[Fluff] Die letzten Strophen [Brimir, Harl, Vaukhar]

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Harl
Malkavianer
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[Fluff] Die letzten Strophen [Brimir, Harl, Vaukhar]

Beitrag von Harl »

Harl setzte sich also zu Vaukhar in den Sand und dachte eine Weile lang nach. Was er gehört hatte, war viel gewesen. Grobe, harsche Worte von Arash, die nach irgendeinem alten Groll oder Schmerz geklungen hatten. Gesungene Worte von Angelique, die eine Saga weiter trug, die wahrscheinlich aus Brimirs Welt kam und nicht aus ihrer.

Er hatte nicht Arashs alte Lasten, alten Groll, alten Stolz. Er hielt solche Dinge für die Fallstricke und Schlingen der Zeit - etwas, das den Jäger früher oder später straucheln lassen würde, wenn er sich davon nicht immer wieder reinwusch. Er kam auch nicht aus Brimirs Welt und konnte nicht singen wie Angelique. Also wechselte er in die Art der Geschichten seiner eigenen Heimat, halb gesprochen und halb in einem Rhythmus gesungen, den ganz Korsika kannte: Wellen gegen Felsen, Wind in den Klippen.

“Dies ist das Ende der Geschichte von Brimir Bögvisson, dem Wolfsrufer, dem Rabenauge”, sagte Harl.
“Es ist das Ende, weil alle Geschichten eines haben müssen. Und weil selbst der beste Jäger nicht vor der größten Gefahr von allen gefeit ist: sich selbst.”
Manche sagten, es sei das Ende der Geschichte. Doch, wo die einen das Ende sahen, gab es für die Anderen einen Anfang. Brimir hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Und ein Teil von ihm hatte ihn herbei gesehnt. Denn er war Einherjer, schon zu Lebzeiten ausgewählt, um eines Tages an Odins Tafel zu speisen. Doch sein Lebenswille war so stark gewesen, dass der Tod ihn nicht gleich ereilt hatte. Zurück geblieben in der Welt der Sterblichen, warteten seine Ahnen in den goldenen Hallen auf ihn, seit so vielen Jahrzehnten. Und nun, würde er endlich mit ihnen speisen.
Harl suchte sich einen Platz im Sand. Seine Stimme fand sich ein in Wind und Wellen ein. Sie war nicht sonderlich schön und nicht sonderlich glatt. Doch das war derjenige auch nicht, von dem Harl erzählte.

“Brimir zog fort aus Genua, zornig gegen die Weiße Prinzessin. Ich kann dir nicht sagen, warum. Versprechen, Ansprüche, Stolz, Macht, Zorn, Verrat, Nöte.” Mit jedem Wort klopfte er einmal sacht in den Sand. Harl wusste eigentlich sogar ein wenig mehr als er zugab, doch er wollte eine gute Geschichte nicht verderben.
Zornig war er, als er Genua verließ. Aber es war nicht der Zorn auf Aurore, der ihn trieb. Er wusste, was er getan hatte - doch niemals freiwillig hatte er einen Eid gebrochen. Blind war er gewesen, nachdem das Schattenblut so viele Male seine Kehle herunter geflossen war. Blind vor Liebe, die nicht echt gewesen war... und sich so viel echter angefühlt hatte, als er sie zu Lebzeiten je gefühlt hatte. Liebe, die von jetzt auf gleich mit ihr gestorben war und als das Tuch von seinen Augen abfiel, erkannte er, dass sein Eid an Aurore zerborsten war. Das es zu spät war. Der schwarze Prinz hatte ihn in seinem Netz gefangen und Brimir hatte keinen Weg mehr gehabt... keine Zeit... um schwarz zu stürzen und seine Loyalität an weiß zu beweisen. Wie ein Bauer beim Schach wurde der Jäger geopfert.
“Doch er ging nicht lang und er ging nicht weit. Er wollte Rache an seiner alten Herrin. Und so war er dabei, als ihr Verwandter auf dem benachbarten Thron in Savona ihr den Krieg erklärte.”

Harl warf sich etwas in die Brust und ahmte eine gewichtige, hochtrabende Stimme nach, die vermutlich der Fürst von Savona sein sollte. “Genua ist bereits so reich und stolz! Es hat mich mein Kind gekostet! Mein Blut! Doch ich habe Freunde im Norden gefunden! Und mit ihnen Stärke! Gib mir das Dorf Votori, Aurore!”, rumpelte Harl. Mit seiner Hand zeichnete Harl einen ungefähren Kreis in den Sand, das Dorf Votori. Er malte einen geschwungenen Strich daran, die Küstenlinie, die Vaukhar und er wohl beide kannten.

