[1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

[Januar '23]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Iulia Cornelia
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[1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Iulia Cornelia »

Die Nachricht, welche Iulia erhalten hatte, sorgte dafür, dass nur wenige Nächte später, ein Schreiben die neue Ventrue in der Domäne erreicht hatte. Respektvoll und in Latein verfasst mit silberfarbener Tinte auf neuem hellem Pergament, beginnend mit der vollständigen Anrede der werten Sedna, soweit bekannt, sowie Segenswünschen und Iulias eigener vollständigen Ahnenlinie unterzeichnet, welches gesiegelt war mit einem weißen Wachs ohne Emblem.

Iulia schrieb darin, dass es ihr eine ausgesprochene Freude sei, Sedna persönlich kennen zu lernen. Sie lade sie deshalb am fünfzehnten des kommenden Monats eine Stunde nach Mitternacht zu dem ehemaligen Dorf innerhalb der neuen Stadtmauer ein, welches dereinst als Maddalena bekannt war. Einer ihrer Diener werde dort am vormaligen Dorfbrunnen für sie bereitstehen, um sie zu ihr zu führen.

Tatsächlich stand in jener Nacht ein gepflegter, hochgewachsener Mann, mit kurzen brauen Haaren, blauen Augen und markanten Wangenknochen am Brunnen von Maddalena für Sedna bereit. Ein silberfarbenes Windlicht in seiner Hand, mit welchem er der Ventrue wohl den Weg leuchten würde, nachdem er sich höflich vor ihr verneigt hatte, sich nach einem angemessenen Moment des Schweigens respektvoll erkundigend, ob es sich bei ihr wohl um den Gast seiner Herrin Iulia handelte, bevor er diese militärisch kurz, aber durchaus freundlich gebeten hätte, ihm doch folgen zu wollen. Offenkundig war er wohlerzogen, stammte selbst aus gutem Hause oder hatte des Öfteren mit höheren Herrschaften zutun. Zumindest wirkte er geübt darin.

Der Weg, den der Diener nur wenig später pflichtbewusst für die Ventrue bereitete und ausleuchtete, führte steiler an dem entlang, was dereinst wohl Weinberge gewesen sein mochten, hin nach oben in Richtung des neuen Mauerabschnitts. Wie überall in der Domäne, so auch hier, veränderte sich das Stadtbild mit dem Ausbau dieser. Die einst dörfliche Idylle war dem Wachstumshunger einer sich ausbreitenden Bevölkerung gewichen. Zurückgeblieben waren neue Bauplätze, welche die Weinbauern unter großen Gewinn verkauft hatten, sowie ein kleiner Fleck, welcher diesem Schicksal trotzte und zu welchem der Diener Sedna zu führen schien.

Das Kettenhemd, welches er unter dem grauen Umhang trug, war abgedunkelt, jedoch zu sehen gewesen durch das Windlicht, welches er in seiner Hand geführt hatte. In der anderen hielt er einen langen Stab mit Spitze, während das Schild auf seinem Rücken festgezurrt war. Er selbst stieß kein Gespräch mit der Ventrue an, würde ihr jedoch antworten, sofern sie ihrerseits denn nach einer Unterhaltung suchte.

Nach einigen für einen Menschen sicher anstrengenden Metern stetig Berg auf, begann sich in der Ferne ein kleines Häuschen aus der Dunkelheit zu schälen, welches sich an die nahe Felswand anschmiegte und sich hinter den noch vorhandenen wenigen Reihen der alten Weinreben versteckte, die anderen Orts in Maddalena bereits ausgerissen worden waren, um Platz für neue Heime zu schaffen. Die Casetta hier war nicht sonderlich groß, doch von hier oben musste der Blick dereinst über Genua und die Weinberge bei Tag atemberaubend schön gewesen sein. Jetzt wirkte es beinahe einsam hier, bevor es in einigen Jahren oder auch Jahrzehnten völlig verschluckt sein würde von der Stadt.

Dennoch spiegelte das kleine Häuschen aus Stein einen gewissen heimeligen Charm wider. Es war nicht wie die ehemaligen Häuser der Weinbauern im Dorf im altrömischen Stil erbaut, sondern wirkte deutlich neuer, wenn auch nicht all zu neu. Ein kleiner, wohlgepflegter Garten war unmittelbarer vor dem Haus zu sehen. Heilkräuter aller Art waren mit Bedacht gepflanzt worden. Dazwischen wuchs Nahrung für die offenbar sterblichen Bewohner des Hauses, während blühende Blumen dazwischen einen harmonischen und angenehm duftenden Anblick bildeten.

