisce hatte während des Umbaus zu ihrem Grüppchen gefunden. Ferrucio, Furfur. Zwei Schritt daneben die Kappadozianer Benedetto und Titus. "Die Aufrechten", mochte der ein oder andere munkeln, die in den letzten Jahren sich nicht öffentlich gezeigt, aber einiges bewegt hatten. Eine seltsame Bande, in der kaum einer zum anderen passte. Melissa am allerwenigsten, dachte sie selbst.
Keiner von ihnen sprach viel, sie alle schienen angespannt. Unruhige Blicke wurden ausgetauscht, wanderten zu den herein getragenen Bänken.

Auf das Zeichen des Ghouls der Prinzessin hin löste sich Melissa, wurde aber zurück gehalten. Ferrucio hatte ihre Hand erfasst mit seinen beiden, drückte etwas hinein. Für einen Augenblick tauschten sie Blicke aus. Sie verwirrt, er eindringlich. Dann lehnte der irre Prediger mit den schlammigen Füßen sich vor, flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ihr Blick glitt zu den Kappadozianern hinüber, blieb an Titus hängen. Sie nickte.
Dann lösten sie sich voneinander und Melissa schritt zu den Pulten.

Sie kam an das erste Pult, warf Acacia einen letzten Blick zu. Ein Lächeln quälte sich auf das Gesicht der Drachin, sie nickte der Lasombra zu. Wünschte ihr viel Glück. Im Vorbeigehen ließ sie etwas auf das Pult ihrer Gegnerin fallen, doch sie war zu rasch vorüber, um darauf angesprochen zu werden.

Melissa hatte das hintere Pult gewählt, dasjenige näher an der Prinzessin und den Gästen. Zaghaft nur huschte ihr Blick über die Reihe, sank zu Boden, als sie zu Lydiadas kam. Sie nickte, sich ihrer Aufgabe bewusst.
Seltsam, dachte sie. Seltsam, dass einem noch schlecht sein kann vor Aufregung, wenn man schon tot ist. Ihre schmalen Hände tasteten nach dem Holz vor ihr, hielten sich am Rand fest.
Sie war dankbar, dass sie nicht zitterte.
Gestern Nacht noch war sie Gast der Domäne gewesen. Geduldet im besten Falle, vielleicht verachtet. Heute führte sie das Wort gegen einen Vasallen und Diener der Prinzessin.
Die Drachin drückte ihre Schultern nach hinten, richtete den Blick nach vorne.

Acacia würde einen Rosenkranz finden. Ein einfaches Ding aus Holz und Leder mit einem schlichten Kreuz daran. Sie würde aber rasch bemerken, dass es kein wahrer Rosenkranz war. Zum ersten fehlten die vierundfünfzig Perlen des Kranzes selbst. Zum anderen hatten die Perlen zwischen dem Kreuzzeichen und der großen Perle für das "Ehre sei dem Vater", die die Verbindung zwischen Kreuzperlen und Kranz darstellte, unterschiedliche Farben.
Zwei kleine in der Mitte - zwei von dreien, mit denen man das Ave Maria betete - waren in weißer Farbe bemalt. Eine von ihnen war in zwei Hälften zerbrochen, hing in zwei Halbkreisen an der Kette und offenbarte den grauen Kern alten Holzes.
Ein weiteres Ave Maria, sowie die zwei großen Perlen für "Ehre sei dem Vater" und das "Vater unser" waren rot.
Blutrot.
La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
Benutzeravatar
Acacia
Lasombra
Beiträge: 673
Registriert: Mo 20. Jul 2015, 18:05

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Acacia »

Die Lasombra, die mit jedem Jahr mehr die gefährliche Schönheit der Nacht verkörperte, mit jedem Blinzeln der Zeit mehr dem unfassbaren Gefühl entsprach, welches einen erfasste, wenn man den Blick zum Nachthimmel erhob, stand nach wie vor bei den Königen und überstrahlte selbst die prächtig gewandeten Mächtigen. Sie tat nichts, ließ nur den Blick aus den schattenfarbenen Augen langsam über die Anwesenden gleiten, bis er sich auf die kleine Gruppe der ‚Aufrechten‘ legte und dort verharrte. Das leise Wispern einer Stimme, für niemanden außer der kleinen Tzimisce zu verstehen und doch ein Störgeräusch in der bedrohlichen Stille, der eindringliche Blick und die Gabe. All das registrierten die dunklen Augen, ehe das leise Rascheln des schweren, mitternachtschwarzen Stoffes von der Bewegung der Lasombra kündete. Kein Blick zurück, kein aufmunterndes Nicken, nur die Blicke, die ihr unweigerlich folgten.

