[1045] Circus [Achilla, Adamo]

[Signora Achilla]

“Mit einer Galeere…!”, bemerkte die Signora nicht ohne Erstaunen. “Machen wir doch hier noch eine Runde und lenken dann unsere Schritte ein wenig weiter. Die Umgegend ist auch ein Teil des Hauses.”

Sie ließ sich auch tatsächlich gern dies oder jenes zeigen, fragte nach der Bauart selbst, aber auch nach Feinheiten wie einem Ort für Chor oder Musikanten und wie wohl der Klang in einem solchen Haus wäre? Ob es bei viel Stein nicht auch viel Hall gäbe, so wie in karg eingerichteten, hohen Kirchenhäusern? Solche Fragen der Signora waren nicht bloße Plauderei: Hier blitzte echtes Interesse durch, zusammen mit ganz handfesten Erfahrungen mit der Schaukunst.
Währenddessen konnte Adamo auch beobachten, wie zwei der Schausteller eben dort, wo wohl einmal die Bühne sein sollte, posierten. Die schlanke Schönheit hob eben gerade dort ihre Stimme zu einem klaren Gesang. Diese Stimme war in der Tat bemerkenswert: ein weicher Bariton anstelle des mädchenhaften Sopran, den man vielleicht zunächst erwartet hätte. Doch die Stimmlage besaß ihren ganz eigenen Reiz, sanft und voll, dass es die karge Baustelle schon eine erste Anmutung von Leben und Spiel verlieh.

Doch letztlich war sie auch zu neugierig an dem anderen, was Adamo angedeutet hatte, der Domäne, der Gesellschaft und jener Dame mit der Galeere. Und so überließ sie dem Toreador die Wahl, wie und wann er die Unterhaltung umleiten wollte.

[Adamo Manacres]

Adamo erklärte der Harpye Genuas ausführlich, was angedacht war. Die Bauart aussen im Stil der anderen Häuser, innen jedoch in dem römischen Stil, mit Marmor zum laufen und sitzen. Den Hall der Sprache und des Gesanges würde man mit Teppichen und Vorhängen an den Wänden, welche auf und abgehangen werden konnten, nahezu komplett verschwinden lassen, wenn es der Wunsch wäre. Viele Variationen boten sich hier an und sollten ausgiebig erforscht werden können. Die Einrichtung wäre noch ein wenig fraglich, in Bezug auf Sitzgelegenheiten und ähnlichem, aber da wollte er auf seinen Fahrten noch ein wenig Inspirationen sammeln. All dies teilte er der Harpye mit, während er schnell und umfassend auf ihre Fragen einging.

Aus dem Augenwinkeln nahm er durchaus die Inbesitznahme der Bühne durch die beiden Schausteller wahr, freute sich über die vortragende Stimme und damit verbunden auch die erste Nutzung des Hauses vor seiner Fertigstellung.

Als sie dann weiter durch die Stadt schlenderten, lenkte er das Gespräch auf die Galeere, welche sich neu im Hafen Genuas befand. Sehr genau besah er sich die Umgebung nach irgendwelchen Sterblichen, die etwas hören könnten.

" Zu Anfangs ist sie mir gar nicht aufgefallen. Dann, eines Abends, als ich gerade Besuch hatte, war es Valerios, der an mein Schiff kam und um eine Unterredung bat. Es handelt sich anscheinend um eine Galeere im sarazenischen Stil und es soll sich bei der Besitzerin um die Neugeborene der Schatten, namens Euphemia handeln, welche eine Tochter des Regenten zu Caliagri sein soll. So erzählte mir Valerios. Weitere Informationen zu ihr habe ich noch nicht, hab sie nicht einmal gesehen, muss ich zugeben. Man sollte meinen, dass sie sich ein wenig mehr präsentiert, aber anscheinend ist sich nicht gerade von der redsamen Sorte. Ich hoffe jedoch, dass ich sie bei Gelegenheit einmal treffen werde."

Adamo ist in bester Plauderlaune, als würde er im Elysium an der Seite der Harpye stehen und sich mit ihr über die gerade neu eingetretenen Fremden in der Domäne plaudern.
" Habt ihr bereits von ihr etwas gehört ?"