Ein Windlicht vor der Tür erhellte die Umgebung weiter sanft und tauchte sie in einen warmen Ton, während die hölzerne Bank neben der Eingangstür gerade jetzt in den Sommermonaten nach getaner Gartenarbeit dazu einladen mochte, hier zu verweilen. Die Hausherrin schien ihren Gast jedoch im Inneren zu erwarten, denn der Diener klopfte an, bevor er, die Tür für die Ventrue mit einer Verneigung öffnete, diese eintreten ließ und hinter ihr zuziehen würde.

Die Wände der steinernen Casetta waren im Inneren, des vielleicht zehn auf fünf Schrittlängen messenden Häuschens, mit Kalk weiß verputzt. Mehrere Lichter befanden sich dort hinter feingeschabten Häuten, während der Boden mit verschiedenen größeren Steinplatten zu einem kunstvollen Mosaik ausgelegt worden war. Zur Rechten ging nahe der Wand eine Tür in einen kleineren Bereich ab, der den großen Raum etwas abteilte und verkleinerte.

Zur Linken stand inmitten von drei altrömisch anmutenden Triclinium, die im Raum hufeisenförmig aufgestellt waren und an dessen freiem Ende ein niedergehaltenes Feuer in der Herdstelle brannte, dass angenehme Wärme und Licht spendete, die Gastgeberin des Abends: Iulia Cornelia. Mit nicht viel mehr als einem weißen, seidenen Kleid, einem ebensolchen Tuch über ihrem Haupt und ledernen hellen Schuhen, die ihre Füße bedeckten, erwartete das Kind des Prinzen dort ihren Gast.

Ihre feingliedrigen Finger beschrieben eine sanfte Geste, als sie Sedna einlud näher zu treten, bevor ihre Hände zurück auf ihren Rücken fanden, was die kerzengerade Haltung der hochgewachsenen, schlanken Ventrue weiter betonte. Ruhig lagen ihre blaugrauen Augen auf ihrem Gegenüber, während ihr außergewöhnlich schönes Äußeres eine geradezu natürliche Sympathie ausstrahlte. Dennoch haftete auch ihr, so wie sie dort stand, ähnlich ihrem Erzeuger, etwas einer Skulptur an.
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Sedna
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Sedna »

Die graubraune unauffällige Tunika der Ventrue hebte sich nur wenig gegen den Boden und die laue Nacht ab. Ihre Kleidung bestand aus üblichen, örtlichen Stoffen und außer einer schlichten Ledertasche und einfachen Sandalen trug sie nichts Offensichtliches bei sich aus einem braunen Schal, um ihr Gesicht bei Gelegenheit verhüllen zu können.

Am Dorfbrunnen angekommen, gab sie wortlos zu erkennen, dass sie die war, auf die der Wächter gewartet hatte. Auf dem Weg begann sie kein Gespräch, sondern ging im Kopf durch, was sie über ihre Gastgeberin wusste. Die Clansschwester war nicht nur die Harypie der Domäne, sondern auch das Kind der Prinzessin. Als sich die stille Prozession der bescheidenen Behausung näherte, wunderte sich Sedna. Dem Prunk und dem Ehrfurcht gebietenden Reichtum ihrer Erzeugerin schien Iulia nicht zu frönen. Jedenfalls nicht hier und nicht heute Nacht. Sedna dachte daran, wie jedes Treffen eine Inszenierung war mit den meisten Vampiren. Alle wollten sich in einem bestimmten Licht präsentieren, um eine Seite von sich herauszustellen oder vorzugeben. Rauch und Spiegel.

Iulia konnte sich bestimmt sicher in den Hallen ihrer Erzeugerin aber auch unter diesen Menschen bewegen. Sozial wandelbar zu sein, war für eine Harpyie eine gute Eigenschaft. Sedna überlegte, was die Menschen, die hier lebten wohl für eine Funktion hatten. Einige Vampire hingen ihrem alten Leben nach oder einer Wunschvorstellung von sich selbst und benutzten Diener, um diese Illusion aufrecht zu erhalten. Was Sedna heute abend erleben würde, war ein Ausschnitt von Iulia. Noch dazu ein sorgfältig Kuratierter. Die Ventrue fühlte sich geehrt.

