[1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

[Februar '21]
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Signora Achilla
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ja, das hat sie wohl”, meinte die Signora da langsam. Und dann: “Ich glaube, es ist der Lauf der Welt. Dies, jetzt, in jener einen Stadt, sehen wir an und erkennen einen Wandel. Wahrscheinlich einen, der sich als Echo in der Tagwelt weitertragen und ihre Geschicke bestimmen wird. Und zugleich geschieht solcherlei immer wieder, an hundert mal hundert Orten zugleich. Und dahinter stehen solche vom Blut, die Nacht, eine verborgene Welt. Manchmal steht dahinter nur das Versagen eines Einzelnen… oder das Begehren einer Einzelnen. Irgendein Fall, ein Griff zur Macht, manchmal nur die Unfähigkeit irgendeines Untergebenen in der Kette, Tag oder Nacht.”

“Ich glaube, dass dies Geflecht unendlich fein betrachtet werden kann. Oder man kann sich weit, weit fortstellen, dass man nur die gröbsten Strömungen sieht - wenn man einen Blick für solcherlei hat und das Wissen, sie auch zu erkennen.”

Die Signora neigte den Kopf ein wenig. “Wenn ich Stücke schreibe, nach altem Vorbild und mit neuem Blick, dann denke ich oft, wie es einst wohl war. Wer damals lenkte und wohin. Kann ich dann die alten Geschichten besser verstehen, wenn man die Welt dahinter kennt?”

“Ich schreibe gerade jetzt an einem Stück und frage mich auch: Wenn es in hundert Jahren noch einmal aufgeführt würde, würde irgend jemand es verstehen? Oder würde man eine neue Bedeutung darin suchen? Oder einfach nur den Teil hernehmen, der darin zeitlos ist? Ein gutes Stück braucht immer eine Sache darin, die sich nicht auf das eigene, rasche Geschehen beschränkt. ‘s braucht auch immer etwas, das alle Zeiten überdauert, weil’s eine Wahrheit ist, die man immer erkennen kann, alt oder neu.”
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Ilario
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Ilario »

"Ein Theaterstück, wie auch die Wahrheit, erscheint mir wie ein Schatten. Auf den ersten, unbedarften Blick scheinbar klar erkennbar was der Ursprung ist, der Kern des Ganzen, doch verändert man den Blickwinkel oder auch die eigene, innere Perspektive... so offenbart sich, Schicht um Schicht, mehr. Es kommt, wie so oft, darauf an was wir sehen können und was wir sehen wollen."

Ein melancholisch-nachdenklicher Ausdruck huschte über des Hüters Gesicht.

"Was man wohl in einigen Jahrhunderten über dieses Stück, diesen Tanz, den wir hier in Genua aufführen denken wird?"
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Signora Achilla
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Antwort, die die Signora darauf gab, stand in einem abrupten Gegensatz zu ihrem zurechtgemachten Äußeren und oft gezierten, verschnörkelten Gehabe. Es klang beinahe kaltschnäuzig, jedenfalls aber wohl sehr handfest, als sie erwiderte:
“In ein paar Jahrhunderten? Nichts. Vielleicht ein paar Geschichten, über diesen oder jenen Mächtigen, der heute ist. Oder diese oder jene, die von heute bis dahin überdauert hat. Doch sonst? Ein paar Geschichten, die eben überdauern, weil sie sich gut erzählen lassen - nicht unbedingt, weil sie wahr sind.”

Sie zuckte mit den Schultern. “So ist’s mit den meisten Geschichten. Wenn man gelernt hat, dahinter zu schauen, dann wird man weniger stolz, so glaube ich. Man muss sich nicht länger einbilden, dass man selbst oder die Wahrheit wirklich eine Rolle darin spielen. Wenn überhaupt, dann ist es das größere Ganze unserer Taten, die auf Dauer eine Rolle spielen: Dass wir die Stille eingehalten haben. Die See der Schatten. Das Echo unserer Taten, so wie es die Tagwelt manchmal bestimmt. Solche Dinge.”

