[1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

[September '23]
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Harl
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Harl »

“Seelenvögel.” Harl kostete das Wort als wäre es mit fremden Gewürzen gesalzen worden, rollte es auf der Zunge hin und her. “Seelenvögel.”

“Gut. Dann das. Ich brauche dich nicht zum Stadtlaufen. Waldlaufen.. Vielleicht. Du kennst das Land hier besser, ich kann’s sehen. Fühlen. Riechen. Aber Seelenvögel? Hu.” Mit seinen beiden Zeigefingern tippte er sich rechts und links an seine Schläfen und weitete die Geste dann auf als hätten Agnellinas Worte ihm seinen Schädel geöffnet. Er sah sich um, auf der Suche nach einem der Möwennester oder vielleicht einer Möwe.

“Zeige mir, warum sie Seelenvögel sind. Dass sie es sind. Was du damit meinst. Was du darüber weißt. Ich will sie irgendwann selber fragen können. Du kannst es schon, hu? Das ist ein guter Anfang.”
“We live on a placid island of ignorance in the midst of black seas of infinity, and it was not meant that we should voyage far.” - Lovecraft (The Call of Cthulhu)

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Agnellina
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Agnellina »

Sie runzelte die Stirn bei seinen Worten. Das fehlende Verständnis zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als sie innehielt, sich von der Mauer ab- und ihm zuwandte. Verstand er sie oder sie ihn nicht?

„Gefragt habe ich sie nie. Warum auch, wenns doch so ist? Fragst du das Wasser, warum es nass ist oder den Mond, warum er dir leuchtet? Fragst du den Fuchs, warum er Trauben liebt? Die alte Muhme hats mir erzählt mit den Möwen. Es sind die Tiergestalten der Seelen. Manche fallen von den Schiffen und ersaufen jämmerlich in den Wellen. Ihre Seele wird ihnen dabei aus den Leibern gespühlt, aber so nass und schwer kann sie nicht aufsteigen. Sie blüht für eine Weile auf dem Wasser und es sieht aus, als trügen die Wellen Kronen aus Geißbartblüten. Sie trocknet dort. Aber hast ja selbst gesagt, die Tiefe zieht und auch die Muhme sagte, die See gibt nicht wieder her, was sie genommen hat. So trocknen die Blüten zu Federn und wenn die Flügel fest und trocken sind, können die Seelen als Möwen aufsteigen. Sie können aufsteigen und in den Himmel fliegen, aber mit diesem Leib können sie nicht hinein. Sie bleiben dem Meer verbunden. Das betrübt und ärgert sie, deshalb schreien sie so viel. Manchmal, wenn sie von ihren Geliebten und Gatten heiß genug ersehnt und von der See zurück erwartet werden, dann können sie für eine Weile tiefer ins Land fliegen. Sie künden dabei von ihrem eigenen, traurigen Schicksal. Ganz ruhig saß die Möwe damals bei den Bürstenmachern auf dem Dachfirst, nachdem sie um das ganze Hüttchen geflattert war. Beinahe bis zum Abendrot blieb sie da und sie gab vor Traurigkeit keinen Ton von sich, sagte die Muhme. Sie hat es selbst gesehen, damals als sie jung war. Der jüngste Sohn der alten Leute war halsstarrig zur See gegangen, wollte nicht Rat noch Vernunft annehmen und suchte sein Glück dort. Er kehrte als Möwe für einen kleinen Teil dieses einen Tages zurück und wandelte die Sorgen seiner Eltern in Trauer, schaffte ihnen Gewissheit über sein Schicksal.“

Mit ruhiger, sanfter Stimme erzählte sie ihm dies und ihre Augen sahen dabei durch ihn hindurch. Ihre noch immer krallenbewehrten Hände malten die Geschichte mit, schufen die auf den Wellen wachsenden Blüten, ließen die Federn zu festen Flügeln werden, zeichneten den Flug nach.

„Die Möwen leben die restliche Zeit, die sie als Menschen noch gehabt hätten. Mal kurz, mal lang, immer ihr Schicksal dem Meer und den Menschen am Strande laut klagend. Hör nur hin, jeder hört den Zorn in ihren Stimmen, den Neid auf das bessere Los der Lebenden. Raubt ihnen aber jemand auch noch ihre restliche Zeit, so rächen sich die entfesselten Seelen an dem Täter und bringen ihm furchtbares Unglück.“
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Harl
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Harl »

Harl lauschte ihr. Er rang etwas mit sich, sah sie mißgünstig an, hielt nach Möwen Ausschau, die immerhin klug genug waren, jetzt nicht hier zu sein. Dann schnalzte er mit der Zunge und beschloss:

“Kann sein.”
Und damit war die Mißgunst auch beiseite gelegt. Er dachte nach. Er hörte hin. Er grub in seinen Erinnerungen.
“Ich höre keinen Zorn”, sagte er ihr. “Möwen schreien und warnen einander. Vor Gefahr. Sie schreien und lenken Beute ab, dann kommt eine andere heran und schnappt zu. Können sich zusammentun. Schlau. Sie fressen alles, was sie können. Wer eine jagen will, muss noch schlauer sein. Schlinge. Schleuder.”