[Signora Achilla]

“Ai, es ist nicht allzu selten, das innerhalb der See der Schatten einmal einer anlegt, für frisches Wasser oder Waren, oder Botschaften gesendet werden…”, überlegte die Signora da. “Doch wenn’s eine ist, die bleiben will, dann wird’s einen der Herolde kümmern und danach uns alle wohl.”

“Doch den Namen, den Ihr da sagt, den kenn’ ich noch nicht. Caliagri, ja, doch keine der jüngeren von dort. Ich versuch’ auch gerade, Spuren von einer zu finden, die’s wohl nicht zu den Herolden schaffte: Eleonora hat sie sich geheißen.” Irgend etwas in der Stimme der Harpyie ließ Zweifel an eben jener Vorstellung aufkommen, auch wenn sie kaum mehr als einen Namen gesagt hatte. Offenbar hütete sich Achilla doch davor, bei einem solchen Spaziergang allzu klare Worte zu gebrauchen.

“‘s hat einen großen Wandel gegeben, für uns in dieser Stadt”, meinte sie dann. “Es scheint als würden sich die Dinge langsam verschieben, Weiß zu Schwarz, allein durch die Anzahl derer, die neu ankommen, und das, was um uns her liegt. ‘s macht die Dinge für alle jene, die nicht von Haus aus Weiß oder Schwarz sind, interessanter, eh? Muss man sich entscheiden? Stellung beziehen? Handel machen?”

[Adamo Manacres]

Adamo sieht die Nosferatu fragend an.

" Einen Wandel? Sind wir nicht immer einem Wandel unterlegen? Wir geben zu auf der Suche nach Beständigkeit zu sein, doch sind wir in dieser Zeit nicht immer Veränderungen unterlegen? Der Wind treibt uns von hier nach da. Von Ort zu Ort von Stadt zu Stadt. Und nicht einmal wir selber sind hierbei beständig. Bündnisse stehen, Bündnisse fallen. Freunde verraten und Feinde werden zu Freunden. Ist das nicht der Wandel?"

Er überlegte weiter.

" Interessant ist der Wandel von eh und je immer. Sowohl zu beobachten, als auch an sich selber zu sehen, dass was es an diesen Dingen zu bewahren gibt, ist meines Erachtens nach die Würde. Handeln gehört immer mit dazu, sowohl bei Weiss und Blau, aber auch bei Rot und Grün. Handel ist unabdingbar."

[Signora Achilla]

Die Signora, die einfach grundsätzlich Farben mehr schätzte als den Mangel eben derselben, lachte und tätschelte dem Toreador den Unterarm oder die Hand, wenn sich dies gerade anbot.
“Würde ist ein so teures, teures Gut, schöner Herr”, meinte sie. “So wie die Ehre, mit welcher der Herr Kapitän Mareno von den Rosen doch glaubte, seinen Wortbruch zahlen zu können.”

Sie neigte den Kopf ein wenig. “Ah, Würde ist vielleicht ein wenig günstiger als Ehre, wenn ich es mir recht überlege. Doch dann wieder ist das wohl ein Erbe meines Blutes, eh? Dass ich den Preis von diesem oder jenem Ding von Wert wohl kennen soll… .”

Halb nachdenklich und halb prüfend sah sie zu Adamo herauf. “Doch Ihr habt das vielleicht schon selbst erfahren, wie teuer die eigene Würde sein kann, selbst für Euch von hohem Blut?”

[Adamo Manacres]

Adamo nickte eifrig, als ihm die Nosferatu antwortete und ließ zu, dass sie ihm den Unterarm tätschelte.

" Ein Wortbruch bezahlt man nicht. Ein Wortbruch ist unabdingbar, gerade wenn man miteinander handelt. Würde zeigt sich immer während des Handelns, es ist der Umgang mit dem was man ist, was einen ausmacht. Jede Person besitzt Würde, sie für sich selber zu finden und sie nach aussen zu zeigen ist die Herausforderung. Würde ist aber auch immer an das Umfeld gebunden. Ein Gaukler, welcher in seiner Kleidung auf einem gesellschaftlichen Abend mit einem hohen Herrn über Politik philosophiert, wird, solange er in der Kleidung eines Gauklers steckt als ein solcher wahrgenommen. Verändert man die Kleidung, verändert man die Wahrnehmung der anderen."