Sie verharrte an ihrem Pult und blickte zu der Tzimisce, das ernste Gesicht regungslos und konzentriert ohne das gequälte Lächeln zu erwidern. Ihr Blick fiel auf die … Gabe und für einen Moment traten die Kieferknochen in dem erhabenen Gesicht der Lasombra hervor, malten die Kanten und Ecken ihres Gesichtes deutlicher, doch dann war es schon wieder vorbei und sie streckte die Finger aus um sanft über die Perlen zu gleiten. Beinah wie eine Geste der Trauer.
Ihre Hand schloss sich um das schlichte Machwerk und verbarg die Perlen zwischen den blassen, schlanken Fingern, während ihr Blick sich hob und zu ihrer Konkurrentin hinüber wanderte. Geduldig wartete sie bis Melissa ihren Blick bemerkte und in erwiderte. Nun erschien tatsächlich ein Lächeln auf den Zügen Acacias und doch hatte es nichts Ermutigendes, nicht Beruhigendes. Es war schrecklich anzusehen und formte aus den schönen Zügen das Gesicht eines Racheengels. Ein oder zwei Herzschläge hielt sie den Blick der anderen Frau fest, ehe sie den Blick senkte und den der Tzimisce damit auf ihre Hand lenkte. Langsam öffneten sich die so zarten, so zerbrechlich anmutenden Finger und zwischen ihnen rieselte roter und weißer Staub hervor, gemischt mit kleinen Stückchen, doch keines größer als ein Reiskorn. Wispernd fiel das Lederband zu Boden und sie wand sich ihrer Aufgabe zu.
Wir sind wie Eisblumen, wir blühen in der Nacht. Wir sind wie Eisblumen viel zu schön für den Tag.
Wir sind wie Eisblumen, kalt und schwarz ist unsere Macht.
Eisblumen blühen in der Nacht.
Benutzeravatar
Il Canzoniere
Erzähler
Beiträge: 8379
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 20:22

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Il Canzoniere »

Nachdem Anklägerin und Verteidigerin Position bezogen hatten machten sich die Geschworenen aus der Gruppe der Zuschauer auf den Weg. Titus ging mit festen Schritten auf den Platz ganz links zu, neben ihm, noch immer barfuß und irgendwie fehl am Platze schritt Ferrucio, den Blick mit etwas zu weit geöffneten Augen auf die Stelle gerichtete die vermutlich für den Angeklagten vorgesehen war. Sein Grinsen war eine solide Mischung aus manischer Freude und überspitzter Rechthaberei. Er hatte es ja immer gesagt. Der Gangrel war ein Monster. Der schweigsame Kappadozianer einen Schritt vor ihm schien seine Gedanken weniger offen auf dem Gesicht zu tragen. Er warf den beiden stehenden Frauen einen musternden Blick zu der jedoch an keiner der beiden länger zu haften schien.

Als sich die beiden und darauf sicher auch Matteo und Fabrizio gesetzt hatten, wanderten viele Blicke zwangsläufig auf den letzten verwaisten Sitz. Das Alerio nicht hier war schien die hässlichen Gerüchte zu bestätigen, die seit Monaten durch die Domäne geisterten.

Der Blick der weißen Prinzessin haftete einen Moment auf dem leeren Platz, dann wanderte er langsam zu dem neben ihr sitzenden Gast. Dieser fing den fragenden Blick mit einem kurzen Seitenblick auf, nickte knapp und schnalzte mit der Zunge.

