[1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

[Mai '22]
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Der Griff jener Rechten Hand mag subtiler scheinen als die geballte Macht - oder Faust - eines Fürsten. Jedoch ist dieser Griff deswegen nicht lockerer oder gar nachlässig.” Giadas Antwort war kühl, gelassen und unerschütterlich. Sie hatte gelernt, eine ganze Existenz am Halt jenes festen Griffes zu errichten.

Sie neigte den Kopf. “Ihr fragt, was Ihr für mich tun könnt. Doch ich bin es, die mit einem Anliegen hierher kam und zugleich ein paar Antworten für Euch mit brachte. Der Beginn einer Vorstellung geht stets leichter mit einigen Gaben.” Sie machte eine Geste zu den Schriftrollen hin als wäre das alles, was sie ihm gegeben hatte.

“Wenn wir sehen, dass unser Austausch gut verläuft und fruchtbar ist, dann gibt es keinen Grund, ihn nicht zu vertiefen und zu verbessern.”
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Il Canzoniere
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Er verzog das Gesicht zu einem unförmigen Schmunzeln. Es wirkte nicht so das es einer der eher seltenen Ausdrücke sei, nur einer der eher unpassenderen, da seine aufgedunsene Fleischigkeit nicht mehr all das hergab was es zu Lebzeiten einmal hergegeben hatte.

"Dann lautet die Frage also was ihr für mich tun könnt?" nahm er die letzte Option auf die er aus ihren Worten zu greifen vermochte. "Eine schwierige Frage, für das erste Treffen oder? Immerhin haltet ihr euch offenbar sehr nebulös und kurzangebunden bis an den Rand der Unhöflichkeit, über alles was euch betrifft." gab er ihr gleich eine kleine Quittung dafür mit das er kurz davor stand mit dem Raten zu beginnen.

Einen Moment blickte er sie schweigend an, mit einem missgünstigen Blick aus den beiden Schweinsäuglein hinaus, dann schob er die Worte mit einer Geste zur Seite und begann erneut breit zu grinsen: "Mit welchen Mathematica beschäftigt ihr euch in der Regel? Schattenwurf?" das letzte Wort enthielt eine kleine Prise Humor, als ob er ihr noch einmal die Hand reichen wolle.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Humor war nicht eben eine von Giadas Stärken. Oder wenn, dann waren die Dinge, über die sie lachte, scharf und zweischneidig.
Und so dauerte es einen langen, vage unangenehmen Moment, bis sie diesen Scherz Benedettos begriff. Sie blinzelte einmal langsam und starrte ihn dabei recht ausdruckslos an.

“Ha.” Sie schnaubte einmal. Das konnte nicht wirklich als ein Lachen zählen, aber vielleicht immerhin als eine Anerkennung für den Scherz.
“Ihr habt sogar recht damit. Ich beschäftige mich dieser Tage mit Zahl und Maß, Gleichmaß und Symmetrie. Deren Anflüge sind in Gottes Schöpfung zu erkennen und mit dem Werkzeug dieser gelehrten Kunst sind uns die Mittel gegeben, eine Ahnung jenes göttlichen Funkens zu erkennen.”

Nun lächelte sie sogar einmal. Es war ein kurzes, freudloses Lächeln und so schnell wieder verschwunden wie es gekommen war. “So lässt sich wohl auch der schleichende Makel erkennen, der Schatten des Versuchers und das Erbe der Strafe aus dem Sündenfall.” Sie hob die rechte Augenbraue. “Selbst in den einfachsten Dingen kann man auf diese Weise die Anzeichen des Größeren erkennen.”

Giada war eine Blutstochter ihrer Erzeugerin. Viele vergaßen dies gern und schnell, sahen einfach eine Enkelin Totilas. Doch was in dieser Welt war schon einfach und klar?

