[1079] Into the Wild [Fiamma, Vincente]

[Vincente Carlos]

Die Fackel fiel zu Boden, wo die Reste ihrer Flamme leise im Wasser zischte. Angewidert blickte Vincente auf das elende Ding hinab, als könnte sein Blick es strafen.

Jetzt, wo er mitten in der Nacht an dem kleinen Bach stand, der fröhlich vor sich hin plätscherte, musste er sich fragen, was ihn nur geritten hatte, als er die Sicherheit des Weges verlassen hatte, um sich durch dieses Dickicht zu kämpfen. Natur, bah! Seiner Meinung nach gab es zu viel davon!

Äste griffen nach seiner Kleidung, Wurzeln ließen ihn stolpern. Irgendwo raschelte immer etwas, meist hinter ihm. Und jetzt hatte er noch nicht einmal mehr Licht, um sich im Dunkeln zurechtzufinden, und musste es doch bis vor Tagesanbruch schaffen.

Kurz überlegte er. Wasser führt doch immer zum Meer, oder etwa nicht? Vielleicht sollte er einfach dem Verlauf folgen und sein Vorhaben auf einen anderen Abend verschieben, nur … dann musste er ja wieder hinein und hindurch in das Gestrüpp...

[Fiamma]

Er würde eine leichte Beute werden. Wie konnte ein Mensch nur so dumm sein und in der tiefen Nacht, im tiefen Wald seine Fackel wegwerfen. Diese hätte ihm in der Abwehr der Wölfe gute Dienste geleistet. Aber nun war der Mann unter ihr zur leichten Beute geworden.

Es war offensichtlich, dass er nicht von hier war und dass er nicht vertraut mit dem Wald war.

Fiamma begleitete seine Anstrengungen schon eine Weile. Noch hatte er sie nicht gesehen und nicht darauf geachtet, dass über ihm ein Raubtier lauerte und ihm folgte. Eigentlich hatte Fiamma sich auf die Hatz mit einer Wildschwein-Rotte gefreut, aber vielleicht funktionierte das auch mit diesem Verirrten – zumal der Mann so laut war, dass die meisten Tiere bereits vor einer gefühlten Ewigkeit vor ihm geflohen waren.

Langsam ließ Fiamma sich von ihrem Baum herab. Für Arash nicht leise genug, aber für diese Gelegenheit ausreichend. Dann hockte sie sich sprungbereit in einigem Abstand hinter dem Mann hin und überlegte. Sie war in dieser Nacht dem Gedanken einer Hatz gefolgt. Es wäre langweilig, wenn er nicht vor ihr davonlaufen würde. Und so räusperte Fiamma sich leise hinter ihm und knurrte leicht.

Auch in dieser Nacht trug Fiamma die einfache Lederkleidung. Sie war barfuß und ihre langen feuerroten Locken waren nur flüchtig zusammengeflochten worden. Lange Strähnen umrahmten ihr Gesicht, gaben ihr zusätzlich ein wildes Aussehen, und doch störte Fiamma sich nicht daran.

Fiamma wartete auf eine Reaktion des Mannes und blickte ihn lauernd mit leuchtend roten Augen an.

[Vincente Carlos]

Vincente war nicht sicher gewesen, ob er richtig gehört hatte. Man sollte meinen, dass es in der Natur stiller als in der Stadt wäre, aber dem war nicht so. Die Natur war erstaunlich laut, auch ohne Menschen.

Spätestens das Räuspern bestätigte ihm, dass er nicht allein war, dass da noch jemand war. Hinter ihm. Er drehte sich um und betrachtete die junge Frau, die vor ihm hockte, wie zum Sprung bereit. Hatte sie wirklich geknurrt? Er hob eine Augenbraue und blieb wo er war. Dann entschied er sich dafür, das Ganze als Spiel zu sehen und rollte – im metaphorischen Sinne – die Würfel.

„Na sieh mal einer an!“, rief er jovial. „Na, wer hätte das gedacht!“ Er lächelte. „Hätte ich geahnt, dass von den Bäumen hübsche Mädchen wie Fallobst stürzen, ich hätte schon viel eher an den Ästen gerüttelt!“ Er besah spielerisch die Baumkronen, als ob er hoffte, dort weitere Frauen zu sehen – vorzugsweise leicht bekleidet. Dann huschte sein Blick wieder zu dem Wesen vor ihm.