“Und Brimir war dabei, denn er wollte sehen, ob Aurore nicht von ihrem Thron gestoßen werden konnte. Doch er war noch immer, wer er immer gewesen war. Als die Diener Aurores ihn um ein Treffen baten, da ging er hin. In Votori sollte das Treffen sein.”
Jagd. Die Jagd war immer gleich... und doch gleich keine der Anderen. Wieviele Opfer hatte er in Genua gefunden? Wieviel von sich selbst geopfert, um sich zum größten Jäger zu machen? Wer von den Anderen hätte die Blutjagd so lange überdauert, wie er? Es hätte noch so viel mehr gegeben, was sich zu jagen gelohnt hätte. Würdige Beute. Bedauerlich war nur, dass ihm die Jagd auf Lydiadas nun verwehrt sein würde. Dass er die Jagd auf das fleischgewordene Ragnarök nicht beenden konnte. Bedauerlich war, dass er Titus in Walhalla nicht sehen würde, da dieser zu seinem Christengott gegangen war. Viel mehr gab es nicht, dass Brimir in dem Moment seines Todes bedauerte. Es war gut gewesen dieses Leben als Jäger. Es hatte seine Sinne geschärft für den Moment an dem Gjallarhorn erklingen wird.
“Und so viele gingen dorthin. Kaum einer der Jungen und Hungrigen in Genua blieb zuhause. Alle wollten ihn sehen, den Blutgejagten. Hatten sie vergessen, dass es eine Jagd war? Oder wussten sie es nur zu gut? Wussten sie von der Falle? Spürten sie sie nicht?”
Harl strich sacht über den Sand und glättete ihn.

“Brimir fiel lange bevor lange Worten getauscht wurden. Er fiel durch einen Angriff aus dem Hinterhalt, denn einen wie er, den greift kein kluger Mörder von Angesicht zu Angesicht an. Und klug muss dieser Jäger gewesen sein, der Brimir Bögvisson zur Beute gemacht hat. Der die Blutjagd nicht vergaß. Dem die Jagd heilig war. Brimir fiel durch eine Klinge aus den Schatten. Sein Mörder war ein leiser Nachtwind und keiner, keiner in Genua oder in Savona will ihn erkannt haben. Keiner weiß seinen Namen oder wagt, ihn auszusprechen.”
Der Staub seiner Asche verwandelte sich Raben. In der Luft lagen die Stimmen der Valkyren. Das Biest - so viele Jahre ein treuer Begleiter - starb tatsächlich. Es hatte ihn im Leben gehalten und nun war er frei zu gehen. Weiche Hände auf Brimirs Wangen weckten ihn. Von dem Chaos, dass in dem Raum seines Todes ausgebrochen war, bekam er Nichts mehr mit. Das Fell auf seiner Haut zog sich zurück... das Knurren in seiner Stimme verhallte... die Krallen an seinen Fingern waren wieder menschlich. Als er die Augen öffnete sah er in das Gesicht seiner Schwester. Er hatte sie vernichtet... in einem Kampf... voller Ehre. Sie starb durch ihn mit der Waffe in der Hand, genau wie Brimir im Kampf starb. Und nun... war sie seine Valkyre. Sie lächelte ihn an. "Komm, Bruder. Vater und Mutter warten schon." "Böggvir?" "Nein... Vater. Du bist nicht länger Brimir Böggvisson. Du bist wieder Brimir Kjellson. Endlich ein wahrer Einherjer. Björn Járnsiða wartet ebenfalls. Und all die Ahnen und Helden vergangener Tage, die dich kennen lernen wollen. Komm..." Das Ende einer Geschichte für den einen, ist der Anfang einer Geschichte für den Anderen. Zorn. Verat. falsche Liebe. Untote Freundschaft. Ewige Jagd. Bedauern. Brimir erhob sich mit einem Lächeln. Er folgte seiner Schwester nach Valhall, wo die großen Krieger ewig lebten. Und er schaute nicht mehr auf sein vergangenes Leben zurück.
Nun schwieg Harl. Mit einem Finger, sacht wie Federn, strich er eine einfache Zeichnung in den Sand: Zwei Raben mit ausgebreiteten Schwingen, die ein letztes Mal flogen. Bis das Meer die einfachen Striche im Sand fortwaschen würde.
“We live on a placid island of ignorance in the midst of black seas of infinity, and it was not meant that we should voyage far.” - Lovecraft (The Call of Cthulhu)

Harl (Beschreibung)
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