"Der da." zeigte er schließlich jovial und in einfachem italienisch auf Toma.

Sofort legte sich der Blick der principessa bianca auf den vor kurzem erst angekommenen Tzimisce. Auch der links von ihr sitzende Blick des Seneschalls heftete sich argwöhnisch auf Toma.

Es war jedoch die principessa, sich zwingend die Gossensprache "Italienisch" zu nutzen, die sprach: "Toma Ianos Navodeanu, Neugeborener aus dem Clan des Drachen? Ich bitte euch als Geschworener, anstelle Alerios....Neugeborenen des Clans der Schatten und Liktor Genuas, an diesem Prozess teilzunehmen." ein abwartender Ausdruck lag in ihrem Gesicht. Eine kleine Falte hatte sich auf ihrem sonst so makellos jungen Gesicht gebildet. Als ob hier irgendetwas vor sich ginge das sie mit Argwohn beäugte.
Benutzeravatar
Toma Ianos Navodeanu
Tzimisce
Beiträge: 4488
Registriert: Mo 3. Okt 2016, 12:41

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Toma Ianos Navodeanu »

Der Tzimisce schaute für einen kurzen Moment überrascht, was sich nur an seinen Augen feststellen ließ, deren Lider sich kurz hoben und die Pupillen zuckten.

Ohne jedoch groß zu zögern verneigte er sich tief vor den Ahnen und erwiderte:
"So Ihr es wünscht. Gewiss."

Dass ihn nun alle anstarrten störte ihn in keinster Weise, war er es ja schon gewohnt und so schritt er gelassen zu dem letzten freien Platz der Geschworenen.

Alerio...von den Schatten..Liktor...was war ein Liktor? Klang nach einem Amt.
Warum wohl war der Amtsträger nicht erschienen?

Fragte er sich, während er sich auf den Platz setzte, der nicht für ihn bestimmt gewesen war.

Er wusste nicht einmal, was genau hier nun verhandelt wurde. Kannte weder die vielen anwesenden Kainiten, geschweige denn den Angeklagten. Aber vermutlich war das auch gut so. So war er gänzlich unabhängig.

Er war gespannt, was sich hier nun offenbaren würde. Auf jeden Fall würde dies ein äußerst interessanter Abend werden.
"Du fügst dich falsch ein! Du bist so fremd hier! Kannst du du selbst sein? Und bist du ganz bei dir!?" - ASP
Benutzeravatar
Fabrizio
Lasombra
Beiträge: 1202
Registriert: Sa 23. Jan 2016, 20:20

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Fabrizio »

Nicht besonders interessiert oder aufmerksam verfolgte Fabrizio wie die beiden Damen sich zu ihren Pulten aufmachten. Weibergezänk würde das werden. Innerlich schüttelte er den Kopf darüber, weshalb ausgerecht die Furien hier dazu auserwählt wurden.
Als dann der Kettenbewehrte und der barfüßige Prediger aus Benedettos Gefolge zielstrebig auf die linke Seite der Geschworenenbank zusteuerten, setzte auch Fabrizio sich gedankenverloren in Bewegung und nahm hingegen ganz rechts Außen platz.
Dort erst wurde er wieder etwas lebendiger und lud Matteo mit dezenten Gesten dazu ein sich doch neben ihn zu setzen. Somit wäre ausgerechnet der Platz in der Mitte jener, welcher frei geblieben war. Der Alerio gebührte.

Und nun war auch Fabrizio wieder ganz interessiert und beobachtete mit wachsender Neugier die Wahl des Toma. Ha, ausgerechnet die groteske Schreckgestalt! Das war eine herrliche Wahl von Lydiadas, er fand gefallen an seinem schwarzen Humor.
Benutzeravatar
Matteo
Toreador
Beiträge: 812
Registriert: Mi 17. Feb 2016, 21:35

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Matteo »

Der Einladung Fabrizios folgend nahm Matteo neben diesem Platz und überließ dem fremdartigen Wesen die Mitte. Die Hintergedanken der Prinzessin zu dessen Wahl waren schwer zu erahnen, nur dass dies möglicherweise ein Zugeständnis an den Gesandten Siziliens war.