“Wette: Was du und deine Muhme sagen gegen was ich seit ..hn… einer Weile selbst gesehen habe. Seit ich auf der Welt bin. Finden wir’s raus?” Er neigte den Kopf etwas.
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Agnellina
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Agnellina »

Sie durchdachte seine Worte eine Weile. Sie verlief sich dabei immer wieder in den gleichen Sackgassen ihrer Gedanken. Befreite sich daraus, indem sie noch einmal ihre Grenze äußerte.

„Vielleicht… so und so? Aber es bleibt dabei, Seelen verschlingen ist verboten. Dabei helfe ich auch nicht. Darfst sie nicht jagen. Auch wenn du dich traust. Ich wag es nicht.“

Agnellina hatte etwas Fundamentales verstanden. Und eventuell hatte sie dabei etwas Fundamentales auch missverstanden.

„Aber dass sie zornig sind, wenn sie Sterbliche sehen und uns meist auch, kannst du leicht hören. Geh nur näher, sodass sie dich sehen und mach nur die Ohren auf.“

Sie musterte ihn, sah in seine trüben Augen. Etwas, das er gesagt hatte, kam langsam bei ihr an und allmählich setzten sich ihre Gedanken auf eine heißer werdende Fährte.

„Du hörst sie. Aber sie hören dich nicht? Warum?“
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Harl »

Harl schnaufte einmal und meinte in zähflüssiger Lässigkeit: “Du bist nicht stark, schlau oder tödlich genug, um diesem Jäger irgendeine Beute zu verbieten.”

Er deutete dann auf sie. “Von uns beiden bist du diejenige, die den Möwen nicht zuhört. Obwohl es dir im Blut liegt. Obwohl es dein Erbe ist. Weil deine Ohren durch die Worte einer alten Menschenfrau verschlossen wurden. Und wärest du ein Mensch, es wäre gut. Die Geschichte würde dich sicher halten, zuhause, in der Welt.”

Sein Fingerdeut wanderte langsam auf ihren Mund, wo die Fänge waren. Dann hinab zu ihren Händen, wo die Klauen waren.
“Doch du bist kein Mensch.”
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Agnellina
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Agnellina »

Sie zuckte mit den Schultern, störte sich nicht daran, dass er ihr Nein nicht ernst nahm. Aber seine anderen Worte ließen sie sehr nachdenklich schauen.

Ihr Blick wanderte zu den Felsen, dann hinaus in die Dunkelheit über dem Meer. Was für eine Welt dort unten warten würde? Wäre sie es wert?

„Sprechen die, die unter Wasser leben? Die du erwähnt hast? Haie? Kalmare? Fische?“

Noch immer zögerte sie. Sah ihn wieder an.

„Was wolltest du sie fragen?“
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Harl »

Harl zuckte mit den Schultern. “Das ist, was ich dir vorschlage. Finden wir’s raus.” Er legte den Kopf ein wenig schräg.

“Ich würd’s nicht mit Haien oder Kalmaren versuchen. Haie sind …hn. Mir liegt das nicht im Blut wie dir. Ich kann nicht… ‘reden’ wie du. Aber Haie sind nicht weit weg von der Roten Wut. Und Kalmare? Scheißgefährlich.” Er schauderte einmal und zog seinen Finger die blassen Linien einer langen, gezackten Narbe an seinem Bein entlang.

“Wenn du’s zum ersten Mal ausprobieren willst… Tintenfisch. Die kleinen. Sind ziemlich schlau. Delphine sind dreckige Bastarde, aber auch ziemlich schlau.”

Er grübelte noch ein wenig. “Möwen, wüsste ich gern. Albatross, auch.”
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Agnellina »

„Finden wir es raus.“, wiederholte Agnellina murmelnd. Sie imitierte seine Haltung unbewusst, passte sich daran an, legte den Kopf in einen ähnlichen Winkel.

