[Fluff] Träume wandernder Seelen [Sousanna]

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Sousanna
Ravnos
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[Fluff] Träume wandernder Seelen [Sousanna]

Beitrag von Sousanna »

Schifflein, Schifflein, du musst wandern

Dem Ganzen entzweit, doch ganz
Auf dich gestellt
Bleibt nur dein brüchiger Tanz
Auf den Wogen der Welt
- Weltenbrand, Konstantin Wecker


Wie eine Wand aus Schwärze ragte das Schiff aus dem dunklen Wasser empor. Kaum wirklich schien es. Beinahe so, als hätte sich das dunkle Holz durch einen geheimen Zauber in Fleisch verwandelt. Vielleicht das eines monströsen Walfisches von dem die alten Geschichten sprachen. Wer empor blickte bekam unweigerlich das Gefühl, winzig zu sein, unbedeutend.
So hüllte sich die Gesellschaft in den vergleichsweise winzigen Booten vor diesem Schiff in Schweigen. Ein jeder schien sich zu sammeln, schien nun ganz von der Anspannung erfüllt lieber keine unnötigen Worte verlieren zu wollen. Wer wusste schon, was in dieser Nacht noch geschehen würde? Wenn nur einer sich nicht an die Absprache hielt, wenn nur einer zweifelte, dann würde sie das unerbittliche Meer verschlingen und irgendwann würden tote, kalte Leiber ans Meer gespült werden. Aufgedunsen und der einstigen Schönheit beraubt. Mahnmale der Schändlichkeit eines so groß angelegten Verrats.
Diese Gedanken schienen sie alle zu umfangen, während der Schein kleiner Lämpchen auf den Wellen irrlichterte, sich zu tausenden Lichtpunkten brach und doch wieder verschlungen wurde. Ebenso wie der Gestank der brackigen Hafengewässer aufgehört hatte, ihre Nasen zu malträtieren, hatten der eisige Wind und die Angst damit begonnen, die Geister zu quälen.

Augenblicke schienen zu Stunden zu werden und Stunden zu Äonen voller Qual. Dann sank dort am fast schwarzen Holz eine Mauer hinunter, klapperte und blieb schließlich regungslos hängen. Ein Geschenk des Himmels, der in dieser Nacht den Verbrechern hold schien.
Blicke wandten sich zu drei Gestalten. Eine von ihnen flüsterte etwas. Ihr raues, geheimnisvolles "Die Zeit ist gekommen." sirrte über das Meer wie ein übernatürlicher Pfeil. War das honigsüße, giftige Geschenk an die Männer. Sie alle folgten dem Ruf dieser Frau aus fremden Landen und einer nach dem anderen nahm die Leiter. Nur die Ruderer blieben zurück.

Der Lärm eines raschen, brutalen Kampfes drang über das Meer. Schreie gellten und mischten sich mit dem Gejohle der Eroberer. Dann eine befehlsgewohnte Männerstimme, die ganz offensichtlich Bedingungen diktierte. Der bittersüße Klang dieses Verbrechens trieb der Frau auf der Leiter ein Lächeln auf die feinen Züge.
Die Zeit war gekommen. Es galt die Früchte ihrer Arbeit zu ernten.

***
Wer in jener Nacht auf dem Schiff war, würde sich auf ewig an diese Momente der Furcht erinnern, als eine übermächtige Gruppierung mit einem Mal die Mannschaft mit all ihren Wachen überfiel. Als keine der Sicherheitsvorkehrungen anschlug. Als eine Ära zu Ende ging.
Vor allem aber würde sich das Bild der Schönheit in die Erinnerung der Menschen an Bord graben, die mit einem Mal aus der Dunkelheit aufgetaucht war in Mitten ihrer Männer. Ihre Sanftmut und die Unschuld wollten nicht zu den ruchlosen Gesellen passen. Die feinen Stoffe, die sie umwogten wie ein zartes Gespinst aus Nacht, schienen dem auf Deck verschmierten Blut Unschuldiger zu spotten. Sie hatte ihnen Leid angetan und doch, ihr Lächeln war zum Sterben schön.