„Nana, wer knurrt denn gleich.“ Er legte den Kopf schief und behielt die Frau im Auge. „Sicher, ich bin ein Leckerchen, aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass es euch schlecht bekäme.“
Neugierig blickte er zu den Bäumen und den Fluss. „Man erzählt sich ja so Allerlei, wenn Leute getrunken haben, ich muss aber zugeben, dass ich nur die Hälfte zu Glauben bereit bin. Aber sagt doch, seid ihr eine von diesen...na wie heißen.. diesen, ihr wisst schon, mit dem Wasser und den Hainen... eine Baumdirne! Ich glaube das war's! Eine von diesen sagenumwobenen Gestalten die an seltsamen Orten leben und was weiß ich machen.“

[Fiamma]

„Eine Baumdirne?“ Das letzte Wort wurde langgezogen und Unglauben sowie ein knurrender Unterton mischten sich gleichermaßen in den Tonfall ein. Und doch hatte der Mann es geschafft Fiamma aus dem Konzept zu bringen.

Das Rot in ihren Augen erlosch und sie erhob sich langsam aus der sprungbereiten Position, in der sie gerade noch vor ihm gehockt hatte.

„Ihr seid entweder verrückt oder lebensmüde hier so laut durchs Unterholz zu laufen.“

Fiamma musterte den Fremden aufmerksam und vielleicht nahm ihr Gesicht daraufhin einen leicht enttäuschten Ausdruck an. „Ihr seid kein Mensch und demnach auch nicht mein Nachtmahl!“ Die Frustration darüber war ihr eindeutig anzuhören.

Ärgerlich sah Fiamma sich um und hörte in die Nacht hinein, bevor sie sich dem Mann wieder zuwandte. „Ich habe Euch in Begleitung der wohlwerten Harpyie bereits einmal gesehen. Da seid Ihr allerdings nicht so frech gewesen.“ Vincente konnte das Schmunzeln in ihrem letzten Satz mehr hören, als dass er es in ihrem Gesicht zu sehen bekommen hatte.

Fiamma strich sich eine verirrte Strähne hinters Ohr und ging einige Schritte am Ufer entlang. Sie wirkte angespannt als sie ihn umrundete. Vielleicht hatte sie das Tier in ihr noch nicht zur Gänze beruhigen können.

[Vincente Carlos]

„Naja“, gab er zu, „wahrscheinlich heißen die nicht wirklich Baumdirnen, sondern irgendwas anderes. Da müsste man einen der Belesenen fragen. Würde mich nicht wundern, wenn die mit Medusa verwandt sind oder so.“ Vincente wedelte mit der Hand in Richtung Stadt – oder wo er sie zumindest vermutete (und lag damit sehr wahrscheinlich völlig falsch) – und es sah aus, als würde er versuchen mit dieser wie mit einem Flügel davon zu flattern. „Aber ihr wisst schon, so hübsche Frauen, fast nichts an, tanzen um einen Baum herum oder so und sind freundlich zu herumwandernden … Wanderern.“ Irgendwo hatte er bei seinem Gerede den Faden verloren und er hatte keine Lust mehr, diesem Knäul blind hinterher zu jagen. Er betrachtete die Frau vor ihm etwas genauer, oder zumindest so genau wie es Nacht und Wald zuließen. Er glaube sie schon einmal mit dem Herold Nubis gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher.

„Lebensmüde? Ganz sicher nicht!“ Er streckte möglichst unauffällig ein bisschen mehr die Brust raus. „Und verrückt? Nun, das mag erst im Laufe der Zeit kommen..“ Er legte den Kopf schief. „Waren meine Schritte tatsächlich so laut? Ich wollte euch nicht die Beute verschrecken und es tut mir leid, falls dies geschehen ist.“ Nach einer kurzen Pause ergänzte er: „Und ja, die Harpyie würde Frechheit sicher nicht dulden, auch wenn sie nicht böswillig gemeint ist. Schon allein von amtshalber, ihr versteht?“

Dann besann er sich seiner wenigen Manieren. „Falls ich mich vorstellen darf. Vincente Carlos, Neugeborener der Lasombra. Mit wem habe ich das Vergnügen zu so später Stunde?“

[Vincente Carlos]

Zusammenfassung:
Vincente streif durch die Wälder, die Genua umgeben. Da er sich dabei nicht besonders geschickt anstellt und entsprechend laut ist, wird Fiamma schnell auf ihn aufmerksam. Nachdem sie erkennt, dass es sich bei Vincente nicht um Beute handelt, kommt es zu einem kurzen Gespräch.