[1090] Knüpfen von Banden [Angelique, Harl]

[Harl]

Harl konnte nur mit den Schultern zucken. Doch dann fiel ihm etwas ein: "Meine Erzeugerin ist ewig auf der Jagd. Sie macht hunderte und tausend kleine Jagden, nach Sachen, nach Menschen, nach Tieren, nach Kainiten, nach Sagen, Wissen, Monstern, Engeln, Teufeln, allem. Doch sie sagt, sie macht nur eine Jagd. Und alle diese Sachen sind Schritte dahin."

"Vielleicht jagt sie nach so etwas. Nach einer Sache, die größer ist. Weit verstreut. Zusammen-gesetzt. Auseinander-gerissen. 's ist das erste Mal, dass es Sinn ergibt, für mich."
Forschend sah er Angelique an.

"Heißt das, wir sind zu viele, hier in Genua?"

[Angelique]

"Eher zu wenig, um die Macht unserer Familie zu manifestieren, wenn ich recht haben sollte.

Der Drang deiner Sire zu suchen, scheint tatsächlich ein Ausdruck unserer aller Jagd zu sein. Andere Häuser jagen andere Sachen. Macht, Wissen über den Tod oder über den Körper, Kunst, GOtt.

Vielleicht ist das alles nur ein Echo des Blutes unseres jeweils ersten Ahnen. Vielleicht ist das sein oder Hobby, wozu die Nachfahren unbewusst sich gezwungen sehen."

Sie wechselte das Thema.Darin war sie gut. Wie ein Nachtfalter, der unstet umher flatterte. "Ich muss mich auch wieder mal meiner goetischen Berufung stellen. Sag, brauchst du Orakelsprüche? Nur, weil man mich der Familie verwiesen hat, heißt das ja nicht, dass ich ihren Mitgliedern nicht helfen will."

[Harl]

Er kniff sein gutes Auge etwas zusammen und dachte darüber nach.

"Die Jagd, die sie im Elysium ausgerufen haben. Auf die Menschen von Arash. Er hat.. nh. Er hat Menschen eingeweiht, aber sie nicht gebunden. Maskerade-Bruch. Hat ihnen auch beigebracht, zu jagen." Schwer zu sagen, ob Harl das gut fand oder schlecht. Es klang bedeutungsschwanger, wo wie er das sagte, als stecke dahinter mehr als einfach der Traditionsbruch. Aber bei "Maskerade-Bruch" hatte er sich geschüttelt. Nun hob er das Gesicht in den Wind und witterte. Es roch nach Meerwasser, Tang und Algen, dem Teer, Pech und Holz der Hafenanlagen, fahl auch nach den verrottenden Resten von Fisch, die weder die Ärmeren noch die Möwen hatten aufsammeln können.
"Oder die Jagd auf Emma. Das war eine, die Arash angefangen hat, aber er hat sich nie.. nh. Hat sich nie drauf konzentriert wie ein Jäger es sollte. Also hing sie lose im Wind. 'ch denke, er wollte dich auch mit reinziehen? Sprach mal davon. War nicht klug von ihm, aber er war Jagdmeister. 'ch überlege, ob ich die Jagd weitermache. Für ihn? Mich? Ich will die Beute nicht töten. Aber ich will sie jagen. Hu. Ich denke, sie ist selber Jägerin." Sein Lächeln blitzte auf. "Dann habe ich einen Jäger verloren, der sich zu sehr verstrickt hat in seinen eigenen Fallschlingen. Aber vielleicht gewinne ich eine andere Jägerin. Oder eine Rivalin. Und beides ist gut."

"Eine der beiden Jagden. Was denkst du?"

[Angelique]

"Ich weiß, ob er sie eingeweiht oder ob das nur eine Entschuldigung ist, sie zu jagen und umzubringen. Woher weiß man das? Hat er das gesagt? Haben Sterbliche das gesagt? Wenn ja, ohne Zwang?
Ich bin bei so etwas skeptisch. Vielleicht wollte er ja nur Sterblichen die Jagd beibringen, damit sie sich einfacher und frei ernähren können.
Da ist nichts Falsches dran. Jedem Dorf ist die Jagd im Rahmen erlaubt. Warum sollten Menschen nicht jagen dürfen?"

Sie überlegte. "Jag diese Emma. Das würde dir Freude bereiten. Das wäre auch eine Herausforderung und nicht der Fuchs im Hühnerstall.
Und ja, vielleicht wird es eine Rivalin oder eine andere Jägerin. Soll ich dir ein Orakel zu dieser Emma machen? Gute Jäger haben gute Jagdhündinnen, die ihnen das Wild anzeigen."

[Harl]

Harl zuckte mit den Schultern. "Ich habe sie gesehen. Sie haben Arash gesehen. Er hat Hörner und Fell. Er gebraucht sie zur Jagd, wollte sie auch mitnehmen zur Jagd auf Emma. Wollte sie Allegra geben, für eine andere Jagd. Das sind die Dinge, die ich weiß." Er wiegte den Kopf. "Menschen einweihen in unsere Sachen, das bricht die Stille. Blut kann das heilen. Macht kann das richten. Er hat weder das eine noch das andere gebraucht."

