[Fluff] Begraben und vergessen [Jacques]

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Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Jacques Benoît
Nosferatu
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[Fluff] Begraben und vergessen [Jacques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Das alte Römergrab lag staubig und still im Dunkeln.

Seine Steine erzählten von einem mächtigen Trümmerschlag, der - Jahrzehnte her - den Eingang hat zunächst erzittern und schlussendlich einstürzen lassen.

Doch was ist das schon für eine Zeit für etwas so ewiges wie einen Stein, nicht wahr?

Ein länglicher Leinensack lehnte in einer der Ecken, bedeckt mit heruntergerieselten Steinchen und Staub, vermutlich vom Einsturz im vorderen Bereich. In dessen Mitte schien sich wohl irgendwas auszubeulen, doch es war schwer zu erraten was es war, hatte der Zahn der Zeit, der Gilb und verschiedene heimische Flechten sich dort hoch, entlang und hindurch gefressen.

Jacques spürte seit langem seine Finger zum ersten mal wieder richtig, schlug die Augen auf und versuchte sich zu bewegen.
Der Leinensack zuckte ungeschickt und kippte zur Seite.

Der Nosferatu schlug unsanft mit dem Kopf auf, jedoch verrückte der Sturz durch den Stoff die letzten Reste des morschen Holzes und es splitterte in mehrere Teile, der Länge nach, wobei einige herausglitten.

Mehr Freiheit für die Hände!

Lange knochige Finger bewegten sich vorsichtig entlang der abgeranzten, groben Robe und fanden nach einer gefühlten Ewigkeit das faulige Holz und Splitter für Splitter wurden gezogen wie Zähne.

Langsam.
Schmerzhaft.
Ekelerregend.
Befreiend.

Es dauerte... beinahe die halbe Nacht, auch wenn es immer schneller zu gehen schien.

Stoff riss und ein kehliges Pfeifen hallte leise durch den ansonsten völlig stillen Raum, als sich die Kreatur in der Finsternis aus ihrem vergammelten Kokon schälte.

Wie viel hatte er wohl verpasst?
Wie lange hatte Jacques hier gelegen?

Er hatte irgendwann - nicht ungewöhnlich für ihn - den Überblick verloren wie lange er bereits hier war. Fünf Monate? Fünf Jahre? Fünfzig vielleicht? Hundert?

Langsam begann der den Einsturz abzutragen, Stein für Stein.
Die größeren Exemplare waren verkeilt und ließen sich nicht einmal mit größter Anstrengung bewegen, doch einige kleinere konnte er wegräumen.

Als er einen armbreiten Kanal ins vermeintliche Draußen geschaffen hatte, begann er ihn zu verbreitern.
Irgendwann würde sein Kopf hindurchpassen.
Und schließlich irgendwann später - er selbst.

Doch das war etwas für nächste Nacht. Hier war er zumindest diese Nacht sicher, dachte er.
Er war hier nicht gestört worden, warum sollte sich das über Nacht ändern?

Der Hunger brannte in ihm heiß, als er am nächsten Abend erneut nach den Steinen griff.
Das Loch durch das er sich zwängte war nur unwesentlich breiter als sein Schädel es war, doch seine Haut, seine Knochen und seine gesamte Verfassung machte es ihm möglich hindurchzukommen, wo nicht einmal ein wahrhaft gelenkiger Mensch hindurchschlüpfen würde können. Freiheit. Endlich!

In dieser Nacht fand so manche Ratte ihr Ende in den Fängen des hungrigen Vampirs.
Es war gewiss nicht das Blut nach seinem Geschmack, aber für den Moment musste es genügen.
Morgen konnte er wieder richtig jagen gehen.

Diese Luke unter einer halb verschütteten Treppe, in einer schmuddeligen Seitengasse im Herzen Claviculas, aus der er diese Nacht gekrochen war... war fürs Erste wohl seine neue Eingangstüre.
Niemand wollte hierher.
Es stank hier nach Tod.
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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Jacques Benoît
Nosferatu
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Re: [Fluff] Begraben und vergessen [Jacques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Der Wind wehte unfreundlich über die Kronen der Bäume, er pfiff als würde ein nimmer enden wollender einzige letzter Atemzug einer durchschnittenen Kehle entweichen, als Jacques in den Ruinen seiner alten Behausung saß. Er hatte Clavicula an einigen Ecken wiedererkannt, an einigen überhaupt nicht mehr. Ausgebrannte und zerstörte Häuser, verschüttete und umgekippte Bauten, Zugänge und Wände. Alles war noch viel heruntergekommener, seit nicht nur irgend eine absurde Gewalt von oben die Dächer einriss - der Zahn der Zeit selbst zernagte mit Witterung und Moder das was übergeblieben war. Es war ein Bißchen wie an einem Flusslauf einen Karren mit Maultier und Besitzer ins Wasser zu schubsen. Einige Dinge trieben auf, andere gingen unter, doch am Ende... erledigte die Strömung den Rest.

