[1046] Des Schäfers liebster Zeitvertreib [Angelique, Davide]

[Davide]

Davide konnte ihr nicht widersprechen. So gern er auch gewollt hätte. Man sah es überall. Wie viele der ihren mit den Sterblichen umgingen. Schachfiguren. Mittel zum Zweck. Beute. Diener. Sklaven. Manchmal auch einfach nur völlig egal. Es war bedrückend. Erschreckend. Und es erfüllte ihn mit einer Mischung aus Abscheu, Angst und Bedauern.
"Ich w... will nicht so werden.", antwortete er leise.
"Ich will n... nicht so sein. Es ist... einfach nicht richtig."

[Angelique]

"Dann werde nicht so, Junge, es liegt nur an dir", meinte das kleine Mädchen, während es weiter strickte. Es war irgendwie witzig, dass es dabei wirkte wie eine uralte Oma, die ihrem jungen Enkel Lebensweisheiten erzählte.

"Es ist eine gute Sache, dass du dich von den Menschen fernhältst. Man ist versucht, der Schlachter zu sein und nicht seines Bruders Hirte, wenn man sich immer mit ihnen umgibt. Niemand weiß das besser als ich.

Aber hüte dich auch vor denen deines Hauses, die dir einreden werden, wie toll es ist, sich dem Tier und der Jagd hinzugeben. Der Weg Belials ist falsch, selbst wenn er so verführerisch und logisch erscheint. Folgst du ihm, wird eines Nachts deine Herde von dir abgeschlachtet sein, deine Hunde deine Blutsklaven sein und du selbst wirst nicht mehr unterscheiden können, was Menschen vom Tiere trennt und beide jagen wie Beute."

[Davide]

Tatsächlich war der Kontrast von dem Bild das sie abgaben zu den Worten die sie wechselten fast schon komisch. Das Kind das dem Mann gute Ratschläge erteilte weil es so viel länger auf der Erde wandelte als er.
"Ich weiß.", antwortete Davide. Und es klang hörbarer Kummer in seiner Stimme mit. Ein Schmerz den er nicht verbergen konnte.
"I.. ich hab gesehene was p... passiert. W... wie einem n.. nichts mehr wichtig ist w... was dem Menschen d.. der man mal war etwas b... bedeutet hat. M... Man hört auf man selbst z... zu sein."
Er hatte es an Jaccopo gesehen. Wie er immer weniger Mensch gewesen und immer mehr Bestie geworden war. Wie er sich völlig an seine Instinkte verloren und sein Gewissen aufgegeben hatte. Damals als er auf dem staubigen Boden der Hütte gelegen hatte, da hatte er sich geschworen niemals den selben Weg einzuschlagen.

[Angelique]

Sie tätschelte die Hand des jungen Grangel. "Hab keine Furcht vor dem, was sein könnte. Bleibe einfach du selbst und staune über die Welt und finde deinen Frieden in GOttes Natur."

Summend widmete sich die Kleine wieder dem beruhigenden, monotonen Klicken der Nadeln.
Offenbar hatte Angelique aus Arles endlich ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden und konnte es sogar vermitteln.

Nach einer langen Pause, in der beide Vampire nur die Schönheit der Nacht genossen, meinte sie lächelnd:

"Marie. Mein Taufname laute Marie."

[Davide]

Ihre Worte waren tröstend und sie hatte Recht. Was hatte seine Mutter immer gesagt... Schimpfe nicht über die Milch die du noch gar nicht verschüttet hast. Es lag an ihm was er aus den Nächten die vor ihm lagen machte. Er musste nicht so werden. Er hatte eine Wahl.

Das Schweigen das sich über sie senkte war ein angenehmes Schweigen. Eines jener Art das zwei Leute stumm verband anstatt sie voneinander zu trennen. Einträchtig und sich selbst genug. Während sie strickte, ließ er noch einmal den Griffel über die Wachstafel wandern. Malte langsam die Buchstaben auf die sie ihm gezeigt hatte.

Als Angelique das Wort ergriff wand Davide sich ihr zu. Lächelte warm.
"D... das ist ein sch... schöner Name. Er passt zu dir."
Die von Gott Geliebte. Wenn sie nach so viele Jahren immer noch so offen lachen konnte wie heute Nacht, dann war sie wirklich von Gott geliebt.
"W... weißt du... Ich bin w... wirklich froh dass der H.... Herr unsere Wege zusammenge... geführt hat. I... ich hab einen F... Freund in meinem L... Leben vermisst. Oder ei... eine Freundin."