Er schreitet weiterhin neben der Nosferatu voran, sein Gesicht zeigt eine entspannte Fröhlichkeit, Beschwingtheit. Er genießt offensichtlich die Unterhaltung der beiden in vollen Zügen.

"Ehre ist etwas anderes. Ehre bedeutet, für das einzustehen, von dem man Überzeugt ist, zu seinen Worten zu stehen, und zu seinen Taten. Ich bin mir sicher, dass andere dazu eine andere Blickweise haben, aber das ist definitiv nicht die meine. Ihr sagte, Mareno, ein Bruder, habe sein Wort gebrochen? Wem gegenüber ?"

[Signora Achilla]

Da blieb die Signora stehen, wohl verblüfft von dieser Frage. “Was, Ihr kennt nicht die mißliche, tragische Geschichte des Kapitäns Mareno di Piave, Kind von Jacque Monjeau, Ancilla vom Blute der Rosen?”
Sie neigte den Kopf auf die Seite und bemerkte dann belustigt: “Wär’ ich nicht eine Harpyie Genuas, ich würd’ fast versuchen, Euch für die meinen einen kleinen Gefallen abzubitten, denn diese Geschichte ist ein wahres Lehrstück und sie wirft lange Schatten auf die Rosen in Genua, so will ich meinen.”
Doch dann zuckte sie mit den Schultern. “Doch ich bin eine Harpyie Genuas und dazu gehören Pflichten. Und diese Geschichte ist noch eine blutend frische Wunde in der Seele Genuas, zu frisch für alte Geheimnisse und erfeilschte Preise, eh? Nehmt’s, so bitte ich, als meine Unterstützung für Euer Ankommen in dieser Stadt und Domäne, dass ich Euch erzähle, was geschah, in der ‘Letzten Nacht von Vielen’.”

Langsam ging sie nun wieder weiter und jetzt gab auch sie sichtlich acht, dass keiner umher nah genug kam, etwas zu verstehen. Wenn Adamo und die von außen sichtbare Schicklichkeit es zuließen, lenkte sie die Schritte der beiden auch zurück zum Bau, wo dies einfacher zu übersehen war, dass es keine ungewollten Lauscher gab.

“Es war zur Feier des hundertsten Jahres, in welchem die principessa bianca auf dem Löwenthron sitzt und herrscht, das von überall her die Alten und Mächtigen anreisten, um ihr zu gratulieren. Der Saal jener Feier war gefüllt mit der Ahnung von Macht und Gewalt und viel geschah in jener Nacht, offene und verhüllte Drohungen und Beleidigungen, verdeckte Rivalitäten, offene Gewalt, Blutjagd, Tod und wilde Raserei… .”

Sie ließ ihre Stimme verklingen, ließ deutlich werden, dass es zu viel war, als dass sie es in wenigen Sätzen in spärliche Worte kleiden konnte.
“Doch es war jener Kapitän Mareno di Piave, mit dem die wahrhaftigen Umbrüche jener Nacht begannen.”

“Er hatte für die principessa im Krieg gegen Sardinien gekämpft und Blut vergossen, hatte sich schon mit einigen Neugeborenen in Genua umgetan und sich entschlossen, dass er den Prinzen um das Gastrecht bitten wolle, dass er bleiben könne. So sank er vor dem Prinzen, Gastgeberin des Abends, Herrin der Domäne, auf die Knie um eben dies zu tun.”

“Doch als sie nach seinen Fürsprechern fragte, da hob die einstige und nun wohl verblichene Acacia della Velanera ihre Stimme für ihn. Lauscht nun ihrer gänzlichen Vorstellung wie sie vom Herold verkündet worden war: Ancilla vom Blut der Schatten, Hüterin der Elysien, Mondsenatorin von Plateolonga, Erste der Lasombra von Genua, Kind von Alexander, Ahn vom Blute Lasombras, Kind der Marcellina, Ahnin vom Blute Lasombras, Kind des Eli, Ahn vom Blute Lasombras, Kind des Saadi, Ahnherr der Schatten, Kind des Tubalcain, Ahnherr der Schatten, Kind Lasombras.”