“Es ist faszinierend. Ein jedes Mal, wenn ich einen Schritt voran in meinem Verständnis mache, ist es als könnte ich mehr von der Beschaffenheit der Welt erkennen. Die Dinge fügen sich ineinander. Gewiss wird es Euch in Euren eigenen Studien ähnlich gehen, wenn dessen Strukturen vor dem Auge Eures Verstandes klarer werden?”
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Il Canzoniere
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Er schnaubte amüsiert, schüttelte eifrig den Kopf. So sehr das das locker sitzende Fettgewebe an seinem Hals hin und herschlackerte. "Nein, ganz im Gegenteil. Umso tiefer ich einsteige, umso mehr Fragen tun sich auf. Beantworte ich einen offenen Punkt merke ich das es dahinter noch mehr Wahrheiten gibt. Und es ungesehene Verknüpfungen mit ungeahnten Themen gibt. Umso mehr man weiß, umso weniger weiß man, soviel ist klar." dann machte er eine kurze Pause, sah sie erneut abschätzig an, leckte sich dabei langsam über die bleichen Lippen.

"Die Mathematica kann bei einigen dieser Probleme helfen, bei anderen steht sie einem jedoch nur im Weg. Ich sehe diese Wissenschaft ziemlich zwiespältig, auch wenn die Sarazenen so viel auf sie halten." zuckte er mit den Achseln. "Mit welchen anderen Hilfsmitteln arbeitet ihr? Zieht ihr bereits Informationen aus jener Schattenwelt die mit eurem Blute verbunden ist?" fragte er dann ganz offen, als ob es ein Thema sei das man beim ersten Kennenlernen durchaus einmal ansprechen könne.

Vielleicht wollte er auch nur sehen wie sie auf solcherlei Dinge reagiere.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Giada beantwortete diese doch recht offensive Forschheit damit, dass sie die rechte Augenbraue hochzog und Stille einkehren ließ. Einen Herzschlag lang, den keiner von ihnen beiden mehr spürte. Zwei. Drei.
Es war nicht so, dass sie zögerte oder lange an einer Antwort feilen musste. Diese Sekunden der Stille sprachen für sich: Benedettos Vorstoß bewegte sich auf sehr trügerischem Grund.

"Keiner von uns, auch ich nicht, würde sich den Lehren unseres eigenen Blutes verschließen. So wie die Euren das Totenreich für sich auftun können, können die meinen in die Essenz der Nacht blicken. Die Lehren, die wir daraus ziehen, kennen kein Ende, von welchem ich wüsste. Es wäre interessant, zu ergründen, wo die Unterschiede liegen."
Diese Antwort klang sachlich, beinahe harmlos. Nun war sie es, die seine Reaktion abschätzen wollte. Wie eifrig war er? Wie begierig?

"Ich sprach einmal mit einem der Nosferatu hier, einem ...Jacques? Er behauptete, auch an diesen Erkenntnissen des Totenreichs zu forschen. Er überlegte laut, dass man es als eine Zwischenwelt sehen könnte, durch welche die Seelen treiben, hin zu einer unweigerlichen Zersetzung und Auflösung. Er vermutete, dass diese Zersetzung jener nachtschwarze Abgrund sei, zu welchem mein Blut solche Verbindung haben soll." Sie beobachtete weiter. Jacques' Spekulationen von Jahren oder Jahrzehnten zuvor hatten sie oft heimgesucht. Sie waren gotteslästerlich, schrecklich, trostlos, geheimnisvoll, erklärend und verwirrend zugleich. Der Nosferatu war wahrscheinlich nichts als ein Wahnsinniger, ein Scharlatan. Doch seine Worte waren gut für diesen Moment jetzt, zwischen Benedetto und ihr.

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Wurf zum Einschätzen von Benedettos Reaktion (Wahrnehmung + Empathie): 4, 3, 1, 1 (Patzer)
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Il Canzoniere
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Die Worte die sie aussprach schienen Benedetto auf eine eigentümliche Art und Weise traurig zu stimmen. Ja die Melancholia schien ihn zu übermannen und wenn sie es nicht besser wüsste hätte sie ein Zittern, welches durch den ganzen üppigen Körper ging wie ein Ball auf einem Berg Götterspeise, bemerken können. Dazu ein verlassen körperlicher Säfte aus seinem aufgedunsenen Körper. Auch wenn das nicht sein konnte - oder nicht etwas doch? Lebte etwas im Körper des Kappadozianers? Lebte etwas an ihm? Hatte er das Geheimnis der Wiedergeburt entschlüsselt? Oder vergammelte er von innen heraus so sehr wie er es auch von außen zu tun schien? Aber war dies nicht gar ein Teil jenes Lebens, wenn auch nicht des eigenen?