Zart zerrte der Wind an ihren duftenden Locken. Offen trieben sie in der rauen Meeresluft, während sie mit diesem Lächeln auf den Lippen die Stimme erhob: "Ich heiße euch willkommen in dieser Nacht. Heiße euch willkommen in meiner Familie. Sie sprach mit einem seltsam fremden Akzent, schien die Worte zu liebkosen, die so sehr wie das Meer klangen. Leicht legte sie den Kopf schief und lächelte. Und es schien, als lächelte sie jeden einzelnen von ihnen an. Warm und herzlich. "Keiner von euch braucht sich zu fürchten. Den meinen geschieht kein Leid."
Einer ihrer zarten Finger hob sich und in diesem Moment senkten sich Schwerter und Messer. Ihr Lächeln verstärkte sich noch, als man sie anstarrte, als hätte sie den Verstand verloren. Die Waffen mitten in einer Eroberung zu senken - es grenzte an Wahnsinn oder aber sprach für Wissen um eine dunkle Macht. Und sie alle hatten dunkle Mächte gesehen. Hatten unter ihnen gelitten.
Sie jedoch wirkte so viel freundlicher. So viel menschlicher. Nicht wie die Dämonen, die sie gesehen hatten. So wartete man ab. Vielleicht war sie der Engel, nachdem man sich so lange gesehnt hatte.

Ein Mann, der Kapitän des Schiffes, wagte es, sich ihr zu nähern. Tief und offensichtlich zitternd verneigte er sich vor ihr. Ein Zeichen, das auch die anderen zum Anlass nahmen, vor der neuen Herren des Schiffs auf die Knie zu sinken.
"Wenn die Dame es wünscht, kann ich ihr Einsicht in die Bücher des Schiffes verschaffen.", verkündete er und blickte ein wenig unsicher zu den Recken hinüber, die seine Leute noch immer im Auge behielten. Er hatte wohl noch etwas sagen wollen, doch den Mut verloren. So erwiderte er ihr Lächeln dankbar, als sie nickte und ihn damit erlöste.

***
"Ich hoffe eure Anreise war nicht zu beschwerlich?" Der Kapitän lächelte die Dame charmant an und zwinkerte leicht, während er ihr einen Kelch reichte. "Die nächste wird gewiss angenehmer." Er hatte sich überraschend schnell von seinem Schreck erholt. Wie durch ein Wunder war er nun perfekt angekleidet. Sogar sein Zittern war verschwunden.
Mit einem Schmunzeln nahm die junge Frau den Trunk an und überschlug auf ihrem Bänkchen galant die Beine. Ihre Hand tätschelte sanft den Kopf einer monströsen, dunklen Schlange, die ihr hässliches Haupt in den Schoß der Schönen gebettet hatte. Zart spielten die schlanken Finger mit den Schuppen, als sie einen Schluck trank. "Da bin ich mir sicher.", erwiderte sie und seufzte schwer. "Ich hoffe die Opfer heute Nacht können rasch ersetzt werden."

Der Kapitän winkte ab. "Vorlaute Schiffsjungen und ein spielsüchtiger Wachmann - ihr habt nichts verloren, das von Wert gewesen wäre." Er gluckste in sich hinein, während sie lächelte und bei einem weiteren Schluck genüsslich die Augen schloss. Die Schwanzspitze der Schlange zuckte wohlig. "Ich bin gespannt, was ihr mit unserer Schönheit hier vorhabt."
Die großen dunklen Augen schwebten durch den Raum, da ein geheimnisvolles Lächeln die vollen Lippen erneut bog. "Nichts anderes, als das, wofür sie gedacht wurde. Was seine Erbauerin nie erblühen lassen konnte, wird unter meinen Händen das schönste Blütenmeer."

***
Als am nächsten Morgen die Sonne Genaus Dächer liebkoste, lag ein neues Schiff im Hafen. Prachtvoll und mysteriös. Aus feinsten Materialien gebaut, mit den besten Schiffsleuten ausgestattet und vor allem unbekannt. Nur die prunkvolle Schrift am Bug verkündete weiß auf schwarz den Namen des wundervollen Schiffes: Santa Theodora.
Ach! es sey die letzte meiner Thräne,
Die dem lieben Griechenlande rann,
Lasst, o Parzen, lasst die Schere tönen,
Denn mein Herz gehört den Todten an!
Friedrich Hölderlin
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