Sie hob in einer plötzlichen, leichten Geste die Hände für eine verschnörkelte, verspielte kleine Geste mit tanzenden Fingern. “Doch wir? Unbedeutend in den allermeisten Taten. Und wenn einmal der Punkt überwunden ist, da diese Tatsache den eigenen Stolz nicht mehr verletzt, da kann man erkennen: Dies macht unglaublich frei.”
Diese letzten Worte klangen gegen die schnöde Bodenständigkeit von davor nun fast heiter, so plötzlich wie auch die leichte Geste gekommen war.
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Ilario
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Ilario »

"In vielem mögt ihr recht haben, insbesondere auch wenn man den eigenen Stolz, womöglich gar Arroganz, hinterfragt. Dann vermag man nicht nur klarer zu sehen, als auch länger zu überleben. Viele sind schon für ihren Stolz oder ihr falsches Verständnis von Ehre gestorben oder vernichtet worden. Ebenso sind, auf lange Sicht, die meisten unserer Taten ohne größere Bedeutung... Doch es gibt sie, bedeutsame Momente in denen unsere Taten etwas bewirken, das die Jahrhunderte überdauert."

Einen Augenblick runzelte Ilario die Stirn, als hätte die Signore etwas gesagt, dass eine andere Seite in ihm ansprach. Sorge legte sich wie ein unsichtbarer Schatten auf seine Miene.

"Wenn ihr euren Gedanken fortführt und weitere Punkte überwindet, euch frei macht von diesem oder jenem Gefühl und nach und nach alles für unbedeutend erklärt... Wo werdet ihr dann letztendlich landen? Wenn nichts mehr etwas bedeutet, dann seid ihr nicht frei sondern einsam. Es gibt einen Ort an dem nichts mehr eine Bedeutung hat und glaubt mir, dort wollt ihr weder physisch noch spirituell stranden."
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Signora Achilla
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Signora Achilla »

Das ließ die Signora einen kurzen Moment stocken. Sie schien überrascht von diesen Worten aus Ilarios Mund und nahm sich den Moment, um ihre nächsten Worte mit Sorgfalt zu wählen:
“Was Ihr beschreibt, das kann ich nur erahnen. Es ist der Abgrund an welchem der Pfad, auf dem ich durch die Nächte gehe, eng und immer enger vorbei führt.”

“Doch er führt eben auch nur daran vorbei: In den Abgrund hinein gehen jene, die sich danach sehnen, alles abzulegen. Das wäre die Freiheit von allem nur um ihrer selbst willen. Doch wofür? Das ist gar nicht das Ziel, eh?”

“Was frei macht, das ist das Abschütteln all der unnötigen Lasten, die wir mit uns schleppen und auf der Reise durch unsere Nächte anhäufen. Stolz ist ein Beispiel für eine solche Last.”
Für einen Moment zögerte sie und zuckte dann mit den Schultern. “Die Kunst liegt darin, sich die Ziele zu behalten, die’s wert sind: Strahlende Lichter in unserer Nacht, auf die wir zuhalten können. Und vielleicht ist ein guter Teil davon falsch, von Nahem betrachtet, oder vergänglich und flüchtig. Auch das ist eine Lehre, so denke ich.”
Sie lachte einmal und wiegte den Kopf.

“Ein paar dieser Lichter jedoch sind Sterne, die bleiben und überdauern. Doch so oder so ist kein Schritt vertan. Auch die flüchtigen Lichter leuchten schön und jedes Einzelne erzählt uns eine Lehre, eine bescheidene Weisheit, eine Freude, die in Erinnerung bleibt.” Nun zuckte sie mit den Schultern, stockte wieder einen Moment und ihre Stimme wurde ein wenig leiser.

“Doch wovon Ihr sprecht… das ist vielleicht eben jener Schrecken, vor dem man auf diese Weise flüchtet? So eilt man von Licht zu Licht zu Licht, damit man nicht eines Nachts dort verloren geht, wovon Ihr sprecht… .”
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Ilario
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Ilario »

"Wahrlich, die Worte einer verborgenen Poetin. Passt auf euch auf, die Toreador werden euch hassen für das was ihr seid."

