Gabriel tat wie ihm geheißen und erhob sich langsam, ließ den Kopf jedoch gesenkt. Er trug weder die fleckigen noch die sauberen Kleider, die die genuesischen Kainiten an ihm kannten. Stattdessen eine leichte dunkelgrüne Tunika, darüber einen geschwärzten Mantel mit halben Ärmeln und einer Kapuze und an den Füßen dunkelbraune hohe Schuhe.I Tarocchi hat geschrieben: ↑Fr 23. Dez 2022, 17:10 Catania war eine stolze Stadt mit alten Wurzeln. Die Zeugen alter griechischer und alter römischer Größe standen noch immer, ein Amphitheater, jahrhunderte alte Nekropolen, alte Wehranlagen. Die Stadt hatte die Herrschaft der Goten gesehen, die von Byzanz, die der Araber, nun hatten die Araber die Normannen vertrieben. Für Gabriel mochte dies ein ungewohnter, vielleicht sogar beängstigender Anblick sein wie die für ihn wohl fremden Wappen und Fahnen sich über Catania erhoben. Wenn die Stadt ihm sonst vielleicht das Gefühl von Sicherheit vermittelt hätte, wurde diese nun wohl in ihren Grundfesten erschüttert. Normannen! In Catania!
Noureddine empfing den jungen Brujah in einem Anwesen nahe dem Herzen von Catania. Ein Turm schwang sich hoch über der Stadt auf und direkt unter seinem Dach gab es es ein weites Zimmer mit offenen, ausladenden Fenstern. Von hier aus konnte man die Silhouette des Ätna in der Ferne erahnen.
Das Dach des Turms war ein hölzerner Aufsatz, der Aussparungen hatte, die aufgeschwungen werden konnten, um die Sterne über dem Turm zu studieren. Doch heute Nacht waren die Vorrichtungen geschlossen. Auf einer hölzernen, schweren Truhe an der Seite standen allerlei merkwürdige, metallene Gerätschaften, Zirkel, Messwinkel, ein Lot an einem zusammengerollten Band.
Bastmatten, Teppiche und Kissen bedeckten den Boden des obersten Turmzimmers und genau dort durfte Gabriel vor der Ahnin der Gelehrten knien. Er hatte einen Blick auf ihre Gestalt erhaschen können, auf den fließenden, weiten Stoff ihrer Roben und das bronzene Ebenmaß des Ohrschmucks, den sie trug. Sie studierte die Karte, die er angefertigt hatte und die es so auf dieser Welt wohl noch nie gegeben hatte. Mit einem Finger fuhr sie eine der eingezeichneten Linien nach und tippte darauf als hätte sie etwas entdeckt, das nicht passte. Sie ging tatsächlich zu den Gerätschaften am Rande herüber, nahm einen der Zirkel und eine fein geflochtene Schnur zur Hand und maß etwas auf der Karte nach. Was auch immer Gabriel mit seiner Gabe beabsichtigte hatte: Sie hatte auf jeden Fall das Interesse und die Aufmerksamkeit der Ahnin geweckt.
"Erhebe dich", sagte sie ihm. "Wie hast du diese Entfernungen bemessen?" Ganz offensichtlich hatte sie bereits erfasst, was seine Zeichnung überhaupt war und was sie darstellen sollte.
Mit ruhiger Stimme berichtete er von dem Kartenmacher Lorenz, der den Grundstein für sein Geschenk gelegt hatte und die Gegend, die er kartographieren sollte, bereist hatte, um sich diese zu besehen. Ausführlich berichtete er Noureddine über das Werk, welches er für Aurore im Auftrag Giadas anfertigen sollte und enthüllte somit, neben Zeitpunkt, Tinte, Feder, Material eine weitere Ebene seines Geschenks - die Informationen.
Er hatte es für ihren Geschmack angepasst. Weder Noureddine noch seine Erzeugerin Canissa hatten jemals lange mit ihm über seine Kunst gesprochen. Philosophie, Ansichten und Überzeugungen hingegen waren immer ein Thema. Er war Handwerker, doch dafür wurde er nicht in die Nacht geholt. Es war seine Leidenschaft. Sein Wille Opfer zu bringen, um etwas zu erreichen. So unwahrscheinlich es auch erscheinen mochte. Er hatte als Handwerker Lesen und Schreiben gelernt. Er hatte für Christen und Sarazenen Handwerke gefertigt, ohne mit Vorurteilen auf eine der Gruppen zu schauen. Für sein Handwerk und seine persönlichen Ziele hatte er auf Ruhm, Reichtum ja gar seine Familie verzichtet und jeden Widerstand überwunden.
"Stimmt etwas nicht Muealima?“ fragte er nach und sah auf die Karte, welche er angefertigt hatte. Weder die Reise noch Geschenke dieser Art machte er leichtfertig. Allein für den Erwerb der passenden Materialien hatte er Wochen gebraucht, ganz zu schweigen von der Beachtung der richtigen Zeit, um die Linien zu ziehen. Auch die Anreise konnte nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt erfolgen. Details waren von entscheidender Bedeutung. Der Name des Schiffes, die Uhrzeit des Einlaufens in den Hafen, ja gar die Richtung aus der man kam. All das hatte er bedacht als er den langen Weg in seine Heimat angetreten hatte. So war eine solche Reise doch wie ein Mosaik.