[Fluff] Am Anfang [Giada]

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Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Giada Salvaza Rossi
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[Fluff] Am Anfang [Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Genesis 1,1-25. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.

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Was aber bedeuten diese Worte in der Bibel, dem alten Buch der Bücher? Wenn ich tiefer denke, so erkenne ich daraus nicht allein die Schöpfung Gottes. Ich erfahre auch dies: Es war Finsternis bevor das Licht geschaffen wurde. Es war Finsternis, bevor Himmel und Erde geschaffen wurden.
Ich sage nun: Es wird Finsternis sein auch lange nach dem letzten Gericht, lange nachdem alle Schöpfung wieder verging. In meinem Blut trage ich die ständige Erinnerung an diese Wahrheit.

Und weshalb hat dies Bedeutung für eine wie mich, die ich weltgebunden bin? Ich bin einst geschaffen worden, selbst mein lebloser Leib ist Teil dieser vergänglichen, sterblichen Welt, welche sich wie ein allzu straff und dünn gespanntes Tuch über die Finsternis spannt, welche zuvor war und hernach noch immer sein wird?

Ich will hier Zeugnis ablegen über meinen Irrtum und meinen Hochmut. Dann über meine Erkenntnis.


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Für diese Nacht hatte sie sich vorbereitet. Es war Neumond und in den letzten Nächten, als die schmale Sichel des Mondes immer schmaler geworden war, hatte sie sich vorbereitet: Sie hatte gefastet, solange der Mond zunahm, und sich genährt und gestärkt, sobald er abnahm.
Eine jede Nacht hatte sie den Gang nach San Giorgio gemacht, begleitet von ihrer Dienerin und einem Wächter, um eine Spende dort zu lassen, um zu beten, um eine feste Fassung für ihre Gedanken zu finden. Alles ging, wie es sollte, denn sie hatte ein festes Ziel vor Augen. Sie hätte es bereits dann besser wissen sollen.


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Sie stand in der Stille ihrer Kammer. Ein paar wenige Kerzen glommen matt hinter Schirmen aus dünnem Tuch und tauchten den Raum in warmes Licht.

“Versucht euch darin mittels eures Willens jene Finsternis in diese Welt zu rufen, Finsternis, die auch eure Vitae durchdringt.” Diese Worte rief sie sich wieder in ihre Erinnerung, nicht zum ersten Mal. Doch dieses Mal ließ sie den Worten ihre Tat folgen: Sie spürte der Macht ihres Blutes nach, wusste genau, wovon dieser Lehrmeister gesprochen hatte. Es gab sie, jene Finsternis. Und sie lag ihr im Blut. Nun rief sie sie wach und für einen Moment schien es beinahe zu gelingen: Ein Ruck wie ein Herzschlag fuhr durch ihren toten Leib, presste das tote Blut durch ihre Adern, riss an ihrem Körper. Doch dann folgte die Gewalt eines Druckes als hätte sie versucht, sich die Last der gesamten Welt aufzuladen. Giada brach in die Knie und wurde noch tiefer herunter gepresst bis sie sich auf dem Boden wand wie ein Wurm unter dem Stiefel. Sie keuchte, weil ihr jede Luft aus den Lungen gewürgt wurde. Sie spie Blut, es rann ihr aus den Augen und den Ohren, wurde von einer Gewalt hervor gepresst, die keine Gnade kannte.
Erst, als ihr Wille zu zerfasern drohte und jeder Ruf, jede Konzentration, jeder Funke Macht, den sie vielleicht aufgebrachte hatte, flackernd erlosch, ließ langsam die Gewalt nach.

Lange blieb sie so liegen, in einer Lache ihres eigenen Blutes. Dumpfer Schmerz pochte durch ihren Körper während sich nur langsam zerdrückte Rippen und Organe wieder richteten. Hunger und Wut brandeten in ihr auf und ebbten ziellos wieder ab.