"Ich weiß auch, was sie im Elysium aufgehängt haben. Worte. Ein Aufruf. Ich weiß, wie die Frau im Elysium ihn vorgelesen hat. Und die Worte klingen so wie das, was ich gesehen habe." Er stubste Angelique mit dem Zeige- und dem Mittelfinger an. "Vielleicht wünschst du dir, es wäre anders. Vielleicht willst du, dass Arash recht hat und lebt und der Blutvogt und Tankred Unrecht haben und sterben? Ist das besser? Aber solche Wünsche mag ich nicht. Solche Wünsche sind keine Jagd. Solche Wünsche sind lockende Köder über Fallgruben, die wir uns selbst stellen. Und sie schmecken nicht mal gut."
Darüber dachte er selbst eine Weile nach und meinte dann: "Jetzt habe ich dir davon erzählt und vielleicht hilft es dir. Eine Bezahlung für ein Orakel?"

[Angelique]

Angelique lachte leicht hysterisch. "Da wurde ja buchstäblich der Bock zum Gärtner gemacht. Wie konnte er das tun und Sterbliche einweihen und dann nicht binden?"

Sie rieb sich grummelig die bestupsten Bereiche. "Ich wünsche gar nichts. Schon gar nicht anderen den Tod. Tote lernen nichts mehr, sondern vergessen alles, wenn sie nicht Geister oder wie wir werden.
Früher ja, aber inzwischen nicht mehr. Für manche ist das Leben auch schlimmer als der Tod."

Sie grinste. "Bezahlung für ein Orakel? Mal sehen. Du bist Jäger. Vielleicht eine Jagd. Wie wäre es mit dem Auffinden eines meiner Leute, der verschwunden ist? Einer meiner geliebten Blutsvasallen ist entführt worden. Bring ihn mir wieder. Wenn er lebendig und geistig nicht umnachtet ist, kriegst du jedes Orakel jetzt und in Zukunft. Ist er tot, so sage mir nur den Mörder und du bekommst ein einzelnes Orakel."

[Harl]

Das war eine zu einfache Jagd und das gefiel Harl nicht. Also verzog er das Gesicht und meinte listig: "Ich habe dich schon mit all dem Wissen bezahlt. Über Arash. Seine Leute. Seine Jagden. Emma. Wenn das nicht genug ist, ist es so. Denn diese Jagden liegen vor mir. Noch eine mehr? Nah. Dann bin ich schlecht. Dann bin ich so wie Arash, der Emma jagen wollte, aber die Zeit nicht fand. Den Fokus nicht fand. Und dann ist es schlecht und ich bin ein schlechter Jäger."

[Angelique]

"Ich habe dir auch nicht wenig erzählt. Über mich, über andere."

Sie schüttelte den Kopf. "Du solltest inzwischen wissen, wie ich Prioritäten setze. Die Meinen sind mir wichtig. Wer meinen sterblichen oder unsterblichen Freunden hilft, hat eine Freundin, die ihm immer helfen wird, wenn er es will.
Du bist ein Jäger und der einzige Jäger, den ich beauftragen kann. Und jede Nacht wird die Spur kälter und die Wahrscheinlichkeit, dass Hugh tot ist, größer.
Ich habe also wenig Wahl, wenn ich nicht selbst die Fährte aufnehmen soll. Es wäre aber besser, ein Puffer wäre zwischen mir und dem Entführer, der vielleicht verhandeln kann, wo ich zu zornig wäre.
Du verstehst nicht, wie hohe ich Freundschaft bewerte und keinen Stein unumgedreht lasse, bis ich Gewissheit habe."

[Harl]

Harl zuckte mit den Schultern und wiederholte seine Worte nicht. Stattdessen meinte er einfach: "Ich gebe Nachricht, wenn ich wen gefunden habe. Aschepriester oder wie sie sich nennen für solche Wege. Hab's immer für ...nh. Hab's für die Ruinen von dem gehalten, was vom Menschen über ist. Ich mein'.. es ist ja nicht wirklich ...menschlich, eh? Menschen sind nicht... mnh." Er griff mit der Hand in die leere Luft, aber konnte keine Worte packen und das, was er meinte, wohl auch nicht richtig.
"Was du willst, ist ...wie ein sehr schon gemaltes Bild davon wie ein Mensch sein sollte, wenn man gute Menschen fragt", versuchte er es von einer anderen Seite her zu erklären. Er grübelte kurz darüber, nickte einmal dazu, welche Worte er da zusammengescharrt hatte und schüttelte sich dann.

"Gibt immer was zu lernen, eh? Humani..tas. 'ch höre mich um. Und ich mache die Jagden, die vor mir liegen. Und dann die, die danach kommen. Und das muss dir und mir reichen."

[Angelique]

Angelique fiel das Ignorieren ihrer Bitte sehr wohl auf, aber sie sagte nichts dazu.

"Gut, dann soll mir das reichen. Viel Glück bei deinen Jagden."

Sie würde ihn noch zum Ausgang begleiten und dann hatte sie viel nachzudenken.