[Fluff] Schlachtfest [Seinfreda]

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La Vedova
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[Fluff] Schlachtfest [Seinfreda]

Beitrag von La Vedova »

Georg

Die Nacht sollte eine der schönsten seines Lebens werden, so hatte seine Mutter es ihm schon seit Jahren gesagt. Nicht, dass er auch nur einen Funken des Glückes verspürte, das er vielleicht hätte haben können oder sollen. In den Armen seines Ziehbruders hatte er seine Tränen nicht mehr aufhalten können, doch hatte dieser ihm zugesprochen und ihn, wenn auch nur für wenige Stunden, alle Sorgen vergessen lassen.
Nun war die Nacht gekommen, sie sein Leben verändern würde. Das Deck des Schiffes war erleuchtet, dekoriert und schwankte leicht im lauen Abendwind. Sie war so schön in ihrem Kleid, die seidene Haut und feinsten Stoffe. Wie sie dort saß, umgeben von ihren Zofen und ihm immer wieder Blicke zuwarf. Jeder andere Mann der Stadt wäre ihr zu Füßen gelegen, sie war die beste Partie, eine wie sie seine Mutter seit langer Zeit für ihn anstrebte, doch so nicht er. Alles, was ihn an diesem Abend nicht die Beherrschung über seine Mimik verlieren ließ, war die Gewissheit, dass er nicht alleine war. Immer wieder blickte er unauffällig zu seinem Leibwächter und versuchte, dessen Blick zu fangen. Aloisus jedoch war völlig damit beschäftigt, das Festgeschehen zu überblicken und genau das zu tun, wofür er hier war: Für seine Sicherheit zu sorgen.
Die Speisen waren erlesen, die Stimmung gut. Seine Mutter unterhielt sich ungewöhnlich angeregt, während er höflich mit dem Brautvater sprach und zu den zahlreichen Trinksprüchen immer wieder das Glas hob. Und so setzte Georg sich eine Maske der Fröhlichkeit auf und mimte den glücklichen Bräutigam, in der Gewissheit diesem wunderschönen Mädchen niemals das geben zu können, was sie verdient hatte.
Schon bald war die Mitternachtsstunde gekommen, zu der er den besonderen Tropfen aus der Normandie für den wichtigsten Trinkspruch des Abends servieren sollte, als er den besorgten Blick seiner Mutter auffing. Was hatte sie bloß? Es lief doch alles genau wie sie erhofft hatte? Er sah, wie sie den Vater der Braut beobachtete und er spürte, wie sich etwas in ihm zusammenkrampfte. Etwas war nicht in Ordnung, sein Blick zu Aloisus beruhigte ihn auch nicht, denn dessen Körper war auf einmal auch völlig angespannt. Er konnte jedoch beileibe keine Bedrohung ausmachen, alles war heiter und ausgelassen, genau wie es sein sollte.