Als Sedna in die Behausung trat, ließ sie ihren Blick über das Innere schweifen und wartete mit ihrer Begrüßung bis der Wächter sich entfernt hatte. Sedna wirkte eher wie eine Bedienstete, als der Gast der Herrin des Hauses.

Sedna verbeugte sich tief und sagte dann:

Wohlwerte Iulia Cornelia,
Harpyie von Genua,
Neugeborene vom Blut der Könige,
Kind der Aurore, la principessa bianca, Prinz von Genua, Ahn vom Blut der Könige,
Kind des Geoffrey le Croise, Ahn vom Blut der Könige,
Kind des Alexandre de Paris, Ahnherr vom Blut der Könige,
Kind des Ventrue, erster seines Blutes,
Kind des Enoch, des Weisen,
Kind des Kain, des Vaters

zu euch spricht
Sedna, Kind der Chiara di Cerveteri
Freigesprochen von Narses, Ahn vom Blute Ventrus, Kind des Caracallas, Ahn des Clans der Könige und Herrscher der Zwölf Städte,
Kind des Lucius Tarquinius Priscus Ahnherr des Clans der Könige, Fürst des etruskischen Bundes und seiner Verbündeten, Kind Ventrues, "König der Könige",
Kind Enoch des Weisen,
Kind des Kain, des Vaters

vormals aus der Domäne Florenz.
In Genua anerkannt und geduldet von

Der höchst verehrten Aurore,
Prinz von Genua,
Ahn vom Blut der Könige,
Kind des Geoffrey le Croise,
Ahn vom Blut der Könige,
Kind des Alexandre de Paris,
Ahnherr vom Blut der Könige,
Kind des Ventrue, erster seines Blutes,
Kind des Enoch, des Weisen,
Kind des Kain, des Vaters

Ich bitte euch um das Privileg meiner Gabe Aufmerksamkeit zu schenken.

Falls Iulia dies bejaht, würde sie ein silbern, weißes Halstuch überreichen. Es ist relativ weit und lässt sich sowohl als Halstuch, Kapuze, als auch Stola benutzen. Es ist augenscheinlich recht schlicht, doch die feingewebten silbernen Fäden, scheinen hier und da durch und machen das Material erstaunlich reißfest.
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Iulia Cornelia
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Iulia Cornelia »

Die Ventrue lauschte sichtlich aufmerksam den Worten ihrer Clansschwester. Was diese sagte oder was diese ausließ. Bewusst oder vielleicht auch unbewusst. Bezüglich dem ehemals aus Florenz lächelte die Harpyie nur sanft, als wäre ihr durchaus bekannt, wer sich in Florenz Prinz nannte, bevor sie Sednas Gabe wenig später mit beiden Händen und einem höflichen Nicken in Empfang nahm. „Das will ich gerne tun, werte Schwester im Blute.“, versicherte Iulia wohlwollend, ihren Daumen geradezu andächtig über den Stoff streifen lassend, bevor sie mit einer freundlichen Geste auf die große Liege deutete, welche für ihren Gast bestimmt war.

„Macht es euch doch bequem.“, lud sie Sedna ein, während Iulia sich selbst auf der mittleren Liege niederließ. Derweil erklärte sie: „Euer Weg hierher war sicher weit. Und doch, ich freue mich sehr, eure Bekanntschaft zu machen und euch willkommen heißen zu dürfen. Wie ich hörte, wisst ihr bereits, wer ich bin, was manches sicher einfacher machen mag. Oder auch komplizierter. Je nachdem wen man fragt, nicht wahr?“ Sie lächelte charmant, bevor sie nur sanft mit den Schultern zuckte, fast so als würde weder das eine noch das andere letztlich einen tatsächlichen Einfluss haben.

In einer galanten Bewegung hob und drehte Iulia ihre Beine ein, so dass sie sittsam bedeckt auf der Liege zu ruhen kamen, während sie sich selbst auf die Seite legte, einen Arm angewinkelt, so dass ihr Oberkörper leicht erhoben blieb. In ihrer liegenden Haltung spiegelten sich ihre römischen Wurzeln wieder, auch wenn sie selbst dabei geradezu züchtig im Vergleich zu diesen wirkte. Dennoch wog dem seidenen Stoff, diesem dezenten Hauch von Nichts, der ihren Körper verhüllte, etwas geradezu verführerisches inne, als dieser ihre Rundungen zart umspielte.

