[1074] veritas [Giada, Ilario, (SL)]

[Giada Salvaza Rossi]

Ehrfurcht, Hass, kalte Entschlossenheit - sie schienen eine eiskalte Hand zu formen, die sich um Giadas Herz legte. Dies war also der Weg, die Kette, ihr Kampf. Es gab kein Zurück und hatte wohl niemals eines gegeben seit sie einst nach Genua befohlen worden war. Seit sie am obsidianenen Eidstein gewesen war, seit sie hierher in ihre Heimat zurück gekehrt war. Alles lief auf diesen Punkt zu, auf Lydiadas, auf Hardestadt und seine Schergen, auf die in Blut geschriebene Feindschaft und Verteidigung ihrer Heimat und wohl noch weit mehr als nur das.

Sie sank auf ein Knie hinab und bat: “Verehrter Ilario, bezeugt meinen Schwur vor Gott, vor der Nacht, vor uns und unserem Blut.”
Sie richtete ihren Blick auf Ilario in dessen einfachem Pilgergewand.
“Ich schwöre, dass ich den tedescischen Agenten Lydiadas als eben dies erkenne und das ich jenen Umtrieben der Verbrüderung Lydiadas mit den Tedesci nicht tatenlos zusehen werde.”

[Ilario]

"Ich bezeuge ihn. Vor Gott, vor der Nacht um uns und in unserem Blut." Antwortete Ilario rituell auf den von Giada gesprochenen Schwur. Für einen Moment sah er die jüngere Kainitin mit kalt funkelndem Blick an, doch mochte dies andere Gründe haben als Giadas vorschnelles Handeln. Sein Pfad gebot hier kein Einschreiten, noch war es so als verstünde er nicht ihren Eifer. Er deutete ihr sich zu erheben und hielt einen Moment inne um den Schwur zu überdenken.

"Ich schwöre Lydiadas Umtrieben der Verbrüderung mit den Tedesci nicht tatenlos zuzusehen und den Bund den er mit ihnen eingeht zu erkennen. Wenn er sich dadurch zu ihrem Agenten macht, werde ich auch das erkennen."

Er hatte mit Händlerprinzen gefeilscht, mit Tyrannisjüngern harte Worte gewechselt und zuletzt einen Erzeuger der jedes Wort drehte und wendete, Doppeldeutigkeiten auslotete und das Ungesagte sprechen ließ. Daher blieb Ilario in der Wahl seiner Worte zu jenem Schwur diffiziler. Inhaltlich fast gleich, doch umgingen seine Worte den Fallstrick der Logik.

"Werte Giada, bezeugt meinen Schwur vor Gott, vor der Nacht um uns und in unsrem Blut."

[Giada Salvaza Rossi]

Oh, Giada hörte die feinen Unterschiede. Ja, dies war ein Blutssohn Galbas, ein Wesir. Natürlich musste er die Worte verrücken, musste mit den Feinheiten spielen, musste manövrieren und seine Netze spinnen. Selbst hier, im Angesicht der Wahrheit.

Sie wusste auch, dass sie selbst es nicht konnte. Es lag Macht in brutaler Klarheit, sogar in der schmerzhaften Härte von Hierarchie, vom Gefälle zwischen Stärke und Schwäche, von Befehl und Gehorsam. Solche wie er, die Meister der feinen Nuancen, der feinen Schnitte, sahen zuerst die grobe Plumpheit brutaler Macht. Wer einmal die Finesse einer scharfen Klinge schätzen gelernt hatte, sah allzu leicht verächtlich auf die knochenbrechende Gewalt eines banalen Prügels.

Und doch war sein Schwur gut. Genauso wie sie selbst würde er ihn gegen Widerstände verteidigen müssen. Und wie anders sollte man kämpfen als auf die eigene Weise?

“Ja, ich bezeuge Euren Schwur vor Gott, vor der Nacht um uns und in unserem Blut”, sagte sie.

[Il Canzoniere]

Ihr Gesicht blieb erst an Ilario gewandt, dann wandte sie sich mit Giadas Schwur an diese. Kurz betrachtete sie die beiden, dann nickte sie, als würde sie die gesagte Antworten akzeptieren.

"Es ist die Wahrheit. Und an der Wahrheit werdet ihr fortan gemessen. Geht nun und erntet mit der Sichel all jene Lügen. Lasst nur solcherlei Werk zurück, welches ihr hier geschworen habt. Schart jene um euch die eine Hilfe sind, treibt sie voran. Lasst sie Gräben graben, zwischen der See und den Tedesci. Blut fließen. Morde begehen. Vernichtet die Herren Savonas. Platziert dort ein Banner der See, ihr werdet sicher jemanden finden der seines dafürher gibt. Wenn Aurore ihre Untertanen zusammenruft, erhebt ihr das Wort und ruft nach Blut. Unterbindet jede Annäherung mit den Dienern Hardestadts." gab sie mit spährischer Stimme hinzu, als ob dies wichtig seie um etwas geschehen zu lasse das sie bereits kannte. Als ob die Worte gesagt werden musste um einen Weg zu etwas einzuschlagen das sich bereits am Horizont andeutete.

[Ilario]

Schwer lastete der Eid, und doch war da nicht die erwartete, drückende Last. Vielmehr fühlte Ilario Contarini sich seltsam befreit, nun mit einem klarumrissenen Ziel. Eine seltsame Klarheit überkam ihn, in all diesen verwirrenden Ränkespielen der Neugeborenen, Ancillae und Ahnen. Im Gehorsam gegenüber seiner Linie, seiner Lehnsherrin und seinen ethisch-moralischen Grundsätzen kam hier alles zusammen, kulminierte im erreichen jenes Ziel. "So sei es, wir werden wie der Schnitter über die Lügen und Feinde unseres Blutes kommen." Natürlich galt es das Erreichen jener Ziele zu überleben, um die eigenen verwirklichen zu können. Wenn er eines von Brimir gelernt hatte, dann dass das Überleben an erster Stelle stand. Friede seiner Asche.
Entschlossen nickte Ilario der älteren Ancilla zu.

[Giada Salvaza Rossi]

Ein Eid, eine Waffe. Was Giada in dieser Nacht gelernt hatte, waren Wahrheiten über die Wahrheit. Es war als wären die letzten Jahrzehnte allesamt nur Bestandteile einer einzigen, langen, schmerzhaften Lektion gewesen.
Doch Giada scheute weder Schmerzen noch Härten.
"Ich danke euch allen beiden, denn diese Nacht bracht mir die harte Klarheit, an welcher sich das Schwert der Wahrheit schärfen lässt."

Es gab sehr vieles, das Giada in diesem Augenblick nicht aussprach. Doch bereits mit den Worten der Sibylle von zuvor hatten ihre Gedanken begonnen, sich neu zu ordnen. Die Verbindungen, die Ahnungen, die Erinnerungen, die daraus folgenden Notwendigkeiten für Taten - all das hatte nun Form angenommen. Sie ballte einmal die Faust um den Rosenkranz, den sie nahezu immer an ihrer Seite trug.

[Giada Salvaza Rossi]

Ilario und Giada reisen gemeinsam nach Mailand, um zur Sibylle der Lombardei zu pilgern. Sie sprechen zu dem berühmten Orakel und erhalten Weissagungen über die Natur der Kämpfe, die die Lombardei in dieser Zeit auszufechten hat.