Mit undifferenzierter Stimme sprach der Kappadozianer in der weiten Mönchskutte daraufhin weiter, begann ein paar Notizen auf eines der Wachstäfelchen zu ritzen, wie jemand der schon sehr viel Übung mit solcherlei Dingen hatte. "Das klingt für mich nach Spekulationen, seitens jener... Kreatur. Oder könnt ihr etwas davon bestätigen? Habt ihr Seelen in jenen abgründigen Reichen gesehen? Ich hatte immer angenommen die Lehren die ihr aus jenen Reichen ziehen könnt, haben nichts irdisches an sich. Das Mathematica hier nicht weit kommen oder liege ich da falsch? Ist jene Abgründigkeit wirklich berechenbar? Ein interessanter Gedanke. Sind jener Abgrund und das Totenreich ja nicht die einzigen Welten mit denen kommuniziert werden kann. Die Anbeter des Widersachers kommunizieren ganz ähnlich mit den Kräften der Hölle, wenn mich nicht alles täuscht. Basierend auf den Prinzipien der Mathematica. Während jene die den wahren Glauben in sich tragen offenbar eher... intuitiv vorgehen. Ohne jenes Kalkül. Aber sie schöpfen Kraft aus den Segnungen des Herren. Also gibt es auch hier eine gewisse... Kommunikation. Sind euch weitere solcher Phänomene bekannt? Dann können wir auch gerne über diese sprechen. Ich suche nur eine angemessene Vergleichsprobe um meine These zu prüfen." fügte er erklärend zum Schluss hinzu. Taxierte sie aus traurigen Augen heraus und befeuchtete seine Lippen vorsichtig.

"Ist der Abgrund berechenbar?" fügte er dann, mit ein wenig mehr Nachdruck, hintenan.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Zuerst war Giada einfach verblüfft von der absonderlichen Reaktion des Kappadozianers. Hatte sie etwas gesagt, um ihn derart traurig zu stimmen? War er womöglich einfach in seiner Zurückgezogenheit kauzig und eigenbrötlerisch geworden so wie es wohl mit so manchem Scriptor im Kloster geschah? Ein wenig irritiert beschloss sie, sein merkwürdiges Verhalten einfach zu übergehen und ihn nicht in die Bedrängnis zu bringen, dass sie ihn für seine offenkundige Absonderlichkeit auch noch verspottete.

Die Magistra räusperte sich also, straffte ihre Haltung ein wenig und mühe sich, seine Frage aufzugreifen. War der Abgrund berechenbar? Ha. So viel steckte hinter dieser Frage, dass es ihr doch wieder eine gewisse Achtung vor dem neugierigen Verstand Benedettos abrang. Doch jede Art von Neugier, die sich auf den Abgrund richtete, war gefährlich. Umso mehr, wenn sie von jenen kam, die ohne das Blut des Clans der Schatten durch die Nacht gehen mussten.

Dennoch, seine Frage war ernst zu nehmen. Sie hatte selbst allzu oft darüber nachgesonnen, über die Natur des Abgrunds, über die Natur der Dunkelheit selbst.

“Nein”, sagte sie langsam. “Wahnsinn liegt schon in dem bloßen Versuch.” Doch anstatt ihn an der natürlichen, harten Abwehr abprallen zu lassen, die mit der Verteidigung der eigenen Blutsgeheimnisse einherging, ließ sie das Angebot durchscheinen. Letztendlich war sie hier, weil sie ein Angebot machte. Und er war hier, weil er ein Ancilla in Genua war.

“Lasst mich erläutern, dann gebt Eure Gedanken hinzu”, begann sie also. “Das Totenreich, so ist meine These mit welcher ich in aller gebotenen Vorsicht über Eure Frage nachdenke, ist trotz seiner Trennung von der festen, lebendigen Welt um uns her, doch mit dieser verbunden.”

“Es ist ein Reich, in welchem es wenigstens doch das Echo des Lebens geben muss: Jeder Tod ist ein Teil des Lebens, welches er beendet hat, nein?” In Ermangelung von Wachstafeln, Kreide oder guten Unterlagen ballte sie einfach die Hand zur Faust und nutzte einen ihrer klobigen, eisernen Ringe, um dann auf ein Knie hinab zu gehen und mit dem Metall auf dem steinernen Boden eine simple Skizze zu zeichnen.