Ein sachtes Lächeln begleitete jene Worte, machen unklar ob es nur ein Scherz gewesen sei oder ob nicht doch Wahrheit in ihnen steckte.

"Der Weise orientiert sich an den Lichtern, den Sternen, doch er fürchtet nicht die Finsternis. Wir alle wandeln als Nachkommen Kains stets am Abgrund, um ihn zu wissen bewahrt davor den einen Schritt zuviel zu tun... Denn wenn wir erst einmal zu weit gegangen sind mag de Weg zurück unmöglich sein.
Für meinen Teil halte es für wichtig zu wissen was einem Licht in der Dunkelheit zu sein vermag, welche Sterne einem jenen Halt geben den es braucht."


Gedankenverloren blickte der Magister gen Nachthimmel. Vielleicht war all das Ränkespiel nicht mehr als Ablenkung, nutzloser Tand der einen ablenkte und dennoch davor bewahrte durch Langeweile dem Tier zu verfallen.
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Signora Achilla
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Signora Achilla »

Da lachte die Signora und meinte: “Ai, die Poesie ist in der Tat ein sehr zweischneidiges Schwert und nicht selten ist’s der Poet, der blutet, eh?” Ihr Augenzwinkern gelang nicht recht, denn die Maske machte es zunichte. Etwas kleines, braunes, kroch zu eng über ihrem Augenlid vorbei. Sie schien es nicht zu bemerken.

“Doch die Frage danach, wer sich nach welchen Sternen richtet? Das ist eine, mit der man die Welt aufschließen kann. Die der Sterblichen und der Unsterblichen, so denke ich: Wenn man weiß, was den anderen wert oder unwert ist, wichtig oder nichtig, Ziel oder Grund zur Flucht? Ja, dann versteht man sie und ihren Teil von der Welt.”

Sie zuckte mit den Schultern. “Ich hätt’s nie als eine kühle Gelehrtheit verstanden. Das ist neu, so wie Ihr es sagt. Mit Euren Worten klingt es wie… wie Berechnung und Strategie so wie ein römischer Feldherr sich Truppen auf einer Karte anschaut?” Für einen Moment zögerte sie und meinte dann: “Doch ich denk’, das kann nur die Hälfte sein. Diese Dinge sind nicht allein Gelehrtheit, können’s nicht sein. Dafür sind sie zu sehr unsere Natur - und die der Menschen. Zu verworren, wild, hässlich, schmutzig, klebrig und schwitzend, blutig und brutal, schrecklich schön, leidenschaftlich, müde und all die anderen Dinge mehr. Wir? Wir können uns davon so wenig freisprechen wie die Menschen. Vielleicht macht’s unser Tod und Werden nur noch verworrener, macht jene Lichter und Sterne strahlender und die Finsternis damit nur tiefer.”
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Ilario
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Ilario »

"So ist es."

Ein müdes Lächeln trat zutage als Ilario an seine eigenen Erfahrungen dachte.

"Allzu oft sind es kleinliche Kränkungen, schmutzige kleine Angewohnheiten und niedere Triebe, die als ursprünglicher Grund für Feldzüge, Fehden und Intrigen gelten können. Bei unsereins wie auch bei den Menschen.

Die Nacht Schreitet voran werte Harpye, unsere Geschäfte sind beschlossen. Es wäre mit jedoch eine Freude, solltet ihr ab und an Zeit finden für solch erbaulichen Austausch von Gedanken. Viel zu selten findet man jemanden der bereit und fähig ist seine Gedanken derart in Worte zu fassen."


Die letzte war Seresa gewesen, die leider viel zu früh vergangen war. Ein Hauch Melancholie huschte über des Hüters Miene.
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Signora Achilla
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Re: [1045] Der Geheime Garten [Achilla, Ilario]

Beitrag von Signora Achilla »


Ursprünglich aufgrund eines Bittgesuchs von Achilla kommen sie und Ilario Contarini im Elysium zusammen. Das Gespräch entwickelt sich jedoch ein wenig anders. Beide schließen einen Handel miteinander und das Gespräch entwickelt sich dann über Achillas Andeutungen zum Theaterstück zu nahezu philosophischen Tiefen.
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