[Fluff] alieno [Giada]

[Giada Salvaza Rossi]

Was ist dies, dass unserer Existenz eine Richtung gibt? Einen Antrieb? ‘Auf einem Pfad wandeln’, ‘den Glauben finden’, ‘Bestimmung’ - es gibt hunderte Varianten von dieser einen Sache, die alle Menschen - und auch wir hinter dem Tod - kennen, manchmal verzweifelt suchen, manchmal mit schon beinahe verblendeter Euphorie aufsaugen.

Wenn wir sie einmal gefunden haben, dann wollen wir sie behalten. Wir klammern uns mit aller Kraft daran, denn diese Sache bezeichnet uns, gibt unserer Existenz einen Grund, Wert, einen Sinn.
Und wir verteidigen dies mit allem, was wir haben, denn wenn dies angegriffen wird - und sei es nur mit Worten oder Zweifeln - dann geht dies gegen unseren innersten Kern, unser so sicher und fest geglaubtes Wesen.

Nichts ist schrecklicher als fest zu stellen, dass all dieser Sinn, den wir so sicher geglaubt hatten, gar nicht existiert. Dass wir verzweifelt einer Illusion, einer Fata Morgana im wüsten Licht dieser Welt. Ohne dass uns auch nur ein Hauch Gewalt angetan werden musste, wird auf einem Mal mit dieser simplen Erkenntnis unsere ganze Existenz zerschmettert.

Darum kämpfen wir so sehr darum. Darum erhalten Fanatismus und Glaubenseifer diese schreckliche, mitreißende, verführerische, brutale Macht. Darum können wir ohne irgendein Zaudern Ungläubige zu Hunderten und Tausenden in den Tod schicken, können Kinder und Alte im Bett ermorden, können die Häuser der Juden anstecken. Darum kann mein Oheim über Jahrhunderte seine Netze aus Macht und kalter Verachtung spinnen - ja, er muss es sogar. Denn wofür wäre es sonst alles gewesen?
Darum kann meine Herrin Mutter durch die Feuer aller Prüfungen gehen, darum fühlte ich selbst mich so schwindelig vor Glück, als mir offenbart wurde, dass es meine Linie ist, die die Welt vor dem Erwachen Boukephos’ bewahrt. Es gab all dem Streiten und Ringen einen Sinn.

Doch mein Sinn wurde zerschmettert, von einer simplen Frage: Wozu soll diese Welt gerettet werden? Was gibt ihr solchen Wert?
Die Wahrheit ist: Sie hat keinen Wert. Sie ist eine Perversion, eine eitrig schillernde Pestbeule auf der Reinheit der Finsternis selbst. Unsere Welt ist der Fremdkörper, eine Aufstellung willkürlicher, für einen kurzen Moment aufgestellter Gesetze: Dies ist Zeit und die Dinge gehen nach und nach. Dies ist Licht und es bringt uns Farbe, Reflektion, Illusion. Dies ist Maß und Tiefe, sie bringen uns Gestalt und Form und Abgrenzung. Dies ist Endlichkeit, dies ist Makel, dies ist Widerstreit und Ringen und Gier und Antrieb und der niemals endende, zehrende Lärm unserer Existenz.

Meine Mutter hat ihren Sinn in der Lüge eines Gauklers gefunden, der diese Gesetze uns aufgestellt. Sie sucht Erlösung dahinter, eine Befreiung und dann das Versprechen eines absurden Himmelreiches.
Doch was kann so ein Himmelreich sein wenn nicht das Ende all dieser grausam grellen Dinge, die die Hand des Gauklers gefügt hat?