Simpel, weil sie kaum mehr war als eine Art Oval für die Welt mit all ihren Ländern, Wassern und Himmeln, ein Weltenrund. Daneben zeichnete sie einen Strich wie eine Grenze und dahinter eine Art Spiegel jenes Weltenrundes, einfach genug. Mit ihrer Gewalt, ihrer Faust und dem Eisen ging das auch auf dem steinernen Boden.

“Die lebendige Welt und, als wie ein Nachhall oder Echo, das Totenreich”, erläuterte sie ihre Skizze am Boden. “Ob das Fegefeuer, die biblische Vorhölle des Limbus oder das Zwischenreich des Purgatorium ebenso eng verbunden seien, will ich jenen überlassen, die solcherlei studieren.” Sie schnaubte einmal verächtlich, fuhr dann aber fort:

“Allem hier…”, sagte sie und machte eine Geste mit ihrer beringten Hand über ihre Skizze hinweg. “...ist gemein, dass es sich in der Schöpfung Gottes verankert. Der Kern ist die stoffliche Welt um uns her und alles, was ist, von der unbegreiflichen Seele bis hin zu dem einfachsten, greifbarsten Stein im Gefüge der Welt.” Wie um das zu verdeutlichen klopfte sie einmal mit ihren von endlosen Nächten des Grabens in salziger Erde geschundenen Fingerknöcheln auf den Boden.

“Das Maß von Zahlen und Werten, die Kunst der geōmetría der Griechen oder die Klarheit der al-jabr der Araber, aber wurzeln in eben dieser Welt." Damit richtete sie sich wieder in den Stand auf und studierte ihren Gegenüber mit Interesse. "Versteht Ihr? So wie ein Mann sich nicht an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann, so können wir nicht mit den Werkzeugen dieser Welt den Abgrund berechnen.”
Konnte er dies begreifen? War er überhaupt bereit für ein solches, gelehrtes Gespräch, das im Weltbild der allermeisten bereits weit über die Grenzen von Hybris und Häresie hinaus ging?
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Il Canzoniere
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Das ganze schien ihn auf irgendeine eigenartige Art zu belustigen, auch wenn das Thema noch so ernst sein mochte. Er starrte mit kleinen Äuglein auf die simple Zeichnung die sie vor ihm aufmalte, griffelte erneut mit jenem eisernen Werkzeug auf dem Wachstäfelchen vor sich herum.

"Ihr stellt damit die Theorie auf das jenes Schattenreich die Dunkelheit vor Gottes Schöpfung war? Jene die vollständig verging als er Licht in die Welt brachte? Ich hatte gedacht das Gott der Allmächtige die gesamte Dunkelheit veränderte. Sie war nun das Spiel von Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Sonne und Schatten. Ihr deutet jedoch an das es den hiesigen Teil der Schatten gäbe und jenen jenseits der Grenze von Gottes Schöpfung. Wollt ihr damit sagen der Allmächtige habe etwas übersehen, ignoriert oder es gar bewusst übrig gelassen?" seine Stimme klang voller Überlegungen, als ob er das ganze für gar nicht mal so abwegig hielt. War der feiste Mönch etwa ein Schwindler der jene Mönchskutte nur zur Zierde trug? Jene Gedanken waren sicherlich in vielerlei Augen ebenfalls dunkelste Ketzerei.

"Was ist mit jenem... Leben dort. Ist es Leben jenseits von Gottes Schöpfung?" mit offenem Mund starrte er sie nun an,während er über den Rand seines Wachstäfelchens stierte. Als ob er all dies gar nicht fassen könnte.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Giada balancierte schon so lange an diesem schwarzen Abgrund der Ketzerei, dass Benedettos Worte sie nicht wirklich überraschten. Doch sie musste sich unweigerlich fragen, ob er es darauf anlegte, sie dort hinab zu stoßen.

“Dies ist wohl eine von jenen Fragen, die Weltbilder zerbrechen kann. Oder festigen”, erwiderte die Magistra. Ihr Blick glitt an Benedettos Gestalt hinab und wieder hinauf, an den etwas skurrilen Eigenheiten, den Anzeichen seiner Gier nach Wissen.

