Zweitkontakt [Sousanna, Angelique]

[Angelique]

"Bei Simplicius, einem Autor, den meine Perfecti sehr schätzt, steht: Zenon von Elea sagt, ein fliegender Pfeil nehme in jedem Moment seiner Flugbahn einen bestimmten, exakt umrissenen Ort ein. An einem exakt umrissenen Ort befinde sich der Pfeil in Ruhe, denn an einem Ort könne er sich nicht bewegen. Da sich der Pfeil in jedem Moment also in Ruhe befinde, müsste er sich insgesamt in Ruhe befinden. Paradox: Wir nehmen aber an, dass der Pfeil fliegt.

Und so verhält es sich auch mit der Zeit.

An diesem Ort hier werden wir ewig in epikureischer Glückseligkeit sein und in Zukunft an ihn denken und Kraft aus ihm schöpfen, egal wie dunkel die Nacht ist."

Es war verblüffend, wie mit heller Stimme das zierliche Kindelein im Badezuber altgriechische und neoplatonische Philosophen zitierte.

[Sousanna]

Mit schief gelegtem Kopf lauschte Sousanna der Ausführung des kleinen Mädchens und lächelte ein wenig erstaunt darüber. Doch, was überraschte es sie eigentlich? Es wäre dumm den Fehler zu begehen, Angelique nur für ein Kind zu halten. Vermutlich weilte sie schon länger in dieser Welt als die Ravnos.

"Das mag sein.", gab sie nachdenklich zurück und fuhr sacht mit den Fingerspitzen über die Wasseroberfläche als wäre es eine sehr bedeutungsvolle Tätigkeit, der sie hier nachging. "Nur hin und wieder wünschte ich, ich könnte etwas mehr Kraft aus schönen Augenblicken schöpfen... Ein überraschend menschlicher Wunsch, wenn man bedenkt, was ich bin und wie viel Zeit ich vermutlich habe."

[Angelique]

"Was bist du denn? Außer wunderschön, meine ich", wollte Angelique wissen und spielte ebenfalls mit der Wasseroberfläche. Die kleinen Wellenkringel, die sie machte, trafen auf die der Ravnos.

Selbst unter Wasser planschte sie mit den Füßchen, damit die andere Vampirin den Stoß des Wassers spüren konnte.

Sie hegte keinerlei Hoffnung, dass Sousanna den sapphischen Freuden zugetan war, wie dereinst ihre Erzeugerin. Und selbst wenn, würde sie eher die Nähe einer verkommenen, aber reifen Frau wie Katherina suchen, nicht etwas so elend Unfertiges wie Angelique.

Sie seufzte. Aber träumen durfte sie schließlich. Und außerdem war eine rein platoniscche Freundschaft auch nicht leicht zu finden in der kalten, egozentrischen Raubtiergesellschaft der Vampire.

Sie durfte sie auf keinen Fall verschrecken! Zu sehr hatte sie sich in die euphorisch übersprudelnden Gefühle der Ravnos verliebt, als sie den Fehler gemacht hatte, die Armbrüste zu "lesen", die diese entwendete.

[Sousanna]

Sousanna hatte den Anstand zu erröten. Doch sie lächelte der kleinen Malkavianerin zu und kicherte dann ehrlich als sie sie die kleinen Wasserströme spürte. Amüsiert schickte sie ein paar Wasserkringel zu ihrer Badepartnerin zurück und kurz waren ihre düsteren Gedanken zurück. Fast hätte sie glauben können, dass kein Tag vergangen war, seit dem Biss, der ihr Leben beendet hatte. Beinahe fühlte sich die Ravnos zurückversetzt, in jene Zeit als sie mit Freundinnen in Zubern das süße Nichtstun genossen hatte.

Doch mit Angeliques Seufzen kehrte auch sie in die Situation zurück und die wundervollen Erinnerungen zerplatzten leise. Mit leiser Traurigkeit sah sie ihr Gegenüber ernst an. "Ich bin ein Raubtier. Eine Bestie.", stellte sie fest und als sie weiter sprach, hatte sich eine tief frustrierte Nuance in ihre Stimme geschlichen: "Auch wenn ich ... gewissermaßen ein Löwe ohne Zähne und Krallen bin. Doch mir sind genau jene tierischen Triebe eingebrannt, wie sie jeder von uns in sich trägt." Seufzend fuhr strich sie sich das sich inzwischen kräuselnde, feuchte Haar aus dem Gesicht.

[Angelique]

"Glaubst du diese Zähne hier, taugen zu viel mehr, als an Willigen zu knabbern?", fragte sie belustigt und zeigte ihre tödlichen, aber kleinen Fänge, die wie die eines Fuchses im Vergleich zu denen eines Wolfes wirkten.
Sie ballte ihr kleines Fäustchen.

"Glaubst du, der Schlag dieser Hände schreckt meine Feinde?"