Niemand kam. Niemand interessierte sich für ihre Unfähigkeit, ihre Niederlage. Was war fehlgegangen? Es mangelte ihr nicht an Willen. Und gewiss mangelte es der Hexe nicht an Macht. Doch was war es dann? In einem jähen Anfall blinder Wut legte sie die schwere Tür in Trümmer. Ihre Wut verhallte ungehört und bedeutungslos.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [Fluff] Am Anfang [Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

So wie die Finsternis schon zuvor und auch immer sein wird, so ist unser Erdensein flüchtig. Alles in dieser Welt, vom ersten bis zum letzten Sonnenstrahl, vom unbedeutenden Staubkorn bis zum höchsten Berg, vom geringsten Bettelmädchen bis zum mächtigsten Kaiser und Papst ist vergänglich. Nichts hat ewigen Bestand.

Was mir im Blute liegt, ist die Erinnerung daran. Wir sehen es nicht gern, denn wir gehen gern auf festem Grund. Wir halten gern an verlässlichen Dingen fest. Doch unsere Welt ist brüchig und laut, grell und wirr, zerrissen und getrieben.

Was war mein Fehler? Mein Hochmut. Die Antwort lag doch in den Worten dieses Mannes, der mir eine Lehre zuteil werden ließ. In meiner Hochmut hörte ich nur nicht genau genug hin. Wie lautete doch der zweite Teil? ‘...Tut dies allerdings abseits aller Blicke der Menschen und auch ohne eure Blutdiener in unmittelbarer Nähe, es vermag Menschen zu töten oder zumindest schwer zu verstören.’ Ich hielt dies für einen handfesten Rat, welcher meine Diener und anderes umher schützen sollte - oder einen Hinweis auf eine mögliche Waffe in unserer Hand. Doch es war mehr als das. Es sagt dies: Diese Welt und ihr Sein sind unverträglich mit der Finsternis, welche zuvor war und weiter sein wird. ‘Anathema’ ist das einzige gelehrte Wort, welches ich finden und hierauf anbringen konnte. In meinem eigenen Blut trage ich das Zeugnis eines Abgrunds, dem alles Sein fremd ist: Greifbares, Denkbares, Zeit, Erde und Himmel. Die Fremdartigkeit lässt mich schaudern, die Erhabenheit macht mich ehrfürchtig. Was ist dies, was mir im Blute liegt?


Als sich Giada Monate später wieder in ihre Kammer zurückzog, um erneut zu wagen, worin sie zuvor versagt hatte, hatte sich ihre Welt verändert. Oder vielleicht war es nicht die Welt, die sich geändert hatte, doch ihr Blick auf sie? Wieviel Wert hatten die Dinge um sie her, wenn unter jener dünn gezogenen Schicht der Schöpfung Gottes doch Nichts lag? Und wenn selbst die Mächtigsten nur Staub waren, was war dann sie selbst?

Doch jene Finsternis lag ihr im Blut. Als Ahnung war sie ihr in die Gedanken gekrochen und reichte bis zu ihrer Seele hin. Ihr Körper und Sein war jedoch ein Ding dieser Welt und darin lag vielleicht der Schlüssel.
Wortwörtlich ein Schlüssel, denn dies war, was sie in dieser Nacht tat: Sie spürte jener Finsternis nach, der wahren Macht ihres Blutes. Sie sah die Welt um sich her, die grobe, einfache Kargheit ihrer Kammer. Stein und Holz, kalte Nachtluft und die Trockenheit des Sommers.

Doch dann formte sie aus jener Finsternis den Schlüssel, der sie selbst und die Welt aufschließen sollte. Sie brauchte nicht zu rufen und sich daran zu zerbrechen. Sie musste nur das Tor öffnen, einen winzigen Spaltbreit nur, ein winziges Loch im Tuch der Nacht, fein wie ein Nadelstich. Der Stoff, aus dem das Sein war, konnte das Nicht-Sein nicht tragen, nicht ertragen. Und durch diese winzige Öffnung, die sie schuf, durch den Mord eines winzigen Teils dessen, was war, konnte die Finsternis eindringen.
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