“Ihr bringt den Punkt auf, dies sei Ketzerei in den Augen der Heiligen Kirche. Ist etwa nicht Gottes Wille und Gottes Schöpfung allumfassend? Ist etwa nicht Gott selbst allmächtig und daher allumfassend? Wie kann es etwas außerhalb geben? Ein “daneben”, ein “davor” und ein “danach”?”
Nein, das waren keine neuen Fragen. Sie brütete über diesen bereits so lange, dass sie allnächtliche Begleiter geworden waren. Ein schattengraues Rudel hungriger Wölfe, das ihr ewig hungrig durch die Nacht folgte und nur auf den einen Moment der Schwäche wartete, an dem sie straucheln würde.
Dass Benedetto mit denselben Fragen so einfach und unverstellt daherkam, überraschte sie.

“Und wenn dies so sei, die vollkommene Allmacht Gottes, was sind wir dann? Oder alles andere in dieser Welt, das Bestie oder Monster ist, Sünde oder Fall, Bruch oder Ketzerei?” Sie war die Tochter der Heiligen Noellina. Glaubte er wirklich, sie habe nicht bereits mit solchen Fragen ringen müssen als ihr eigenes Herz noch schlug? Ihre Antworten damals waren sicherlich andere gewesen als heute, doch sie fragte sich, was er mit alledem tat und bezweckte. Nein, er wirkte nicht wie ein Mönch und er sprach nicht wie einer auf den Heiligen Wegen ihrer Erzeugerin. Was war er? Was trieb ihn durch die Nacht?

Sie neigte den Kopf ein wenig. “Makel in dieser Welt werden auf jenen ersten Bruch der Vollkommenheit zurückgeführt, den Verführer, die Schlange im Paradies. Doch ist nicht selbst sie ein Teil des Paradieses gewesen? Ist nicht der Morgenstern ein Teil der gesamten Schöpfung, geliebt von Gott?”

Giada hob ihre rechte Augenbraue und sah Benedetto an. Dann ging sie ein wenig auf ihn zu und legte ihre Hand auf die Wachstafel wie um zu zeigen wie unsinnig der Versuch sein musste, eine Antwort auf solche Dinge dort in Wachs und Buchstaben zu pressen.
“Ich suche nach eben solchen Antworten”, sagte sie ihm. “Ich werde Euch nicht dafür verdammen, dass Ihr es ebenso haltet. Das tun Ihr und ich selbst - und doch brechen wir unsere Fragen nicht ab.” Mit einem müden Halblächeln zitierte sie ein etwas ausgelaugtes Argument aus ihrer Vergangenheit: “Seid Ihr ein Sünder, wenn Ihr den von Gott gegebenen Verstand und Willen gebraucht? Oder seid Ihr einer, wenn Ihr beides begrabt als hättet Ihr solche Gaben nie erhalten?”
Doch dann winkte sie ab. Diese Debatte alleine konnte ganze Kirchenkonklaven füllen. Ihre zehrenden Fragen verdunkelten ihre Seele, mussten sie vom Glauben und seiner Festigkeit fortzerren, führten sie am Ende vor jenes Schwarze Tor und ihre Prüfung. Doch das war nichts für Benedettos Ohren oder Verstand.

Sie kehrte zu ihrer These zurück.

“Ja, in meiner These vermute ich, dass es die Schöpfung Gottes einen Beginn hat und ein Ende haben wird, nachdem in der heiligen Apokalypse diese Welt ein Ende findet, nachdem Hölle und Himmel selbst ihre Tore aufgetan haben, nachdem das letzte Gericht gesprochen ist.”

“Das Wort Gottes brachte Licht. Ihr nehmt an, dass er damit die …Natur der Finsternis verändert hat? Sie zu einem Gegenteil des Lichtes machte? Ich erwäge, dass jener Ursprung, die Finsternis, ewig ist, während die Schöpfung endlich sein muss. Und so sei selbst die Veränderung eines Aspektes jener Finsternis endlich und könne doch den Kern der Finsternis nicht berühren. Denn dieser ist ewig, er ist zuvor und hernach und unveränderlich, unverändert. In allem, selbst im Grundlegendsten, ist er anathema zu dieser Welt.”
Sie deutete auf ihre grobe Skizze am Boden. “Wenn vor dem Beginn und hinter dem Ende der Schöpfung aber jene Finsternis wartet, dann erscheint mir die Überlegung wert, dass das Totenreich an jene Finsternis angrenzt. Dass alles dort auf ein Ende zustrebt. Dass die Geister und Seelen darin auf einer Wanderschaft zwischen dieser Welt und der Ewigkeit sind. Dass ihre Erlösung hinter dem Letzten Gericht ein ewiger, endgültiger Friede sei.”

