Die Rechtschreibung des Briefes ist ebenso sauber und tadellos wie das Schriftbild, mit einer femininen Verspieltheit.
Verehrter Ilario Contarini, Blutvogt und Hüter von Genua, Ancilla des Clans der Schatten,
sicherlich ist Euch nicht die Aufregung in Votori entgangen. Ich habe einen Mittelsmann diskret nachforschen lassen, und der hat ausdrücklich bestätigt, was wir vermutlich alle in der Stadt vermutet haben: Es war der wohlwerte Liviu Cosma, der da ans Tageslicht gezerrt und als Kainit offenbart wurde.
Im Ort herrscht immer noch helle Aufregung. Die Bischofsgarde hat das Heilerhaus auf den Kopf gestellt und alles mitgenommen, was für sie von Interesse war: Bücher, Apparaturen, und sicher auch Schriftstücke, die Rückschlüsse auf andere Kainiten erlauben, mit denen der wohlwerte Liviu in Kontakt stand.
Jeder, der mit dem wohlwerten Liviu Korrespondenz ausgetauscht hat, muss davon ausgehen dass jedes niedergeschriebene Wort ab sofort auch dem Sondergesandten und seinen Leuten bekannt ist, und sollte entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen, zum Selbstschutz wie auch zum Schutz unserer ganzen Art.
Mit Eurer Erlaubnis würde ich gerne einen entsprechenden Aushang im Elysium anbringen - aber vielleicht wollt Ihr ihn auch lieber selbst unterzeichnen, damit er auch wirklich ernst genommen und nicht bloß als Gewäsch einer Neugeborenen und Gästin abgetan wird.
Akut drängender ist, dass sich immer noch ein Blutsdiener Livius im Heilerhaus aufhält. Die Bischofsgarde hat ihn bisher nicht mitgenommen - vielleicht haben sie seine wahre Natur nicht erkannt, vielleicht dient er aber auch ganz bewusst als Köder.
So weit mein Mittelsmann aus der Entfernung erkennen konnte, befindet der Blutsdiener sich durch den Tod seines Domitors in einem emotionalen Ausnahmezustand und könnte sich zu unüberlegten Handlungen und Äußerungen hinreißen lassen.
Je nachdem, wie alt der Blutsdiener schon war, dürfte er auch bald schlagartig altern und damit die Stille in Votori noch mehr erschüttern.
Mein Mittelsmann konnte leider nicht näher heran kommen und selbst mit dem Blutsdiener sprechen.
Weder ich selbst noch meine Blutsdiener sind dazu imstande, nach Votori zu reisen, unauffällig in das Heilerhaus einzudringen und uns ebenso unauffällig dem Blutsdiener anzunehmen. Bereits eine Zuflucht zu finden ist eine Herausforderung, mit dem nun höchst unsicheren Heilerhaus und mit dem Mißtrauen, das die Votorer jeder durch die Nacht wandelnden bleichen Gestalt entgegenbringen.
Mit besorgten Grüßen,
Allegra Aldighieri, Neugeborene des Hauses Kappadozius