„Ich versuche mein Bestes, aber ich wusste nicht, dass es… was besonderes ist. Dachte, das gehört dazu, kam mit den Zähnen und dem Hunger.“

Nachdenklich sah sie Harl an. Wieso konnte er es nicht? Was könnte sie tun?
Einem Kind den aufrechten Gang zu lehren, hieß es an die Hand zu nehmen und mit ihm zu gehen. Einem Hund einen Befehl verständlich zu machen, bedeutete ständige Wiederholung in kleinen Schritten. Aber das Hören lehren? Wie stellte man dies an? An den Ohren zu ziehen bis es funktionierte, erschien ihr nicht sinnvoll. Sie versuchte sich zu erinnern.
Doch es war einfach da. Es war das letzte und das erste gewesen. Der letzte Sinn, der verschwand. Sie erinnerte sich an das Schnaufen und Schmatzen und Schlucken und die Geräusche ringsum, als ihre Augen schon getrübt und ihr Fühlen schon erkaltet war. Und an die seltsame Stille in den Geräuschen der Nacht, als das Herz nicht mehr schlug. Und dann, mit all den Geräuschen der Nacht um sich herum, kam erst das Fühlen mit dem Schmerz, dem Brennen, der Geschmack und zuletzt das Sehen zurück, diese plötzliche Helligkeit der Dunkelheit, das Sternenlicht. Aber die Geräusche, das Hören war da. Und… es hatte sich verändert. In der Ruhe nach der ersten Hitze, da hatte sie es gemerkt. War es gleich gewesen? Nein, vielleicht nicht. So viel gleichzeitig. So viel anders. Aber da war es und es war ohne Mühe gewesen. Wie die Zähne im Mund. Wie das Brennen im Bauch. So war das Hören mehr gewesen. Wenn man sich konzentrierte. So wie die Zähne zu Beginn bei jedem verheißungsvollen Geruch, bei jeder lebendigen Wärme hervorkamen… so musste das Hören vielleicht umgekehrt…
Es war wirklich kompliziert.

„Komm. Versuchen wir es. Und bitte… verschlinge sie nicht… nicht heute Nacht. Lass es uns einfach versuchen. Überlege dir, was du fragen sie genau willst.“

Ihre Krallen schrumpften zurück in die Größe von Nägeln und hinterließen die hellen Fingerkuppen. Ihre Zähne glitten gleichsam zurück, als bildeten sie eine Einheit mit den Klauen. Die Problematik mit den Kerben war fürs erste beiseite gelegt. Sie wandte sich den Felsen zu, ihre Augen suchten mit dem unheilvollen Leuchten nach den Aufenthaltsorten der weißen Vögel. Vielleicht ließ sich auf dem Rückweg noch einer der schwarzen zum Nachtmahl finden, hoffte sie im Stillen.
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Harl
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Harl »

“Besonders. Ja. Nein. Beides.”
Mit ihr zusammen ließ er den Blick schweifen. Seine Augen veränderten sich nicht. Seine Hände und Füße waren einfach nur nackte Hände und Füße, wenn auch mit Schwielen, der einen oder anderen Narbe, schmutzig vom Klettern.

“‘s liegt dir im Blut. Soviel weiß ich”, meinte er. “Clan des Tiers, sagen sie. Clan der Bestien. Nicht ohne Grund, hu? ‘Gangrel’ - keine Ahnung, warum das.”
Langsam richtete er sich auf.

“Wir sind zu laut gewesen. Sind es noch immer. Vorschlag: Wir jagen. Fische. Was Möwen fressen. Wir treffen uns wieder, jeder bringt einen mit. Wir legen sie aus und …warten. Warten, bis sie kommen. Hn… .”
Er verzog das Gesicht und furchte die Stirn als wäre der Plan, den er hier ausbreitete, komplex und vielschichtig. “Wenn sie kommen. Nachts? Tch. Entweder sehr früh oder sehr …früh. Am Anfang oder Ende der Nacht.”
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Re: [1085] Schlupfloch [Harl, Agnellina]

Beitrag von Agnellina »

„Gut. Misstrauisch sind alle, aber nie einer freundlichen Gabe abgeneigt. Bringen wir ihnen also etwas mit und kommen wir unter anderen Sternen wieder zusammen. Nicht gleich nach dem Aufstehen. Mach dir auch erst den Bauch voll. Danach dann.“

Weitere Bedingungen oder Anforderungen an ihn stellte sie nicht. Ort und Zeit wurden danach gewählt, bevor man auseinander ging.






Zusammenfassung:
Harl und Agnellina treffen sich beim Versuch ein Schlupfloch in der Stadtmauer zu finden. Beim Kennen lernen stellen sie die übereinstimmende Absicht fest. Ohne diese Absicht letztlich erfolgreich umzusetzen, sprechen sie über das Meer und die Möwen. Sie treffen eine Vereinbarung.
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