Er würde das Haus hier wieder herrichten, irgendwann. Es war immerhin nicht umsonst unbeachteter Leerstand. Einige gestohlene Ziegel frisch von den Öfen, ein paar geklaute Bretter von den Holzfällern unweit der Stadt, ein Bißchen Lehm aus einer Grube hier oder dort, ein paar ähnlich kaputte Häuser ausweiden - das würde schon irgendwie werden. Doch lösen würde es das Problem das diese Bauten zerlegt hatte nicht. Wenn er wollte, daß es ihm Schutz im Schmutz bot, würde er unter die Erde verschwinden müssen. Graben vielleicht? Graben lassen? Er griff in den Beutel, den er jüngst mit einer Ratte gefüllt hatte, die er irgendwo hatte fangen können. Heute war die dritte Nacht und sein Blut - so widerlich es war - fand den Weg hinunter in die Kehle des Nagers. Er hatte die Kreatur auf den Namen Primus getauft, war es schließlich sein erster - und zuweilen einziger - Diener.

Primus rieb sich mit aller Gewalt die Schnauze, nachdem er vom widerlichen Blut gekostet hatte, es schien ihm noch nachzuhallen, als der Nosferatu die Ratte an ihrem Schwanz hochhob und im fahlen Mondlicht ein paar süße wohlklingende Worte an sie richtete. Die Ratte ignorierte ihn, bis ihm einfiel, daß sie natürlich nicht so sprechen können würde, wie er es tat - und somit auch ein jegliches Verständnis dafür fehlte. Er konzentrierte sich und blickte ihr in ihre kleinen dunklen Augen. "Du wirst mir gehorchen und tun was ich Dir sage. Dann wirst Du ein leichtes Leben und immer eine fette Beute haben.", machte er der Kreatur klar. Wie viel davon tatsächlich bei ihr ankam, war für ihn schwer zu sagen, doch als er den Nager wieder absetzte, verschwand er nicht wie der geölte Blitz im hinteren Gebälk, sondern lief einige Male um ihn herum, bevor er an seiner Robe hochkroch und wieder in dem Beutel verschwand in dem er die letzten Tage verbracht hatte. Vielleicht aus neu gefundener Realität. Vielleicht wegen dem Kanten Brot, der dort noch lag.
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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Jacques Benoît
Nosferatu
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Re: [Fluff] Begraben und vergessen [Jacques]

Beitrag von Jacques Benoît »

Die Monate zogen ins Land und Jacques war mittlerweile ganz zufrieden. Der versteckte Zugang unter seiner baufällig erscheinenden Bretterbude führte mittlerweile durch ein enges, mit Steinen aus dem Römergrab verstärktes Loch, durch das eine Katze hindurchpasste, aber kaum ein Mensch. Zum Glück war er kein Mensch. Nicht mehr. Bevor er das Loch so versiegelt hatte, daß man dort nicht mehr einfach hindurch konnte, waren einige Wochen wirklich schwerer und langwieriger Mühen vor ihm gewesen. In größeren Säcken abgepacktes Erdreich musste raus, Balken und Stützsteine mussten rein, Werkzeuge und allerlei wurde verbraucht und musste neu... "geborgt" werden. Schaufeln, Spitzhacken und dergleichen.

Doch nun hatte er was er wollte. Mit Vergonzos Hilfe und sachkundigem Wissen hatte er nun einen größeren Raum ausgehoben, dessen Decke einige Meter unter dem Matsch und Dreck von Clavicula begann. Es war kein Palast, nichts wo Teppiche den Hall unterdrücken mussten oder von einer solchen Größe, daß er mehr als zwei Kerzen brauchen würde, um das auszuleuchten, aber es war einsturzsicher gebaut und vor neugierigen Blicken, der Sonne und Witterung geschützt. Er hatte das Zustiegsloch, welches an einem Seil nach unten führte sogar tiefer gebaut als er es brauchte, denn sollte es regnen, war das letzte was er wollte, daß ihm seine Behausung volllief. Das zu verhindern half auch eine geteerte Holzkonstruktion oben am Zugang, die er zunächst mit Schutt, später mit Zweigen und Straßenschlamm als Eingestürztes Dach tarnte. Was die Menschen nicht sahen, das war nicht in ihrer Welt - das wusste er. Und das galt für Gebäude genauso wie für ihn selbst.

Der nächste Schritt würde erneut ein riskanter werden, doch auch ein wichtiger. Von seinem jetzigen Loch aus brauchte er einen weiteren Ausgang. Und vielleicht noch einen. Der Baumeister hatte ihn bei der letzten Rundführung durch ihr Stadtviertel auf den neusten Stand gebracht, wo nun was war und wo er sein sollte und wo nicht, was sich lohnte und was weniger. Doch was, wenn er diesmal die ganze harte Arbeit nicht mehr alleine machen musste? Konnten nicht Maulwürfe und Dachse auch graben? Dann würde er nur die lockere Erde die sie hinterließen entfernen müssen und könnte sich darauf konzentrieren... Der Nosferatu hob gedankenverloren eine seiner Ratten am Schwanz hoch und beobachtete wie das Tier zappelte. "Es wird Zeit, daß wir's uns hier ein wenig gemütlicher machen, nicht wahr?", fragte er das Tier, ohne eine ernsthafte Antwort zu erwarten.

Bald würde wieder gegraben werden. Und die Säcke, die leer weiter hinten bei dem Gerümpel lagen welches er gesammelt hatte, würden wieder prall gefüllt und herausgetragen, einer nach dem anderen.
Was man nicht alles tun konnte, sich die ewige Zeit zu vertreiben...
Ich kann nicht, solange sie noch atmen.
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