[1038] Ein Sehnen nach Vergangenem [Achilla, Toma, Alain, Nicolò]

[Juli'20]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Signora Achilla
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Re: [1038] Ein Sehnen nach Vergangenem [Achilla, Toma]

Beitrag von Signora Achilla »

Untermalung (ohne irgendeinen historischen Bezug)

Es war als wären Nicolos sanfte Worte nur mehr Öl in das Feuer des Moments. Was bedeutet Vernunft schon in so einem Augenblick!
Doch Alains Berührung - das war etwas gänzlich anderes. Der arme Mann, um den Achilla eben noch ihre Arme geschlungen hatte, wich zurück. Vielleicht war das Instinkt, vielleicht war ihm die Lage selbst so unangenehm wie Nicolo auch.

Achilla aber schmiegte sich an Alain, hungrig nach der Berührung Haut an Haut. Und ja, da waren weitere Bewegungen unter ihrer Haut. Sie war so glattgezogen wie aufgespannte Häute beim Gerber an einigen Stellen. An anderen war sie glatt, aber schien schon lose: Pergamentseiten, die nur jemand hätte aufblättern müssen. Wie lange würde das noch halten?
Doch die Signora schien nichts davon zu bemerken. Sie legte einen Arm um Alain, fest, mit mehr Kraft als die schlanken Arme einer jungen Frau vermuten lassen würden. Sie lauschte ihm und sah Nicolo über Alains Schulter hinweg an. Der Salubri konnte sehen, wie etwas dunkles hinter ihren Augen entlang kroch. Das war keine Metapher, kein hübsches Wort für finstere Gedanken: Es war tatsächlich irgendetwas da, das durch die milchig-toten Augen zu gleiten schien, vielbeinig, gefräßig, knochenlos geschmeidig, winzig.

Doch endlich entspannte sich Achilla, vielleicht weil ihr Blick auf dem gütigen Salubri lag. Vielleicht, weil sie Alain in ihren Armen hielt. Die Worte des Tzimisce spülten über sie hinweg und sie schien sie zu trinken wie Wein und Blut, mit halb geöffnetem Mund.

“Ich bin schön”, murmelte sie als wäre das alles, was sie aus alledem hatte mitnehmen können, was Alain sagte. “Was er verlangt hat? Irgendein Handel aus dem Krieg, Blut und Macht, ich hab’s schon halb vergessen. Unwichtig, gegen das, was Ihr mir schenkt!”
Aus irgendeinem Grunde klangen ihre Worte plötzlich hart, so wie sie sie in Alains Ohr flüsterte. Ihre Wange an seiner blieben plötzlich hängen. Was darunter lag, schimmerte geschmeidig und glatt durch einen feinen Riss, mitten in ihrem Gesicht. Doch auch das bemerkte sie nicht.
Stattdessen küsste sie ihn so wie sie es zuvor hätte tun wollen, mit einer Gier und einem Hunger, die keinen Anstand kannten und wohl auch keine Erfüllung. Wer von ihnen fand die auch je?
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
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Alain le Beau
Tzimisce
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Re: [1038] Ein Sehnen nach Vergangenem [Achilla, Toma]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain erwidert den Kuss. Da ist kein Zögern, keine Zurückhaltung, nur der brennende Wunsch nach neuen Erfahrungen, Sinnesreizen, das Verlangen, die ewige Nacht weniger eintönig zu machen. Und er ist ein erfahrener Küsser, ein guter Küsser. Hätte die Signora Atem, Alain würde ihn ihr nehmen.

"Ihr habt recht", sagt er leise, als sie sich endlich voneinander lösen. "Ich war ein Narr. Lasst uns dieses kleine Wunder genießen, solange es dauert. Es ist um so wertvoller wegen seiner Vergänglichkeit." Er erhebt sich und nimmt sie an der Hand. "Entschuldigt uns, werter Nicolo, oder besser gesagt: Entschuldigt uns nicht. Denn wir werden nun der Leidenschaft fröhnen und dafür ist keine Entschuldigung notwendig. Ich würde euch einladen, aber..." Der Drache zwinkert. "Ich vermute, unsere Vergnügungen sind nicht die euren."