Doch, wie wohl auch du, habe ich formidale Wunder, die mein Blut wirken kann."

Sie wagte es, über die schlanken Arme der Ravnos zu streichen. "Hat man dir nicht beigebracht, mit Blut deine Arme so stark wie die des Brimir zu machen? Wozu brauchst du Fänge, wenn du Bäume umhauen könntest?
Wenn du es nicht beherrscht, diese Kunst, so würde ich sie dir gerne beibringen."

Sie grinste schelmisch. "Und ich bin recht geschickt mit Klingen. Wer braucht Fänge, wenn er ein Messer hat?"

[Sousanna]

Die Ravnos schenkte Angelique ein sehr dankbares Lächeln. Sie rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht auf sie herabschaute sondern sogar Hilfe anbot. Und tatsächlich hatte sie noch gar nicht bedacht, dass ein so kleiner Vampir vielleicht mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Aber natürlich hatte sie recht... Vermutlich waren sie auf seltsame Weise Schwestern im Schicksal.

"Ich kann mich stärker machen", erwiderte sie sanft und lächelte ob der Berührung. "Ich habe es nur nie für wichtig befunden, mich im Kampf zu üben - und hier merke wie dumm das war." Kurz zögerte sie, dann musste sie ein wenig verlegen lachen. Insgesamt merkte sie hier in Genua, wie wenig sie für ein Unleben in raueren Gegenden geeignet war. "Verzeih mir, dass ich mich hier bei dir ausweine."

[Angelique]

Angelique grinste entwaffnend.

"Jeder braucht jemanden, bei dem er sich ausweinen kann. Hat man den nicht, wird man irre. Die ganzen Viae versuchen einen einzureden, man sei sich selbst genug und dadurch stark. Eine bezaubernde Lüge, mit der die einzeln Kampfstarken, die ihnen an Zahl weit überlegenen Schwachen gegen einander hetzen. Auch der Bär kann einem ganzen Rudel Wölfe nicht standhalten, selbst wenn er dem einzelnen Wolf weit überlegen ist."

Sie stand zu ihrer vollen, selbst so die sitzende Ravnos kaum überragenden Größe im tuber auf. Immer noch grinsend hielt sie einladend das kleine Händchen Sousanna entgegen. Wie zufällig berührten natürlich ihre Füsse die der Sitzenden dabei.

"Laß uns von den Niederen Klanen Eintracht und Freundschaft üben. Ich bringe dir alles bei, was du wissen musst, um dich gegen die Hohen zu behaupten und nicht länger ihr mißbrauchtes Opfer zu sein."

[Sousanna]

Auf Sousannas Gesicht zeigte sich ein überraschter Ausdruck. Offensichtlich hatte sie nicht mit einem derartigen Angebot oder überhaupt solch freundlicher Behandlung durch die Malkavianerin heute Nacht gerechnet. Kurz blickte sie von der Hand zum Gesicht des Mädchens und wieder zurück. Einen Augenblick lang hätte sie fast gezögert, doch nur kurz. Dann ergriff sie die Hand und drückte sie sacht. Sie hoffte, dass es kein Fehler war und dass Fabrizio übertrieben hatte, was den Wahnsinn des Mondkinds anging, doch im Moment war es eine Chance, die nicht zu ergreifen sehr dumm war.

"Es wird mir eine Freude sein, mit dir eine Freundschaft zu führen, Angelique.", erklärte sie ernst und neigte leicht das Haupt. "Und es wird mir ebenfalls eine Freude sein, von dir lernen zu dürfen."

[Angelique]

Angelqiue konnte das Erröten kaum unterdrücken, als ihre Handschlag erwidert wurde.

"Gut, dann bin ich mal gespannt, was der Erzschurke, nächste Nacht plant. Bereite dich darauf vor, die Flucht zu ergreifen, wenn er eine Falle für uns beide errichtet haben sollte. Hüte dich vor seiner Stimme und seinem Blick. Es ist der Blick der Schlange, die das Kaninchen in den Bann schlägt."

Sie beugte sich vor und flüsterte ihr noch einige andere Tipps und Verhaltensweisen ins Ohr. Wie zufällig berührten ihre Lippen dabei sacht die rosige Haut der scheinbar Älteren.

Verschämt und verrucht zugleich wich sie sodann wieder zurück und versank schamhaft bis zur Nase im Badewasser.

[Sousanna]

Sousanna hatte ruhig und vorsichtig zugehört. Sie würde die Ratschläge der anderen Kainitin befolgen - sollten sie ihr den Hals retten. Das Erröten und schließlich der verschämte Blick ließen sie dann wieder ihr lebendiges Schmunzeln zeigen.

"Was schämst du dich, meine Liebe?", fragte sie lächelnd und entschloss sich sacht nach der Hand des Mädchens zu greifen.