Und so begann er auf Wink seiner Mutter hin, dem Brautvater und der Braut den Wein zu servieren und versuchte, die Besorgnis zu vergessen, während er sein Gas zum Trinkspruch hob. Die Worte wollten ihm im Hals stecken bleiben, doch zwang er sich zu guter Miene. Unter zurufen der Festgesellschaft führte er seinen Becher an die Lippen und spürte den süßen Saft in seine Kehle rinnen, die Anspannung von sich Abfallen und zum ersten Mal an diesem Abend durchschwämmte ihn eine Welle des Glücks.
Deshalb bekam er auch überhaupt nicht mit, wie auf einmal alles aus dem Ruder lief. Er sah den Brautvater auf einmal Blut spucken, sah seine Mutter aufspringen und auf den Vater der Braut deuten, Aloisus seine Waffe ziehen und zu ihm springen. Für einen Wimpernschlag starrte er auf die Blutlache am Boden. Er verstand nicht, was auf einmal geschah, er war wie erstarrt. Doch er war nicht der einzige, auch der Mann vor ihm bewegte sich kein Stück mehr.
Angst erfasste ihn, als er verstand dass Aloisus und seine Mutter gerade Braut und Brautvater als Geisel nahmen. Er wollte dass all dies aufhörte!
Mit einem Satz war er auf dem Tisch, sah sich selbst von außen. Dem Mann, der dort gerade auf dem Tisch versuchte, die aufgebrachte Festgesellschaft zu beschwichtigen, war von der innerlichen Furcht nichts anzusehen. Die so oft geübte beruhigende Stimme schien jedoch keine Wirkung auf die Männer des Senators zu haben. Veriwrrung und Verzweiflung stiegen in ihm auf, das war noch nie geschehen, weshalb hatten diese Männer taube Ohren?
Waffen wurden gezogen, aggressive Rufe durchdrangen die Nacht, Metall klirrte auf Metall.“Männer, ihr kenn die Befehle“, durchdrang der scharfe Aufruf einer der Wachen das Chaos in seinem Kopf. Auf einmal war er wieder bei sich, sah die Männer auf sie zustürmen. Offenbar nahmen sie keinerlei Rücksicht auf die Geiseln, es konnte nicht mit rechten Dingen vorgehen! Welche Wachen stellten sich gegen ihren eigenen ihren eigenen Herren, als wäre er nichts wert, würden das Leben eines jungen Mädchens aufs Spiel setzen? Da traf ihn die Erkenntnis. Nein, dies hier war keine Feier, es war eine Falle. Und man hatte es nicht auf ihn oder Aloisus abgesehen, das Ziel war seine Mutter. Die Männer befolgten ihre Befehle wie Puppen, ohne Verstand, ohne Gottesfurcht. Dies war ein Schlachtfest, von vornerein geplant und sie waren das Opfer. Er wollte zu Aloisus, er wollte seiner Mutter helfen, doch er sah, dass er nichts gegen diese kopflose Meute unternehmen konnte.
Da rief ihm seine Mutter zu, zu fliehen und er sah selbst, wie ausweglos diese Situation war. Sie würden sich dieser Übermacht niemals stellen können! Ohne noch einmal zu überlegen, sprang er von dem Tisch und begann zu rennen. Doch kaum dass er einige Schritt gelaufen war, sah er wie sich mehrere der Männer auf Aloysius stürzten und ihn zu Fall brachten. Auf der anderen Seite sah er, wie seine Mutter versuchte, sich mit dem Mädchen ebenfalls einen Weg zur hinteren Seite des Schiffen zu bahnen und es traf ihn wie einen Schlag in den Bauch. Jeden Schlag, jeder Tritt der auf Aloysius einprasselte, spürte auch er. Er konnte ihn nicht zurück lassen, nicht ihn!