Sein Augenmerk richtete sich dann auch auf jenen Toma, den völlig unbekannten Faktor in dieser Scharade. Alerio fehlte wirklich, denn er hätte ziemlich sicher nicht für Brimirs Vernichtung gestimmt. Nun galt es schlimmeres zu verhindern. Matteos Aufmerksamkeit richtete sich dann kurz auf Melissa um dann weiter zu Acacia zu wandern. Wenn auch der Ausgang vermutlich bereits fest stand, so war er Matteo unbekannt, ergo versprach dieser Prozess zumindest eine spannende Scharade zu werden.
"Die Sonne lehrt alle Lebewesen die Sehnsucht nach dem Licht. Doch es ist die Nacht, die uns alle zu den Sternen erhebt." - Khalil Gibran
Benutzeravatar
Il Canzoniere
Erzähler
Beiträge: 8379
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 20:22

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Il Canzoniere »

Als Verteidigerin, Klägerin und Geschworene auf ihren Plätzen saßen und auch die Zuschauer alle Platz genommen hatten, dauerte es noch ein wenig bis hinter ihnen ein Kettengeklirr erklang. Erst leise, dann immer besser zu vernehmen rasselte das schwere Eisen. Brimir, flankiert von zwei Gardisten des Allesfressers, betrat den Saal. Ein schwerer Eisenkragen sowie Hand- und Fußketten waren ihm angelegt worden, alle ebenfalls aneinander gekettet. Der sonst so unbezwingbar wirkende Gangrel wirkte ernst und aufrecht, ja beinahe schicksalergeben, als er seine womöglich letzten Schritte in Richtung der kainitischen Menge setzte. Er durchquerte die Halle und die Reihen der Zuschauer. Man sah ihm an das das Tier stark in ihm war. Nervös blickte es nach rechts und nach links, als ob es nicht begriff was dies für ein Schauspiel war. Und als ob es dem menschlichen Teil des Nordmannes nicht glauben würde das es sich hierbei nur um ihn drehte.

Nur wenige Schritte hinter Anklägerin und Verteidigerin blieb er stehen und ging langsam, mit stolzem Blick, auf die Knie. Der Allesfresser schritt langsam zu ihm hinüber und warf ihm einen betrübten Blick zu als er sich hinabbeugte um die Handketten an einem eisernen Ring am Boden mit Hammer und Bolzen festzuschlagen.

Das dröhnen des Hammers erfüllte die Halle und das unstete Tier Brimirs war einen Moment bestens in den Augen des Gangrels zu sehen. Dann blinzelte er. Und neigte sein Haupt vor der Prinzessin.

Diese nickte knapp. Offenbar nicht in der besten Stimmung einen solch treuen Vasallen so angekettet zu sehen und gleichzeitig einen unverholen feixenden sizilianischen Gast neben sich sitzen zu haben.

Ihr Blick wanderte zu Melissa und Acacia "Ich erkläre den Prozess um die Vernichtung von Nevio Apronius, Ancilla des Clan Lasombra durch den Liktor Brimir Böggvisson, Neugeborener des Clan des Tiers für eröffnet. Anklägerin und Verteidigerin sollen nun den Geschworenen den Fall darlegen, auf das diese sich ein genaues Bild von den Vorkommnissen, Sachverhalten und Hintergründen dieses Falls machen und einen Vorschlag für ein Urteil an mich richten können.

Die Anklage beginnt. "
sie nickte Melissa noch einmal knapp zu. Dann fokussierte sich die Aufmerksamkeit von allen Seiten auf die Tzimisce. Vierzig unsterbliche Augen blickten sie an.
Benutzeravatar
Melissa
Tzimisce
Beiträge: 907
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 15:17

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Melissa »

Der Drache beobachtete, wie Acacia die Häme Ferrucios mit der bloßen Hand zerquetschte. Ein bedrückendes Gefühl breitete sich in ihr aus, ließ sie den Blick wieder abwenden, das Gewicht unruhig verlagern.
Ihre Augen folgten Navodeanu, wie er Alerios Platz einnahm. Ein grausames Geschenk. Und eine Gelegenheit, die sie nutzen würde - Alerio würde an anderer Stelle Gerechtigkeit widerfahren. Hier und heute war nicht der Platz dafür.

