[1031] Im Hafen begegnet man allerlei... [Angelique, Sofia]

[Sofia Caruso]

Der Hafen von Genua lag in dieser Nacht da, wie auch in vielen anderen zuvor schon. Und auch wie er in vielen anderen noch dort liegen würde. Die Geräusche des Hafens, das Stimmengewirr, das Treiben... all das drang einem ins Ohr, wenn man hier verweilte.

Vielleicht war es die lange Stille und Abwesenheit gewesen, die Sofia hierher getrieben hatte. Vielleicht war es aber auch ein bestimmter Grund gewesen. Man vermochte nur selten zu sagen, was in der jungen Frau vor sich gehen mochte.
Die bleiche Frau stand in ein schwarzes Kleid gehüllt etwas Abseits, wo sie einigermaßen ungestört verweilen konnte. Ihr Körperbau wirkte zierlich, ja gar zerbrechlich unter den dunklen Stoffen. Das Gesicht hatte sie unter der Kapuze ihres Umhangs verborgen. Neben ihr stand ein groß gewachsener Mann, kräftig gebaut und er schien keinesfalls eine Auseinandersetzung zu scheuen, wenn ihm eine begegnen sollte.

Ein ungleiches Paar, was dort stand.

Stand und einfach nur beobachtete.

Die zierliche Gestalt hatte die Hände vor ihrem Körper entspannt ineinander gelegt und ließ den Blick mit einer unfassbaren Ruhe über den Hafen streifen.

Und so stand sie dort... eine ganze Weile und tat nicht, außer zu betrachten.

[Angelique]

Das beobachtende Paar selbst wurde neugierig beobachtet.

Ein Straßengör hatte es sich auf einem Krangalgen des Piers bequem gemacht.
Ein einfaches Gestell ohne Winde oder gar Tretmühle und Flaschenzug. Diese genialen Erfindungen der Antike waren teils in Vergessenheit geraten, teils war die Herstellung von langen Seilen zu teuer, die dafür nötig wären.

Das Kind ließ die nackten, dünnen Beinchen vom Gestell über dem dunklen Wasser des Hafens baumeln.

Das Gör, es war wohl tatsächlich ein Mädchen, trug zerschlissene Lumpen, aber auch einen dieser neuen Dolche im Kordelgürtel.
Wenn man ganz genau hinsah, konnte man im Dunkeln die kreuzförmige Silhoutte einer Armbrust erkennen, die auf dem Kranarm lag.

"Hey, Ihr da!", rief das Mädchen spöttisch,"wenn Ihr auf ein Schiff wartet: die Flut ist noch sehr lange hin."

Wenn man darüber nachdachte, fiel dem Pärchen auf, dass es ja schon eine geraume Weile den Hafen betrachtet hatte, ohne das Kind zu bemerken. So als wäre es so gut versteckt gewesen, dass man es erst bewusst sah, als es sprach.

[Sofia Caruso]

Langsam hob die kleinere Gestalt den Blick, um den Ursprung der Stimme auszumachen. Ein Kind... auf einem Gestell und frech wie der Wind höchst selbst.

"Nicht jeder hier wartet wohl auf ein Schiff..." sprach sie in die Richtung des Kindes. Nicht sonderlich laut rufend, jedoch deutlich gesprochen. Ob der Wind die Worte herüber tragen würde?

Der groß gewachsene Mann blickte ebenfalls kurz zu dem Mädchen herüber, richtete seine Aufmerksamkeit dann jedoch wieder auf die Geschehnisse im Hafen. Die Frau, deren Gesicht unter der Kapuze ihres Mantels verborgen lag, sah weiter zu dem Mädchen herüber.

Wie hatte es sie es übersehen können?

Seelenruhig sah sie herüber und wartete ab, ob das Gör sich wieder eigenen Dingen widmen würde, oder weiterhin ihre Kreise vorhatte zu stören.

[Angelique]

Das Mädchen schien die Frau sehr gut gehört zu haben, denn es antwortete: "Wenn nicht auf ein Schiff, worauf wartet Ihr dann?"

Das Kind stand auf, balancierte auf dem Kranarm und verbeugte sich mit gespieltem Armrudern, als müsse es das Gleichgewicht halten.

"Ich werde Angelique vom Haus des Mondes genannt. Wie ist Euer Namen, Kapuzendame?"

Fast glommen die Augen leicht wie bei Tieren in der Nacht. Vielleicht war das auch nur Einbildung. Jedenfalls bot die dünne Figur vor dem blassen Auge des Mondes ein geheimnisvolles, wenn nicht gar unheimliches Bild.