Ebenso wie ihr Lächeln, welches sie noch schöner wirken ließ, als sie das Geschenk noch einmal geradezu zärtlich streichelte und zu verstehen gab: „Es ist lange her, dass ich mit einem meiner Clansgeschwister aus Florenz oder auch anderen etruskischen Hoheitsgebieten sprach.“ Die Stimme mit der die Ventrue sprach, wirkte melodisch, fast so als würde sie jeden Ton mehr Singen, denn sprechen. Als wäre sie ein Instrument, welches sie bewusst einsetzte, um erfreulichen Dinge noch schöner klingen lassen zu können, aber wohl auch die besorgniserregenden noch trauriger, als sie in eher zweiterer Tonlage weiter ergänzte: „Waren die jüngsten Entwicklungen doch alles andere als erfreulich gewesen.“

Iulia machte eine bewusste Sprechpause, in der sie ihr Gegenüber, aber auch das mitgebrachte Geschenk noch einmal durchaus neugierig zu mustern schien, bevor sie sich mit einer besorgteren Stimme erkundigte: „Und länger noch mag es wohl gewesen sein, dass ich mit einem sprach der Jenem, der ihn freigesprochen hatte und Jenem, der ihn duldet, mehr Bedeutung hatte zukommen lassen, denn seiner eigenen Linie. Sagt, wie kommt dies, werte Schwester im Blute?“ Iulias Kopf neigte sich leicht zur Seite, als sie rhetorisch fragte: „Ich hoffe doch ihr fürchtet kein Unbill, oder gar Unheil, von mir, als dass ihr euch dazu genötigt fühlen würdet, eure sicherlich ruhmreiche Abstammung bewusst vor mir zu verbergen?“
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Sedna
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Sedna »

Der Gast hatte gewartet bis sich Iulia niedergelassen hatte und setzte sich auf die ihr zugewiesene Liege. Ihre Haltung war rigide und es wirkte fast, als würde sie jederzeit wieder aufstehen. Sedna war keine sehr ansehnliche Frau (Erscheinungsbild: 2) und ging häufig in der Menge unter. Sie hatte dies weder als Nachteil noch als Vorteil empfunden, sondern hatte für sich erkannt bestimmte Spiele und Taktiken im Umgang mit anderen erfolgreicher und weniger erfolgreich anwenden zu können. Iulia und sie waren in diesem Aspekt sehr verschieden.

"Danke Wohlverehrte."
sagte sie und lauschte der Harpye. Sie überging die rhetorisch wirkende Frage und antwortete auf die Bemerkung über ihre Herkunft.

"Der etruskische Bund und insbesondere Florenz haben dunkle Zeiten hinter sich. Der Handel läuft indes wieder besser und sowohl politisch als auch wirtschaftlich findet eine Konsolidierung statt."

Dann antwortet sie auf die nächste Frage.

"Meine Abstammung ist wenig ruhmreich. Auch sind meine Verbindungen zu meiner Heimat problematisch. Ich selbst kenne die Erzeugerin von Chiara di Cerveteri nicht und selbst wenn, würde es mir nicht zum Vorteil gereichen. In meinem Willen zur Unabhängigkeit gab es einen Eklat und ich bin in Ungnade gefallen. Mein Aufenthalt in Genua ist daher kein Besuch. Ich hoffe hier neue Wurzeln zu schlagen oder zumindest eine produktive, wenn auch unauffällige Existenz aufbauen zu dürfen. Alles unter der Gnade der höchst verehrten Aurore selbstverständlich. Sollte mir dies nicht gelingen, werde ich nicht nach Florenz zurück kehren können, sondern eine andere Stadt suchen. Mein Weg führt nicht zurück nur nach vorne, oh Wohlverehrte."
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Iulia Cornelia
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Iulia Cornelia »