Die Blicke lasteten schwer auf ihren Schultern. Das war, was sie gewollt hatte. Das war, wonach sie gestrebt hatte in den letzten Jahren: Im Mittelpunkt zu stehen, die Fäden in der Hand zu halten oder jedenfalls den Anschein zu erwecken.
Warum fühlte es sich so falsch an? Warum drohte ihr Herz zu schlagen, warum zitterten ihre Augen, als sie sich auf das Ungetüm legten, das Alerios Platz einnahm? Woher dieses Gefühl in ihrem Magen, dieser Wille sich zu übergeben und zu besudeln und zu fliehen?

"Eure Majestät", sagte Melissa, wie um sich Zeit zu erkaufen. Eine Stimme, die kaum bis zur Prinzessin reichte. "Sehr verehrter Gesandter, werte Geschworene."

Ihr Blick glitt über die fünf Vampire vor ihr. Ferrucio - auf ihrer Seite. Fabrizio - von ihr bestochen. Titus - ein guter Mann, ein loyaler Mann. Toma - ein Unbekanntes. Matteo - ein Freund der Verteidigung. Fast alle gaben sich den Anschein der Neutralität, des Abwägens und der Neugier.
Alles hier war eine Lüge.
Und es gab wenig, das Melissa, der Drache von Broglio, besser konnte als lügen. Ausgenommen vielleicht Männer um den Finger wickeln.
Sie fasste endlich Mut, löste die Ketten von ihrem Geist, die sie zurück hielten.
Ihre Stimme fand zu neuer Kraft. Die selbe Stimme, die dutzende, hunderte in Broglio zu blutgeiler Raserei aufgestachelt hatte, würde nicht bei diesen beiden versagen.

"Ich klage das Tier Brimir an!
Ich klage ihn an, im Jahre des Herrn 968 sich völlig dem Blutrausch hingegeben zu haben und sich in seiner Lust an uns allen vergangen zu haben.
Ich klage ihn an, die zweite und fünfte Tradition geschändet zu haben, indem er Nevio Apronios, genannt Allocer, Ancilla der Schatten, Gesandter der See der Schatten und seit Jahrzehnten Gast in Genua, vernichtete.
Ich klage ihn an, nicht bei klarem Verstand und eine Gefahr für das Blut zu sein - einem Tier näher als einem Kind Kains oder Sets."

Der Drache begann, Gift zu speien.
La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
Benutzeravatar
Acacia
Lasombra
Beiträge: 673
Registriert: Mo 20. Jul 2015, 18:05

Re: Das Mitternachtsurteil [Prozess]

Beitrag von Acacia »

Der Ahn ließ den Blick über die versammelten Neonaten schweifen und schließlich fiel seine Wahl auf den neuen Tzimisce. Keine gute Wahl aus ihrer Perspektive. Alerio wäre eine sichere Bank gewesen, doch diesen Fremden konnte sie nicht einschätzen. Allerdings vertrat seine Clansschwester die Anklage und so war es alles andere als sicher, ob er ihre sowieso schon nicht besonders starke Position unterstützen würde. Nachdenklich ruhte der Blick aus den schattenschwarzen Augen auf dem neuesten Geschworenen, während sie ihre Taktik überdachte.
Sobald jedoch die schweren, vom Rasseln der Ketten begleiteten Schritte erklangen, drehte sie sich um. Fest verschränkten sich ihre Finger miteinander und wären sie nicht sowieso schon weiß gewesen, so hätte man sicher ihre Knöchel durch die Haut schimmern sehen. So jedoch verschränkte sie ihren Blick mit dem des Gangrels und nickte ihm still zu. Eine stumme Erneuerung ihres Versprechens. Sie würde tun was sie konnte. Als sie sich wieder zu den Geschworenen drehte, blieb ihr Blick für einen Moment auf der Prinzessin liegen und es regte sich so etwas wie Hoffnung in ihrem toten Herzen.