[Angelique]

Angelique lehnte sich an ihn, während sie weiterstrickte. Eigentlich etwas, was Vampire ungern zuließen, einzelgängerische Raubtiere, die sie waren.
Und doch fühlte es sich gut an, wenn man für eine kurze Weile spürte, dass man nicht mehr allein in der Nacht war.

"Dann lass uns Freunde sein, egal was die Oberen davon halten. Sie fürchten Freundschaft unter unseresgleichen, weißt du? Wer allein ist und den anderen misstraut, ist leichter zu beherrschen.
Eine Zeitlang hatten sie es bei mir fast geschafft, aber ich habe dieses dunkle Tal hinter mir gelassen."

Und wieder einmal knüpfte Angelique ein starkes Band in ihrem Netz aus Freundschaft. Egal, wie oft die Monster, die vergessen hatten, was Menschsein bedeutete, es auch zerrissen, am Ende blieben immer genug Fäden zurück, ein neues zu knüpfen.

[Davide]

Es mochte in Anbetracht ihres Alters und Standes unangemessen sein, aber in diesem Moment ließ er sich hinreißen ihr sachte übers Haar zu fahren. Eine freundliche, fast väterliche Geste, während er zuließ dass sie sich an ihn lehnte. Ein Moment der Nähe zwischen zwei toten Kreaturen der ihnen eine Ahnung von Wärme und Zuneigung zurückbrachte. Selten und wertvoll.
"Ja...", raunte er leise.
"Lass uns F... Freunde sein."
Wieder senkte sich die nächtliche Stille über sie, nur durchbrochen vom rhythmischen Klacken der Nadeln. Ein Augenblick der Ruhe und Zufriedenheit der von ihm aus gern noch eine Weile andauern durfte bis der nahende Sonnenaufgang ihre Wege wieder trennte.

[Angelique]

Angelique schmolz dahin und fühlte sich geborgen, als ihr über das Haar gefahren wurde.

Unbewusst hatte Davide ihre Achillesferse gefunden. Das ewige Kind war immer auf der Suche nach einem ewigen Vater. Selbst ihre jeweils obersten Blutvasallen waren immer eher väterlich, als ihre ihr verfallenen Diener.

Und so blieb sie wirklich so lange, bis der nahe Morgen sie von dem Schäfervampir trennte. Selig winkend versprach sie wiederzukommen zu bestimmter Zeit, um aus der Bibel zu lesen.

Und sich erneut durch die Haare wuscheln zu lassen, natürlich.

[Davide]

Davide sah ihr lächelnd nach. Die kleine Wachstafel in der Hand. Er sah ihren nächsten Besuch bereits jetzt in freudiger Erwartung entgegen.



Davide und Angelique treffen sich bei der Weide und Davide überreicht ihr ein paar wollene Beinlinge als Geschenk. Da sie Interesse zeigt bietet er ihr an sie das Stricken zu lehren. Als das Gespräch darauf kommt dass der Schäfer nicht lesen und schreiben kann entscheiden sie sich gegenseitig etwas beizubringen. Sie lassen sich gemeinsam im Gras nieder und nachdem Davide ihr gezeigt hat wie man die Maschen aufnimmt und abstrickt schreibt sie ihm erst seinen Namen und dann die anderen Großbuchstaben auf ihre Wachstafel und erklärt ihm die Bedeutung. Während sie das gerade gelernte vertiefen unterhalten sie sich über die Schrift der Sarazenen, dann über die Kirche und den Glauben. Als Davide erwähnt dass er es vermisst in die Kirche zu gehen bietet sie ihm an ihm beim nächsten Mal aus der heiligen Schrift vorzulesen. Später erkundigt Davide sich über das Pack von San Donato woraufhin Angelique ihm den Pakt von San Donato erklärt. Dann wandert ihr Gespräch zu persönlichen Überzeugungen und die beiden bekräftigen ihre Freundschaft zueinander. Schließlich trennen sich ihre Wege mit dem Vorsatz sich bald wieder zu treffen.