Sie runzelte die Stirn, brach dann aber ihre Ausführungen einfach und abrupt ab. “Ich kam mit Fragen von viel …mundanerer Art hierher. Fragen zu unsereins hinter dem Ersten Tod, zum Blut, zu Ereignissen in Genua. Wie kamen wir auf Fragen wie diese nun?” Sie trat ein wenig von ihm zurück.
Sie wollte sehen, was er tat, wenn sie nun abbrach. Wieviel war er bereit, zu geben? Wie weit war er bereit, zu gehen?

“Wir gehen weit für ein Gespräch des ersten Kennenlernens”, stellte sie darum fest. Für einen bizarren Augenblick konnte es so wirken als wären sie beide wie zwei sterbliche Geliebte, die nun ertappt wieder auseinander traten. Zwei, die bei einem ersten Treffen bereits Grenzen überschritten hätten, in zu innigen Blicken, einem heimlichen Kuss, Lust und Gier. Doch Benedetto war nicht eben jemand, der wie ein leidenschaftlicher Liebhaber wirkte und Giada passte nicht sonderlich gut in die Rolle einer scheuen Maid. Und ihrer beider Lust schien nicht die der flüchtigen, verschwitzten, atemlosen Leidenschaft von Sterblichen zu sein.

Sie räusperte sich. “Ihr seid anders als ich anhand von bloßen Beschreibungen von Euch vermutete”, erklärte sie. “Ich will hoffen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht.” Sie machte ihre Verbeugung wie es einem Ancilla von einer Neugeborenen zustand.

“Ich bin interessiert daran, das gelehrte Gespräch mit Euch fortzusetzen”, stellte sie offen in den Raum.
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Re: [1069] Vom Blut lesen [Giada, Benedetto (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Er nickte mit einer gutmütigen Geste und kalten Augen. Auch das sein Kinn einen gewissen Nachhall in der Bewegung - von ganz und gar mundaner Art - hatte, schien sein äußeres und sein inneres scharf voneinander zu trennen.

"Sicher bin ich interessiert. Und auch zu jeder zukünftigen Stunde. Ich sammele Wisse. Analysiere und hinterfrage. Und ich tue dies schon eine ganze Weile, ihr müsst also verzeihen, wenn ich vom Kennenlernen immer neuer und neuer Neugeborenen genug habe. Ihr aber scheint mir aber doch belesen. Eure Linie sagt das und eure Interessen sprechen noch viel deutlicher davon. Das erfreut mich. Es gibt selten jemanden in dieser Domäne der an wirklichem Wissen interessiert ist. Den meisten geht es ständig nur um Macht. Sie spielen damit und vergehen irgendwann darin. Das langweilt mich ein wenig." erläuterte er seine Motivationen zumindest in Maßen.

"Ich überspringe einmal eure philosophischen Ansätze, Antworten darauf erhoffe ich mir nicht aus diesem Gespräch. Bleiben wir also bei eurer These. Anfang und Ende schön und gut, aber was ist mit dem Mittelteil? Der Gegenwart? Existiert jenes was vorher war und vielleicht auch später sein mag jenseits der Zeit? Existiert es parallel, denn woher sonst sollten die Mittel eures Clans kommen? Ist es ein Kontakt in die Zukunft? Oder gar in die Vergangenheit? Ist es ein Konzept welches ohne Zeit auskommt und daher zu jedem Zeitpunkt der Schöpfung und darüber hinaus gleichzeitig zur Verfügung steht? Oder gibt es Enthtitäten in ihr die - einmal gebunden oder vernichtet - nie wieder in ihrer Einzigartigkeit existieren werden? Ist es Rohmasse oder Gefängnis. Kann man es geistig oder gar körperlich bereisen?" aus ihm sprudelten die Fragen heraus, als ob auch er kein Anfänger mehr wäre - auf diesem ihr eigenen Gebiet. Oder war es gut das er es war der fragte und nicht das er es war der eben jene Antworten gab?

"Auch was ihr da sonst noch anschneidet sind interessante Themen. Zu diesen können wir es andersherum halten. Ihr stellt die Fragen und ich gebe ebenso vage Antworten wie ihr." gluckste er amüsiert über seine eigene Finesse daher.
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