Georg wusste, dass es gegen jegliche Vernunft war, dass er damit sicherlich sein eigenes Todesurteil unterschrieb, doch er wusste auch , dass er ohne Aloysius nichts war und nichts sein wollte. Ohne ihn war er kein Mann, kein Mensch, ein Nichts. Nein, wenn Gott es so wollte, würde er heute und hier sterben, doch das wenigstens gemeinsam mit seinem Geliebten.
Georg war noch nie der Mutigste gewesen, auch nicht der Stärkste. Seine Gestalt war zu klein, zu schmal und von zahlreichen Jahren der Krankheit geschwächt. Er hatte noch nie in seinem Leben etwas getan, das von Bedeutung gewesen wäre und er hatte nie für etwas arbeiten müssen, weil man sich immer um sein Wohlergehen gekümmert hatte. Er hatte immer getan, worum seine Mutter ihn gebeten hatte und ihr nie widersprochen, weil sie für ihn alles gegeben, alles aufgegeben hatte und weil er ihr dankbar war. Er hatte sich selbst immer verachtet, dafür, nicht aufzustehen, nicht seine Meinung zu sagen, immer bloß still zu sein und das zu tun, was von ihm erwartet wurde, und dafür, scheinheilig zu predigen während er wusste, dass es Dinge gab, dort, hinter dem dunklen Vorhang der Nacht, von denen er nichts wissen durfte. Er war ein Mann mit starkem Glauben, der jedoch eine Lüge lebte und er hatte sich trotz seiner Gaben immer klein und unmündig gefühlt. Doch in einer Sache war er groß und anderen um Welten überlegen, und diese war seine Liebe.
Genau diese Liebe drohte in diesem Augenblick vor seinen Augen zu sterben und es war ihm unerträglich. In diesem Augenblick wuchs der als kränkliches Kind geborener Junge, dem alle Ärzte vorher gesagt hatten, dass er niemals das Mannesalter erreichen würde, über sich hinaus. Ohne jegliche Rücksicht auf sich selbst blieb er stehen, wandte sich um und sprang hinüber zwischen die bewaffneten Männer und über den sich aus Leibeskräften wehrenden und blutenden Aloisus, schützte den starken, ausgebildeten Kämpfer mit seinem eigenen schwachen Körper wie ein Schutzschild.
Er hörte den verzweifelten Schrei seiner Mutter, die mit aller Kraft das Mädchen von sich in die Angreifer stieß. Ihre Stimme klang nicht menschlich, sondern wie die gequälten Saiten einer Laute. Ihre schönen roten Haare sich gelöst und sahen in ihrem verzweifelten Versuch, zu ihm zu gelangen, für einen Augenblick aus wie eine in der Luft schwebende Wolke aus Blut. Noch nie hatte er ihre Augen so voller Angst gesehen.
Doch er war auf einmal völlig ruhig. Wenn es tatsächlich Gottes Wille war, dass er an diesem Tag sterben sollte, dann sollte es so sein. Wenn er in dieser Nacht zum Märtyrer für die Liebe werden sollte, so war ihm das nur willkommen. All die Jahre des Versteckspiels würden enden und vielleicht würde er dann in Gottes Gnade endlich mit Aloisus so vereint sein können, wie sie es sich immer ausgemalt hatten. Endlich würde er seinen Vater wiedersehen, der sich dann vielleicht seines Anblickes nicht mehr schämen würde, sondern ihn in den Arm nahm voller Stolz. Ja, endlich würde er diesem elendigen, schwachen und kranken Körper entfliehen können. Auf einmal spürte er eine Wärme in sich aufsteigen und eine Zuversicht strömte durch seinen Körper, als er sich aufrichtete.


„Haltet ein!“, rief er mit glockenklarer Stimme, die die Männer an Bord des Schiffes innehalten ließ „Im Namen Gottes, im Namen der Liebe, haltet ein! Macht diesem Blutvergießen ein Ende, vergesst eure gottlosen Befehle, Männer! Habt Gnade, ich bitte euch!“
Er ist jetzt realisierte er, dass dort, am Ende des Tisches der Brautvater lag, aus dessen Hals das Blut sprudelte. Aloisus musste ihn geschlachtet haben, denn in dem Hals klaffte eine weite Wunde. Er spürte großes Bedauern in sich aufsteigen, richtete beide Hände gen Himmel.
„Seht ihr nicht, dass schon genug Unheil geschehen ist?“, rief er verzweifelt „Es muss nicht so weit kommen, ich bitte euch, lasst uns gehen!“
Er sah ihn aufgerissene Augen und erstarrte Gesichter, hörte seine Mutter hinter sich aufschluchzten und Aloisus unter sich schmerzerfüllt stöhnen. Als er sah, dass die Angreifer sich tatsächlich ein Stück zurückzogen, griff er nach Aloisius Arm, um ihm aufzuhelfen.

Es war ein Wunder, es musste ein Wunder sein!
Was sonst hätte diesen Ausgang herbeibringen können, wenn nicht ein Wunder? Innbrünstig dankte Georg Gott für seine unendliche Gnade, als die das Beiboot zu Wasser ließen und langsam über das tintenschwarze Wasser glitten. Aloisus sah übel zugerichtet aus, doch er war am Leben und er wollte ihn nie wieder loslassen. Seine Mutter saß mit versteinertem Gesicht neben ihm und hielt seine Hand.








Dies wird niemals enden
Weil unsere Gier unendlich ist
Wir wissen nicht, was morgen bringt
Doch können wir von unseren Taten singen

Hätten wir noch Herzen,
so würden sie zerspringen,
Nacht für Nacht

Dies wird niemals enden,
Weil unsere Sucht nach Rache unendlich ist
Weil wir Getriebene sind
Und Vertriebene

Hätten wir noch Seelen,
so würden sie verglühen,
Nacht für Nacht

Dies wird niemals enden.
Weil unser Hunger unendlich ist
Und wir auf der Suche sind
Und verflucht
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