[Sofia Caruso]

Geheimnisvolle Dinge weckten stets Interesse und Neugier. Denn Geheimnisse waren es, die jene Dinge bereit hielten, die dem unaufmerksamen Beobachter so leicht entrinnen konnten. Erkenntnisse fanden sich an so vielen Orten, doch die meisten Leute gingen achtlos durch die Welt.

Wer sagte, dass sie wartete?

Sachte legte die junge Frau die blassen Hände ineinander. "Sofia Caruso ist mein Name." erwiderte sie und musterte das Mädchen mit ruhigem und interessiertem Blick.

Haus des Mondes... Eine zufällige Wortwahl? Sofia glaubte nicht an Zufall... Doch stets war Vorsicht geboten. "Fürchtest du nicht, herunter zu fallen?" fragte sie mit einer Stimme, die nicht mehr hätte ausdrücken können, dass es ihr egal war, ob das Mädchen fiel oder nicht. Es war eine reine Interessensfrage.

[Angelique]

"Ah, seid gegrüßt, wohlwerte Sofia Caruso", antwortete das Mädchen.

"Nein, ich habe keine Angst herunterzufallen. Das wäre mir egal."

Es musterte den anderen Fremden. "Und der da? Wer ist das?"

[Sofia Caruso]

Sie neigte leicht den Kopf und sah das augenscheinliche Kind skeptisch an. Sagte jedoch vorerst nichts weiter.

Welch sonderbare Begegnung dies hier doch war. Sofias blickt kurz zu ihrem Begleiter. Nur der Blick, der Körper der jungen Frau bewegte sich kaum. Ebenso ruhig, wie sie zu ihrem Begleiter geschaut hatte, bewegten sich die Augen von Sofia auch wieder zu dem Mädchen.

"Dies ist Rafael." erwiderte sie ohne kaum hörbare Emotion in der Stimme.

[Angelique]

Das Mädchen winkte dem Mann zu.

"Schiavo, Rafael. Hmmm, scharfes ,F'. Katalane? Bist du der Vasall der wohlwerten Dame? Kannst du mir sagen, was ihr hier machst? Ich darf dich doch zwanglos anreden, oder? Sie hat nicht gesagt der edle Rafael, Herr Rafael oder Rafael von und zu."

Die Göre glitt den Kran hinab, die Armbrust - es war tatsächlich eine - über den Rücken geschlungen.
In sicherem Abstand baute sie sich vor den geheimnisvollen Fremden auf.

Das war allerdings nicht sehr hoch. Das Kind schien um die elf Jahre gesehen zu haben und war sehr blaß. Unter der Kapuze des alten Pilgerumhangs - bestimmt hatte es ihn gestohlen - lugten vorwitzige dunkle Locken hervor.

Dünn und drahtig war das Mädchen, aber recht hübsch für eine Gossenratte

[Sofia Caruso]

Sofia beobachtete ruhig und gelassen wie das Mädchen von dem Kran glitt und sich näherte.

Der Begleiter der Dame sah nun zu Angelique herüber. Er beantwortete ihre Frage nicht zugleich, sondern warf erst Sofia einen kurzen Blick zu. Die wiederum machte eine ganz subtile Bewegung mit dem Kopf. Rafael verstand und sah wieder das Mädchen an.

"Du darfst." antwortete er in einer tiefen und angenehm warmen Stimme. "Die wohlwerte Dame genießt es bisweilen das Treiben zu betrachten." Trotz seiner höflich vorgetragenen Worte, zeichnete sich auf seinem Gesicht kein Lächeln ab. Er schien bisweilen immer ein wenig grimmig zu sein. Grimmig, aber sicherlich auf seine eigene Art liebenswürdig.
Harte Schale, weicher Kern - so sagte man oft. Vielleicht traf es auf diesen Mann hier ganz ähnlich zu.

Die junge Frau trat einen halben Schritt vor und ergriff das Wort. "Neugier und Wissensdurst scheint eine Eigenschaft zu sein, die Dir zu eigen ist." stellte sie mit einem zarten Tonfall fest. "Und ebenso könnte ich wohl fragen: Was treibt Dich augenscheinlich alleine hierher?" Sofias Blick ruhte forschend auf dem Mädchen. "Du fürchtest nichts?"

[Angelique]

"Ich fürchte viel", antwortete das Mädchen. "Zuviel vielleicht oder vielleicht nicht genug. Je nach Blickwinkel."

Es zuckte mit den Achseln. "Meine Vasallen sind alle tot und ich war lange Zeit abgetaucht. Ich muss selber erst einmal mich neu orientieren und das Treiben zu betrachten. Vieles ist wieder neu für mich.
Oh, und ja, Wissensdurst treibt mich an. ich will einfach alles wisssen und verstehen, Was treibt dich und die Dame an?"