Melissas Stimme erklang erst leise und zögerlich und dann doch zunehmend geifernder, während Acacia nach wie vor die Geschworenen im Blick behielt und das zarte Drachenwesen neben sich giftige Worte speien ließ. Nachdem Melissa geendet hatte, wartete sie eine wohl berechnete Zeitspanne ab, ehe sie ihre eigene Stimme erhob. Von Anfang an war diese fest und füllte scheinbar leicht den großen Saal. „Hoch verehrte Majestät, sehr verehrter Ahn. Es erfüllt mich mit Stolz für die Aufgabe der Verteidigung Brimirs, Neugeborenem des Clans der Gangrel, der Geißel Genuas, Liktor und ehrenvollem Mitglied unserer schönen Domäne übernehmen zu dürfen.“ Abseits von der so spielend raumfüllenden Stimme gab es noch einen großen Unterschied zu Melissa: Die Lasombra verzichtete auf der profane Italienisch und sprach Latein. Zwar sprach sie nicht akzentfrei – sie hatte diese Sprache nicht mit der Muttermilch aufgesaugt – aber es fand sich sonst kein Fehler in ihrer Sprachmelodie. Ihr Blick richtete sich mit einem demütigen Senken des Kopfes auf die Herrin der Domäne. „Wenn Ihr erlaubt, Euer Majestät, würde ich Euch gern die profane Sprache des einfachen Volkes ersparen und den Geschworenen Übersetzer zur Seite stellen, so sie die hohe Sprache nicht beherrschen.“ Sie brachte das Kunststück fertig trotz ihrer aufrechten Haltung respektvoll, ja demütig zu wirken und so wurde ihre Bitte mit einem zustimmenden Nicken der Herrin der Stadt belohnt.
Beinah wie auf ein unsichtbares Zeichen hin lösten sich drei Gestalten aus dem Schatten der hinteren Halle und stellten sich zu Toma, Fabrizio und Ferrucio. Sie waren vollkommen unterschiedlich und doch waren zwei der Gesichter den meisten Kainiten bekannt. Die zarte, gerade erblühte Rose, die bei Toma stand, war die junge Frau, die im Elysium wachte, wenn ihre Herrin nicht da war. Der Krieger hinter Fabrizio war jener Kämpfer, der stets an der Seite der Lasombra weilte, während der Mönch, welcher sich zu Ferrucio begab vollkommen unbekannt war. Sie alle würden die Worte der Lasombra leise murmelnd übersetzen und es dabei vermeiden die anderen beiden Geschworenen zu stören.

„Hoch verehrte Ahnen, werte Geschworenen ich muss der werten Melissa entschieden widersprechen. Zwar war es Brimir, welcher dem so genannten Allocer den endgültigen Tod brachte, doch handelte er vollkommen im Rahmen seiner Aufgaben als Liktor. Allocer trat die Höflichkeit ihrer Majestät mit Füßen, weigerte sich den Geboten der zweiten Tradition zu folgen und griff die Gruppe der Liktoren an, die ihn ein weiteres Mal auffordern sollte vor ihrer Majestät zu erscheinen. In seinem Wahn trachtete er danach Brimir zu vernichten und so tat er zu was er Kraft der Worte ihrer Majestät verpflichtet war: Er schützte die Domäne und vernichtete die Bedrohung.“ Ihre Worte wurden von zurückhaltenden Gesten untermalt, die die Worte noch zusätzlich betonten und die Blicke auf sie lenkten. Schließlich jedoch verstummte sie wieder und nachdem sie ihren Blick einen Moment auf den Geschworenen hatte ruhen lassen, richtete sie ihn erneut auf ihre Kontrahentin und lächelte sanft.
Wir sind wie Eisblumen, wir blühen in der Nacht. Wir sind wie Eisblumen viel zu schön für den Tag.
Wir sind wie Eisblumen, kalt und schwarz ist unsere Macht.
Eisblumen blühen in der Nacht.
Gesperrt

Zurück zu „985“