[Fluff]Zwischen Blut und Gesetz [Rosa]

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Rosa Fiorelli
Brujah
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Registriert: Mo 23. Jun 2025, 10:39

[Fluff]Zwischen Blut und Gesetz [Rosa]

Beitrag von Rosa Fiorelli »

Die Nacht über Genua war träge und schwarz wie Tinte, die über Pergament gelaufen war.
Feuchte Luft hing zwischen den Mauern, schwer vom Geruch nach Meer und Ruß, nach kaltem Stein und alter Schuld.
Ein Nebel kroch aus den Gassen hinauf, dämpfte die Geräusche, machte die Welt klein und schalldicht, als hätte sie den Atem angehalten.

Rosa stand auf einer Dachkante, hoch über den gepflasterten Straßen. Unter ihr brannte eine einzelne Laterne – ein zittriger Lichtkreis im Nebel, darin die Silhouetten dreier Gestalten. Zwei Männer, grob gebaut, laut im Gestus, und zwischen ihnen ein Mädchen, kaum mehr als eine flüchtige Kontur aus Angst und Dreck.

Sie hatte die Szene lange beobachtet, zu lange.
Jede Regung des Mädchens, jedes abgehackte Wort der Männer wurde in ihr gespiegelt, wie in einem stillen Wasser, das mit jeder Sekunde unruhiger wurde.

Kein Eingreifen, erinnerte sie sich. Keine Einmischung in sterbliche Angelegenheiten.
Die Worte Ilario Contarinis waren klar, messerscharf in ihrem Gedächtnis.
Ein Liktor handelt im Rahmen der Ordnung, nicht im Namen seiner Impulse.

Aber Worte waren brüchige Dinge.
Und die Szene unter ihr war roh und echt.

Der Mann griff zu. Ein dumpfer Laut, das Aufkeuchen des Mädchens.
Ein Laut, der durch die Stille schnitt wie Glas.

Etwas in Rosa explodierte. Kein Geräusch, keine Bewegung – nur dieses innere Reißen, als hätte jemand ein Stück von ihr herausgerissen.
Das Tier in ihr erwachte, wie eine Flamme, die sich am ersten Tropfen Öl entzündet.

Sie hörte den Herzschlag des Mannes. Schnell. Warm. Unachtsam. Das Blut pochte wie Trommeln in ihren Ohren, und es war, als rufe es ihren Namen.
Einen Atemzug. Einen Sprung. Sie könnte unten sein, bevor das Mädchen wieder auf den Boden fiel.

Rosas Hände verkrampften sich an der steinernen Brüstung, das kalte Material schnitt ihr in die Haut, bis sie Blut roch – ihr eigenes. Das half. Kurz.

Sie starrte hinunter, und ihre Gedanken spalteten sich, schmerzhaft klar.
Ein Teil von ihr, kühl und diszipliniert, sprach mit der Stimme der Liktorin:
Das ist nicht dein Auftrag. Du bist Ordnung, nicht Gerechtigkeit. Du bist das Messer, das wartet, bis es geführt wird.

Der andere Teil, heiß und uralt, flüsterte mit der Stimme des Blutes:
Ordnung ist ein Wort für Furcht. Sie lassen sie leiden. Und du lässt es geschehen.

Ihr Körper war angespannt bis zum Schmerz, jeder Muskel vibrierte, als würde er schreien. Das Mädchen stürzte, schlug auf. Rosa hörte das Knacken des Holzes, das Fallen eines Kruges, und dann das erste Wimmern. Es war so leise, und doch schnitt es durch sie hindurch wie ein Gebet, das keiner hören sollte.

Sie presste die Lippen zusammen, bis Blut über ihre Zähne lief. Die Wunde schloss sich sofort – aber der Geschmack blieb, metallisch und süß, wie eine Erinnerung an das, was sie war. Eine Kainitin. Eine Brujah. Geboren aus Zorn, aus Revolte, aus Feuer.

Und jetzt: Ein Werkzeug. Ein Wächter in Ketten.

„Nicht…“ Das Wort kam kaum hörbar über ihre Lippen. „Nicht jetzt. Nicht so.“ Ihre Stimme zitterte, und sie hasste sich dafür.

Die Dunkelheit unter ihr regte sich. Das Tier lauerte, atmete, flüsterte in ihr Ohr. Sie konnte es fast sehen – ihre eigene Gestalt, hinabstürzend, das Blut des Mannes warm und rot auf ihren Händen. Eine gerechte Tat. Eine ehrliche Tat. Und doch ein Verrat an allem, was sie geworden war.

Sie stand reglos, während der Nebel dichter wurde. Sekunden dehnten sich, bis sie zur Ewigkeit wurden. Der Mann stieß das Mädchen fort. Es taumelte, verschwand im Schatten, rannte davon. Zurück blieb er – groß, keuchend, ahnungslos.

Rosa schloss die Augen. Sie hatte es geschafft. Sie hatte nichts getan. Doch der Sieg schmeckte bitter.

Ihr Atem, unnötig, aber plötzlich schwer, ging stoßweise. Ihre Hände zitterten, als sie sich von der Mauer löste. Die Steine waren dunkel von ihrem Blut. Das ist Kontrolle, sagte sie sich. Das ist Stärke.

Aber sie wusste, was die Wahrheit war. Das war keine Stärke. Das war Verleugnung. Sie hatte nicht gesiegt – sie hatte sich nur selbst verraten, um der Ordnung willen, die ihr auferlegt war.

Und irgendwo, tief in ihr, lachte etwas. Ein dumpfes, grollendes, zorniges Lachen – das ihrer Ahnen, das ihrer eigenen Natur. Es klang wie Feuer unter kaltem Stein.

Sie richtete sich auf, legte die Hände aneinander, bis sie ruhig wirkten.
Kein Zittern mehr. Keine Spur des inneren Sturms. Die Fassade einer Liktorin – makellos.

Doch während sie die Dächer verließ, brannte die Linie zwischen Pflicht und Blut heller denn je. Und Rosa wusste: Eines Nachts, wenn die Luft wieder so still war und kein Zeuge blieb, würde sie diese Linie überschreiten. Nicht aus Zorn. Sondern aus Wahrheit.
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