Dabei drückt er die Hand der Nosferatu, fest, und dennoch zärtlich.
Love the Sinner. Love the Sin.
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Signora Achilla
Nosferatu
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Re: [1038] Ein Sehnen nach Vergangenem [Achilla, Toma, Alain, Nicolò]

Beitrag von Signora Achilla »

“Wir werden ein zweites Mal geboren. Wie das erste Mal ist es eine blutige und hässliche Sache, bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Unser zweites Leben ist nicht echt, es ist gestohlen. Und auch wenn wir so gern glauben wollen, dass es ewig währen kann, ist es zerbrechlicher, viel zerbrechlicher als unser erstes, das wir bereits verloren haben.
Wir höhlen es von innen aus, dieses zweite Leben, höhlen uns selbst aus, fressen an unseren Seelen wie gierige Maden sich in das süße Fruchtfleisch eines Apfels fressen. Der Apfel verrottet dann von innen her, ausgehöhlt und faulig. So ist es auch mit uns. Wir können es nicht verhindern. Wir können es versuchen, jeder auf seine Art, die Maden und das gierige Fressen abzuhalten, doch früher oder später werden wir selbst unsere eigenen Opfer und das Fressen beginnt.

Und ich? Ich wurde dreimal neugeboren. Was bedeutet das nur?”


Ein Kuss ohne Wärme, Hände auf der Haut, Fingernägel wie Klauen durch brüchiges Fleisch - es war eine Befreiung. Die Haut Achillas war zu eng, zu glatt, zu straff. Darunter schwoll das alte an wie eine Eiterbeule.

Es waren Alains Finger, die kühl und gierig die Haut aufrissen, die dünn und brüchig geworden war: altes Pergament, das einfach einbrach. Darunter war glänzende Seide, silbern im Mondlicht, gesponnen von dutzenden, hunderten, unzähligen winzigen, braunen Larven. Sie krochen übereinander, erstickten sich selbst in der Seide und im Fleisch darunter, fraßen die Leichen, das tote Fleisch, sich selbst.

Eitriges, lange totes Blut quoll hervor, wo die Seide noch nicht fertig gesponnen war. Und darunter regte sich etwas. Der Körper darunter wirkte nicht wie ein Ding aus einem Guss, vielmehr etwas, das aus tausenden und abertausenden von Leibern zu bestehen schien, die in Waben aus ausgehöhltem, toten Fleisch lagen und warteten, warteten. Sie wollten und sie mussten hinaus, endlich wieder hinaus!

Das war es, was Alains Hände schließlich taten: sie zerrissen die immer dünner werdende Fassade, das viel zu eng geschnürte Mieder aus künstlich geformter Haut. Was dann hervor brach, in einem Schwall aus tausend Leibern, in Blut, Eiter und Seide, war endlich wieder frei!

Achilla aber weinte. Eine Geburt war immer voller Schmerzen und so war es auch mit dieser. Wer war sie schon, nach alledem? Zweimal war sie gestorben. Und mit jedem Erwachen hatte sie ein wenig ihrer Unschuld verlieren müssen, um etwas mehr von der hässlichen Wahrheit der Welt zu verstehen.



Achilla geht zu Toma, damit dieser aus einem älteren Handel zwischen beiden heraus ihre Gestalt erneuert und sie wieder schön macht. In einem langen, über den Tag hinweg andauernden, schmerzhaften und hässlichen Prozess gelingt das Toma auch zumindest soweit, dass Achilla wieder unter Leute gehen kann.

Das tut sie in der angebrochenen Nacht auch und trifft dabei auf Nicolo und Alain. Beide erklären ihr auf ihre Weise, dass ihr Wandel gar nicht dauerhaft sein kann. Doch Achilla entscheidet sich, ihn und letztlich auch alles andere trotzdem in vollen Zügen zu genießen. Die Nacht endet mit Alain als ihr schön gefügter Körper aufreißt und neben Mottenschwärmen auch ihr alter, verrottender Leib hervorbrechen.
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
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