„Ihr dürft bei wohlwerte Iulia oder auch wohlwerte Harpyie verbleiben.“, bot die Ventrue ihrer Clansschwester in einem freundlichen Tonfall und einem zarten Lächeln an, bevor ihr Gesicht ernster wurde und sie erklärte: „Es betrübt mich von dem Schicksal eurer Familie zu hören, doch ich will zuversichtlich sein, dass ihr finden werdet, wonach ihr strebt. Solltet ihr etwas benötigen, was es euch leichter machen mag, hier neue Wurzen zu schlagen, so lasst es mich gerne wissen.“ Erneut war ihr Gesichtsausdruck offener geworden und ihre feingliedrige Hand beschrieb eine offene, wohlwollend gebende Geste hin in Richtung der Ventrue.
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Sedna
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Sedna »

"Ihr seid sehr gütig wohlwerte Iulia." Sednas Lippen stehen still, während sich in ihrem Kopf zahlreiche Bücher öffnen. Seiten um Seiten mit Einträgen durchfährt ihre Hand vor ihrem inneren Auge. Sich denkt an ihre Bücher in ihrer Behausung, die sie täglich mit ihren Händen berührt, um durch das Gefühl des Pergaments ihr Gedächtnis anzuregen. Es sind alles Ratgeber zur Schneiderei, doch Sedna liest die Worte auf den realen Seiten nicht. Sie hat andere Informationen mit den haptischen Informationen verknüpft. Ihre Herkunft, ihre Regeln und ihre Mission. Wie abwesend ist ihr Blick nach innen gerichtet. Von außen wirkt sie wie starr. Die Geräusche der Nacht werden hörbarer. Einige Minuten vergehen bevor sie wieder anhebt zu sprechen.

"Wohlwerte Iulia ich habe viererlei Themen, die ich gerne ansprechen würde.

Erstens: Habt ihr von Gasparo di Como gehört? Er war ein Neugeborener und hatte sich vor einigen Jahrzehnten im Bischofskastell aufgehalten. Wisst ihr, wer dort vorsteht?

Zweitens: Ich vermute, es ziemt sich, dem Herold Galeno Fiore meine Aufwartung zu machen oder zieht er den Namen Nubis vor? Würdet Ihr, O Wohlwerte, eine Audienz bei ihm arrangieren und ein gutes Wort für mich einlegen? Auch eine Idee, was ihm Gefallen könnte, wäre sehr nützlich. Ich stände dafür selbstverständlich in eurer Schuld, O Wohlwerte.

Drittens: Ich bin nach wie vor zögerlich das Elysium zu betreten. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich dort vielleicht Vergonzo Faro aufhalten könnte. Eine ganz widerliche Person, der nicht zu trauen ist. Ich möchte wirklich unter keinen Umständen mit ihm verkehren.

Viertens und letztens: Euer Ruf eilt euch voraus und es ist mir eine Ehre euch kennen lernen zu dürfen. Ich habe draussen die wohlgepflegten Beete gesehen. Mein Vater war Gärtner und als ich noch sehr jung war, lehrte er mich die richtige Art und Weise mit Unkraut umzugehen. Er sagte:

"Sieh hin, Sedna. Unkraut saugt die Nährstoffe auf, die die Blumen und Kräuter zum wachsen brauchen. Sie sorgen dafür, dass sie vergehen und sterben. Wenn man sie herausreißt, entwurzelt man auch die nützlichen Pflanzen. Also pflanzt man Pflanzen, die sich von Unkraut ernähren. Diese Pflanzen sind oft von außergewöhnlicher Schönheit, doch dies verbirgt nur ihre Brutalität."

Eure außergewöhnliche Schönheit ist unbestreitbar. O Wohlwerte, was für Erfahrungen habt ihr mit Unkraut gemacht?
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Iulia Cornelia
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Iulia Cornelia »

Die Ventrue war offenkundig nicht in Eile. Sie ließ ihrer Clansschwester stattdessen die Zeit darüber nachzudenken, mit welchen Angelegenheiten sie sich an sie wenden wollte und lauschte diesen mit wechselnden Gefühlsregungen. Bei Gasparo trat etwas, was man bei Kainiten wohl nur selten sah, auf die feinen Gesichtszüge der Harpyie: Trauer, gefolgt von einem reservierten Blick hinsichtlich Nubis, einem leicht fragenden bezüglich dem Baumeister und letztlich ein sanftes Schmunzeln ob ihrer selbst, bevor er wieder ernster wurde.