Achilla sah zu Adamo hin um sich zu vergewissern, dass er dem folgte, der Reihe von Namen und Titeln, Rang und was dies bedeuten mochte.
“Ihr könnt sehen, dass sie in Genua von Bedeutung war, ai? Und so hätte jener Kapitän vom Blut der Rosen sich glücklich und froh über eine solche Fürsprecherin fühlen können, eh?”

[Adamo Manacres]

Adamo lässt sich gerne von der Harpye führen, war er doch daran interessiert, wohin ihn der Abend, und damit auch die Nosferatu bringen würde.

Von einer viel größeren Bedeutung waren die Worte der Nosferatu, welche kurz davor stand, ein wenig Licht in das Dunkel um das düstere Ansehen der Rosen in der Domäne zu bringen.

Er schien an ihren Worten zu hängen, lauschte den Namen und Titeln, welche die Ancilla der Lasombra nannte und war sehr daran interessiert, was sie noch zu erzählen hatte.

" In der Tat, das ist eine beeindruckende Fürsprecherin, das sei euch versichert. Aber bis jetzt ist es recht beeindruckend gelaufen, was ist dann so fehl gelaufen ?"

[Signora Achilla]

Mittlerweile hatten sie den Bau wieder erreicht. Die Schausteller warteten dort, hatten sich an der Seite bei ihrem Karren niedergelassen und teilten sich ein eher karges Nachtmahl. Leise Musik klang aus ihrem Rund zu den beiden Kainiten herüber.

Die Signora trat zurück in das Rund, das einmal eine Bühne werden sollte. Dort sagte sie: “Ihr habt ganz recht! Wunderbar wäre dies gewesen, für den tapferen Kapitän, der zehn harte Jahre auf See gekämpft hatte.”
Nun hob sie jedoch die Hand und wendete sie, so wie sich auch das Schicksal in jener Nacht, auf dem Klagenden Hof gewendet hatte.
“Doch nun hört, wie jene nun verblichene Acacia della Velanera tatsächlich für Mareno sprach, dort in jenem Rund in dem nahezu alle Ahnen der Städte und Mächte umher versammelt waren, all diese Macht in so vielen Gestalten, welche Zeuge wurden, was sie sprach, als die Herrin der Domäne fragte, wer Fürsprache geben wollte: ...”

Hier setzte Achilla eine kleine Pause und sprach dann in einer Stimme, die der der echten Acacia ähnlich war: “‘Wir. Adelchis Diaconus, Neugeborener des Clans der Schatten. Ich. Acacia della Velanera, Ancilla der Schatten, Hüterin der Elysien, Mondsenatorin von Plateolonga, Kind von Lydiadas, Prinz der Domäne Genua, Ahn vom Blute Lasombras, Consigliere del padrone profondo, sanguigno cacciatore di Catania, Herr der Tiefen, aus der Linie Ahriman min alzilals, Ahnherr des Clan Lasombra, Kind Lasombras, erster seines Blutes.’”
Wieder machte Achilla eine Pause, ließ jene bedeutungsschweren Worte Acacias sich vor Adamo entfalten.
“Ahnt Ihr, wie jener Augenblick sich anfühlte?”, flüsterte sie dann leise. “Wie eine Blutslinie gewechselt wurde? Wie es auf einmal zwei Prinzen von Genua gab, nach diesen Worten im Saal?”

[Adamo Manacres]

Adamos Mund stand vor Staunen offen.

" Verstehe ich das richtig. Mareno hat sich als Fürsprecherin ausgerechnet das Kind von Lydiadas ausgesucht? Und eben dieses Kind von Lydiadas vollzieht dann als Ancilla vom Clan der Lasombra nicht nur einen Wortbruch als Fürsprecherin, sondern maßt sich auch noch an, Lydiadas als Prinzen der Domäne Genua vorzustellen?"

Schreck, Betroffenheit und Wut springen förmlich aus dem Gesicht des Toreador.

" Das ist eine Beleidigung sonder gleichen, eine Bloßstellung eines verdienten Kämpfers für das Wohl der Domäne und eine Denunzierung des Clans der Rose in höchster Form. Eine Missachtung jedweder gesellschaftlicher Regeln und Umgangsformen. Wieso wurde so etwas geduldet? "