Nachdem Sedna geendet hatte, nickte sie leicht und versicherte wohlwollend: „Ich will euch gerne all eure Fragen beantworten, werte Schwester im Blute, soweit ich es denn vermag.“ Sie machte eine kurze Sprechpause, bevor sie begann: „Was Gasparo di Como anbelangt, so lernte ich ihn vor 4, vielleicht auch 5 Jahrzehnten kennen. Ich hatte mich damals mit ihm, sowie Alexandre d’Harfleur, einem Nachfahren unserer Verwandten im Norden, getroffen.“

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen an die Erinnerung daran, auch wenn eine gewisse Bitterkeit ihre Züge mitdurchdrang, als sie sanft erklärte: „Ihr denkt sicher zurecht, was für eine seltsam anmutende Konstellation, in der sich ein Nachfahre eines der mächtigsten Kainiten der Höfe der Liebe, mit einem Nachfahren des mächtigsten Kainiten der Tedeschi und einem Nachfahren des mächtigsten Kainiten der Etruskers trifft, nicht wahr?! Und doch, es war ein äußerst gesittetes, aufschlussreiches und interessantes Treffen gewesen.“

Iulias Blick wanderte von Sedna ab, hin zu dem niedergebrannten Feuer im Raum, als sie mit ernsterem Gesicht zu verstehen gab: „Ich traf Gasparo zuletzt ein Jahr nach den Nächten. Er erzählte mir damals davon, wie Toma ihn eine Nacht vor dem Ende der sich überschlagenden Ereignisse nach dem Hoftag zum hundertjährigen Thronjubiläum des Prinzen damit konfrontiert hatte, dass Aurore den Krieg angeblich verloren hätte und der Verrat an Aurore, so wie Toma es selbst getan hatte, die einzige Möglichkeit für Gasparo gewesen wäre, Gasparos Existenz zu retten. Gasparo erwähnte, Toma hätte damals nicht vor Gewalt zurückgeschreckt, auf dass unser Clansbruder sein Knie vor Lydiadas, dem heutigen Seneschall der Domäne, hätte beugen sollen.“

Die Harpyie machte eine kurze Sprechpause, bevor sie zurück zu Sedna blickte und ihr mitteilte: „Gasparo erzählte mir, er hatte sich damals geweigert und sein Knie nicht gebeugt.“ Ruhig lagen ihre blaugrauen Augen auf der Ventrue und erneut huschte dieser Ausdruck der Sorge über ihr Gesicht, als sie meinte: „Ich bin mir nicht sicher, was mit ihm einige Jahre später wahrlich geschehen ist. Es gab Gerüchte, wonach die Egel ihn vernichtet haben sollen. Andere berichten darüber, dass er Alain in seinem Versuch einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen den widerstreitenden Fraktionen durch einen Schlag gegen Salvador, einen Vasallen Lydiadas, respektive diesen selbst, begleitet haben soll. Andere Quellen berichten darüber, dass Gasparo sich bereits zuvor davon zurückgezogen hatte und er nur seine Schuld bei Alain begleichen wollte, nach dessen Hilfe gegen Toma in den Nächten.“

Sie zuckte nur sanft mit den Schultern, als sie einen Moment nachdenklich über das Geschenk der Ventrue mit ihren Fingern streichelte und abschließend mitteilte: „Dennoch galt Gasparo nur wenige Zeit später als verschwunden. Gasparo hatte sich damals ebenso um den Hafen gekümmert und in jener Zeit war ein Setit aus den südsardischen Territorien aufgetaucht. Valerios, ein Schmuggler, wie es hieß. Möglich, dass er ihm in die Quere gekommen war. Weitere Gerüchte sprachen davon, dass der Bischof Gasparo aus dem Kastell vertrieben hatte und unser Bruder im Blute einzig seinen Kopf hatte unten halten wollen. Dennoch war Gasparos Notzuflucht verwaist vorgefunden worden, respektive von neuen sterblichen Besitzern bevölkert, welche die Chance eines leerstehenden Gebäudes sich nicht hatten entgehen lassen.“

Iulia schüttelte sanft den Kopf, bevor sie erklärte: „Meine Hoffnung war, dass Gasparo es gelang in seine Heimat zurückzukehren, doch bin ich mir dessen nicht sicher.“ Ruhig musterte die Ventrue ihr Gegenüber, bevor sie sich interessiert und hörbar hoffnungsvoll erkundigte: „Womöglich könnt ihr mich dahingehend erhellen?“ Fragend blickte sie auf ihre Schwester im Blute, bevor sie erneut ihr Haupt seitlich bewegte und ergänzte: „Allerdings nein, um eure Frage abschließend zu beantworten, mir ist nicht bekannt, wer oder ob überhaupt Jemand derzeit auf kainitischer Seite seine Hand über das Bischofskastell hält. Unser Clansbruder Liutprand, der erste Liktor der Domäne, hatte jüngst jedoch eine Zählung der gebundenen Diener veranlasst. Möglich, dass er euch diesbezüglich mehr berichten könnte.“

Sie machte eine kurze Pause, betrachtete Sedna ruhig, bevor sie abschließend fragte: „Habt ihr zu eurem ersten Thema noch Fragen? Oder auch Dinge, die ihr ergänzend wissen möchtet?“ Trotz des langen Monologs, wirkte die Stimme der Harpyie noch immer angenehm weich. Offenkundig konnte sie Stunden erzählen, ohne dass es ihr oder dem Zuhörer dabei langweilig werden möchte. Vielmehr wob sich ihr Klang wie ein zartes Band um die Ohren und machte es leicht, mehr von ihr hören zu wollen.

Iulia wirkte völlig ohne Eile, schien hier und jetzt in diesem Moment zu sein, sowie sich nicht daran zu stören, sich für ein Thema auch gerne etwas mehr Zeit zu nehmen, so es denn für ihr Gegenüber interessant war. Und offenkundig war der Ventrue durchaus bewusst, dass es für Sedna etwas war, was diese bewegen oder womöglich auch weiter vertiefen mochte.
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Sedna »

"Wer ist Gasparo für Euch?"
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Iulia Cornelia
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Iulia Cornelia »

„Gasparo?“, widerholte Iulia den Namen nachdenklich, bevor ein kleines Lächeln ihre Lippen umspielte, als sie offenkundig an ihren Clansbruder zurückdachte und durchaus respektvoll über ihn sprach: „Nun, er war damals in erster Linie ein Verbündeter und ich persönlich wusste ihn seinerzeit zu schätzen. Ein überaus gebildeter Magister Trivium. Erzogen durch die Rute und dies seinen eigenen Schülern ebenso weitergebend. Ein harter Kainit, aber gerecht. Etwas steif in seiner Art, aber durchaus charmant auf seine Weise. Gesittet, und doch standhaft in seinen Überzeugungen. Ich mochte ihn. Sehr sogar. Ich hatte es ihm hoch angerechnet, dass er entgegen Anderer nach der Okkupation Genuas durch die See der Schatten in den Nächten 1034 anno Domini geblieben war.“ Langsam wurde ihr Gesicht wieder ernster, als sie mit redlicher Stimme ergänzte: „Und ich bedaure, dass er nicht mehr hier ist.“ Iulia machte eine kurze Sprechpause, in der sie ihr Gegenüber musterte, bevor sie sich interessiert erkundigte: „Hattet ihr denn das Vergnügen Gasparo persönlich bekannt zu werden, werte Sedna? Oder woher kommt euer Interesse für ihn und das Bischofskastell?“
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Re: [1077] Die Zeit im Wandel [Iulia, Sedna]

Beitrag von Sedna »

Sedna hatte aufmerksam zu gehört.

"Ist er denn nicht mehr hier? In Florenz ist er nicht aufgetaucht und daher wird vermutet, dass er sich noch hier befindet. Ihm steht ein Erbe und ein paar Verantwortlichkeiten an, die seiner Aufmerksamkeit erfordern. Da ich in Ungnade gefallen bin, soll ich jetzt sozusagen für Ersatz sorgen. Auf der einen Seite bin ich wenig geneigt meiner Erzeugerin zu gehorchen, aber ich stehe zu meinem Wort, zumal es Teil einer Vereinbarung war mich und mein Unternehmen vergleichsweise unbeschadet gehen zu lassen. Ich schulde ihr also etwas. Gasparo selbst bin ich nicht persönlich begegnet. Ich habe ein Schriftstück für ihn, das nur für seine Augen bestimmt ist und muss ihn daher finden. Wenn ihr investiert in sein Wohlergehen seid, könnt ihr mir vielleicht in Zukunft Informationen über seine Zeit hier oder seinen Verbleib mitteilen, sobald ihr etwas Neues hört. Es soll euer schaden nicht sein. Ich werde indes versuchen Kontakt zu Liutprand und Valerios aufzunehmen."
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